02 / 2001
  "Hilfen zur Selbststeuerung des Individuums"

Mit dem Präsidenten der Akademie Graz, Emil Breisach, sprach KORSO-Herausgeber Christian Stenner über die Rolle aufklärender Bildungsarbeit in den gegenwärtigen Transformationsprozessen.
 

Das Frühjahrsprogramm der Akademie Graz umfasst drei große Schwerpunkte – die Biotechnologie, die durch eine Veranstaltung und ein Symposium repräsentiert ist; die neuen Kommunikationsmedien, vor allem das Internet, und schließlich die Fragen der Globalisierung. Bei allen drei Themen geht es um Prozesse, die in einer Dialektik zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und ökonomischem Interesse vorangetrieben werden und denen eines gemeinsam ist: Sie gelten als irreversibel, und – so wird zumindest verbreitet – man müsse sich ihnen bedingungslos anpassen, um „wettbewerbsfähig zu sein”, den „Standort zu wahren” …
Ich denke, dass die Menschen derzeit Getriebene dieser Entwicklung sind und dass wir Steuerungssysteme benötigen. Das müssen einerseits politische Steuerungssysteme sein, wobei dies Wirtschaftspolitik, Kulturpolitik und Bildungspolitik gleichermaßen betrifft; diese Steuerungsprozesse müssen aber auch zunehmend auf das Individuum übergehen. Letztendlich muss das Individuum die Verantwortung für die Selbststeuerung tragen können, um aus dem Stadium des Getriebenen zum Stadium des sich selbst Organisierenden in dieser unüberschaubaren Welt zu gelangen. Die Aufgabe der Akademie Graz sehe ich darin, dazu Entscheidungshilfen zu geben und zu versuchen, die Prozesse, die ablaufen, zu durchleuchten, in die Tiefe zu gehen und zu fragen: Was ist an dieser Entwicklung sinnvoll? Wo muss stärker gesteuert werden, und wo muss gegengesteuert werden?

Die Aufklärung über die genannten Themen hat mit zwei großen Schwierigkeiten zu kämpfen: Zunächst sind sie sehr komplex und erfordern für ihr Verständnis überdurchschnittliches Wissen; auf der anderen Seite werden sie von einer breiten Öffentlichkeit als nahezu naturgesetzliche Prozesse wahrgenommen, mit denen eine Auseinandersetzung nicht lohnt …
Wir befinden uns, glaube ich, in einem sehr entscheidenden Evolutionsstadium. Auf der einen Seite haben wir Jahrzehnte für die Freiheit des Individuums gekämpft; auf der anderen Seite scheint das Individuum seiner Freiheit angesichts dieser globalisierten Prozesse nicht gewachsen zu sein und greift auf alte Verhaltensmuster zurück.
„Taxi Orange” ist da ein gutes Beispiel. Die Freude der Jugend an dieser Sendung scheint mir darin begründet zu liegen, dass sie hier eine Urform menschlicher Zusammenschlüsse, nämlich eine Horde, beobachten kann. Dazu kommt, dass der Beobachter, der ja über die Auswahl des fittesten Hordenmitgliedes mit entscheidet, eine gottähnliche Position einnimmt – und diese vorgebliche Gottähnlichkeit, der Glaube, jederzeit über alles entscheiden zu können, scheint ein vortreffliches Mittel gegen die metaphysische Schwindsucht zu sein, an der wir leiden. 
Ähnliches gilt auch für eine bestimmte Nutzung des Internet: Wer nach der Kommunikation mit Unbekannten auf dem ganzen Globus strebt, sucht im Grunde genommen die Entgrenzung im Web als Surrogat für die metaphysische Entgrenzungs-Erfahrung – und auf der anderen Seite die Mitglieder einer digitalisierten Horde, der er angehören möchte. Unsere genetischen Veranlagungen spielen in diesen Veränderungsprozessen offenbar eine große Rolle.

Die Entwicklung des Internet ist ja ebenfalls ein Schwerpunkt des Frühjahrs-Programmes der Akademie Graz.
Ja, wir haben dazu zwei Experten eingeladen, Norbert Bolz und Bernd Guggenberger. Bolz ist ein Internet-Euphoriker und der Ansicht, dass viele Entwicklungsmöglichkeiten des World Wide Web jetzt noch gar nicht absehbar sind; Guggenberger ist eher skeptisch und meint, dass die Entwicklung ähnlich verlaufen werde wie bei allen Medien: Zum einen werden sie letztendlich auf jenes Maß zurückgedrängt, das den Menschen bekömmlich ist, zum anderen lösen sie einander in ihrer Funktion ab.

Genau das hat auch eine KORSO-Untersuchung zur Nutzung des Internet in der Steiermark ergeben: Personen mit Internetzugang beziehen ihre Informationen über aktuelle Ereignisse jetzt stärker aus dem Netz als aus dem Fernsehen, ohne dass sie insgesamt mehr Zeit dafür aufwenden …
Dieses Phänomen wird sich auch am Kunstsektor auswirken. In Hinkunft wird man mit Video- und digitaler Kunst kaum mehr Publikum anlocken können, weil man all dies bequem zu Hause aus dem Internet beziehen kann. Das sollte man auch bei der Konzeption des Grazer Kunsthauses bedenken. Mit Bezug auf dieses Vorhaben möchte ich noch ein Ceterum censeo äußern: Ich hoffe, dass die Nachhaltigkeit der Vorhaben für 2003 nicht darin besteht, dass die Gebäude, die dafür errichtet werden sollen, aus Budgetmangel nicht erhalten werden können.
 


 
FEBRUAR-AUSGABE  
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG