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  Wissenschaft und Forschung
 

 
  12 / 2001
  Gesundheit: Systemreform am Beispiel Diabetes

Diabetes Mellitus stellt neben Krebs und AIDS eine der größten Herausforderungen für die Gesundheitssysteme moderner Staaten dar. Verläuft die Krankheit in den frühen Stadien meist relativ komplikationslos, birgt der Diabetes oft erst in der Spätphase, im fortgeschrittenen Alter der Patienten, eine Reihe von zerstörerischen Folgen wie Nierenversagen, Schlaganfall, Herzinfarkt, Verlust von Extremitäten, Erblindung, vorzeitiger Tod. Die durchnittlichen Behandlungskosten für den Diabetes haben sich in den vergangenen Jahren verfünffacht, die Mortalitätsrate ist demgegenüber auf gleichem Niveau geblieben. Etwa eine halbe Million ÖsterreicherInnen leiden an diesem krankhaften Zustand, nur 300.000 davon wissen um ihre Krankheit.

An einem nachhaltigen Ausweg aus dem Diabetes-Dilemma wird seit einiger Zeit in Graz geforscht: Am neu eingerichteten Institut für medizinische Systemtechnik und Gesundheitsmanagement entsteht ein Modell einer integralen, umfassenden  Diabetestherapie, die in der Vollanwendung den Patienten ein krankheits- und beschwerdefreies Leben bis ins hohe Alter ermöglichen wird können.
"Zur Erreichung dieses Ziels bedarf es einerseits zahlreicher umfassender Strukturreformen im Behandlungssystem, aber auch der Entwicklung und Einführung innovativer Technologien", erklärt Univ.Prof. Dr. Thomas Pieber, der Vorstand des neuen Forschungsinstituts, dessen Basisfinanzierung vom Joanneum Research übernommen wurde.
Technologisches Highlight dieses Großprojekts "Diabetesmanagement" ist die künstliche Bauchspeicheldrüse, ein Mechanismus, der den Patienten die Zuführung der zu jedem Zeitpunkt adäquaten Menge Insulin garantieren wird können. Damit ist gerade jener entscheidende Faktor unter Kontrolle gebracht, der bei der herkömmlichen Insulindosierung, auch wenn diese sehr sorgfältig vorgenommen wird, immer suboptimal bleibt: Die punktuelle Glukosemessung durch den Patienten mehrmals am Tag sagt nur sehr wenig über den auf die Messung folgenden, tatsächlichen Verlauf des Blutzuckerspiegels aus, ständige Unter- oder Überzuckerung sind das unmittelbare Ergebnis, nachhaltige Schädigung vieler Bereiche des Organismus mit den bekannten Komplikationen die Folgen.
 

Vorstellung des Instituts für medizinische Systemtechnik und Gesundheitsmanagement (v. l. n. r.): Hon.-Prof. Dr. Bernhard Pelzl (Joanneum Research), Doz. Dr. Günter Bergmann (ärztlicher Leiter des Universitätsklinikums Graz), Univ.-Prof. Dr. Thomas Pieber (stellvertretender Leiter des Universitätsklinikums), Diabetesberaterin Helga Urdl

Bei der "künstlichen Bauchspeicheldrüse", einem EU-finanzierten internationales Projekt (www.adicol.org) wird im Prinzip der dem Blutzuckerspiegel korrespondierende Glukosegehalt der Interzellularflüssigkeit kontinuierlich gemessen, die daraus gewonnenen Daten werden einem Algorithmus (einer Software) zur Verfügung gestellt, der in der Lage ist, den individuellen Insulinbedarfs-Rhythmus des jeweiligen Patienten zu "erlernen" und danach die zuzuführende Insulinmenge im Voraus zu berechnen und genau zu dosieren. Die Folge ist eine weitgehende und dauernde Adäquanz der Mengen von benötigtem und verfügbarem Insulin, der Diabetespatient lebt, was seinen Insulinhaushalt anbelangt, normal, die Punktmessungen und täglichen Insulininjektionen entfallen.
Die künstliche Bauchspeicheldrüse steht derzeit im Entwicklungsstadium, bis zur Implantierbarkeit dieser Technik bedarf es, so Prof. Pieber, "noch großer Anstrengungen und eines erheblichen Forschungsaufwandes".

Einbindung der niedergelassenen  MedizinerInnen
Zweite Stoßrichtung der "Revolution" in der Diabetestherapie ist eine von Piebers Institut ausgearbeitete umfassende Strukturreform betroffener Bereiche des Gesundheitssystems. Hier soll medizinisches Wissen effizient für den Patienten nutzbar gemacht werden. Herkömmliche Diabetestherapie beinhaltet heute noch vielfach Aufgaben, die die Patienten selbst bewerkstelligen. So bekommt ein niedergelassener Arzt die Blutzuckermessung von der Kasse abgegolten, die aber der Patient selbst vornimmt. Bezahlt werden muss, so Pieber,  vielmehr etwa die regelmäßige Untersuchung von Augen und Beinen. Das Projekt "Transmurales Care Management zur integrativen Versorgung von Diabetespatienten" hat zum Ziel, die niedergelassenen Mediziner in ein umfassendes Diabetes-Therapie-System einzubinden und auf diese Weise in drei Jahren eine flächendeckende, adäquate Versorgung der Typ-2-DiabetikerInnen in der Steiermark aufzubauen. Der bisherige Verlauf dieses  Vorhabens kann nun, nach einem Jahr seit dem Start, bereits als äußerst erfolgreich bezeichnet werden. Von 1000 niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen in der Steiermark haben sich 200 einer entsprechenden Ausbildung unterzogen, 100 davon arbeiten bereits aktiv im Projekt.
Um die Fülle des Wissens über den Umgang mit dem Diabetes an die Patienten zu bringen, haben sich Gruppenschulungen international bewährt. Diese Gruppenschulungen werden am Grazer Universitätsklinikum auch seit 1989 praktiziert, erreichen aber aufgrund ihres lokal begrenzten Einsatzes nicht einmal alle Grazer DiabetikerInnen. Flächendeckung kann also nur über eine entsprechende "Standardisierung" für möglichst jede einzelne Arztpraxis erreicht werden, argumentiert Pieber. Die Diabetiker-Schulungen erfolgen in  Kleingruppen von sechs bis zehn Personen, für deren Betreuung hat sich der Pflegeberuf DiabetesberaterIn von Vorteil erwiesen. Zu den Kernaufgaben der praxisorientierten Diabetestherapie gehören Beratung, den Lebensstil  der PatientInnen betreffend, ebenso wie das Feststellen einer allfällig notwendigen Aspirinverabreichung oder die regelmäßige Untersuchung der Beine, der Augen, der Nierenfunktion u.dgl.
Zur Realisierung dieser Vorhaben ist ein breites Zusammenwirken möglichst vieler am Gesundheitssystem beteiligter Institutionen vonnöten. Kooperationspartner sind neben dem Joanneum Research u.a. denn auch die Steiermärkische Gebietskrankenkasse als Kostenträger, die KAGes, die Technische Universität als Technologiepartner, der Hauptverband der Sozialversicherungsträger aber auch Unternehmen der Pharmamultis wie Roche Diagnostics und Novo Nordisc Pharma.

Kontakt:
Joanneum Research – Institut für Medizinische Systemtechnik und Gesundheitsmanagement
Krenngasse 37, 8010 Graz
Tel. 0 316 / 876-2131
Auenbruggerplatz 15, 8036 Graz
Tel. 0 316 / 876-2103
Mail: msg@joanneum.at
www.joanneum.at/msg


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