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Erlesenes und Ungelesenes
Über 150 Verlage präsentierten Ende April auf der Österreichischen
Buchmesse wieder Klassiker und Neuerscheinungen aus ihren Programmen –
keine Rede von einer Krise des gedruckten Wortes. Aber: Die Zukunft steht
zweifellos im Zeichen des Miteinander von gedruckten und elektronischen
Medien. Erstmals waren im Rahmen der Buchmesse daher europäische Online-Publizisten
und Dokumentare zu Gast in Graz, um mögliche Entwicklungen und Zukunftsszenarien
zu diskutieren.
Highlights der Buchmesse waren diesmal allerdings nicht die vielen zu
lesenden Bücher, sondern die … ungelesenen. Julius Deutschbauer, Gründer
und Bibliothekar der Bibliothek ungelesener Bücher, interviewte zwei
Nachmittage lang Grazer und Grazerinnen zu Büchern, die sie zwar besitzen
aber nicht gelesen haben. Deutschbauers Interesse gilt vornehmlich den
Erzählungen, die sich hinter den ungelesenen Büchern verbergen
und die er den „Nicht-Lesern“ durch vielfach überraschende Fragen
zu entlocken versucht – wie etwa: „Wie oft haben Sie Ihr Buch nicht gelesen?“
Die Antworten reichen von „Noch nie!“ (Franz Morak) über „3 Mal“ (Werner
Schandor) bis hin zu komplizierteste Live-Berechnungen, wie oft man das
Buch noch nicht gelesen haben könnte.
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Camera-Austria-Herausgeberin Christine Frisinghelli im
Gespräch mit Julius Deutschbauer. |
Zuweilen kommt aber auch Deutschbauer selbst aus dem Konzept. Auf die
Frage „Welches Wetter haben wir heute?“ antwortete die Schriftstellerin
Monika Wogrolly: „Ihre Bierfahne irritiert mich, Herr Deutschbauer.“ Ein
eilig gelutschtes Frischebonbon konnte rasch Abhilfe schaffen.
Welche Gründe gibt es eigentlich, Bücher nicht zu lesen?
In Frage kommen Zeitmangel, Analphabetismus und Unlust, zuweilen aber auch
der Inhalt. Ex-Rektor Helmut Konrad hat die Lektüre von Don DeLillos
„Unterwelt“ verweigert, denn: „Ein Buch, in dem über 40 Seiten beschrieben
wird, wie ein Baseball fliegt, kann man wirklich nicht lesen.“
Seit 1997 hat Deutschbauer seine mittlerweile 450 Interviews und folglich
fast ebenso viele Bücher umfassende Bibliothek der ungelesenen Bücher
zusammengetragen. Häufigstes ungelesenes Buch ist die Bibel (15 Nennungen),
auf den Plätzen liegen Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von
Marcel Proust und Musils Mann ohne Eigenschaften, den etwa H.C. Artmann
nicht gelesen hat („Da lese ich ja lieber Micky Maus.“). Zur Zeit ist die
Bibliothek im Wiener Freud Museum untergebracht.
Informationen:
www.basis-wien.at/cgi-bin/o/2132
www.buchmesse.at
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