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Gesundheit: Systemreform
am Beispiel Diabetes
Diabetes Mellitus stellt neben Krebs und AIDS
eine der größten Herausforderungen für die Gesundheitssysteme
moderner Staaten dar. Verläuft die Krankheit in den frühen Stadien
meist relativ komplikationslos, birgt der Diabetes oft erst in der Spätphase,
im fortgeschrittenen Alter der Patienten, eine Reihe von zerstörerischen
Folgen wie Nierenversagen, Schlaganfall, Herzinfarkt, Verlust von Extremitäten,
Erblindung, vorzeitiger Tod. Die durchnittlichen Behandlungskosten für
den Diabetes haben sich in den vergangenen Jahren verfünffacht, die
Mortalitätsrate ist demgegenüber auf gleichem Niveau geblieben.
Etwa eine halbe Million ÖsterreicherInnen leiden an diesem krankhaften
Zustand, nur 300.000 davon wissen um ihre Krankheit.
An einem nachhaltigen Ausweg aus dem Diabetes-Dilemma
wird seit einiger Zeit in Graz geforscht: Am neu eingerichteten Institut
für medizinische Systemtechnik und Gesundheitsmanagement entsteht
ein Modell einer integralen, umfassenden Diabetestherapie, die in
der Vollanwendung den Patienten ein krankheits- und beschwerdefreies Leben
bis ins hohe Alter ermöglichen wird können.
"Zur Erreichung dieses Ziels bedarf es einerseits
zahlreicher umfassender Strukturreformen im Behandlungssystem, aber auch
der Entwicklung und Einführung innovativer Technologien", erklärt
Univ.Prof. Dr. Thomas Pieber, der Vorstand des neuen Forschungsinstituts,
dessen Basisfinanzierung vom Joanneum Research übernommen wurde.
Technologisches Highlight dieses Großprojekts
"Diabetesmanagement" ist die künstliche Bauchspeicheldrüse, ein
Mechanismus, der den Patienten die Zuführung der zu jedem Zeitpunkt
adäquaten Menge Insulin garantieren wird können. Damit ist gerade
jener entscheidende Faktor unter Kontrolle gebracht, der bei der herkömmlichen
Insulindosierung, auch wenn diese sehr sorgfältig vorgenommen wird,
immer suboptimal bleibt: Die punktuelle Glukosemessung durch den Patienten
mehrmals am Tag sagt nur sehr wenig über den auf die Messung folgenden,
tatsächlichen Verlauf des Blutzuckerspiegels aus, ständige Unter-
oder Überzuckerung sind das unmittelbare Ergebnis, nachhaltige Schädigung
vieler Bereiche des Organismus mit den bekannten Komplikationen die Folgen.
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Vorstellung des Instituts für medizinische
Systemtechnik und Gesundheitsmanagement (v. l. n. r.): Hon.-Prof. Dr. Bernhard
Pelzl (Joanneum Research), Doz. Dr. Günter Bergmann (ärztlicher
Leiter des Universitätsklinikums Graz), Univ.-Prof. Dr. Thomas Pieber
(stellvertretender Leiter des Universitätsklinikums), Diabetesberaterin
Helga Urdl
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Bei der "künstlichen Bauchspeicheldrüse",
einem EU-finanzierten internationales Projekt (www.adicol.org)
wird im Prinzip der dem Blutzuckerspiegel korrespondierende Glukosegehalt
der Interzellularflüssigkeit kontinuierlich gemessen, die daraus gewonnenen
Daten werden einem Algorithmus (einer Software) zur Verfügung gestellt,
der in der Lage ist, den individuellen Insulinbedarfs-Rhythmus des jeweiligen
Patienten zu "erlernen" und danach die zuzuführende Insulinmenge im
Voraus zu berechnen und genau zu dosieren. Die Folge ist eine weitgehende
und dauernde Adäquanz der Mengen von benötigtem und verfügbarem
Insulin, der Diabetespatient lebt, was seinen Insulinhaushalt anbelangt,
normal, die Punktmessungen und täglichen Insulininjektionen entfallen.
Die künstliche Bauchspeicheldrüse steht
derzeit im Entwicklungsstadium, bis zur Implantierbarkeit dieser Technik
bedarf es, so Prof. Pieber, "noch großer Anstrengungen und eines
erheblichen Forschungsaufwandes".
Einbindung der niedergelassenen MedizinerInnen
Zweite Stoßrichtung der "Revolution" in
der Diabetestherapie ist eine von Piebers Institut ausgearbeitete umfassende
Strukturreform betroffener Bereiche des Gesundheitssystems. Hier soll medizinisches
Wissen effizient für den Patienten nutzbar gemacht werden. Herkömmliche
Diabetestherapie beinhaltet heute noch vielfach Aufgaben, die die Patienten
selbst bewerkstelligen. So bekommt ein niedergelassener Arzt die Blutzuckermessung
von der Kasse abgegolten, die aber der Patient selbst vornimmt. Bezahlt
werden muss, so Pieber, vielmehr etwa die regelmäßige
Untersuchung von Augen und Beinen. Das Projekt "Transmurales Care Management
zur integrativen Versorgung von Diabetespatienten" hat zum Ziel, die niedergelassenen
Mediziner in ein umfassendes Diabetes-Therapie-System einzubinden und auf
diese Weise in drei Jahren eine flächendeckende, adäquate Versorgung
der Typ-2-DiabetikerInnen in der Steiermark aufzubauen. Der bisherige Verlauf
dieses Vorhabens kann nun, nach einem Jahr seit dem Start, bereits
als äußerst erfolgreich bezeichnet werden. Von 1000 niedergelassenen
Ärzten und Ärztinnen in der Steiermark haben sich 200 einer entsprechenden
Ausbildung unterzogen, 100 davon arbeiten bereits aktiv im Projekt.
Um die Fülle des Wissens über den Umgang
mit dem Diabetes an die Patienten zu bringen, haben sich Gruppenschulungen
international bewährt. Diese Gruppenschulungen werden am Grazer Universitätsklinikum
auch seit 1989 praktiziert, erreichen aber aufgrund ihres lokal begrenzten
Einsatzes nicht einmal alle Grazer DiabetikerInnen. Flächendeckung
kann also nur über eine entsprechende "Standardisierung" für
möglichst jede einzelne Arztpraxis erreicht werden, argumentiert Pieber.
Die Diabetiker-Schulungen erfolgen in Kleingruppen von sechs bis
zehn Personen, für deren Betreuung hat sich der Pflegeberuf DiabetesberaterIn
von Vorteil erwiesen. Zu den Kernaufgaben der praxisorientierten Diabetestherapie
gehören Beratung, den Lebensstil der PatientInnen betreffend,
ebenso wie das Feststellen einer allfällig notwendigen Aspirinverabreichung
oder die regelmäßige Untersuchung der Beine, der Augen, der
Nierenfunktion u.dgl.
Zur Realisierung dieser Vorhaben ist ein breites
Zusammenwirken möglichst vieler am Gesundheitssystem beteiligter Institutionen
vonnöten. Kooperationspartner sind neben dem Joanneum Research u.a.
denn auch die Steiermärkische Gebietskrankenkasse als Kostenträger,
die KAGes, die Technische Universität als Technologiepartner, der
Hauptverband der Sozialversicherungsträger aber auch Unternehmen der
Pharmamultis wie Roche Diagnostics und Novo Nordisc Pharma.
Kontakt:
Joanneum Research – Institut für Medizinische
Systemtechnik und Gesundheitsmanagement
Krenngasse 37, 8010 Graz
Tel. 0 316 / 876-2131
Auenbruggerplatz 15, 8036 Graz
Tel. 0 316 / 876-2103
Mail: msg@joanneum.at
www.joanneum.at/msg |