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LR Kurt Flecker zum Sozialstaatsvolksbegehren:
"Ein Akt der Notwehr"
In der Woche vom dritten bis zehnten April wird das „Sozialstaatsvolksbegehren“
zur Eintragung aufliegen. „Soziale Sicherheit und Chancengleichheit“ sollen
als Staatsziele in der Bundesverfassung verankert werden, Gesetze vor Beschluss
auf ihre Sozialverträglichkeit hin überprüft werden und
die soziale Absicherung in Form von öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungssystemen
erfolgen.
Als einer der ersten steirischen Politiker hat Soziallandesrat Dr.
Kurt Flecker erklärt, das Volksbegehren unterschreiben zu wollen.
Christian Stenner führte für KORSO mit ihm darüber
folgendes Gespräch:
Was sind Ihre persönlichen und politischen Gründe für
die Unterzeichnung des Sozialstaats-Volksbegehrens?
Mich bewegen dabei vor allem zwei Gründe. Der erste und unmittelbare
ist, dass dieses Volksbegehren eine notwendige Notwehraktion gegen den
Kurs der Bundesregierung darstellt. Ich denke dabei vor allem an die bereits
gesetzten und in Kürze zu erwartenden Maßnahmen im Sozialversicherungsbereich,
an die Reduzierung der Grundleistungen und die Verlagerung qualitativ hochwertiger
Leistungen in den Bereich der privaten Versicherungen, die man sich aber
erst einmal leisten können muss. Das ist eine Entwicklung, die völlig
in Widerspruch zur Tradition der Zweiten Republik steht, und ich bin überzeugt,
wenn man früher auch nur geahnt hätte, dass sich einmal so eine
politische Linie durchsetzt, dann hätte man einige Sozialgesetze mit
Zwei-Drittel-Mehrheit als Verfassungsgesetze abgesichert.
Das ist der eine Grund. Der zweite hat damit zu tun, dass die europäische
Union zwar die Freiheit des Marktes sicherstellt und eine gemeinsame Sicherheitspolitik
anstrebt, aber keine Sozialunion, und ich bin auch nicht sehr hoffnungsfroh,
dass diese bald entstehen wird. Daher wäre eine Verankerung des Sozialstaates
in der Verfassung auch eine Absicherung Österreichs gegen die Dominanz
des Neoliberalismus in der EU.
Sie sprechen vom Sozialstaatsvolksbegehren als einem Notwehr-Akt
und haben kürzlich selbst einen Notwehr-Akt gesetzt – nämlich
gegen die Abschaffung der Sozialhilfe für Asylwerber, indem Sie die
Vorbereitung einer entsprechenden Regierungsvorlage verweigert haben.
Tatsache ist, dass wir in der Steiermark zurzeit für die Wohnversorgung
von Asylwerbern aufkommen und ihnen 1.400 Schilling im Monat zahlen, damit
sie Lebensmittel einkaufen können. ÖVP und FPÖ wollen das
überhaupt abschaffen, also letztlich Leute verhungern lassen. Und
für eine derartige Inhumanität stehe ich nicht zur Verfügung.
Man argumentierte damit, dass die 1400 Schiling Drogendealer aus
Wien anlockt …
In Wahrheit ist es wohl so, dass man Leute, deren Existenz nicht halbwegs
abgesichert ist, noch schneller in die Kriminalität treibt. Und: Ich
kann mir nicht vorstellen, dass es irgendjemanden gibt, der wegen 1.400
S im Monat von Wien nach Graz fährt, die Asylwerber bekommen in Wien
ja vergleichbare Leistungen, allerdings einen höheren Anteil in Naturalien.
Noch einmal zurück zum Volksbegehren: Zwischen Verfassungsbestimmungen
und ihrer realen Umsetzung besteht oft ein großer Unterschied – siehe
etwa Österreichs immerwährende und doch immer wieder durchlöcherte
Neutralität … ist der Weg, den Sozialstaat über die Verfassung
zu retten, überhaupt sinnvoll?
Ja. Weil das, was im Vorschlag drinnensteht, weit über eine Staatszielbestimmung
hinausgeht. Damit wäre etwa die Pflichtversicherung im Rahmen der
öffentlich-rechtlichen Sozialversicherung festgeschrieben. Ähnliches
gilt für die Sozialverträglichkeitsprüfung für Gesetze:
Man prüft ja bereits die Kosten der Durchführung von Gesetzen
– es wäre wohl mindestens ebenso wichtig, sie auf ihre sozialen Auswirkungen
hin abzuklopfen. Ich glaube, der Artikel hat eine Qualität, die durchaus
politisch-inhaltliche Folgen nach sich zieht.
Info unter:
www.sozialstaat.at |