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Offensive für
den Sozialstaat
„Unter dem Vorwand wirtschaftlicher Zwänge
wird der Sozialstaat in Europa und auch in Österreich seit Jahren
geschwächt, insbesondere im Bereich des Gesundheitswesens, der Altersvorsorge,
der Arbeitslosenversicherung und im Bildungswesen. Neue Probleme im Bereich
atypischer Beschäftigung, Migration und Armutsbekämpfung werden
nicht wahrgenommen“, kritisieren die Initiatoren des Volksbegehrens für
den Sozialstaat. Zu den Proponenten gehören der Wirtschaftsforscher
Stephan Schulmeister (WIFO), der Arzt Werner Vogt und der Politikwissenschafter
Emmerich Talos.
Hunderte Personen und Einrichtungen unterstützen
bislang weit über weltanschauliche Grenzen hinweg die Anliegen des
Volksbegehrens: der Chef der Christgewerkschafter, Fritz Neugebauer
und der Tiroler (FCG-)-AK-Präsident Fritz Dinkhauser ebenso
wie GPA-Vorsitzender Hans Sallmutter und Liselotte Wohlgenannt
von der Katholischen Sozialakademie. Ziel des Volksbegehrens ist die Verankerung
der Sozialstaatlichkeit in der österreichischen Verfassung. „Die Absicherung
im Fall von Krankheit, Unfall, Alter, Arbeitslosigkeit und Armut erfolgt
solidarisch durch öffentlich-rechtliche soziale Sicherungssysteme“,
lautet eine Kernforderung, womit Privatisierungstendenzen eine klare Absage
erteilt wird. Jedes Gesetz soll zudem auf seine Sozialverträglichkeit
hin geprüft werden. Bis Mitte Dezember werden nun die notwendigen
8000 Unterschriften gesammelt, woraufhin vom Innenminister vermutlich für
das Frühjahr 2002 die Eintragungswoche festgelegt wird.
Mit dem Politikwissenschafter Emmerich Talos führte
Robert Reithofer (Verein ISOP) für KORSO das folgende Gespräch
über Hintergründe, Ziele und Erfolgsaussichten dieser für
Österreich einmaligen zivilgesellschaftlichen Initiative.
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Politikwissenschafter Prof. Emmerich Talos:
„Das Sozialstaats-Volksbegehren kann bereits auf eine große Palette
von Unterstützern zählen“ |
Was sind die Beweggründe für die
Initiierung eines Volksbegehrens für den Sozialstaat?
Wir stehen zurzeit in einer Entwicklung, die
eindeutig auf eine Weggabelung des Sozialstaates hinausläuft. Neoliberale
Politik hat in den letzten Jahren europaweit immer mehr Bedeutung bekommen.
Unter dem Motto „mehr Markt, mehr Eigenverantwortung, Rückzug des
Staates und Sicherung des Wirtschaftsstandortes“ beabsichtigt neoliberale
Politik den Sozialstaat auf einen ausschließlich für Bedürftige
zu reduzieren. Damit einher geht ein massiver Sozialabbau, eine Vergrößerung
gesellschaftlicher Ungleichheit und auch sozialer Ausgrenzung. Sozialabbau
findet heute im Unterschied zu früher auf allen Ebenen statt, man
denke an die Leistungskürzungen in der Arbeitslosenversicherung oder
auch in der Pensionsversicherung und bei den Unfallrenten. Ablesbar ist
dieser Paradigmenwechsel ebenso im Kampf gegen die Gewerkschaften.
Beim Volksbegehren geht es zuallererst um eine
Offensive für den Sozialstaat durch eine Verankerung der sozialen
Verantwortung und der Sozialverträglichkeit in der Verfassung. Das
ist nichts Abstraktes; vielmehr wird soziale Verantwortung für die
konkrete Politik von Regierung und Parlament ungeachtet der politischen
Zusammensetzung verbindlich gemacht. Diese Verankerung bedeutet zugleich
eine erhöhte Bestandsschutzgarantie des Sozialstaates.
Gibt es nicht auch Kontinuitäten des Sozialabbaus,
die in frühere Regierungen zurückreichen?
Klar! Der Punkt ist aber, dass die jetzige Regierung
nicht nur Sozialabbau betreibt, sondern den Sozialstaat substanziell umbauen
will. Das Volksbegehren versteht sich auch als Anstoß, europäische
Standards nachzuholen: Mit Ausnahme von Großbritannien und Österreich
kennen alle Mitgliedsstaaten der EU die Verankerung der sozialen Verantwortung
in ihren jeweiligen Verfassungen. Finanzminister Grasser dagegen betont
ausschließlich die Notwendigkeit der Einhaltung der Vorgaben des
EU-Stabilitätspaktes.
Wie schätzen Sie die Erfolgschancen des
Volksbegehrens ein?
Erfolge sind bereits jetzt sichtbar. Es gibt
eine sehr große Palette von UnterstützerInnen. Besonders wichtig
ist, dass es zum ersten Mal in einem breiten Rahmen eine Initiative aus
dem zivilgesellschaftlichen Bereich gibt. Erkannt wird damit, dass Politik
zurzeit Probleme verschärft statt sie zu lösen. Auf die erneut
ansteigende Arbeitslosigkeit wird nicht mit einer verbesserten Absicherung
insbesondere für Langzeitarbeitslose, sondern mit massiven Verschlechterungen
reagiert. In der Armutspolitik gibt es schlicht eine Nullpolitik der Regierung.
Dem Volksbegehren geht es darum, soziale Themen aufzugreifen und positiv
zu besetzen. Bislang wird der Sozialstaat laufend negativ konnotiert: Er
koste zu viel, wir leben über unsere Verhältnisse etc. Über
das Volksbegehren machen wir dagegen Druck.
Informationen zum Volksbegehren und Unterstützungserklärungen
gibt es in der Steiermark
beim Verein ISOP
Dreihackengasse 2, 8020 Graz,
Tel.: 0316/764646,
e-mail: robert.reithofer@isop.at
www.sozialstaat.at |