03 / 2001
 
Stromliberalisierung: Wie eng wird’s für die STEWEAG?
 
 
Mit erstem Oktober dieses Jahres wird in Österreich das schöne neue Stromzeitalter seinen Einzug halten. Denn ab diesem Zeitpunkt soll es auch allen privaten StromkundInnen möglich sein, sich ihren Stromlieferanten frei auszusuchen.

Wenn man bedenkt, welche Entwicklungen und Veränderungen sich in den letzten Jahren durch die Marktliberalisierung etwa im Bereich der Telekommunikation getan haben, ist es verständlich, dass die Stimmung unter den steirischen Stromanbietern und -versorgern äußerst nervös und angespannt ist. Vor allem der Marktführer Steweag hat gleich mit mehreren steirischen Energieversorgungsunternehmen hart zu verhandeln, um sie als Kunden zu halten.
Nachdem es in den letzten beiden Jahren für Großkunden bereits zur Deregulierung des heimischen Strommarkts gekommen ist, sind nun die Privatkunden an der Reihe. Und das Buhlen um sie hat bereits eingesetzt. Es ist zu erwarten, dass man bereits in naher Zukunft mit einer Flut von Werbebotschaften diverser Stromanbieter konfrontiert sein wird oder etwa im Elektrohandel Kombiangebote von elektrischen Geräten mit Billigstrom verhökert bekommt. 
Da wie überall das Image oft mehr Wert hat als das Produkt selbst, werden zudem zur besseren Abgrenzung eigene „Strommarken“ kreiert, die dem bisher gesichtslosen Strom ein unverwechselbares Image verpassen sollen. So wurde am seit 1999 gänzlich liberalisierten deutschen Strommarkt aus einem No-Name-Produkt plötzlich ein „gelber“ Strom „Yello“ oder ein „blauer“ Strom „Avanza“. Die Zahl von mehreren Hunderttausend deutschen Haushalten, die ihren Stromanbieter gewechselt haben (bei stark steigender Tendenz) scheint solchen Marktstrategien trotz aller damit verbundenen Irrationalität recht zu geben.

Select: Nichts für Beckenrandschwimmer und Sauna-unten-Sitzer
Einen ersten Vorgeschmack auf derartige Marketingstrategien liefert bereits jetzt die steirische Steweag mit ihrer Strommarke „Select“. Dabei wird nicht nur Ivica V. als Werbeträger genutzt (übrigens auch als Poster bestellbar!). Die steirisch-französischen Strombosse formulieren auch  ihrerseits ihr Wunschbild des idealen Select-Kunden: Sie / er – so der O-Ton der Select-Homepage – soll ein „echter Kerl“ oder eine „starke Frau“ sein. Unbeliebt ist hingegen einer, „der im Supermarkt wegen genauer Rechnungsprüfung seines Kassabons die Warteschlange immer länger werden lässt“ (=„Beckenrandschwimmer“) oder einer, „der nur Kaffee Haag trinkt und den noch dazu mit fettfreier Milch und Süßstoff“ (= „Sauna-unten-Sitzer“). Sollten Sie zu diesen Personengruppen zählen, dann können Sie nur noch darauf hoffen, dass irgendein anderer Stromanbieter sich nicht nur um die coolen Jungs und Mädels, sondern auch um Sie bemüht.

Grazer Stadtwerke: Vertrag mit Steweag gekündigt
Bis zum Stichtag 1. Oktober 2001 wird noch viel Wasser durch die Kraftwerksturbinen fließen und viel Schweiß von nervösen Managern vergossen werden. Denn der bisherige Quasi-Monopolist am heimischen Stromliefermarkt sieht sich gleich von mehreren Seiten unter Druck gesetzt. Der Steweag ist es zwar in den letzten Monaten gelungen, für ihre Strommarke einige größere Stromversorger –  die Hartberger, die Gleisdorfer und die Grazer Stadtwerke –  mittels eines Franchisevertrages an sich zu binden, wofür diese als Gegenleistung in einen gemeinsamen Markenpool einzahlen müssen. Doch gerade der größte Abnehmer, die Grazer Stadtwerke, pochten jetzt auf bessere Vertagsbedingungen und vor allem auf einen billigeren Strompreis, wie Dr. Karl Zimmermann, Direktor der betriebswirtschaftlichen Abteilung, betont: „Es geht ganz konkret darum, dass wir nicht weiterhin auf der Basis des alten Vertrages unseren Strom von der Steweag beziehen wollen.“ Daher wurde der Liefervertrag aus formaljuristischen Gründen aufgekündigt. Zimmermann: „Wir wollen einen marktkonformen neuen Vertrag. Es kann doch nicht sein, dass es eine hundertprozentige Marktöffnung gibt und diese an den Grazer Stadtwerken gänzlich vorbeigeht.“ Für Dr. Martin Pöschl, zuständig für das Select-Marketing bei der Steweag, ist diese Vertragskündigung jedoch gar nicht möglich: „Der laufende Vertrag sieht keine vorzeitige Kündigung vor und endet erst im Frühjahr 2002. Natürlich dient die öffentliche Bekanntgabe einer Kündigung auch als Verhandlungsunterpfand, ein im freien Markt nicht unüblicher Vorgang.“ Trotz dieser Auffassungsunterschiede betont Pöschl die „laufenden sehr positiven Verhandlungen bezüglich einer Fortsetzung des derzeitigen Select-Partnerschaftsvertrages“. Es ist zu erwarten, dass die Grazer Stadtwerke hier sicher noch einen etwas günstigeren Preis herausholen werden.

Noch fehlen mehr als 100.000 KundInnen
Angesichts des zu erwartenden Kampfes um jeden Kunden und jeden Abnehmer könnte sich die Steweag den Verlust der Grazer schlichtweg gar nicht leisten. Denn man habe sich, so Pöschl, für ein langfristiges Überleben bei der Steweag ein erstes Wachstumsziel von 400.000 bis 500.000 KundInnen gesetzt. Um dieses Ziel zu erreichen fehlen dem Unternehmen aber immer noch mindestens 100.000 Select-Kunden. Beim derzeitigen Stand von 300.000 sind aber die KundInnen der als Abnehmer noch unsicheren Grazer Stadtwerke bereits eingerechnet.
Um ihren Kundenstock zu vergrößern, hat die Steweag zudem in den letzten Monaten eine recht beeindruckende Einkaufstour quer durch die Steiermark gestartet. So ist das Unternehmen (selbst zu 25% im Besitz des französischen Großkonzerns Energie de France, EdF) inzwischen an mehreren Energieversorgungsunternehmen beteiligt, etwa an den Gleisdorfer Feistritzwerken (27%), den Pichler-Werken Weiz (74,9%) und der Hereschwerke Energie GmbH (49%). 
Die Beweggründe für die Hereinnahme der Steweag als Miteigentümer sind bei den befragten Unternehmen beinahe ident. Ing. Rupert Portugaller, Direktor derGleisdorfer Feistritzwerke: „Unsere Aufgabe war es, eine Kooperation zu suchen, bei der wir die Stärken der Kleinheit erhalten und andererseits die Ressourcenschwäche überwinden können. Dies ist uns mit der Beteiligung der Steweag gelungen. Wir können nun in allen wettbewerbsrelevanten Bereichen wie Marketing, Produktentwicklung, Ausbildung, Vertrags- und Finanzierungsfragen mit der Steweag rechnen. Ohne Partner wäre ein Unternehmen unserer Größe in einigen Jahren ein Übernahmekandidat.“ 

Kapfenberger Stadtwerke: Einheimische Lösung bevorzugt
Ebenfalls auf der Suche nach einem starken Partner für die Zukunft sind die Kapfenberger Stadtwerke. Wie Bürgermeister Manfred Wegscheider gegenüber KORSO betont, habe es bereits Vorgespräche bezüglich einer 25%-Beteiligung der Steweag gegeben. Wegscheider: „Ich möchte nicht verhehlen, dass ich eine einheimische Lösung bevorzuge. Aber es gibt noch keinen abgeschlossenen Vertrag und wir haben auch noch einige weitere Interessenten“. Denn auch hier sind die Forderungen klar formuliert: „Wir wünschen uns unter anderem einen sehr günstigen Strompreis sowie einen möglichst guten Kaufpreis für die 25% Gesellschaftsanteile.“ Die nächsten Monate werden in Kapfenberg folglich recht spannend, denn die Verhandlungen sollen noch bis zum Spätherbst abgeschlossen sein.

Energy Services: Taktische Spielchen der Steweag? 
Weniger Glück hatte die Steweag bei ihren Verhandlungen mit den „Energy Services GesmbH“, einem Zusammenschluss von mehreren steirischen Stadtwerken, zu welchen übrigens bis Februar 2001 auch die Kapfenberger Stadtwerke gezählt haben. Zwar wird von Steweag-Seite betont, dass man sich immer noch in Verhandlungen mit dem Unternehmen befinde, doch: ES-Geschäftsführer Mag. Hans Windisch, zugleich Direktor der Brucker Stadtwerke, hält mit seiner Meinung über die Steweag nicht hinter dem Berg:  „Obwohl wir fast ein Jahr lang konkret verhandelt haben, war es nicht möglich, von dieser den zukünftigen Strompreis zu erfahren. Die Steweag hat hier taktische Spielchen betrieben und sich nicht an ein marktübliches Verhalten angepasst.“ Zum sehr emotionalen Verhandlungsstil der Steweag zähle auch, so Windisch, dass man den Energy Services im Falle einer Kündigung des Vertrages vorwerfe, damit die steirische Stromwirtschaft und somit Arbeitsplätze zu gefährden.

Markenbildung: "Eine virtuelle Diskussion"
Zudem hätte die Steweag eine Übernahme der Select-Strommarke ohne Wenn und Aber gefordert. „Wir haben uns ein Jahr lang gefragt, welche Vorteile wir davon hätten. Im Endeffekt keinen. Im Gegenteil: Um die Marke benützen zu dürfen, hätten wir sogar noch für die teuren Werbekampagnen mit zahlen müssen. Ich bin skeptisch, ob den SteirerInnen eine Strommarke wichtig ist. Denn wie vieles im Stromgeschäft ist auch die Markenbildung eine sehr virtuelle Diskussion.“ In diese Richtung weisen auch die Erfahrungen, die etwa mit dem neuartigen Dienstleistungs-Home-Service für Select-Clubmitglieder bisher gemacht wurden. Portugaller von den Hartberger Stadtwerken: „Es ist ein Lernprozess auf beiden Seiten. Die bisher von uns im Rahmen von Select angebotenen zusätzlichen Leistungen wurden eher zaghaft in Anspruch genommen.“
 

V. l. n. r.: Dr. Martin Pöschl, Select-Marketing: Trotz allem optimistisch, was die Verhandlungen betrifft; Dir. Hans Windisch, GF Energy Services: „Steweag betreibt taktische Spielchen“; Dir. Rupert Portugaller, Feistritzwerke: „Ohne starken Partner wären wir ein Übernahmekandidat“, Bgm. Manfred Wegscheider, Kapfenberg: „Ich bevorzuge für eine Beteiligung eine einheimische Lösung“, 
Dir DI Reinhard Fink, Stadtwerke Hartberg: „Wir bieten mit Select und Ökostrom bereits zwei Marken an“

„Select-Partner verlieren Preiskompetenz“
Trotz all dieser Konfliktpunkte sieht Select-Marketingexperte Pöschl die Verhandlungen zwischen Steweag und Energy Services noch nicht als gescheitert an. Doch auch er betont, dass es zu diesen vornehmlich städtischen EVUs ein schwierigeres Verhältnis gibt, da sie ihr Hauptgeschäft mit dem Betreiben des Stromnetzes und nicht mit dem Verkauf von Strom machen. Pöschl: „Aufgrund dieser Tatsache, aber auch weil eine gemeinsame Marke eine koordinierte Marktpolitik erfordert und somit von manchen Unternehmen als Einschränkung ihrer Freiheit empfunden wird, haben weniger langfristig orientierte Unternehmen wenig Interesse an der Marke Select.“ Eine dieser eingeschränkten Freiheiten benennt Windisch: „Im Endeffekt heißt das nur, dass für ‚Select-Partner‘ die Preiskompetenz weg ist. Dann gibt es nur mehr einen Strompreis. Und ob das die gewünschte Liberalisierung ist, das ist die Frage.“ Bereits Mitte März 2001 will Windisch für die Energy Services den zukünftigen Stromlieferanten der Öffentlichkeit präsentieren. Dabei soll es sich, so Windisch, um einen Stromproduzenten handeln, der Wasserkraft aus dem Alpenbereich nutzt und bei dem eine Atomstromproduktion ausgeschlossen ist.

Atomstrom: Derzeit bereits etwa 7% in der Steiermark
Denn mit der Liberalisierung soll auf den Jahresstromabrechnungen auch ausgewiesen werden, woher und aus welchen Primärenenergiequellen der bezogene Strom stammt. Spätestens dann werden die KonsumentInnen mit Staunen feststellen, dass bereits jetzt – wie übrigens in allen österreichischen Bundesländern – rund 7% des von ihnen bezogenen Stroms in Atomkraftwerken produziert wird. Gerade dieser Umstand dürfte jedoch bei der zukünftigen Stromwahl einen nicht zu unterschätzenden Faktor bilden. Die Hartberger Stadtwerke sind einer der wenigen Anbieter, die darauf bereits reagiert haben. Direktor DI Reinhard Fink: „Wir bieten bereits jetzt neben der Strommarke „Select“ mit all ihren Vorteilen auch eine zweite Strommarke an, den ‚Ökostrom‘, auf den wir sehr stolz sind.“ Laut Fink sei bei den KundInnen eine stark spürbare Sensibilität hinsichtlich der Art der Stromgewinnung feststellbar. So konnten für den Ökostrom bereits viele öffentliche Einrichtungen, aber auch kritische Selbstständige – darunter viele Ärzte – gewonnen werden. Derzeit ist dieser Strom, der garantiert aus erneuerbaren Energieträgern, wie Sonne, Wind, Biomasse und Biogas erzeugt wird, aufgrund höherer Produktionskosten etwas teurer – doch auch hier rechnet Fink in spätestens  zwei Jahren mit einer Preissenkung.

Im aktuellen k-punkt finden Sie neben weiterführenden Links die ausführlichen Interviews mit Dr. Martin Pöschl (Steweag), Direktor Mag. Hans Windisch (Geschäftsführer der Energy Services), Direktor Ing. Rupert Portugaller (Feistritzwerke Gleisdorf), Direktor DI Reinhard Fink (Stadtwerke Hartberg) sowie Bürgermeister Manfred Wegscheider (Kapfenberg).
Joachim Hainzl
 

 

 
MÄRZ-AUSGABE
k-punkt 
WIRTSCHAFT UND ARBEIT