10 / 2001
  Offensive für den Sozialstaat

„Unter dem Vorwand wirtschaftlicher Zwänge wird der Sozialstaat in Europa und auch in Österreich seit Jahren geschwächt, insbesondere im Bereich des Gesundheitswesens, der Altersvorsorge, der Arbeitslosenversicherung und im Bildungswesen. Neue Probleme im Bereich atypischer Beschäftigung, Migration und Armutsbekämpfung werden nicht wahrgenommen“, kritisieren die Initiatoren des Volksbegehrens für den Sozialstaat. Zu den Proponenten gehören der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister (WIFO), der Arzt Werner Vogt und der Politikwissenschafter Emmerich Talos. 

Hunderte Personen und Einrichtungen unterstützen bislang weit über weltanschauliche Grenzen hinweg die Anliegen des Volksbegehrens: der Chef der Christgewerkschafter, Fritz Neugebauer und der Tiroler (FCG-)-AK-Präsident Fritz Dinkhauser ebenso wie GPA-Vorsitzender Hans Sallmutter und Liselotte Wohlgenannt von der Katholischen Sozialakademie. Ziel des Volksbegehrens ist die Verankerung der Sozialstaatlichkeit in der österreichischen Verfassung. „Die Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall, Alter, Arbeitslosigkeit und Armut erfolgt solidarisch durch öffentlich-rechtliche soziale Sicherungssysteme“, lautet eine Kernforderung, womit Privatisierungstendenzen eine klare Absage erteilt wird. Jedes Gesetz soll zudem auf seine Sozialverträglichkeit hin geprüft werden. Bis Mitte Dezember werden nun die notwendigen 8000 Unterschriften gesammelt, woraufhin vom Innenminister vermutlich für das Frühjahr 2002 die Eintragungswoche festgelegt wird.

Mit dem Politikwissenschafter Emmerich Talos führte Robert Reithofer (Verein ISOP) für KORSO das folgende Gespräch über Hintergründe, Ziele und Erfolgsaussichten dieser für Österreich einmaligen zivilgesellschaftlichen Initiative.
 

Politikwissenschafter Prof. Emmerich Talos: „Das Sozialstaats-Volksbegehren kann bereits auf eine große Palette von Unterstützern zählen“

Was sind die Beweggründe für die Initiierung eines Volksbegehrens für den Sozialstaat?
Wir stehen zurzeit in einer Entwicklung, die eindeutig auf eine Weggabelung des Sozialstaates hinausläuft. Neoliberale Politik hat in den letzten Jahren europaweit immer mehr Bedeutung bekommen. Unter dem Motto „mehr Markt, mehr Eigenverantwortung, Rückzug des Staates und Sicherung des Wirtschaftsstandortes“ beabsichtigt neoliberale Politik den Sozialstaat auf einen ausschließlich für Bedürftige zu reduzieren. Damit einher geht ein massiver Sozialabbau, eine Vergrößerung gesellschaftlicher Ungleichheit und auch sozialer Ausgrenzung. Sozialabbau findet heute im Unterschied zu früher auf allen Ebenen statt, man denke an die Leistungskürzungen in der Arbeitslosenversicherung oder auch in der Pensionsversicherung und bei den Unfallrenten. Ablesbar ist dieser Paradigmenwechsel ebenso im Kampf gegen die Gewerkschaften.
Beim Volksbegehren geht es zuallererst um eine Offensive für den Sozialstaat durch eine Verankerung der sozialen Verantwortung und der Sozialverträglichkeit in der Verfassung. Das ist nichts Abstraktes; vielmehr wird soziale Verantwortung für die konkrete Politik von Regierung und Parlament ungeachtet der politischen Zusammensetzung verbindlich gemacht. Diese Verankerung bedeutet zugleich eine erhöhte Bestandsschutzgarantie des Sozialstaates.

Gibt es nicht auch Kontinuitäten des Sozialabbaus, die in frühere Regierungen zurückreichen?
Klar! Der Punkt ist aber, dass die jetzige Regierung nicht nur Sozialabbau betreibt, sondern den Sozialstaat substanziell umbauen will. Das Volksbegehren versteht sich auch als Anstoß, europäische Standards nachzuholen: Mit Ausnahme von Großbritannien und Österreich kennen alle Mitgliedsstaaten der EU die Verankerung der sozialen Verantwortung in ihren jeweiligen Verfassungen. Finanzminister Grasser dagegen betont ausschließlich die Notwendigkeit der Einhaltung der Vorgaben des EU-Stabilitätspaktes.

Wie schätzen Sie die Erfolgschancen des Volksbegehrens ein?
Erfolge sind bereits jetzt sichtbar. Es gibt eine sehr große Palette von UnterstützerInnen. Besonders wichtig ist, dass es zum ersten Mal in einem breiten Rahmen eine Initiative aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich gibt. Erkannt wird damit, dass Politik zurzeit Probleme verschärft statt sie zu lösen. Auf die erneut ansteigende Arbeitslosigkeit wird nicht mit einer verbesserten Absicherung insbesondere  für Langzeitarbeitslose, sondern mit massiven Verschlechterungen reagiert. In der Armutspolitik gibt es schlicht eine Nullpolitik der Regierung. Dem Volksbegehren geht es darum, soziale Themen aufzugreifen und positiv zu besetzen. Bislang wird der Sozialstaat laufend negativ konnotiert: Er koste zu viel, wir leben über unsere Verhältnisse etc. Über das Volksbegehren machen wir dagegen Druck.

Informationen zum Volksbegehren und Unterstützungserklärungen gibt es in der Steiermark 
beim Verein ISOP
Dreihackengasse 2, 8020 Graz, 
Tel.: 0316/764646, 
e-mail: robert.reithofer@isop.at
www.sozialstaat.at


 
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