04 / 2001
 
Harry Potter: Verscheuchezauber im Internet
 
 
Bei der Vermarktung des jungen Zauberlehrlings tun sich merkwürdige Dinge. Sekundärliteratur wird nicht geduldet.

Harry Potter und die dunklen Künste
Mit einer Erstauflage von 500 Stück begann im Juni 1997 die Erfolgsgeschichte von Harry Potter. Jener sympathische junge Zauberer, der die Welt seiner ekelhaften Verwandten verlässt, um in der „Schule für Hexerei und Zauberei“ Hogwarts das magische Handwerk zu erlernen. Und dort gegen die bösen Mächte von „Du-weißt-schon-wer“ allerhand Abenteuer zu bestehen hat. 90 Millionen Exemplare wurden weltweit von den bisher vier Bänden verkauft. Der Carlsen-Verlag startete am 14. Oktober 2000 beim vierten Band mit einer Million, das hat im deutschen Sprachraum noch nie ein Buch erreicht. Gerade Menschen ohne magische Fähigkeiten - von Zauberern „Muggel“ genannt - sind begeistert. Die deutschsprachigen Auflagen der vier Bände haben elf Millionen erreicht. 
Die britische Autorin Joanne K. Rowling hat eine Serie von Bestsellern geschafft und damit ein Vermögen gemacht. Allein die Filmrechte erwarb Warner Bros. für einen siebenstelligen Dollarbetrag, zusätzlich alle Merchandisingrechte, welche (wie z.B. bei „Jurassic Park“ und „Batman“) kommerziell wesentlich mehr einbringen können als der Film selbst. Die Dreharbeiten sind im vollen Gange, Infos dazu gibt es bald auf deutsch unter  www.harrypotterunddersteinderweisen.de.

Verscheuchezauber im WWW
Harry PotterTM ist seit 1999 in den USA und in der EU markenrechtlich geschützt und gehört der Time Warner Entertainment Company, die mit ihrer Tochterfirma Warner Bros. eifersüchtig über ihren Besitz wacht. Und da Promotion heute ohne Internet kaum vorstellbar ist, begann zunächst der Kampf um die „guten“ Domains. So gegen jene Glücksritter, die sich in der Hoffnung auf gute Geschäfte geeignete Adressen gesichert haben. 107 Harry-Potter-Internetadressen (z.B. die begehrte Domain www.theharrypottermovie.com) hat die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) Time Warner zugesprochen.
Aber nicht nur Domaininhaber mit geparkten Adressen wurden abgemahnt. Einen „blauen Brief“ bekamen auch jugendliche Fans, die mit ihren liebevoll gemachten Seiten bald keine rechte Freude mehr hatten. So am 17. Dezember 2000 die 15-jährige Katharina Dücker, stolze Webmasterin von www.harry-potter-and-friends.de. Ihre Domain sei abzumelden und bis zum 23. Dezember zu „dekonnektieren“, da nur so von einer „strafbewehrten Unterlassungserklärung“ abzusehen sei. Zwar wisse Time Warner die „Begeisterung und den persönlichen Einsatz“ für Harry Potter „sehr zu schätzen“, ließ die Müchner Anwaltssozietät Boehmert & Boehmert höflich wissen, aber nicht unter einer Harry-Potter-Adresse: „Leider ist es hierzu auch erforderlich, von echten Fans die Löschung unrechtmäßig eingetragener Domains zu fordern.“ Heute linkt Kathis Seite direkt zu Warner Bros.

Ross und Peter, die 13-jährigen Webmaster von www.harrypotter-world.com, haben ihre Seiten verlagert, genauso wie Catherine Chan, ein 15-jähriges Mädchen aus Singapur, mit ihrer Seite www.harrypotternetwork.net. Die Seite www.hogwartsonline.net des 13-jährigen Tom ist tot, ebenso wie die Seite www.harrypotterfaq.com des 12-jährigen Sung - und wohl auch viele andere. „Es ist eng geworden im Cyberspace“, kommentierte „Spiegel-Online“: „Willkommen im internationalen Markenweb.“

Aber es geht auch anders: Auch Claire Field, 15, aus West Yorkshire, England, Webmasterin der beliebten Fan-Seite www.harrypotterguide.co.uk, bekam am 1. Dezember Post von Warner Bros.: Ihre Domain sei geeignet Konsumenten zu verwirren und Rechte am geistigen Eigentum auszuhöhlen. Weshalb sie binnen 14 Tagen erklären möge, ihre Domain, bei Rückerstattung ihrer Kosten, an Warner Bros. zu übertragen. Der Fall erregte internationales Aufsehen. Die 16-jährige Amerikanerin Heather Lawver initiierte im Internet das „Verteidigung gegen die dunklen Künste“-Projekt. Auf www.potterwar.org.uk ist der Fall penibel dokumentiert und mit www.dprophet.com/dada/ kann man Protestresolutionen versenden. Ein Rechtshilfefonds wurde eingerichtet und ein Anwalt engagiert. Und für Schlagzeilen sorgte im Februar der Aufruf „Boykottiert Harry-Potter-Waren, solange Warner Fans einschüchtert!“

Warner Bros. lenkte ein. Am 9. März konnte Clairs Anwalt melden, Warner Bros. „vertraut nun auf Claire’s gute Absichten und ihre Versicherung, dass sie weiterhin keine Pläne habe, den Domainnamen kommerziell zu nutzen.“ Wie schon Remus J. Lupin, der Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste, sagt: „Das heißt, wovor du am meisten Angst hast – ist die Angst. Sehr weise, Harry.“ (3. Band, S. 163)

Verbotene Bücher
In der Bibliothek von Hogwarts gibt es eine Abteilung für verbotene Bücher, über die Madame Pince, eine dürre Bibliothekarin, die einem unterernährten Geier ähnelt, eifersüchtig wacht. In Deutschland wacht Warner Bros.
Das merkte auch der Albatros-Verlag in Düsseldorf, ein Imprint von Patmos. Ende Oktober erschien „Von Alraune bis Zentaur. Ein Harry Potter Lexikon“ als Wegweiser für Neueinsteiger bzw. zur Gedächtnisauffrischung von schon begeisterten Zauberlehrlingen. Doch mit diesem Lexikon über Begriffe aus den drei ersten „Harry Potter“-Bänden war es bald vorbei. Bereits einen Monat später flatterte eine, von Boehmert & Boehmert im Namen von Warner Bros. erwirkte, gerichtliche einstweilige Verfügung auf Unterlassung ins Haus. Begründung: schmarotzerischer Wettbewerb, Verletzung von Urheber- und Markenrechten usw. Ergebnis: der Verlag schloss eine Vereinbarung, die es ihm erlaubte, die vorhandenen Exemplare noch zwei Wochen in den Handel zu bringen. Seit Mitte Dezember ist das Buch nicht mehr lieferbar: „Vergriffen, keine Neuauflage“. „Wir haben klein beigegeben“, heißt es im Verlag: „Wer legt sich schon mit Warner an?“
 

Ähnlich erging es dem im November im Lexikon Imprint Verlag des Berliner Verlegers Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienenen Band „Das ABC rund um Harry Potter. Ein Lexikon von Friedhelm Schneidewind“. Der Untertitel spricht für sich: „Alles Wissenswerte zu den ersten vier Büchern von Joanne K. Rowling, den Figuren und ihren Mythen, den Orten und den Begriffen, Geschichten und Hintergründen. Ein Lexikon für junge und alte Harry-Potter-Fans“. Das Sachbuch enthält - im Unterschied zum Produkt des Albatros-Verlags - Informationen weit über den Harry-Potter-Stoff hinaus, wurde bestens rezensiert, schaffte den Sprung in die Bestsellerlisten und brachte es binnen kurzer Zeit auf eine dritte Auflage.
Da ist es dann schon merkwürdig, dass ausgerechnet dieses Lexikon auf der Verlagsseite www.schwarzkopfundschwarzkopf.de fehlt. Die Pressesprecherin entpuppt sich als Presseschweigerin. Nichts will sie sagen zu einer gerichtlichen Verfügung (siehe oben), nichts zur Ansicht des juristischen Beraters, dass diese Vorgangsweise höchst problematisch sei, nichts zu einer Einigung mit Warner Bros., das Lexikon nur mehr bis Ende Februar an den Handel zu liefern: „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir bei unserer Position bleiben und uns zu dem fraglichen Sachverhalt nicht äußern.“

Der Carlsen-Verlag hat damit offiziell nichts zu tun. Man habe wegen der beiden Lexika nur den Rechteinhaber, sprich die Anwälte von Warner Bros., informiert. Warum Carlsen-Marketing-Chef Klaus Kämpfe-Burghardt zum Thema „Einblicke ins Potter-Marketing“ bereits Ende September 2000 zu berichten wusste, sein Verlag denke selbst über die Veröffentlichung eines Lexikons nach und habe „Versuche anderer Verlage, wie beispielsweise ,Schwarzkopf und Schwarzkopf’ oder ,Patmos’, Harry Potter-Lexika zu veröffentlichen, ... verhindert“, bleibt ein Rätsel. Oder sollte Cornelia Völklein, die dies in ihrer Diplomarbeit (www.hbi-stuttgart.de/ifak/downloads/Potter.pdf) auf Seite 123 berichtet, da etwas falsch verstanden haben? Hat sie nicht, sagt sie.

„Nenn die Dinge immer beim richtigen Namen. Die Angst vor einem Namen steigert nur die Angst vor der Sache selbst,“ meint Albus Dumbledore, der weise Schulleiter von Hogwarts (1. Bd., S. 323). Deshalb ist zu fragen: Hat es ein Weltkonzern wirklich nötig, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen? Kann wegen der Marke „Coca Cola“ z.B. kein Sachbuch „Coca Cola - Die Geschichte eines Erfolges“ mehr verlegt werden? Entspricht es in Deutschland nicht mehr den anständigen Gepflogenheiten im Verlagsgeschäft, über erfolgreiche Bücher Sekundärliteratur herauszubringen, wie dies z.B. zu Umberto Eco’s „Das Foucaultsche Pendel“ geschehen ist? Und ist es wirklich gegen das Interesse von Warner Bros., dass auch andere mit Fleiß und Mühe gute Ideen verwirklichen, die letztlich ohnehin dazu beitragen, dass der Merchandising-Hype besser funktioniert? Darüber sollte man reden. Öffentlich.

Dass es auch anders geht, beweist der Verlag an der Ruhr, der im November in der Reihe „Literatur-Kartei“ Materialien für den Schulgebrauch zu „Harry Potter und der Stein der Weisen“ verlegt hat. Wie  der UniSpiegel in seiner Februar-Ausgabe berichtete, hatte der Autor, Dozent Jörg Knobloch, zuvor nach einer Anfrage beim Carlsen-Verlag ebenfalls Anwaltspost bekommen: Im Auftrag von Time Warner wurde mitgeteilt, dass man sich jede fremde Nutzung verbete. Beilagen: Kopie der Eintragungsurkunde der Deutschen Marke 300 12 566, Wort: HARRY POTTER und eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung in doppelter Ausführung. Streitwert 500.000 Mark. Worauf der AOL Verlag von einer Publikation Abstand nahm und der Verlag an der Ruhr – ohne seither Anwaltspost zu bekommen – mutig einsprang. Denn, so der Autor: „Wie soll man denn künftig noch über Harry Potter berichten, wenn nicht einmal mehr Handreichungen für Lehrer erstellt werden dürfen?“

Apropos Sekundärliteratur: Im „Verzeichnis lieferbarer Bücher“ (VLB) findet man „Die Rezeption von ,Harry Potter’ im deutschsprachigen Raum“, erschienen im Februar 2001 bei der Deutschen Buchhändler-Vereinigung. Doch dort wird einem verraten, dass dieses Buch nicht existiert, dass der Eintrag nur zur Prüfung dient, ob bei der Bestellung eine VLB-Raubkopie verwendet wurde. Da soll noch einer sagen, die Welt der Muggel habe nichts Mystisches.

Zurück zu den Dursleys
Die wichtigsten Lizenzen sind bereits vergeben. Coca-Cola und Warner Bros. Pictures haben eine mehrjährige Zusammenarbeit in der Vermarktung der Harry Potter-Figur angekündigt. Beide, Harry Potter und Coca-Cola, so Marketingdirektor Steve Jones, seien in der Lage, ein bisschen Magie in das tägliche Leben der Menschen zu bringen. Computerspiele wird es bei Electronic Art geben, Lego, Hasbro und Mattel sind mit von der Partie – und alles im Warner Bros.-Einheitsstil. So ziert den vierten Band bereits der oben abgebildete Schriftzug, der, von Time Warner im Juni 2000 als EU-Gemeinschaftsmarke angemeldet, nun offensichtlich international durchgesetzt wird.

Mit dem Merchandising will man bis zum Film warten, heißt es in der „Consumer Production“-Abteilung bei Warner Bros., Hamburg: „Wir achten sehr darauf, dass die Magie von Harry Potter im Vordergrund steht.“ Filmstart ist in den USA am 16. November, die deutschsprachige Fassung lauft sechs Tage später an. Also noch rechtzeitig vor Weihnachten. Denn „das Schöne an Harry Potter muss gewahrt bleiben“. Klar, was sonst.

Hans-Peter Weingand

Linktipp: www.hpgalleries.com

Covers von: KulturSPIEGEL, April 2000; Newsweek, 9. Juli 2000; Radio Times, Dezember 2000; Entrepreneur, Februar 2001; Time Magazin, 20. September 1999.
 

 

 
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