03 / 2001
 
Politik gegen Spekulation: Muss Geld die Welt regieren?

ATTAC – aus dem Französischen: Association pour une taxe tobin d’assistance aux citoyens (Vereinigung für eine Tobin-Steuer zur Unterstützung der Bürger) – nennt sich eine internationale Organisation, die für die politische Kontrolle der Finanzmärkte kämpft und nun auch in Österreich mit mehreren lokalen Gruppen auftritt. Der bekannte Wiener Wirtschaftsforscher Dr. Stephan Schulmeister ist einer der prominenten österreichischen Unterstützer von „ATTAC”. Für KORSO sprach Christian Stenner mit ihm über die explosiven Entwicklungen der letzten Jahre – und über Möglichkeiten des Gegensteuerns. 

KORSO: Nur 1,5% der internationalen Finanztransaktionen dienen der Bezahlung von Gütern oder Dienstleistungen; der Rest ist Finanzspekulation – welche ökonomischen und sozialen Auswirkungen haben diese spekulativen Geldflüsse?
Schulmeister: Zweierlei: Zunächst die Umverteilung von Einkommen zwischen den Spekulanten – ein casinoartiges Nullsummenspiel. Wesentlich gefährlicher sind aber die Auswirkungen auf das Niveau von Zinssätzen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen. Ein Beispiel aus dem Bereich der Devisenspekulation: Die Dollaraufwertungen der späten neunziger Jahre hatten zur Folge, dass die Schulden der Entwicklungsländer, die ja hauptsächlich Dollarschulden sind, steil anstiegen – in der Folge kam es zur Schuldenkrise von ’97 in Südostasien und ’98 in Brasilien. Zu betonen ist, dass die Wechselkursbewegungen fast ausschließlich von der Spekulation bestimmt sind – das Ergebnis der Aktionen von Devisenhändlern, die eine Währungsposition im Durchschnitt gerade 10 Minuten halten.
 

Wirtschaftsforscher Dr. Stephan Schulmeister: Pensionsfonds machen Altersversorgung zum Pyramidenspiel

KORSO: Mit der Tobin-Tax sollen, so ihr „Erfinder”, der Nobelpreisträger James Tobin, durch einen geringfügigen Steuersatz auf internationale Geldtransfers spekulative Transaktionen unrentabel werden, da die Profite in diesem Bereich auf der raschen und oftmaligen Ausnützung von Kursschwankungen beruhen; die Bezahlung realer Güter und Dienstleistungen bliebe nahezu unberührt.
Schulmeister: Spekulation ist nicht nur ein Problem der Devisenmärkte, sie ist vor allem auch ein Problem der Aktienmärkte: Generell hat sich ja das Gewinnstreben der wirtschaftlichen Akteure vom Real- auf den Finanzsektor verlegt. Die Gefahr, dass die durch den Aktienboom geschaffenen fiktiven Vermögenswerte wieder vernichtet werden, wird immer größer: Wir haben das ja ansatzweise kürzlich anhand des NASDAQ-Einbruches erlebt. Ein solcher Einbruch ist deswegen immens gefährlich, da ja vor allem in den USA und Japan die Pensionssysteme auf Pensionsfonds umgestellt wurden, die in Aktien veranlagen – letztendlich baut die Altersversorgung damit auf ein Pyramidenspiel .
Das heißt aber auch, dass eine Gegenstrategie sich nicht auf eine Spekulationssteuer im Bereich der Devisenmärkte beschränken darf; eine grundlegende Therapie kann nur darin bestehen, alle Aktivitäten, die darauf abzielen, durch den Tausch Geld gegen Geld Vermögen zu vermehren, ausreichend zu belasten. Das kann auf verschiedene Arten geschehen – durch eine Besteuerung des Vermögenszuwachses, aber auch durch eine gesetzliche Beschränkung von Spekulation vor allem im Bereich der Future- und Optionenmärkte. Allerdings fürchte ich, dass eine solche Änderung der Wirtschaftspolitik kaum ohne den Druck einer schweren Krise angegangen wird. 

KORSO: Das sind nicht gerade optimistische Prognosen …
Schulmeister: Es gibt eine mögliche Entwicklung, die uns den Crash ersparen könnte: Wenn nämlich in den USA die Turbulenzen auf den Aktienmärkten zu einem Zeitpunkt zunehmen, wo das europäische Pensionswesen noch nicht in entscheidendem Ausmaß vom Umlageprinzip auf Pensionsfonds umgestellt ist, und die europäische Politik gleichzeitig aus dem negativen Beispiel Amerikas ihre Konsequenzen zieht. Ein Wechsel im ökonomischen Regime, der letztendlich das Gewinnstreben wieder vom Finanz- auf den realen Sektor verlegt, bedarf aber in jedem Fall politischer Kräfte wie etwa ATTAC, die entsprechend aufklärend wirken und das Feld dafür bereiten.
 
 

ATTAC Steiermark stellt sich am 3. April 2001 um 19.30 im Hörsaal B der Universität Graz (Vorklinik-Trakt) mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Muss Geld die Welt regieren? – ATTAC!“ vor. 
Es nehmen teil: Karin Kübelböck (Proponentin von ATTAC Österreich), Leo Gabriel (Journalist), Constanze Binder (ATTAC Graz) und Franz Küberl (Caritas-Präsident, angefragt). Moderation: Christian Stenner (KORSO)

 
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