|
Mythos Nulldefizit
– gibt's keine Alternative zum Sparkurs?
Auf der Homepage des Finanzministeriums (www.bmf.gv.at)
ist eine nette Animation zu sehen: Ein Zähler im Stil eines Webcounters,
der ’runter- statt ’raufzählt – er soll den „Count-down zum Nulldefizit”
darstellen.
An Anschaulichkeit ist diese kleine Spielerei kaum zu übertreffen:
Mit jeder Sekunde – so wird suggeriert – wird die Schuldenlast der Republik
dank restriktiver Budgetpolitik geringer; die geplagten SteuerzahlerInnen
können wieder freier atmen. Manche Sozial- und WirtschaftswissenschafterInnen
halten das Nulldefizit aber für einen gigantischen Mythos, mit dem
ganz andere – nämlich gesellschaftspolitische – Ziele verfolgt werden
als vorgegeben. KORSO hat Fachleute dazu befragt – und bringt auch einige
Fakten dazu, wie die Einsparungen die Steiermark betreffen werden.
2001 soll das bundesstaatliche Defizit um 35,4 Mrd Schilling unter jenem
liegen, das noch im Rechnungsabschluss 1999 ausgewiesen wurde. Wenn dieses
Ziel erreicht wird, wird das gesamtstaatliche Defizit 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
betragen; schon im Jahr darauf sollen dann die lichten Höhen des Nulldefizits
erklommen sein. Der „Konsolidierungsbedarf” von 90 Milliarden Schilling,
den der Finanzminister für 2001 ortet, wird, so eine einschlägige
Presseinformation des Ministeriums, „zu etwa 62% auf der Ausgabenseite
und nur zu 38% auf der Einnahmenseite realisiert.” Die Devise heißt:
Den Gürtel enger schnallen (etwa durch ausgeweitete Sperrfristen bei
den Arbeitslosenbezügen) und mehr kassieren (etwa via Studiengebühren).
Musterschüler Österreich macht Fleißaufgaben
Der harte (manche meinen: „Crash”-) Kurs der Bundesregierung wird unter
anderem damit begründet, dass die „Kreditwürdigkeit Österreichs
auf den internationalen Kapitalmärkten” gesichert werden müsse
(O-Ton Budgetprogramm 2000 – 2003 des Ministeriums). Die Behauptung, die
Staatsschulden stellten bereits eine Gefahr für die Bonität der
Republik dar, hält die Wiener Wirtschaftsforscherin Mag. Christine
Mayrhuber im KORSO-Gespräch für sinnfrei: „Wenn das wahr
wäre, hätte etwa Italien extrem schlechte Konditionen auf den
Kreditmärkten. In Wirklichkeit hängt die Kapitalmarktbewertung
nicht vom Schuldenstand, sondern von der wirtschaftlichen Produktivität
und der politischen Stabilität ab.”
Gegenüber dem selbst auferlegten Null-Defizit nehmen sich die
Maastricht-Stabilitätskriterien der Europäischen Union, zu deren
Einhaltung die Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben, vergleichsweise
milde aus: Das Defizit dürfte danach immerhin 3% des BIP betragen
– ein Ziel, das Österreich längst erreicht hat – und auch bei
der Schuldenquote zeigt sich die Bundesregierung heißsporniger als
die Eurokratie: Statt auf die vorgesehenen 60% will sie die Quote bis Ende
2003 auf unter 55% des Bruttoinlandsproduktes drücken. Mayrhuber:
„Österreich will offenbar EU-Musterschüler sein.”
Sparen, um zu privatisieren – nicht privatisieren,
um zu sparen
Welche Motivation steckt also hinter diesem Streber-Verhalten der Bundesregierung?
Die Sorge um die Wirtschaftslage Österreichs dürfte es nicht
sein: Die Rosskur zeigt nämlich bereits negative Wirkungen auf die
Konjunktur. Diese halten sich zwar noch in Grenzen (so prognostizieren
etwa das Wirtschaftsforschungsinstitut und das Institut für Höhere
Studien nahezu übereinstimmend ein Viertel bzw. 0,2 Prozent Konjunkturrückgang
durch die Sparmaßnahmen), doch eine Verschlechterung der internationalen
Rahmenbedingungen – etwa ein weiteres Ansteigen der Ölpreise durch
eine Verschärfung der Nahost-Krise – könnte im Verein mit den
kaufkraftdämpfenden Maßnahmen rasch eine unheilvolle Spirale
nach unten in Gang setzen.
Den wahren Grund für den Kult um’s Nulldefizit sieht Mayrhuber
im Versuch, mit Hilfe dieses „Schlachtrufes” „neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen”
durchzusetzen. Dazu heißt es in der von einer Gruppe österreichischer
Sozial- und Wirtschaftswissenschafter herausgegebenen Broschüre „Mythos
Nulldefizit” *: „Hinter der Forderung nach Eliminierung des Defizits stehen
nicht ökonomische Notwendigkeiten, sondern der Wunsch, bestimmte bisher
vom Staat übernommene Aufgaben zu eliminieren oder zu privatisieren.”
Schenkt man den AutorInnen des Bandes, den WissenschafterInnen des Arbeitskreises
BEIGEWUM („Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische
Alternativen”), Glauben, dann verhält sich die Wirklichkeit reziprok
zur offiziellen politischen Argumentation: Es sollen nicht etwa immer mehr
öffentlich organisierte Bereiche – von der Gesundheitsvorsorge bis
zu den Bundesforsten – privatwirtschaftlich organisiert und die Sozialleistungen
eingeschränkt werden, um das Budget zu entlasten, sondern der entschlossene
Kampf gegen angeblich explodierende Staatsschulden dient nur als Vorwand
für Sozialabbau und Privatisierung. Der Nationalökonom Prof.
Kurt Rothschild formuliert es so: Die Propagierung des Nulldefizits
sei ein „Trick der Regierung, viele politische Ziele unter einem sehr griffigen
Vorurteil durchzubringen.”
Falsche Analogien
Griffig ist die Nulldefizit-Argumentation zweifellos – „schließlich”,
so lautet eine beliebte Metapher der Nulldefizitler, „weiß ja auch
jede Hausfrau, dass sie nicht mehr ausgeben darf als einnehmen.” Aber,
so Mayrhuber: „Die behauptete Analogie von privatem und Staatshaushalt
ist schlichtweg Unsinn. Während ein privater Haushalt keinen Kredit
mehr bekommt, wenn er sich überschuldet, könnte die Republik
jederzeit neue Kredite zur Rückzahlung der bestehenden aufnehmen”
– wegen seiner Steuerhoheit ist der Staat nämlich der ideale Schuldner.
Und: Staatsschulden seien auch nicht, wie etwa auch im Budgetprogramm 2001-2003
behauptet, eine Belastung künftiger Generationen, sondern im Gegenteil
eine Verteilung der Finanzierungslast in die Zukunft. Der Grazer Volkswirt
Dr. Gerhard Wohlfahrt unterstreicht: „Große, in die Zukunft
gerichtete Investitionen sind ohne Kredite undenkbar – das gilt für
den Staat ebenso wie für Unternehmen.” Schon 1878 wusste der berühmte
Finanzwissenschafter Lorenz von Stein: „Ein Staat ohne Staatsschuld
tut entweder zu wenig für seine Zukunft, oder er fordert zu viel von
seiner Gegenwart.”
|
|
Wirtschaftsforscherin Mag. Christine Mayrhuber:
„Kapitalmarktbewertung hängt nicht vom Schuldenstand ab.“
|
Volkswirt Dr. Gerhard Wohlfahrt: "In die Zukunft
gerichtete Investitionen sind ohne Kredite undenkbar."
|
Mayrhuber resümiert: „Das Nulldefizit ist zum politischen Ziel
mutiert, obwohl es eigentlich nur das Nebenprodukt eines politischen Zieles
sein dürfte.” Denn: „Die Aufgabe des Staates in der Wirtschaft ist
nicht das Erzielen von Gewinnen oder ausgeglichener Finanzen, sondern die
gesamtgesellschaftliche Lenkung mittels Einnahmen und Ausgaben – von der
Erfüllung öffentlicher Aufgaben über die Schaffung von Infrastruktur,
die Versicherung der Bevölkerung gegen Risiken wie Alter, Krankheit
oder Arbeitslosigkeit bis hin zur Konjunkturstabilisierung. Die Finanzierbarkeit
dieser Lenkungsaufgaben ist eine wichtige Nebenbedingung – die in Österreich
bis jetzt weitgehend erfüllt wurde. Finanzierbarkeit erfordert aber
kein Nulldefizit.”
Harte Zeiten … auch für die Steiermark
Nicht nur der Bund soll sparen; auch die Länder und Gemeinden
sollen ihr Scherflein zum Nulldefizit beitragen. Statt bisher 0,5% des
Bruttoinlandsproduktes werden sie in Zukunft 0,75% des BIP zur Reduktion
des gesamtstaatlichen Defizit beitragen, das sind insgesamt ca. 23 Mrd.
Schilling, erläutert der Finanzausgleichs-Experte Prof. Dr. Gerhard
Lehner vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Weiters haben sich die Bundesländer
bereits verpflichtet, 2,3 Mrd Schilling aus ihren Ertragsanteilen an den
Steuereinnahmen dem Bund zu überlassen – auf die Steiermark entfallen
ca. 15% davon. Und schließlich sollen durch Einsparungen im „Verwaltungsbereich“
(das heißt etwa auch: bei den Landeslehrern) weitere 3 Mrd Schilling
eingebracht werden. Damit tragen die Bundesländer insgesamt ca. 29
Mrd Schilling zum Nulldefizit bei – ein entsprechender Anteil davon entfällt
auch auf die Steiermark. Nicht in diesen Zahlen enthalten sind die Einsparungen
im Krankenhausbereich; diese sollten zunächst laut Plänen von
Staatssekretär Dr. Reinhart Waneck allein in unserem Bundesland
zwischen vier- und neunhundert Millionen Schilling betragen.
Stadt Graz: Auch hier regiert der Rotstift
Wie wird sich das Nulldefizit in der steirischen Landeshauptstadt auswirken?
Noch hat Graz ja kein Budget für das nächste Jahr, aber in Kenntnis
der Einsparungsziele gab’s bereits erste Gespräche zwischen Finanzstadtrat
Mag. Siegfried Nagl und den Ressortverantwortlichen. KORSO hat zwei
von ihnen um ihre Einschätzung gebeten. Kulturstadtrat DI Helmut
Strobl sieht die Situation gelassen: Bei den Subventionen gebe es eine
20-%-Sperre, es müsse natürlich zu Kürzungen kommen, aber
das heiße nur, „dass keine neuen Projekte begonnen werden können”,
die bestehenden seien abgesichert. „Da macht es sich jetzt auch bezahlt,
dass wir mit 40 freien Kulturgruppen längerfristige Verträge
abgeschlossen haben”.
Frauen-, Jugend- und Schulstadträtin Tatjana Kaltenbeck
sieht hingegen massive Kürzungen auf ihr Ressort zukommen. „Allein
bei der Kindergartensanierung müssen wir 5 Mio Schilling einsparen,
Ähnliches gilt für die Kinderheime und Horte, obwohl dort das
Mobiliar teilweise 30 Jahre alt ist. Im Schulbereich wird es kaum neue
Projekte geben.” So wird das geplante Schulsozialprojekt für Graz-Ost
dem Rotstift zum Opfer fallen; die projektierte Verkabelung der Hauptschulen
(Kaltenbeck: „Ein Schritt, der für eine moderne, IT-gerechte Ausbildung
unerlässlich ist”) wird ebenfalls verschoben werden, Subventionen
für Unterrichtsprojekte werde es nur mehr sehr eingeschränkt
geben, und auch bei den Frauenprojekten müsse eingespart werden. Kaltenbeck
lakonisch: „Der Trick der Bundesregierung scheint zu ziehen: Man redet
nur mehr übers Nulldefizit und nicht mehr darüber, was uns eine
wertschätzende Betreuung unserer Kinder oder die Ausbildung der Jugend
wert sein sollte.”
|