11 / 2000
  Mythos Nulldefizit – gibt's keine Alternative zum Sparkurs?

Auf der Homepage des Finanzministeriums (www.bmf.gv.at) ist eine nette Animation zu sehen: Ein Zähler im Stil eines Webcounters, der ’runter- statt ’raufzählt – er soll den „Count-down zum Nulldefizit” darstellen.
An Anschaulichkeit ist diese kleine Spielerei kaum zu übertreffen: Mit jeder Sekunde – so wird suggeriert – wird die Schuldenlast der Republik dank restriktiver Budgetpolitik geringer; die geplagten SteuerzahlerInnen können wieder freier atmen. Manche Sozial- und WirtschaftswissenschafterInnen halten das Nulldefizit aber für einen gigantischen Mythos, mit dem ganz andere – nämlich gesellschaftspolitische – Ziele verfolgt werden als vorgegeben. KORSO hat Fachleute dazu befragt – und bringt auch einige Fakten dazu, wie die Einsparungen die Steiermark betreffen werden.
 

2001 soll das bundesstaatliche Defizit um 35,4 Mrd Schilling unter jenem liegen, das noch im Rechnungsabschluss 1999 ausgewiesen wurde. Wenn dieses Ziel erreicht wird, wird das gesamtstaatliche Defizit 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes betragen; schon im Jahr darauf sollen dann die lichten Höhen des Nulldefizits erklommen sein. Der „Konsolidierungsbedarf” von 90 Milliarden Schilling, den der Finanzminister für 2001 ortet, wird, so eine einschlägige Presseinformation des Ministeriums, „zu etwa 62% auf der Ausgabenseite und nur zu 38% auf der Einnahmenseite realisiert.” Die Devise heißt: Den Gürtel enger schnallen (etwa durch ausgeweitete Sperrfristen bei den Arbeitslosenbezügen) und mehr kassieren (etwa via Studiengebühren).

Musterschüler Österreich macht Fleißaufgaben
Der harte (manche meinen: „Crash”-) Kurs der Bundesregierung wird unter anderem damit begründet, dass die „Kreditwürdigkeit Österreichs auf den internationalen Kapitalmärkten” gesichert werden müsse (O-Ton Budgetprogramm 2000 – 2003 des Ministeriums). Die Behauptung, die Staatsschulden stellten bereits eine Gefahr für die Bonität der Republik dar, hält die Wiener Wirtschaftsforscherin Mag. Christine Mayrhuber im KORSO-Gespräch für sinnfrei: „Wenn das wahr wäre, hätte etwa Italien extrem schlechte Konditionen auf den Kreditmärkten. In Wirklichkeit hängt die Kapitalmarktbewertung nicht vom Schuldenstand, sondern von der wirtschaftlichen Produktivität und der politischen Stabilität ab.” 
Gegenüber dem selbst auferlegten Null-Defizit nehmen sich die Maastricht-Stabilitätskriterien der Europäischen Union, zu deren Einhaltung die Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, vergleichsweise milde aus: Das Defizit dürfte danach immerhin 3% des BIP betragen – ein Ziel, das Österreich längst erreicht hat – und auch bei der Schuldenquote zeigt sich die Bundesregierung heißsporniger als die Eurokratie: Statt auf die vorgesehenen 60% will sie die Quote bis Ende 2003 auf unter 55% des Bruttoinlandsproduktes drücken. Mayrhuber: „Österreich will offenbar EU-Musterschüler sein.” 

Sparen, um zu privatisieren – nicht privatisieren, um zu sparen
Welche Motivation steckt also hinter diesem Streber-Verhalten der Bundesregierung? Die Sorge um die Wirtschaftslage Österreichs dürfte es nicht sein: Die Rosskur zeigt nämlich bereits negative Wirkungen auf die Konjunktur. Diese halten sich zwar noch in Grenzen (so prognostizieren etwa das Wirtschaftsforschungsinstitut und das Institut für Höhere Studien nahezu übereinstimmend ein Viertel bzw. 0,2 Prozent Konjunkturrückgang durch die Sparmaßnahmen), doch eine Verschlechterung der internationalen Rahmenbedingungen – etwa ein weiteres Ansteigen der Ölpreise durch eine Verschärfung der Nahost-Krise – könnte im Verein mit den kaufkraftdämpfenden Maßnahmen rasch eine unheilvolle Spirale nach unten in Gang setzen. 
Den wahren Grund für den Kult um’s Nulldefizit sieht Mayrhuber im Versuch, mit Hilfe dieses „Schlachtrufes” „neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen” durchzusetzen. Dazu heißt es in der von einer Gruppe österreichischer Sozial- und Wirtschaftswissenschafter herausgegebenen Broschüre „Mythos Nulldefizit” *: „Hinter der Forderung nach Eliminierung des Defizits stehen nicht ökonomische Notwendigkeiten, sondern der Wunsch, bestimmte bisher vom Staat übernommene Aufgaben zu eliminieren oder zu privatisieren.” Schenkt man den AutorInnen des Bandes, den WissenschafterInnen des Arbeitskreises BEIGEWUM („Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen”), Glauben, dann verhält sich die Wirklichkeit reziprok zur offiziellen politischen Argumentation: Es sollen nicht etwa immer mehr öffentlich organisierte Bereiche – von der Gesundheitsvorsorge bis zu den Bundesforsten – privatwirtschaftlich organisiert und die Sozialleistungen eingeschränkt werden, um das Budget zu entlasten, sondern der entschlossene Kampf gegen angeblich explodierende Staatsschulden dient nur als Vorwand für Sozialabbau und Privatisierung. Der Nationalökonom Prof. Kurt Rothschild formuliert es so: Die Propagierung des Nulldefizits sei ein „Trick der Regierung, viele politische Ziele unter einem sehr griffigen Vorurteil durchzubringen.”

Falsche Analogien
Griffig ist die Nulldefizit-Argumentation zweifellos – „schließlich”, so lautet eine beliebte Metapher der Nulldefizitler, „weiß ja auch jede Hausfrau, dass sie nicht mehr ausgeben darf als einnehmen.” Aber, so Mayrhuber: „Die behauptete Analogie von privatem und Staatshaushalt ist schlichtweg Unsinn. Während ein privater Haushalt keinen Kredit mehr bekommt, wenn er sich überschuldet, könnte die Republik jederzeit neue Kredite zur Rückzahlung der bestehenden aufnehmen” – wegen seiner Steuerhoheit ist der Staat nämlich der ideale Schuldner. Und: Staatsschulden seien auch nicht, wie etwa auch im Budgetprogramm 2001-2003 behauptet, eine Belastung künftiger Generationen, sondern im Gegenteil eine Verteilung der Finanzierungslast in die Zukunft. Der Grazer Volkswirt Dr. Gerhard Wohlfahrt unterstreicht: „Große, in die Zukunft gerichtete Investitionen sind ohne Kredite undenkbar – das gilt für den Staat ebenso wie für Unternehmen.” Schon 1878 wusste der berühmte Finanzwissenschafter Lorenz von Stein: „Ein Staat ohne Staatsschuld tut entweder zu wenig für seine Zukunft, oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart.”
 

Wirtschaftsforscherin Mag. Christine Mayrhuber: „Kapitalmarktbewertung hängt nicht vom Schuldenstand ab.“ 
Volkswirt Dr. Gerhard Wohlfahrt: "In die Zukunft gerichtete Investitionen sind ohne Kredite undenkbar."

Mayrhuber resümiert: „Das Nulldefizit ist zum politischen Ziel mutiert, obwohl es eigentlich nur das Nebenprodukt eines politischen Zieles sein dürfte.” Denn: „Die Aufgabe des Staates in der Wirtschaft ist nicht das Erzielen von Gewinnen oder ausgeglichener Finanzen, sondern die gesamtgesellschaftliche Lenkung mittels Einnahmen und Ausgaben – von der Erfüllung öffentlicher Aufgaben über die Schaffung von Infrastruktur, die Versicherung der Bevölkerung gegen Risiken wie Alter, Krankheit oder Arbeitslosigkeit bis hin zur Konjunkturstabilisierung. Die Finanzierbarkeit dieser Lenkungsaufgaben ist eine wichtige Nebenbedingung – die in Österreich bis jetzt weitgehend erfüllt wurde. Finanzierbarkeit erfordert aber kein Nulldefizit.” 

Harte Zeiten … auch für die Steiermark
Nicht nur der Bund soll sparen; auch die Länder und Gemeinden sollen ihr Scherflein zum Nulldefizit beitragen. Statt bisher 0,5% des Bruttoinlandsproduktes werden sie in Zukunft 0,75% des BIP zur Reduktion des gesamtstaatlichen Defizit beitragen, das sind insgesamt ca. 23 Mrd. Schilling, erläutert der Finanzausgleichs-Experte Prof. Dr. Gerhard Lehner vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Weiters haben sich die Bundesländer bereits verpflichtet, 2,3 Mrd Schilling aus ihren Ertragsanteilen an den Steuereinnahmen dem Bund zu überlassen – auf die Steiermark entfallen ca. 15% davon. Und schließlich sollen durch Einsparungen im „Verwaltungsbereich“ (das heißt etwa auch: bei den Landeslehrern) weitere 3 Mrd Schilling eingebracht werden. Damit tragen die Bundesländer insgesamt ca. 29 Mrd Schilling zum Nulldefizit bei – ein entsprechender Anteil davon entfällt auch auf die Steiermark. Nicht in diesen Zahlen enthalten sind die Einsparungen im Krankenhausbereich; diese sollten zunächst laut Plänen von Staatssekretär Dr. Reinhart Waneck allein in unserem Bundesland zwischen vier- und neunhundert Millionen Schilling betragen.

Stadt Graz: Auch hier regiert der Rotstift
Wie wird sich das Nulldefizit in der steirischen Landeshauptstadt auswirken? Noch hat Graz ja kein Budget für das nächste Jahr, aber in Kenntnis der Einsparungsziele gab’s bereits erste Gespräche zwischen Finanzstadtrat Mag. Siegfried Nagl und den Ressortverantwortlichen. KORSO hat zwei von ihnen um ihre Einschätzung gebeten. Kulturstadtrat DI Helmut Strobl sieht die Situation gelassen: Bei den Subventionen gebe es eine 20-%-Sperre, es müsse natürlich zu Kürzungen kommen, aber das heiße nur, „dass keine neuen Projekte begonnen werden können”, die bestehenden seien abgesichert. „Da macht es sich jetzt auch bezahlt, dass wir mit 40 freien Kulturgruppen längerfristige Verträge abgeschlossen haben”.
Frauen-, Jugend- und Schulstadträtin Tatjana Kaltenbeck sieht hingegen massive Kürzungen auf ihr Ressort zukommen. „Allein bei der Kindergartensanierung müssen wir 5 Mio Schilling einsparen, Ähnliches gilt für die Kinderheime und Horte, obwohl dort das Mobiliar teilweise 30 Jahre alt ist. Im Schulbereich wird es kaum neue Projekte geben.” So wird das geplante Schulsozialprojekt für Graz-Ost dem Rotstift zum Opfer fallen; die projektierte Verkabelung der Hauptschulen (Kaltenbeck: „Ein Schritt, der für eine moderne, IT-gerechte Ausbildung unerlässlich ist”) wird ebenfalls verschoben werden, Subventionen für Unterrichtsprojekte werde es nur mehr sehr eingeschränkt geben, und auch bei den Frauenprojekten müsse eingespart werden. Kaltenbeck lakonisch: „Der Trick der Bundesregierung scheint zu ziehen: Man redet nur mehr übers Nulldefizit und nicht mehr darüber, was uns eine wertschätzende Betreuung unserer Kinder oder die Ausbildung der Jugend wert sein sollte.”
 
Christian Stenner

 

 
NOVEMBER-AUSGABE
k-punkt 
WIRTSCHAFT UND ARBEIT