10 / 2001
 
Südbahn: 2005 um 30 Minuten schneller?

ÖBB-Experte legt ein revolutionäres Konzept vor: Mit rasch realisierbaren Ausbaumaßnahmen könnte die Fahrzeit zwischen Wien und Villach um eine halbe Stunde verkürzt werden.

Während der Ausbau der Südbahnstrecke weiterhin auf Eis liegt, wird anderswo fleißig am Ausbau der Bahn gewerkt: Heuer wurde die Bahnstrecke Murska Sobota (Slowenien) – Zalalövö (Ungarn) eröffnet. Dieses Schlüsselstück einer künftigen Hochleistungsbahn zwischen Norditalien über Budapest nach Osteuropa ist Teil eines europäischen Hochleistungsnetzes. Künftig soll der Güterverkehr aus dem Osten über diese Strecke laufen, über die Adriahäfen Koper und Triest wird rund ein Drittel aller für Europa bestimmten Schiffsladungen gelöscht. Eine Anbindung der Bahn ab Szombathely über Sopron nach Wien ist bereits im Gespräch. Damit gerät die Steiermark immer deutlicher ins verkehrspolitische Abseits.
Mit der EU-Osterweiterung droht der Bevölkerung besonders in Ostösterreich eine ähnlich Transitlawine wie auf der Brennerstrecke. Anstatt neue Transitrouten zu eröffnen sollen deshalb nach dem Willen der Verkehrsministerin zusätzliche Kapazitäten auf die Schiene gebracht werden. Laut Wunsch von Monika Forstinger soll in den nächsten zwei Jahren mindestens ein Drittel des Straßengütertransits von jährlich 2,2 Mio Lkw auf die Schiene gebracht werden. Ohne Ausbau der Bahnstrecken wird’s beim Vorsatz bleiben, sind sich alle Experten einig.
Auch in der steirischen Wirtschaft ist man sich durchaus der Problematik bewusst. Kammerpräsident Peter Mühlbacher: Die „Wirtschaftslokomotive Steiermark“ liegt in der EU als Wirtschaftsstandort zwar auf Platz 53, so Mühlbacher, „bei der Infrastruktur aber auf Rang 164 unter 243 Regionen. Allein der Semmeringtunnel würde uns um 30 Punkte nach vorne bringen.“

Schein und Sein
Während Österreich sich mehr und mehr zur Straßenverkehrs-Drehscheibe Mitteleuropas entwickelt, geht man beim Schienennetz nahezu gegenteilige Wege. Besonders die Steiermark und auch Kärnten sind seit langem von jeder Entwicklung im Schienenverkehr ausgeschlossen. Für die ÖBB war bis jetzt der Ausbau der Westbahn erklärtes Ziel und der Sparkurs der Regierung scheint auch für die Zukunft nicht genügend Mittel für den Bahnausbau zuzulassen. So werden 6,2 Milliarden Schilling, die für den Semmering-Basistunnel reserviert waren, laut Verkehrsministerin Forstinger nun für den Streckenabschnitt Koralmtunnel verwendet. Die Kompetenzen für die Bauverhandlungen wurden bereits dem Kärntner Landeshauptmann übertragen und schon im nächsten Jahr soll mit dem Bau von Sondierungsstollen auf Kärntner und auf steirischer Seite begonnen werden. Der Erkundungsstollen ist für 2003 geplant. Wenig Gegenwehr gegen diese Umschichtung kommt von Seiten der Verantwortlichen in der Steiermark: Für LR Gerhard Hirschmann ist „jeder Schritt, der das Projekt Südbahn beschleunigt“, richtig. Der Bau des Semmeringtunnels sei keineswegs gefährdet.
Faktum ist, dass auch der Koralmtunnel im günstigsten Fall so lange für seine Fertigstellung benötigen wird, dass er nicht zur Lösung der akuten Probleme beitragen kann. Ungeachtet der Tunnelbauten sind also rasche Maßnahmen nötig, um die Kapazität und die Fahrgeschwindigkeit auf der Südbahnstrecke zu erhöhen. Ein ÖBB-Streckenbauexperte hat Pläne für einen raschen und kostengünstigen Ausbau der Südbahnlinie zwischen Mürzzuschlag und Villach vorgelegt.

Ein fertiges Beschleunigungsprojekt
Der Schöpfer dieser Pläne, DI Wilhelm Steiner, war jahrelang in der Region Kärnten, Steiermark und Wien als Streckenbauer tätig und ist zurzeit bei den Bundesbahnen für Brandschutz und Immobilien zuständig. In seiner Freizeit beschäftigt er sich allerdings mit dem Ausbau der Südbahnstrecke. Steiner: „Die Ausbaupläne liegen den Österreichischen Bundesbahnen schon seit gut vier Jahren vor, aber ihr Interesse galt in den letzen Jahren fast ausschließlich der Westbahn.“
Der erfahrene Streckenbauer hält einen Ausbau der Südbahnstrecke für unerlässlich: „Auf unserem Streckennetz fahren wir nur mehr auf der Substanz. Den zukünftigen Anforderungen sind wir so auf keinem Fall gewachsen.“ Steiner weiter: „Der Koralmtunnel wird sicher nicht früher als in 20 Jahren fertig, die Semmeringschnellstraße wird aber schon in zwei Jahren fertig sein und bei einer Osterweiterung 2005 werden wir vom Verkehr niedergewalzt werden. Der Anschluss an den europaweiten Schienenverkehr wird versäumt, alle Verkehrskorridore der EU gehen an Kärnten und der Steiermark vorbei.“
 

Allein durch Streckenbegradigungen und ähnliche Ausbaumaßnahmen könnte 
zwischen Wien und Villach eine halbe Stunde gewonnen werden

Eine Stunde Zeit gewonnen
Durch den Ausbau, wie ihn Steiner vorschlägt, könnten Zugreisegeschwindigkeiten von 160 Stundenkilometer erreicht und so auf der Strecke Wien – Villach bereits ohne Semmeringtunnel 30 Minuten eingespart werden. Mit dem Semmering- und dem Galgenbergtunnel würde die Fahrzeitverkürzung dann ganze 64 Minuten ausmachen. Zehn bis zwanzig Prozent Zugkunden wären dadurch sicher dazuzugewinnen, ist Steiner überzeugt. „Die Linienverlegung muss natürlich so erfolgen, dass zusammenhängende längere Abschnitte entstehen, die mit gleich bleibender und möglichst hoher Geschwindigkeit befahren werden können.“ Bis auf wenige Ausnahmen hat der Praktiker Steiner bei seinen Trassierungsvorschlägen auch die Investitionsvorhaben der letzten Jahre berücksichtigt. Die bestehenden Anlagen der Bahnhofinfrastruktur – z.B. die Sicherungsanlagen – könnten in vollem Umfang weiter benutzt werden, nur der Neubau von Personentunneln und Mittelbahnsteigen wäre nötig.
 

Kapazitäts- und Geschwindigkeitssteigerungen
Durch die Begradigung der Strecke könnten lückenlos verschweißte Gleise verwendet werden, auch der Einsatz von „rollendem Material mit Wagenkastensteuerung“, der so genannten „Pendolinos“, wäre dann problemlos möglich. In Italien zum Eisenbahnalltag gehörend kann sich dieser elektrische Zug dank seiner Neigetechnik wie ein Motorradfahrer in die Kurve legen und diese so schneller durchfahren. Die zusätzlich entstehenden Fliehkräfte sind für den Fahrgast kaum bemerkbar und auf herkömmlichen Bahnstrecken können dadurch bis zu 200 Kilometer pro Stunde erreicht werden; auch die Erhaltungskosten verringern sich durch den Einbau von verschweißten Schienen: Größere Kurvenradien vermindern die Schienenabnützung. Durch geringere Abstände zwischen den Zügen und gleichmäßigere Geschwindigkeit könnten deutlich mehr Güterzüge auf der Strecke verkehren. Die Verbesserung der Infrastruktur ist schließlich auch Voraussetzung für eine Aufwertung der Mur-/Mürz-Region, die ohnehin noch unter den Nachwehen des Strukturwandels leidet.
Für die Gemeinden ergäbe sich ein zusätzlicher Vorteil: Beim Neubau von Bahnstrecken über hundert Meter Länge sind nämlich Lärmschutzmaßnahmen vorgeschrieben, die nicht von den Gemeinden selbst, sondern von den ÖBB finanziert werden müssen. Da eine 45-Dezibel-Grenze für Baulandwidmungen gilt, könnten bei entsprechendem Lärmschutz wieder mehr Grundstücke an der Bahnachse als Bauland gewidmet werden und so der Zersiedelung entgegenwirkt werden.

ÖBB für „integrative Verkehrswege“
Mit Spannung erwarten alle Beteiligten den neuen Generalsverkehrsplan des Bundesministeriums. Darin soll auch die Zukunft der Tunnelprojekte ebenso wie weitere Streckenausbauten geregelt werden. Ob die Konzepte Steiners in diesen Plan Eingang finden, ist noch unbekannt. Ing. Christoph Posch, Sprecher der ÖBB für Kärnten, Osttirol und die Steiermark, betont die intensive Mitarbeit der ÖBB am kommenden Generalverkehrsplan des Verkehrsministeriums. Posch: „Die ÖBB bemühen sich um ein kompaktes Verkehrssystem und wollen integrative Verkehrswege schaffen, zu denen natürlich auch die Süd- und die Westachse gehören.“ Der Generalverkehrsplan wird bis Ende des Jahres fertig sein, frühestens dann wird man auch Genaueres über das weitere Schicksal der Südbahn erfahren...
 

ÖBB-Streckenbauer DI Willi Steiner (l.), Eisenbahnergewerkschafter Fritz Ploner: Pläne liegen den ÖBB seit vier Jahren vor

Rasche Realisierbarkeit
Die Verkürzung der Fahrzeit auf der Strecke Wien – Villach um eine halbe Stunde würde nach Steiners Berechnungen an die 13 Mrd Schilling kosten – etwa gleich viel wie der Semmeringtunnel. Sie wäre aber in wesentlich kürzerer Zeit zu realisieren: Bei einem Baubeginn im nächsten Jahr wären die meisten Verbesserungsmaßnahmen um den geplanten Zeitpunkt der EU-Osterweiterung bereits fertig gestellt.
Entsprechend positiv wertet etwa Fritz Ploner, Vorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft und steirischer AK-Vizepräsident, die Konzepte Steiners: Ploner spricht von einem „Meilensteinplan“, bei dem der Ausbau der Strecken „aus dem Stand heraus“ möglich sei: „Semmeringtunnel und Koralmtunnel sind wichtig, doch muss man auch die Vor- und Nachlaufstrecke fit machen, da mit der Osterweiterung allein im Güterverkehr eine Steigerung um 500% zu erwarten ist! Die Trasse ist ja zum Teil 150 Jahre alt. Der laufende Betrieb würde durch einen Ausbau überhaupt nicht beeinträchtigt, da die Streckenabschnitte einzeln ausbaubar sind.“
Investitionen in die Südbahnstrecke könnten schließlich auch der Bauwirtschaft aus dem jetzigen Konjukturtief helfen: Die investierten Beträge würden sich vielfach rentieren.

Susi Haydvogel

 
OKTOBER-AUSGABE
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