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Harry Potter: Verscheuchezauber
im Internet
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Bei der Vermarktung des jungen Zauberlehrlings tun sich
merkwürdige Dinge. Sekundärliteratur wird nicht geduldet. |
Harry Potter und die dunklen Künste
Mit einer Erstauflage von 500 Stück begann im Juni 1997 die Erfolgsgeschichte
von Harry Potter. Jener sympathische junge Zauberer, der die Welt seiner
ekelhaften Verwandten verlässt, um in der „Schule für Hexerei
und Zauberei“ Hogwarts das magische Handwerk zu erlernen. Und dort gegen
die bösen Mächte von „Du-weißt-schon-wer“ allerhand Abenteuer
zu bestehen hat. 90 Millionen Exemplare wurden weltweit von den bisher
vier Bänden verkauft. Der Carlsen-Verlag startete am 14. Oktober 2000
beim vierten Band mit einer Million, das hat im deutschen Sprachraum noch
nie ein Buch erreicht. Gerade Menschen ohne magische Fähigkeiten -
von Zauberern „Muggel“ genannt - sind begeistert. Die deutschsprachigen
Auflagen der vier Bände haben elf Millionen erreicht.
Die britische Autorin Joanne K. Rowling hat eine Serie von Bestsellern
geschafft und damit ein Vermögen gemacht. Allein die Filmrechte erwarb
Warner Bros. für einen siebenstelligen Dollarbetrag, zusätzlich
alle Merchandisingrechte, welche (wie z.B. bei „Jurassic Park“ und „Batman“)
kommerziell wesentlich mehr einbringen können als der Film selbst.
Die Dreharbeiten sind im vollen Gange, Infos dazu gibt es bald auf deutsch
unter www.harrypotterunddersteinderweisen.de.
Verscheuchezauber im WWW
Harry PotterTM ist seit 1999 in den
USA und in der EU markenrechtlich geschützt und gehört der Time
Warner Entertainment Company, die mit ihrer Tochterfirma Warner Bros. eifersüchtig
über ihren Besitz wacht. Und da Promotion heute ohne Internet kaum
vorstellbar ist, begann zunächst der Kampf um die „guten“ Domains.
So gegen jene Glücksritter, die sich in der Hoffnung auf gute Geschäfte
geeignete Adressen gesichert haben. 107 Harry-Potter-Internetadressen (z.B.
die begehrte Domain www.theharrypottermovie.com)
hat die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) Time Warner
zugesprochen.
Aber nicht nur Domaininhaber mit geparkten Adressen wurden abgemahnt.
Einen „blauen Brief“ bekamen auch jugendliche Fans, die mit ihren liebevoll
gemachten Seiten bald keine rechte Freude mehr hatten. So am 17. Dezember
2000 die 15-jährige Katharina Dücker, stolze Webmasterin von
www.harry-potter-and-friends.de.
Ihre Domain sei abzumelden und bis zum 23. Dezember zu „dekonnektieren“,
da nur so von einer „strafbewehrten Unterlassungserklärung“ abzusehen
sei. Zwar wisse Time Warner die „Begeisterung und den persönlichen
Einsatz“ für Harry Potter „sehr zu schätzen“, ließ die
Müchner Anwaltssozietät Boehmert & Boehmert höflich
wissen, aber nicht unter einer Harry-Potter-Adresse: „Leider ist es hierzu
auch erforderlich, von echten Fans die Löschung unrechtmäßig
eingetragener Domains zu fordern.“ Heute linkt Kathis Seite direkt zu Warner
Bros.
Ross und Peter, die 13-jährigen Webmaster von www.harrypotter-world.com,
haben ihre Seiten verlagert, genauso wie Catherine Chan, ein 15-jähriges
Mädchen aus Singapur, mit ihrer Seite www.harrypotternetwork.net.
Die Seite www.hogwartsonline.net des 13-jährigen Tom ist tot, ebenso
wie die Seite www.harrypotterfaq.com
des 12-jährigen Sung - und wohl auch viele andere. „Es ist eng geworden
im Cyberspace“, kommentierte „Spiegel-Online“: „Willkommen im internationalen
Markenweb.“
Aber es geht auch anders: Auch Claire Field, 15, aus West Yorkshire,
England, Webmasterin der beliebten Fan-Seite www.harrypotterguide.co.uk,
bekam am 1. Dezember Post von Warner Bros.: Ihre Domain sei geeignet Konsumenten
zu verwirren und Rechte am geistigen Eigentum auszuhöhlen. Weshalb
sie binnen 14 Tagen erklären möge, ihre Domain, bei Rückerstattung
ihrer Kosten, an Warner Bros. zu übertragen. Der Fall erregte internationales
Aufsehen. Die 16-jährige Amerikanerin Heather Lawver initiierte im
Internet das „Verteidigung gegen die dunklen Künste“-Projekt. Auf
www.potterwar.org.uk ist der
Fall penibel dokumentiert und mit www.dprophet.com/dada/
kann man Protestresolutionen versenden. Ein Rechtshilfefonds wurde
eingerichtet und ein Anwalt engagiert. Und für Schlagzeilen sorgte
im Februar der Aufruf „Boykottiert Harry-Potter-Waren, solange Warner Fans
einschüchtert!“
Warner Bros. lenkte ein. Am 9. März konnte Clairs Anwalt melden,
Warner Bros. „vertraut nun auf Claire’s gute Absichten und ihre Versicherung,
dass sie weiterhin keine Pläne habe, den Domainnamen kommerziell zu
nutzen.“ Wie schon Remus J. Lupin, der Professor für Verteidigung
gegen die dunklen Künste, sagt: „Das heißt, wovor du am meisten
Angst hast – ist die Angst. Sehr weise, Harry.“ (3. Band, S. 163)
Verbotene Bücher
In der Bibliothek von Hogwarts gibt es eine Abteilung für verbotene
Bücher, über die Madame Pince, eine dürre Bibliothekarin,
die einem unterernährten Geier ähnelt, eifersüchtig wacht.
In Deutschland wacht Warner Bros.
Das merkte auch der Albatros-Verlag in Düsseldorf, ein Imprint
von Patmos. Ende Oktober erschien „Von Alraune bis Zentaur. Ein Harry Potter
Lexikon“ als Wegweiser für Neueinsteiger bzw. zur Gedächtnisauffrischung
von schon begeisterten Zauberlehrlingen. Doch mit diesem Lexikon über
Begriffe aus den drei ersten „Harry Potter“-Bänden war es bald vorbei.
Bereits einen Monat später flatterte eine, von Boehmert & Boehmert
im Namen von Warner Bros. erwirkte, gerichtliche einstweilige Verfügung
auf Unterlassung ins Haus. Begründung: schmarotzerischer Wettbewerb,
Verletzung von Urheber- und Markenrechten usw. Ergebnis: der Verlag schloss
eine Vereinbarung, die es ihm erlaubte, die vorhandenen Exemplare noch
zwei Wochen in den Handel zu bringen. Seit Mitte Dezember ist das Buch
nicht mehr lieferbar: „Vergriffen, keine Neuauflage“. „Wir haben klein
beigegeben“, heißt es im Verlag: „Wer legt sich schon mit Warner
an?“
Ähnlich erging es dem im November im Lexikon Imprint Verlag des
Berliner Verlegers Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienenen Band „Das
ABC rund um Harry Potter. Ein Lexikon von Friedhelm Schneidewind“. Der
Untertitel spricht für sich: „Alles Wissenswerte zu den ersten vier
Büchern von Joanne K. Rowling, den Figuren und ihren Mythen, den Orten
und den Begriffen, Geschichten und Hintergründen. Ein Lexikon für
junge und alte Harry-Potter-Fans“. Das Sachbuch enthält - im Unterschied
zum Produkt des Albatros-Verlags - Informationen weit über den Harry-Potter-Stoff
hinaus, wurde bestens rezensiert, schaffte den Sprung in die Bestsellerlisten
und brachte es binnen kurzer Zeit auf eine dritte Auflage.
Da ist es dann schon merkwürdig, dass ausgerechnet dieses Lexikon
auf der Verlagsseite www.schwarzkopfundschwarzkopf.de
fehlt. Die Pressesprecherin entpuppt sich als Presseschweigerin. Nichts
will sie sagen zu einer gerichtlichen Verfügung (siehe oben), nichts
zur Ansicht des juristischen Beraters, dass diese Vorgangsweise höchst
problematisch sei, nichts zu einer Einigung mit Warner Bros., das Lexikon
nur mehr bis Ende Februar an den Handel zu liefern: „Leider muss ich Ihnen
mitteilen, dass wir bei unserer Position bleiben und uns zu dem fraglichen
Sachverhalt nicht äußern.“
Der Carlsen-Verlag hat damit offiziell nichts zu tun. Man habe wegen
der beiden Lexika nur den Rechteinhaber, sprich die Anwälte von Warner
Bros., informiert. Warum Carlsen-Marketing-Chef Klaus Kämpfe-Burghardt
zum Thema „Einblicke ins Potter-Marketing“ bereits Ende September 2000
zu berichten wusste, sein Verlag denke selbst über die Veröffentlichung
eines Lexikons nach und habe „Versuche anderer Verlage, wie beispielsweise
,Schwarzkopf und Schwarzkopf’ oder ,Patmos’, Harry Potter-Lexika zu veröffentlichen,
... verhindert“, bleibt ein Rätsel. Oder sollte Cornelia Völklein,
die dies in ihrer Diplomarbeit (www.hbi-stuttgart.de/ifak/downloads/Potter.pdf)
auf Seite 123 berichtet, da etwas falsch verstanden haben? Hat sie nicht,
sagt sie.
„Nenn die Dinge immer beim richtigen Namen. Die Angst vor einem Namen
steigert nur die Angst vor der Sache selbst,“ meint Albus Dumbledore, der
weise Schulleiter von Hogwarts (1. Bd., S. 323). Deshalb ist zu fragen:
Hat es ein Weltkonzern wirklich nötig, mit Kanonen auf Spatzen zu
schießen? Kann wegen der Marke „Coca Cola“ z.B. kein Sachbuch „Coca
Cola - Die Geschichte eines Erfolges“ mehr verlegt werden? Entspricht es
in Deutschland nicht mehr den anständigen Gepflogenheiten im Verlagsgeschäft,
über erfolgreiche Bücher Sekundärliteratur herauszubringen,
wie dies z.B. zu Umberto Eco’s „Das Foucaultsche Pendel“ geschehen ist?
Und ist es wirklich gegen das Interesse von Warner Bros., dass auch andere
mit Fleiß und Mühe gute Ideen verwirklichen, die letztlich ohnehin
dazu beitragen, dass der Merchandising-Hype besser funktioniert? Darüber
sollte man reden. Öffentlich.
Dass es auch anders geht, beweist der Verlag an der Ruhr, der im November
in der Reihe „Literatur-Kartei“ Materialien für den Schulgebrauch
zu „Harry Potter und der Stein der Weisen“ verlegt hat. Wie der UniSpiegel
in seiner Februar-Ausgabe berichtete, hatte der Autor, Dozent Jörg
Knobloch, zuvor nach einer Anfrage beim Carlsen-Verlag ebenfalls Anwaltspost
bekommen: Im Auftrag von Time Warner wurde mitgeteilt, dass man sich jede
fremde Nutzung verbete. Beilagen: Kopie der Eintragungsurkunde der Deutschen
Marke 300 12 566, Wort: HARRY POTTER und eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung
in doppelter Ausführung. Streitwert 500.000 Mark. Worauf der AOL Verlag
von einer Publikation Abstand nahm und der Verlag an der Ruhr – ohne seither
Anwaltspost zu bekommen – mutig einsprang. Denn, so der Autor: „Wie soll
man denn künftig noch über Harry Potter berichten, wenn nicht
einmal mehr Handreichungen für Lehrer erstellt werden dürfen?“
Apropos Sekundärliteratur: Im „Verzeichnis lieferbarer Bücher“
(VLB) findet man „Die Rezeption von ,Harry Potter’ im deutschsprachigen
Raum“, erschienen im Februar 2001 bei der Deutschen Buchhändler-Vereinigung.
Doch dort wird einem verraten, dass dieses Buch nicht existiert, dass der
Eintrag nur zur Prüfung dient, ob bei der Bestellung eine VLB-Raubkopie
verwendet wurde. Da soll noch einer sagen, die Welt der Muggel habe nichts
Mystisches.
Zurück zu den Dursleys
Die wichtigsten Lizenzen sind bereits vergeben. Coca-Cola und Warner
Bros. Pictures haben eine mehrjährige Zusammenarbeit in der Vermarktung
der Harry Potter-Figur angekündigt. Beide, Harry Potter und Coca-Cola,
so Marketingdirektor Steve Jones, seien in der Lage, ein bisschen Magie
in das tägliche Leben der Menschen zu bringen. Computerspiele wird
es bei Electronic Art geben, Lego, Hasbro und Mattel sind mit von der Partie
– und alles im Warner Bros.-Einheitsstil. So ziert den vierten Band bereits
der oben abgebildete Schriftzug, der, von Time Warner im Juni 2000 als
EU-Gemeinschaftsmarke angemeldet, nun offensichtlich international durchgesetzt
wird.
Mit dem Merchandising will man bis zum Film warten, heißt es in
der „Consumer Production“-Abteilung bei Warner Bros., Hamburg: „Wir achten
sehr darauf, dass die Magie von Harry Potter im Vordergrund steht.“ Filmstart
ist in den USA am 16. November, die deutschsprachige Fassung lauft sechs
Tage später an. Also noch rechtzeitig vor Weihnachten. Denn „das Schöne
an Harry Potter muss gewahrt bleiben“. Klar, was sonst.
Linktipp: www.hpgalleries.com
Covers von: KulturSPIEGEL, April 2000; Newsweek, 9. Juli 2000; Radio
Times, Dezember 2000; Entrepreneur, Februar 2001; Time Magazin, 20. September
1999.
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