02 / 2001
  IT-Fachkräfte-Mangel: Inszenierte Dramatik?

Die Zahlen sind beeindruckend. Österreichweit hat sich die Anzahl der Unternehmen im Bereich der Informationstechnologien (IT)  im letzten Jahrzehnt vervierfacht. In der Steiermark sind laut Wirtschaftskammer in der Fachgruppe der Informationstechnologie bereits mehr als 1600 Unternehmen tätig, die – so heißt es zumindest in einschlägigen Stellungnahmen – unter Mangel an IT-Fachkräften leiden. KORSO ging der Frage nach dem tatsächlichen Bedarf an steirischen IT-Arbeitskräften nach und befragte dazu Experten der Unternehmer- und Arbeitnehmervertretungen, des Arbeitsmarktservice sowie Weiterbildungsinstitute und steirische IT-Unternehmen.
 

Bereits 1998 schlug die Wirtschaft Alarm: Die IT-Branche habe sich zu einer rasanten „Jobmaschine“ entwickelt und suche dringend MitarbeiterInnen. Der steirische Wirtschaftskammerpräsident Peter Mühlbacher sah damals für den Zeitraum bis zum Jahr 2002 EU-weit einen Bedarf von mehr als 1,5 Millionen Fachkräften im Software-, Multimedia- und Internetbereich. Inzwischen kam es zu einer etwas realistischeren Sicht der Dinge, mit verursacht durch den Einbruch der New Economy-Aktienkurse an US-amerikanischen Börsen zu Beginn des Jahres. Durch die Krise vieler „Start-Up“-Unternehmen kam es zu Entlassungen von Beschäftigten, so auch in Österreich. Dennoch sieht der österreichische WK-Präsident Christoph Leitl für Österreich weiterhin einen akuten Bedarf von mindestens 10.000 IT-Kräften – und dies quer durch alle Branchen. 

Große Unternehmen haben großen Bedarf  – an hochkarätigen Fachkräften
Auch in der Steiermark scheint bei den Spitzenunternehmen das Wachstum ungebrochen. Für ein neu entstehendes Werk von Austria Mikro Systeme besteht Bedarf an 200 hochkarätigen IT-Fachkräften, unterstreicht deren Pressesprecher Urs Harnik. Für die nächsten Jahre rechnet er in der Halbleiterbranche mit jährlichen Wachstumsraten von mehr als 20%. Ähnlich positiv ist die Stimmung beim steirischen Logistik-Unternehmen Salomon Automation und bei Infonova, dem größten steirischen Software-Dienstleister. Für die kommenden drei Jahre schätzen diese ihren Bedarf auf bis zu 500 zusätzliche IT-Kräfte.
Gesucht werden vorrangig hochkarätige Spezialisten, die allem Anschein nach in der Steiermark kurzfristig nur schwer zu bekommen sind. Diese sollen, so die Human-Ressources-Leiterin von Salomon Automation, Mag. Elisabeth Schilcher, „nicht nur gestandene Softwareentwickler sein, sondern auch andere Fähigkeiten und Erfahrungen besitzen, etwa in den Bereichen Stressbewältigung, Kundenkontakt, Akquisition und Teamarbeit.“ 

Ausländische IT-Experten oder New-Economy-Gastarbeiter?
Als kurzfristige Lösung wird daher von Seiten der Wirtschaft ein vermehrter Zuzug ausländischer Fachkräfte angesehen. WK-Präsident Leitl: „Die nun beschlossene Erhöhung der Ausländerquote für Fachkräfte um 600 ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein“. Ein anderes Bild zeichnet allerdings der Pressesprecher des steirischen Arbeitsmarktservice (AMS), Mag. Hermann Gössinger: „Obwohl es problemlos möglich ist, ausländische IT-Fachkräfte einzustellen, wird dies von steirischen Unternehmen kaum genutzt.“ So verzeichnete das AMS im Jahr 2000 lediglich sieben Anträge auf Einstellung ausländischer Schlüsselkräfte im IT-Bereich. Ein Hauptgrund dafür könnte, vermutet Gössinger, die Bedingung sein, dass diese ExpertInnen auch angemessen entlohnt werden müssen, und zwar über der Höchstbemessungsgrundlage von 44.200.-- Schilling.
Eine andere Ursache für die geringen Zahlen nennt Harnik: „Wir von Austria Mikro Systeme suchen unsere Arbeitskräfte auch inner- und außereuropäisch. Aber Spitzenkräfte, die etwa Angebote aus Silicon Valley haben, überlegen es sich gut, ob sie nach Österreich kommen wollen. Für uns ist daher weniger die Ausländerquote als die fehlende Attraktivität Österreichs für Ausländer das Problem.“
Innerhalb von Österreich scheint wiederum die Steiermark nicht unbedingt zu den attraktivsten Plätzen für IT-Fachkräfte zu zählen, wie Otto J. Simon, Gründer des renommierten Internet-Unternehmens Simon Media berichtet: „Trotz Inseraten, in denen wir sogar Unterstützung bei der Wohnungssuche angeboten haben, konnten wir niemand aus dem Wiener Raum für unser Unternehmen begeistern.“ Eine mögliche Lösung für derartige Probleme skizziert Mag. Wolfgang Schinagl, Leiter des Referats für Informations- und Kommunikationstechnologien der WK Steiermark: „Sich IT-Fachkräfte aus dem Ausland zu besorgen wird langfristig kein Thema sein. Denn 50 bis 80% der benötigten Programmierer können in Zukunft tausende Kilometer entfernt vom Sitz des Unternehmens wohnen und dort über das Internet ihre Tätigkeiten erledigen. Für den Aufbau von solchen so genannten virtuellen Teams benötigt es lediglich einen guten Projektmanager und mehr technologische Infrastruktur.“

Neue MitarbeiterInnen durch Mäzenatentum und Sponsoring
Neben solchen Zukunftsvisionen setzt man jedoch mittel- und langfristig auch in der Steiermark auf vermehrte interne Weiterbildung sowie auf Ausbildungspartnerschaften. Eine dieser Kooperationen startet ab Herbst 2001 die HTL Bulme Gösting, wo in einer eigenen „Salomon-Klasse“ MitarbeiterInnen des Logistikunternehmens den Unterricht leiten werden und zum anderen den SchülerInnen die Möglichkeit eines Praktikums im Unternehmen geboten wird. HTL-Direktor Wolfgang Gugl begrüßt diese Initiative: „Wir benennen nicht Klassenräume nach verdienstvollen Personen, sondern eine Schülerklasse nach dem Namen des Ausbildungspartners.“ Auch anderswo bemüht sich die Wirtschaft tatkräftig um zukünftige Spitzenkräfte. So wird mindestens 1000 StudienanfängerInnen an österreichischen Universitäten in den „Bedarfs-Studienrichtungen“ Elektrotechnik und Informationstechnik die Sorge um die Einführung von Studiengebühren durch das Sponsoring von Wirtschaftsbetrieben abgenommen. Weitere Vorteile, so Leitl: „Einerseits bieten sie eine enorme Arbeitsplatzgarantie und andererseits verdienen die Absolventen auch rund 50% mehr als Akademiker anderer Studienrichtungen.“ 

Ausbildung zum steirischen  IT-Spezialisten um weniger als 40.000.-- 
Tatkräftig unterstützt wird die Suche nach zukünftigen MitarbeiterInnen von führenden steirischen IT-Unternehmen auch durch die öffentliche Hand. So fördert etwa „Telekom-Landesrat“ (O-Ton Inserat) DI Herbert Paierl alle 100 Studienplätze der im März startenden einjährigen Fachhochschule IT-Engineer des WIFI Steiermark. Aufgenommen werden von den vielen BewerberInnen allerdings nur jene mit den besten Anwenderkenntnissen. Nach ihrer Ausbildung, während der sie bereits ein ausgiebiges Praktikum in einem der beteiligten Partnerunternehmen genossen haben, warten auf sie lukrative Arbeitsplätze. Durch diese großzügige Landesförderung von beinahe 15 Millionen Schilling bleiben den LehrgangsteilnehmerInnen nur mehr relativ geringe Ausbildungskosten von weniger als 40.000 Schilling für rund 1400 Ausbildungs- und Praktikumsstunden. Noch günstiger steigen die Partner-Unternehmen aus. Sie ersparen sich die Ausbildungskosten zur Gänze und können die Einarbeitungsphase in die Praktika auslagern.



Steirische IT-Unternehmen: 84% beschäftigen weniger als 5 MitarbeiterInnen
Es gibt jedoch auch steirische Wirtschaftsexperten, die eine nüchternere Haltung gegenüber dem vorgeblichen Mangel an IT-Fachkräften an den Tag legen. Mag. Alexander Schwarz, Geschäftsführer der Steirischen Wirtschaftsförderung: „Der Bedarf ist sicher noch da, aber es gibt bereits viele Ausbildungen und innerbetriebliche Weiterbildungen. Man ist daher auf einem guten Weg, um in Zukunft Bedarf und Nachfrage decken zu können.“ Die Zahlen, so Schwarz, würden auch durch viele Start-ups angeheizt. So sei etwa das Ergebnis der Jobmaster-Unternehmensbefragungen, das einen enormen MitarbeiterInnenbedarf  in steirischen IT-Betrieben ergeben habe, eher in die „Nice-to-have-Kategorie“ einzuordnen. Eine seriöse Planung, so Schwarz, reduziere sicher die Dramatik. Ähnlich DI Peter Postl vom steirischen WIFI: „Es ist wie bei allen anderen Moden. Derzeit wird sehr viel Werbung für diesen IT-Fachkräftebereich gemacht. In spätestens eineinhalb Jahren wird es, so meine Einschätzung, damit vorbei sein.“ Es werde in Zukunft, so Postl, vor allem im Bereich Internet zu viel mehr Anwenderfreundlichkeit und Standardisierung kommen. Vieles könnten dann die KundInnen bereits selbst erledigen.
Eine KORSO-Umfrage unter steirischen Webagenturen ergab, dass diese in den nächsten Jahren teilweise noch zusätzlichen Bedarf an IT-Fachkräften erwarten, jedoch in recht geringem Ausmaß. Das mag mit der Betriebsgrößenstruktur der steirischen IT-Unternehmen zusammen hängen. Denn hier stellen „größere“ Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten nur eine Minderheit von knapp 5% aller steirischen IT-Betriebe dar. Bemerkenswert: mehr als 54% haben überhaupt keine/n MitarbeiterIn und weitere 30% beschäftigen weniger als 5 Angestellte.

AMS-Steiermark: 524 arbeitslose IT-Kräfte
Ein Nachfrage beim AMS zeigt noch ein anderes, völlig überraschendes Bild von der Beschäftigtensituation in den rund 30 bis 40 Berufssparten der Kommunikations- und Informationstechnologien. 
So gab es beim AMS Steiermark im vergangenen Jahr insgesamt 524 Zugänge (davon die überwiegende Mehrheit Männer), die sich trotz ihrer Ausbildungen als Systemanalytiker, Programmierer, EDV-Trainer oder Datenbankentwickler arbeitslos gemeldet haben. Ein weiterer Grund, so AMS-Chef Hans Kaiser, etwas misstrauisch zu sein, was den angeblich großen Mangel an Fachkräften in diesem Bereich betrifft. Er verweist zudem auf die Ergebnisse einer Langzeitstudie über die Zahl von Jobangeboten anhand von Inseraten in einer großen steirischen Tageszeitung. Die über ein Jahr durchgeführte Untersuchung ergab für den IT-Bereich eine Nachfrage von lediglich 300 Beschäftigten. 
 

ExpertInnen zum vermeintlichen  IT-Fachkräftemangel (v. l.): Mag. Hermann Gössinger, AMS: Möglichkeiten der Ausländerbeschäftigung kaum genützt; Mag. Wolfgang Schinagl, Wirtschaftskammer: Ausländische IT-Kräfte langfristig kein Thema;  Mag. Alexander Schwarz, steirische Wirtschaftsförderung: In Zukunft wird Bedarf gedeckt werden können

New Economy: Hang zu veralteten Formalkriterien? 
Es scheint so, dass sich wirkliche Nachfrage vorwiegend auf hoch qualifizierte SpezialistInnen beschränkt, von welchen auch viel verlangt wird. So sollen die IT-ExpertInnen der Zukunft in mehr als nur einem Fachbereich gut bewandert sein. WK-Experte Schinagl: „Wichtig sein wird die Verbindung von fachlichen Fähigkeiten mit fundiertem Wissen in den Bereichen Marketing, Logistik, BWL oder Mathematik. Denn gerade viele der kleineren Unternehmen können sich einen ‚bloßen‘ IT-Spezialisten gar nicht leisten und werden eher auf vielseitig Ausgebildete zurückgreifen.“
 Ein weiterer Aspekt erschwert gerade dem Arbeitsmarktservice die Vermittlung von Arbeitslosen, die umgeschult wurden oder Erfahrungen im IT-Bereich vorweisen können: Mag. Karl-Heinz Snobe, Leiter der Abteilung für Qualitätsmanagement im steirischen AMS: „Viele Unternehmen tun sich schwer, ein klares Anforderungsprofil für IT-MitarbeiterInnen zu erstellen.“ An die Stelle eines solchen treten oft formale Qualifikationskriterien wie Universitäts- oder HTL-Abschluss. Alles unter diesem Ausbildungsniveau werde eher abgelehnt. Das zeigen auch Erhebungen der steirischen Wirtschaftskammer. Demnach haben in einem Leitbetrieb mit insgesamt 36 MitarbeiterInnen sieben Beschäftigte einen Universitäts- und drei Personen einen HTL-Abschluss. Weitere 15 besitzen zumindest die Matura. Nicht viel anders stellt sich die Situation in einem anderen durchschnittlichen Betrieb mit 14 Beschäftigten dar: Nur vier Angestellte besitzen keinen höheren Bildungsabschluss.

Lehrlings- und Frauenanteil im IT-Bereich ist unbefriedigend
Dieser Wunsch nach höheren formalen Bildungsabschlüssen scheint auch mit verantwortlich dafür zu sein, dass im IT-Bereich bislang kaum von der Möglichkeit der Lehrlingsausbildung Gebrauch gemacht wurde, obwohl diese bereits seit mehreren Jahren angeboten wird. Christian Kladiva, steirischer Regionalsekretär der GPA: „Es ist enttäuschend, dass per Ende Juni 2000 die Wirtschaft österreichweit nur zwei Lehrlinge zu IT-ElektronikerInnen, weitere zwei zu IT-Kaufleuten und 16 zu InformatikerInnen ausbildete.“ 
Bisweilen, so Mag. Schwarz von der steirischen Wirtschaftsförderung, herrsche bei den Betrieben auch die Mentalität vor: „Staat bilde aus und schicke mir die fertig Ausgebildeten.“  Das kritisiert auch Kladiva: „Die IT-Branche wird sich von der Vorstellung verabschieden müssen, sie könne auf bequeme und kostengünstige Weise den Arbeitskräftebedarf abdecken. Es geht darum, die Jobs attraktiver zu gestalten, insbesondere für Frauen.“
 
 

Mag. Karl-Heinz Snobe, AMS: Viele Unternehmen tun sich schwer, ein klares Anforderungsprofil für IT-MitarbeiterInnen zu erstellen; Michaela Strapatsas, Mafalda:  Es ist allemal schwierig, für Mädchen ausbildungsbereite Unternehmen zu finden; Christian Kladiva, GPA:  Bis Juni 2000 hat die österreichische Wirtschaft lediglich 20 IT-Lehrlinge ausgebildet

Bei vielen Unternehmen herrscht hinsichlich dieser neuen Lehrberufe immer noch ein großes Informationsdefizit. Speziell für weibliche Lehrlinge sucht der Grazer Verein Mafalda durch gezielte Beratungstätigkeit Abhilfe zu schaffen. Zudem werden Mädchen in einem viermonatigen Kurs für ihre Lehre zur Mediendesignerin vorqualifiziert. Michaela Strapatsas, Leiterin des Zentrums für Ausbildungsmanagement bei Mafalda: „Wir bilden Mädchen sowohl fachlich, aber auch im wichtigen Bereich der soft-skills aus. Obwohl sie dadurch in den Betrieben sofort einsetzbar wären, ist es schwierig, für alle 12 Absolventinnen des laufenden Kurses ausbildungsbereite UnternehmerInnen zu finden. Nicht einmal der Anreiz einer zusätzlichen finanziellen Unterstützung der Betriebe für das erste Lehrjahr konnte bisher die Ressentiments gegenüber der Lehrausbildung beseitigen.“

Die vollständigen Interviews sowie weitere Hintergrundinformationen (etwa zum neu in Kraft getretenen Kollektivvertrag der IT-Branche) finden Sie in unserer aktuellen k-punkt-Ausgabe.

Joachim Hainzl

 
FEBRUAR-AUSGABE
k-punkt
WIRSCHAFT UND ARBEIT