10 / 2001
  Wohnbeihilfen-Kürzung: „Die falschen Leute für’s falsche System bestraft“

Aus der Diskussion um die Kürzungen bei der Wohnbeihilfe wurde in den letzten Tagen eine Debatte darüber, ob der Vertrauensgrundsatz nicht auch in der Politik gelten solle.

LR Gerhard Hirschmann betont, er habe „keine Freude, die Geschenkspolitik der letzten Jahre zurückzunehmen” – aber angesichts des Ansteigens der Wohnbeihilfen-Summe von 700 auf 900 Millionen Schilling müsse gehandelt werden. So wird ab Juni 2002 ein neues Modell in Kraft treten, das im Gegensatz zur Wohnbeihilfe alt Obergrenzen vorsieht, die sich an der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen orientieren; übersteigt die Belastung 1/8 des verfügbaren Einkommens, gibt’s zusätzlich einen Zuschuss aus einem „Härtefonds”. (Bisher galt je nach Einkommen ein bestimmter Betrag als zumutbar, der Differenzbetrag zum Wohnungsaufwand wurde als Beihilfe gewährt). Nach diesem Stichtag sollen, so Hirschmann, 20.000 der 30.000 WohnbeihilfenbezieherInnen weniger bekommen als bisher, 10.000 sogar mehr. „Damit bekommt ein 7-Personen-Haushalt mit ATS 20.000,— Einkommen noch immer 3.850,— Wohnbeihilfe” – und, als Seitenhieb auf die „rote” Bundeshauptstadt: „In Wien wären es nur 1.135,—.” „Stimmt so nicht”, empört sich SP-Klubobmann Siegfried Schrittwieser: „In Wien ist der Beihilfen-Bedarf einfach deswegen geringer, weil dort auf Initiative der Gemeinde billige Wohnungen gebaut wurden.”

Vertrauensgrundsatz nicht gültig?
Womit der Knackpunkt des Problems angesprochen ist: Günstige Wohnungen machen Beihilfen überflüssig – darin sind sich alle Fraktionen einig. „Die Betroffenen selbst sind gar nicht so glücklich mit ihrer Situation – die Menschen wollen ja nicht maximale Wohnbeihilfe beziehen, sondern in einer erschwinglichen Wohnung leben”, weiß der Grazer KP-Wohnungsstadtrat Ernest Kaltenegger aus seiner langjährigen Erfahrung als Vertrauensmann vieler MieterInnen. Zudem sei die Wohnungsbeihilfe oft eine Falle, vor allem für Arbeitende: Jede Lohnerhöhung und jeder Mehrverdienst durch Überstunden wird sofort durch eine Senkung der Beihilfe bestraft. „Da entstehen dann oft Neidgefühle gegenüber dem arbeitslosen oder pensionierten Nachbarn, der solchem Druck nicht ausgesetzt ist.” Einer Reduktion der Wohnbeihilfe, wie sie jetzt durchgeführt werden soll, kann aber auch Kaltenegger wenig abgewinnen: „Da werden die falschen Leute für’s falsche System bestraft”. Auch die Klubobfrau der Grünen, Ingrid Lechner-Sonnek, moniert: „Es ist mehr als fahrlässig, ein System so lange schleifen zu lassen, bis Gefahr im Verzug ist, und dann die Türen zuzuknallen.” Sie kenne selbst eine Person, die im Vertrauen auf die Wohnbeihilfe eine neue Wohnung bezogen habe und sich nun mit finanziellen Problemen konfrontiert sehe. Ähnlich argumentiert Schrittwieser: „Die Leute haben sich nicht aus Jux und Tollerei, sondern in gutem Glauben für ihre Wohnungen entschieden und sehen sich nun mit der Tatsache konfrontiert, dass der Vertrauensgrundsatz in der Politik offenbar nicht gilt. Während die steirische ÖVP widerstandslos bereit ist, dem Finanzminister dreieinhalb Milliarden Schilling zur Erreichung des Nulldefizites zu überweisen, kürzt man die Unterstützungen für die sozial Schwächeren.“  Für Kaltenegger ist im Besonderen die Tatsache skandalös, dass „Altpolitiker der Stadt Graz unter Berufung auf den Vertrauensgrundsatz erfolgreich die Auszahlung ihrer überhöhten Pensionen einklagen konnten – für Wohnbeihilfenbezieher gilt er aber offenbar nicht.” Lechner-Sonnek stößt sich besonders am „Härtefonds”: „Die Einrichtung  eines solchen Fonds kann doch nur bedeuten, dass die eigentliche Förderung die Schwächsten nicht erreicht.”
 

LR Gerhard Hirschmann: „Keine Freude, die Geschenkspolitik zurücknehmen zu müssen“ – SP-Klubobmann Siegfried Schrittwieser: „Leute haben sich in gutem Glauben für eine Wohnung entschieden“. Grüne Klubobfrau Ingrid Lechner-Sonnek: „Förderung erreicht Schwächste gar nicht“ KP-Stadtrat Ernest Kaltenegger: „Gilt Vertrauensgrundsatz nur für Politikerpensionen?“

Vorteil: Berechenbarkeit
An der Errichtung billigerer Wohnungen wird in Zukunft kein Weg vorbeiführen, darin sind sich jedenfalls alle Parteien einig. Das Wohnprojekt Grünanger, das vom Land finanziert und ins Eigentum der Stadt übergehen wird, ist ein erster Ansatz in diese Richtung (siehe auch S. 19). Kaltenegger: „Sozialer Wohnbau durch die öffentliche Hand ist letztendlich für alle Beteiligten berechenbarer: Für Stadt und Land entstehen nach der Investition in die Errichtung keine weiteren Kosten, und die Mieter sind nicht von der Wohnbeihilfe abhängig, weil Miete und Betriebskosten auch bei geringsten Einkommen erschwinglich sind.” Eine Einschätzung, die auch von LR Hirschmann geteilt wird, denn: „Auch das Wirtschaftsforschungsinstitut hat festgestellt, dass unser derzeitiges System des sozialen Wohnbaus hauptsächlich die Bauwirtschaft und die oberen Mittelschichten fördert.“


 
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