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"Hilfen zur Selbststeuerung
des Individuums"
Mit dem Präsidenten der Akademie Graz, Emil Breisach, sprach
KORSO-Herausgeber Christian Stenner über die Rolle aufklärender
Bildungsarbeit in den gegenwärtigen Transformationsprozessen.
Das Frühjahrsprogramm der Akademie Graz umfasst drei große
Schwerpunkte – die Biotechnologie, die durch eine Veranstaltung und ein
Symposium repräsentiert ist; die neuen Kommunikationsmedien, vor allem
das Internet, und schließlich die Fragen der Globalisierung. Bei
allen drei Themen geht es um Prozesse, die in einer Dialektik zwischen
wissenschaftlicher Erkenntnis und ökonomischem Interesse vorangetrieben
werden und denen eines gemeinsam ist: Sie gelten als irreversibel, und
– so wird zumindest verbreitet – man müsse sich ihnen bedingungslos
anpassen, um „wettbewerbsfähig zu sein”, den „Standort zu wahren”
…
Ich denke, dass die Menschen derzeit Getriebene dieser Entwicklung
sind und dass wir Steuerungssysteme benötigen. Das müssen einerseits
politische Steuerungssysteme sein, wobei dies Wirtschaftspolitik, Kulturpolitik
und Bildungspolitik gleichermaßen betrifft; diese Steuerungsprozesse
müssen aber auch zunehmend auf das Individuum übergehen. Letztendlich
muss das Individuum die Verantwortung für die Selbststeuerung tragen
können, um aus dem Stadium des Getriebenen zum Stadium des sich selbst
Organisierenden in dieser unüberschaubaren Welt zu gelangen. Die Aufgabe
der Akademie Graz sehe ich darin, dazu Entscheidungshilfen zu geben und
zu versuchen, die Prozesse, die ablaufen, zu durchleuchten, in die Tiefe
zu gehen und zu fragen: Was ist an dieser Entwicklung sinnvoll? Wo muss
stärker gesteuert werden, und wo muss gegengesteuert werden?
Die Aufklärung über die genannten Themen hat mit zwei großen
Schwierigkeiten zu kämpfen: Zunächst sind sie sehr komplex und
erfordern für ihr Verständnis überdurchschnittliches Wissen;
auf der anderen Seite werden sie von einer breiten Öffentlichkeit
als nahezu naturgesetzliche Prozesse wahrgenommen, mit denen eine Auseinandersetzung
nicht lohnt …
Wir befinden uns, glaube ich, in einem sehr entscheidenden Evolutionsstadium.
Auf der einen Seite haben wir Jahrzehnte für die Freiheit des Individuums
gekämpft; auf der anderen Seite scheint das Individuum seiner Freiheit
angesichts dieser globalisierten Prozesse nicht gewachsen zu sein und greift
auf alte Verhaltensmuster zurück.
„Taxi Orange” ist da ein gutes Beispiel. Die Freude der Jugend an dieser
Sendung scheint mir darin begründet zu liegen, dass sie hier eine
Urform menschlicher Zusammenschlüsse, nämlich eine Horde, beobachten
kann. Dazu kommt, dass der Beobachter, der ja über die Auswahl des
fittesten Hordenmitgliedes mit entscheidet, eine gottähnliche Position
einnimmt – und diese vorgebliche Gottähnlichkeit, der Glaube, jederzeit
über alles entscheiden zu können, scheint ein vortreffliches
Mittel gegen die metaphysische Schwindsucht zu sein, an der wir leiden.
Ähnliches gilt auch für eine bestimmte Nutzung des Internet:
Wer nach der Kommunikation mit Unbekannten auf dem ganzen Globus strebt,
sucht im Grunde genommen die Entgrenzung im Web als Surrogat für die
metaphysische Entgrenzungs-Erfahrung – und auf der anderen Seite die Mitglieder
einer digitalisierten Horde, der er angehören möchte. Unsere
genetischen Veranlagungen spielen in diesen Veränderungsprozessen
offenbar eine große Rolle.
Die Entwicklung des Internet ist ja ebenfalls ein Schwerpunkt des
Frühjahrs-Programmes der Akademie Graz.
Ja, wir haben dazu zwei Experten eingeladen, Norbert Bolz und Bernd
Guggenberger. Bolz ist ein Internet-Euphoriker und der Ansicht, dass viele
Entwicklungsmöglichkeiten des World Wide Web jetzt noch gar nicht
absehbar sind; Guggenberger ist eher skeptisch und meint, dass die Entwicklung
ähnlich verlaufen werde wie bei allen Medien: Zum einen werden sie
letztendlich auf jenes Maß zurückgedrängt, das den Menschen
bekömmlich ist, zum anderen lösen sie einander in ihrer Funktion
ab.
Genau das hat auch eine KORSO-Untersuchung zur Nutzung des Internet
in der Steiermark ergeben: Personen mit Internetzugang beziehen ihre Informationen
über aktuelle Ereignisse jetzt stärker aus dem Netz als aus dem
Fernsehen, ohne dass sie insgesamt mehr Zeit dafür aufwenden …
Dieses Phänomen wird sich auch am Kunstsektor auswirken. In Hinkunft
wird man mit Video- und digitaler Kunst kaum mehr Publikum anlocken können,
weil man all dies bequem zu Hause aus dem Internet beziehen kann. Das sollte
man auch bei der Konzeption des Grazer Kunsthauses bedenken. Mit Bezug
auf dieses Vorhaben möchte ich noch ein Ceterum censeo äußern:
Ich hoffe, dass die Nachhaltigkeit der Vorhaben für 2003 nicht darin
besteht, dass die Gebäude, die dafür errichtet werden sollen,
aus Budgetmangel nicht erhalten werden können.
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