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Was ist soziale Gerechtigkeit?
Bei einem Versorgungsgrad von 99% der Bevölkerung wendet Österreich
8 % seines Bruttoinlandsprodukts für die Gesundheitsversorgung auf,
in den USA kostet das Gesundheitssystem 14%, in seinen Genuss geraten jedoch
nur 60% der US-BürgerInnen.
In der Reihe „Stiftingtaler Gespräche“ diskutierte Mitte März
eine Gruppe von ExpertInnen auf Einladung von Otto-Möbes-Akademie-Leiter
Albert Kaufmann eine Re-Definition des Sozialstaates in der Phase
seiner politischen Demontage.
Eine Debatte gegen den unter gegenwärtigen politischen Programmen
forcierten gesellschaftlichen Entsolidarisierungsprozess ist dringend
einzuleiten, so Heidrun Silhavy, steirische SP-Nationalratsabgeordnete
und -Sozialsprecherin. Dass Frauen 75% des BIP erwirtschaften, Frausein
aber auch unter neoliberalen Bedingungen die Armutsfalle Nr. 1 darstellt,
gehört auch in die Kategorie ungelebter Solidarität.
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OMAK-Leiter Mag. Albert Kaufmann |
Solidarität ist ein vieldimensionales Gebilde und verträgt
sich nicht mit dem kapitalistischen Prinzip der „fortgesetzten Vorteilnahme
aneinander“, betont Caritas-Präsident Franz Küberl. „Bin
ich denn der Hüter meines Bruders?“, fragt Kain den Herrn, nachdem
dieser sich nach dem Verbleib Abels erkundigt hat. Solidarität als
elementares Baugesetz der Gesellschaft ist auch die persönliche Entscheidung
jedes Einzelnen. Über die Einsicht, dass im System prinzipiell jeder
sowohl „Dienstleister“ als auch „Konsument“ ist, wäre eine Basis neuer
Verständigung und Vereinbarung und eine Auflösung des Gegensatzpaares
„gerechter Lohn gegen kostengünstigster Erwerb“ möglich.
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Sozialexperten im „Stiftingtaler Gespräch“(v.
l.): Dr. Gerhard Wohlfahrt,
Fritz Schösser, Franz Küberl, Heidrun Silhavy |
Solidarität in globaler Dimension bedeutet etwa politische Konsequenz
zu ziehen aus Tatbeständen wie diesem, dass ein männlicher Single
und Bürger eines Industriestaates alleine mehr Energie verbraucht
als ein afrikanisches Dorf.
Aufholmöglichkeit für Benachteiligte
Gut dokumentierte Möglichkeiten zur Selbstbeschränkung und
einer „Benachteiligung bisher Bevorteilter“ will Küberl entsprechend
einer als dynamisch zu verstehenden Solidarität in den politischen
Programmen wiederfinden.
Der Vorsitzende des DGB-Bayern, Fritz Schösser, kritisiert,
dass „die Politik immer dann die Eigenverantwortung der Bürger einfordert,
wenn sie selbst nicht mehr weiter weiß.“ Das Aufkommen der so genannten
Ersatzkassen in den 70er-Jahren in Deutschland ist als Beginn einer Aushöhlung
bewährter Solidarsysteme zu sehen: Schon damals konnte man sich hier
für zwei bis drei Prozent Ersparnis aus dem Pflichtversicherungssystem
ausklinken. Die Installierung eines Krankenversicherungssystems „nur für
Kranke“ ist nicht denkbar. Den Gewerkschaften rät Schösser zu
mehr Mut zur Debatte auf allen Ebenen. Wenn wissenschaftlicher Fortschritt
und höhere Lebenserwartung gesellschaftlichen Konsens darstellt,
muss es auch ein dafür geeignetes Sozialsystem geben! Zahlreiche Übereinkünfte
sind zu überdenken, beispielsweise die der Bedeutung von Teilzeitbeschäftigung:
Diese hat sich in der Praxis oft als karrierehinderlich herausgestellt
und wird fast ausschließlich von den unteren Einkommensschichten,
nicht aber von Angehörigen der Managerebene in Anspruch genommen.
Zukunftsaufgaben
Als eine der Zukunftsaufgaben für die Gewerkschaft kann sich Schösser
den Bereich „gemeinnütziger Arbeitnehmerverleih“ vorstellen. Die Arbeitnehmervertretungen
in den modernen Industriestaaten seien die geeignetsten Institutionen,
Qualifizierung, moderne, gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung
und Job-Sharing in einem System zu organisieren.
„Chronische Leiden“
Für den Grazer Volkswirtschaftler Gerhard Wohlfahrt sind
Verteilungskonflikte in Österreich jahrelang unter den Teppich gekehrt
worden. Die Mär von der Bestrafung für Besitzende hält sich
wie eine unheilbare Krankheit, während die Besteuerung von Vermögen
in Österreich bei 1,3%, in den bei uns als „kapitalistisch“ verteufelten
USA bei 10,7% liegt. Nach Ansicht von Wohlfahrt arbeitet die jetzige
österreichische Regierung – trotz erklärtem Erneuerungswillen
– wenig bis gar nicht an der Behandlung solch chronischer Leiden des Sozialsystems.
Das betrifft beispielsweise auch die Tendenz, Schwarzarbeiterbeschäftigung
als Kavaliersdelikt anzusehen, das Annehmen von Schwarzarbeiten dagegen
mit drastischem Entzug von Arbeitslosengeld zu bestrafen.
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AK-Rotschädl: Ohne Solidarität
keine
moderne, humane Gesellschaft! |
AK-Präsident Walter Rotschädl kritisierte die gedeckelte
Höchstbemessungsgrundlage für Sozialbeiträge in Österreich
als massive Aushöhlung des Solidarprinzips. Solidarität und soziale
Gerechtigkeit seien jene unverzichtbare Eckpfeiler, ohne die keine
moderne Gesellschaft auskommen könne.
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