09 / 2001
 
Durch Nulldefizit zur Null-Konjunktur?

Beunruhigende Meldungen aus den Zentren der Weltwirtschaft, aus den USA, Südostasien und der Europäischen Union: Überall müssen die Konjunkturprognosen nach unten revidiert werden. Auf den heimischen Arbeitsmärkten, die vor kurzem noch als leer gefegt gegolten hatten, steigen die Arbeitslosenzahlen wieder. Auch in der Steiermark macht sich der Konjunkturrückgang bereits bemerkbar. Wirtschaftsforscher und die Opposition fordern die Preisgabe des Nulldefizit-Ziels, das die Konjunktur zusätzlich dämpft; die Bundesregierung beharrt auf der Erfüllung der Fleißaufgabe, die sie sich selbst und den ÖsterreicherInnen auferlegt hat.

Als vor wenigen Tagen in den USA die Konjunkturvoraussage für das zweite Quartal von 0,7 Prozent auf nahezu Nullwachstum revidiert wurde, schlug der Wiener Wirtschaftsforscher Univ.-Prof. Dr. Fritz Breuss Alarm: Das Ziel des ausgeglichenen Budgets müsse hinausgeschoben werden, um die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen. Wenige Tage später wurde der Leiter des Industriewirtschaftlichen Institutes, Univ.-Prof. Werner Clement, ebenso deutlich: Zunächst einmal durch Umschichtungen zwischen den einzelnen Ministerien sollten einige Hundert Millionen Schilling als Konjunkturspritze aufgebracht werden; sollte dies nicht ausreichen, müsse das Nulldefizit aufgegeben werden.
 

 
(von li nach re) Mag. Karl-Heinz Snobe, Arbeitsmarktservice: „Konjunkturrückgang ist merkbar, aber der Arbeitskräftebedarf des Autoclusters verhindert einen dramatischen Einbruch am Arbeitsmarkt.” Dr. Hans Jaklitsch, Wirtschaftskammer: „Konjunkturprogramme sind nur auf europäischer Ebene realisierbar.” Dr. Franz Heschl, Arbeiterkammer Steiermark: „Jetzt muss auf allen Ebenen gegengesteuert werden – sonst droht eine Rezession.”

Bausektor in Schwierigkeiten – Bastion Autocluster hält noch
In der Tat sind die ersten Auswirkungen des Wachstumsrückganges auch in der Steiermark zu spüren: Vor allem die Baubranche, die im Besonderen vom Rückgang öffentlicher Investitionen betroffen ist, kämpft mit ernsten Problemen. Der Fensterhersteller Gaulhofer musste bereits im Juli 100 Mitarbeiter entlassen, jetzt ist von weiteren 110 Freisetzungen die Rede. Ein großes Bauunternehmen überlegt, so Mag. Karl-Heinz Snobe vom Arbeitsmarktservice Steiermark, die Schließung seiner steirischen Niederlassung, und der steirischen Arbeiterkammer sind weitere Unternehmen vor allem des Baunebengewerbes bekannt, wo’s mächtig kriselt. Dr. Franz Heschl von der volkswirtschaftlichen Abteilung der AK: „Die Chefs selbst sagen ganz offen, dass sie der Rückgang der öffentlichen Aufträge in Schwierigkeiten bringt.” Dem entsprechend hoch ist auch der Anstieg der Arbeitslosigkeit im Bausektor: gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres hat die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter um fast 17% zugenommen; aber auch die Gesamtzahl der vorgemerkten Arbeitslosen ist gegenüber dem Vorjahr von 23.025 auf 24.095 und damit immerhin um 4,6% gestiegen. Die Arbeitslosenrate hat in der Steiermark gegenüber dem Vorjahr allerdings bloß von 5 auf 5,1% zugenommen – der Anstieg um gerade 0,1 Prozentpunkte liegt weit unter dem Österreich-Schnitt von 0,4 Prozentpunkten. Die Situation, so Snobe, sei zwiespältig: „Auf der einen Seite haben wir den Autocluster, der sehr viel auffängt und wo bis 2003 insgesamt 3000 zusätzliche Arbeitskräfte benötigt werden; auf der anderen Seite zeigt vor allem die Zunahme der Arbeitslosigkeit im Bereich der Hilfsarbeitskräfte um 23,5% gegenüber dem Vorjahr, dass wir es in der Tat mit einem Konjunkturrückgang zu tun haben.”
Eine Diagnose, die von Heschl bestätigt wird: „Vor allem die Tatsache, dass sich der Zuwachs in allen Sektoren – bei der Sachgüterproduktion, den privaten Konsumausgaben und den Anlageinvestitionen – gleichermaßen verlangsamt hat, stimmt bedenklich.” Dafür sei auch die allgemeine Sparstimmung verantwortlich, die letztendlich auch die KonsumentInnen anstecke – „aber natürlich gibt’s auch eine Reihe ganz realer Gründe für den Konsumrückgang: Die Steuern- und Gebührenerhöhungen, die Senkung der Notstandshilfe, die Kürzungen bei der Wohnbeihilfe – alle diese nulldefizitbedingten Belastungen müssen vor allem bei den Beziehern kleiner Einkommen notgedrungen zum Konsumverzicht führen.”
 

„Gegensteuern auf allen   Ebenen”
An der Frage, wie der beginnenden Brustschwäche der Wirtschaft beizukommen sei, scheiden sich die Geister. Dr. Hans Jaklitsch von der volkswirtschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer verlangt für die Baubranche „keine zusätzlichen Gelder, aber Kontinuität: Die derzeitigen Diskussionen um die Wohnbauförderung verunsichern die potenziellen Bauherren.” Besonders wichtig sei der Bereich der Sanierung von Altbauten, „weil darin eine der wenigen Möglichkeiten der Förderung regionaler Wertschöpfung besteht.” Konjunkturprogramme seien, wenn überhaupt, nur mehr auf europäischer Ebene denkbar – etwa durch den Ausbau der transeuropäischen Infrastruktur. „Jeder nationalstaatliche Versuch, regionale Konjunkturprogramme zu realisieren, muss ja schon an der Notwendigkeit der EU-weiten Ausschreibung von Aufträgen scheitern.” Das Ziel des Nulldefizits solle aufrechterhalten werden.
Arbeiterkämmerer Heschl sieht das naturgemäß anders: „Neben den schon bisher gültigen sozialen Gründen gibt’s jetzt auch einen konjunkturellen, gegen das Nulldefizit zu sein. Dabei muss immer wieder betont werden, dass die Bundesregierung damit eine zusätzliche Fleißaufgabe erfüllt, die deutlich über den Vorgaben des EU-Stabilitätspaktes liegt: Der erlaubt ja für den Fall von Konjunkturrückgängen eine Defizit von 3% des BIP.” Jetzt müsse „auf allen Ebenen” gegengesteuert werden – „sonst droht eine Rezession. Die Europäische Zentralbank muss – wie es die US-amerikanische Federal Reserve schon lange getan hat – kräftig die Zinsen senken; die Bundesregierung muss auf das Nulldefizit verzichten und durch die Rücknahme der Belastungen die Konjunktur wieder beleben; und auch auf Landesebene ist Einiges möglich: etwa durch eine Zinssenkung bei der Wohnbauförderung. Die könnte die Landesregierung schon morgen eigenständig beschließen.” 

Bartenstein: Am Nulldefizit wird festgehalten
Wie man in der Bundesregierung über diese Warnungen denkt, machte der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft, Dr. Martin Bartenstein, anlässlich eines Besuches in der Steiermark gegenüber KORSO deutlich: Das Nulldefizit sei trotz Konjunkturproblemen nach wie vor unveränderliches Ziel der Bundesregierung, betonte der Minister, um dem noch wörtlich hinzuzufügen: „Aufgabe der Wirtschaftspolitik kann es nicht sein, Konjunkturschwankungen auszugleichen.” Eine Haltung, die vermutlich spätestens dann zu überdenken sein wird, wenn durch den Rückgang des Wirtschaftswachstums oder gar durch eine Rezession die Steuereinnahmen so weit sinken, dass schon allein aus diesem Grund ein ausgeglichenes Budget unerreichbar wird.    

Christian Stenner 

 
SEPTEMBER-AUSGABE
WIRTSCHAFT UND ARBEIT