02 / 2002
 
LR Kurt Flecker zum Sozialstaatsvolksbegehren: "Ein Akt der Notwehr"
 

In der Woche vom dritten bis zehnten April wird das „Sozialstaatsvolksbegehren“ zur Eintragung aufliegen. „Soziale Sicherheit und Chancengleichheit“ sollen als Staatsziele in der Bundesverfassung verankert werden, Gesetze vor Beschluss auf ihre Sozialverträglichkeit hin überprüft werden und die soziale Absicherung in Form von öffentlich-rechtlichen Sozialversicherungssystemen erfolgen.
Als einer der ersten steirischen Politiker hat Soziallandesrat Dr. Kurt Flecker erklärt, das Volksbegehren unterschreiben zu wollen. Christian Stenner führte für KORSO mit ihm darüber folgendes Gespräch:

Was sind Ihre persönlichen und politischen Gründe für die Unterzeichnung des Sozialstaats-Volksbegehrens?
Mich bewegen dabei vor allem zwei Gründe. Der erste und unmittelbare ist, dass dieses Volksbegehren eine notwendige Notwehraktion gegen den Kurs der Bundesregierung darstellt. Ich denke dabei vor allem an die bereits gesetzten und in Kürze zu erwartenden Maßnahmen im Sozialversicherungsbereich, an die Reduzierung der Grundleistungen und die Verlagerung qualitativ hochwertiger Leistungen in den Bereich der privaten Versicherungen, die man sich aber erst einmal leisten können muss. Das ist eine Entwicklung, die völlig in Widerspruch zur Tradition der Zweiten Republik steht, und ich bin überzeugt, wenn man früher auch nur geahnt hätte, dass sich einmal so eine politische Linie durchsetzt, dann hätte man einige Sozialgesetze mit Zwei-Drittel-Mehrheit als Verfassungsgesetze abgesichert.
Das ist der eine Grund. Der zweite hat damit zu tun, dass die europäische Union zwar die Freiheit des Marktes sicherstellt und eine gemeinsame Sicherheitspolitik anstrebt, aber keine Sozialunion, und ich bin auch nicht sehr hoffnungsfroh, dass diese bald entstehen wird. Daher wäre eine Verankerung des Sozialstaates in der Verfassung auch eine Absicherung Österreichs gegen die Dominanz des Neoliberalismus in der EU.

Sie sprechen vom Sozialstaatsvolksbegehren als einem Notwehr-Akt und haben kürzlich selbst einen Notwehr-Akt gesetzt – nämlich gegen die Abschaffung der Sozialhilfe für Asylwerber, indem Sie die Vorbereitung einer entsprechenden Regierungsvorlage verweigert haben.
Tatsache ist, dass wir in der Steiermark zurzeit für die Wohnversorgung von Asylwerbern aufkommen und ihnen 1.400 Schilling im Monat zahlen, damit sie Lebensmittel einkaufen können. ÖVP und FPÖ wollen das überhaupt abschaffen, also letztlich Leute verhungern lassen. Und für eine derartige Inhumanität stehe ich nicht zur Verfügung.

Man argumentierte damit, dass die 1400 Schiling Drogendealer aus Wien anlockt …
In Wahrheit ist es wohl so, dass man Leute, deren Existenz nicht halbwegs abgesichert ist, noch schneller in die Kriminalität treibt. Und: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendjemanden gibt, der wegen 1.400 S im Monat von Wien nach Graz fährt, die Asylwerber bekommen in Wien ja vergleichbare Leistungen, allerdings einen höheren Anteil in Naturalien.

Noch einmal zurück zum Volksbegehren: Zwischen Verfassungsbestimmungen und ihrer realen Umsetzung besteht oft ein großer Unterschied – siehe etwa Österreichs immerwährende und doch immer wieder durchlöcherte Neutralität … ist der Weg, den Sozialstaat über die Verfassung zu retten, überhaupt sinnvoll?
Ja. Weil das, was im Vorschlag drinnensteht, weit über eine Staatszielbestimmung hinausgeht. Damit wäre etwa die Pflichtversicherung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Sozialversicherung festgeschrieben. Ähnliches gilt für die Sozialverträglichkeitsprüfung für Gesetze: Man prüft ja bereits die Kosten der Durchführung von Gesetzen – es wäre wohl mindestens ebenso wichtig, sie auf ihre sozialen Auswirkungen hin abzuklopfen. Ich glaube, der Artikel hat eine Qualität, die durchaus politisch-inhaltliche Folgen nach sich zieht.

Info unter:
www.sozialstaat.at


 
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