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IT-Fachkräfte-Mangel:
Inszenierte Dramatik?
Die Zahlen sind beeindruckend. Österreichweit hat sich die Anzahl
der Unternehmen im Bereich der Informationstechnologien (IT) im letzten
Jahrzehnt vervierfacht. In der Steiermark sind laut Wirtschaftskammer in
der Fachgruppe der Informationstechnologie bereits mehr als 1600 Unternehmen
tätig, die – so heißt es zumindest in einschlägigen Stellungnahmen
– unter Mangel an IT-Fachkräften leiden. KORSO ging der Frage nach
dem tatsächlichen Bedarf an steirischen IT-Arbeitskräften nach
und befragte dazu Experten der Unternehmer- und Arbeitnehmervertretungen,
des Arbeitsmarktservice sowie Weiterbildungsinstitute und steirische IT-Unternehmen.
Bereits 1998 schlug die Wirtschaft Alarm: Die IT-Branche habe sich zu
einer rasanten „Jobmaschine“ entwickelt und suche dringend MitarbeiterInnen.
Der steirische Wirtschaftskammerpräsident Peter Mühlbacher
sah damals für den Zeitraum bis zum Jahr 2002 EU-weit einen Bedarf
von mehr als 1,5 Millionen Fachkräften im Software-, Multimedia- und
Internetbereich. Inzwischen kam es zu einer etwas realistischeren Sicht
der Dinge, mit verursacht durch den Einbruch der New Economy-Aktienkurse
an US-amerikanischen Börsen zu Beginn des Jahres. Durch die Krise
vieler „Start-Up“-Unternehmen kam es zu Entlassungen von Beschäftigten,
so auch in Österreich. Dennoch sieht der österreichische WK-Präsident
Christoph Leitl für Österreich weiterhin einen akuten Bedarf
von mindestens 10.000 IT-Kräften – und dies quer durch alle Branchen.
Große Unternehmen haben großen
Bedarf – an hochkarätigen Fachkräften
Auch in der Steiermark scheint bei den Spitzenunternehmen das Wachstum
ungebrochen. Für ein neu entstehendes Werk von Austria Mikro Systeme
besteht Bedarf an 200 hochkarätigen IT-Fachkräften, unterstreicht
deren Pressesprecher Urs Harnik. Für die nächsten Jahre
rechnet er in der Halbleiterbranche mit jährlichen Wachstumsraten
von mehr als 20%. Ähnlich positiv ist die Stimmung beim steirischen
Logistik-Unternehmen Salomon Automation und bei Infonova, dem größten
steirischen Software-Dienstleister. Für die kommenden drei Jahre schätzen
diese ihren Bedarf auf bis zu 500 zusätzliche IT-Kräfte.
Gesucht werden vorrangig hochkarätige Spezialisten, die allem
Anschein nach in der Steiermark kurzfristig nur schwer zu bekommen sind.
Diese sollen, so die Human-Ressources-Leiterin von Salomon Automation,
Mag.
Elisabeth Schilcher, „nicht nur gestandene Softwareentwickler sein,
sondern auch andere Fähigkeiten und Erfahrungen besitzen, etwa in
den Bereichen Stressbewältigung, Kundenkontakt, Akquisition und Teamarbeit.“
Ausländische IT-Experten oder New-Economy-Gastarbeiter?
Als kurzfristige Lösung wird daher von Seiten der Wirtschaft ein
vermehrter Zuzug ausländischer Fachkräfte angesehen. WK-Präsident
Leitl: „Die nun beschlossene Erhöhung der Ausländerquote für
Fachkräfte um 600 ist nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen
Stein“. Ein anderes Bild zeichnet allerdings der Pressesprecher des steirischen
Arbeitsmarktservice (AMS), Mag. Hermann Gössinger: „Obwohl
es problemlos möglich ist, ausländische IT-Fachkräfte einzustellen,
wird dies von steirischen Unternehmen kaum genutzt.“ So verzeichnete das
AMS im Jahr 2000 lediglich sieben Anträge auf Einstellung ausländischer
Schlüsselkräfte im IT-Bereich. Ein Hauptgrund dafür könnte,
vermutet Gössinger, die Bedingung sein, dass diese ExpertInnen auch
angemessen entlohnt werden müssen, und zwar über der Höchstbemessungsgrundlage
von 44.200.-- Schilling.
Eine andere Ursache für die geringen Zahlen nennt Harnik: „Wir
von Austria Mikro Systeme suchen unsere Arbeitskräfte auch inner-
und außereuropäisch. Aber Spitzenkräfte, die etwa Angebote
aus Silicon Valley haben, überlegen es sich gut, ob sie nach Österreich
kommen wollen. Für uns ist daher weniger die Ausländerquote als
die fehlende Attraktivität Österreichs für Ausländer
das Problem.“
Innerhalb von Österreich scheint wiederum die Steiermark nicht
unbedingt zu den attraktivsten Plätzen für IT-Fachkräfte
zu zählen, wie Otto J. Simon, Gründer des renommierten
Internet-Unternehmens Simon Media berichtet: „Trotz Inseraten, in denen
wir sogar Unterstützung bei der Wohnungssuche angeboten haben, konnten
wir niemand aus dem Wiener Raum für unser Unternehmen begeistern.“
Eine mögliche Lösung für derartige Probleme skizziert Mag.
Wolfgang Schinagl, Leiter des Referats für Informations- und Kommunikationstechnologien
der WK Steiermark: „Sich IT-Fachkräfte aus dem Ausland zu besorgen
wird langfristig kein Thema sein. Denn 50 bis 80% der benötigten Programmierer
können in Zukunft tausende Kilometer entfernt vom Sitz des Unternehmens
wohnen und dort über das Internet ihre Tätigkeiten erledigen.
Für den Aufbau von solchen so genannten virtuellen Teams benötigt
es lediglich einen guten Projektmanager und mehr technologische Infrastruktur.“
Neue MitarbeiterInnen durch Mäzenatentum
und Sponsoring
Neben solchen Zukunftsvisionen setzt man jedoch mittel- und langfristig
auch in der Steiermark auf vermehrte interne Weiterbildung sowie auf Ausbildungspartnerschaften.
Eine dieser Kooperationen startet ab Herbst 2001 die HTL Bulme Gösting,
wo in einer eigenen „Salomon-Klasse“
MitarbeiterInnen des Logistikunternehmens den Unterricht leiten werden
und zum anderen den SchülerInnen die Möglichkeit eines Praktikums
im Unternehmen geboten wird. HTL-Direktor
Wolfgang Gugl begrüßt
diese Initiative: „Wir benennen nicht Klassenräume nach verdienstvollen
Personen, sondern eine Schülerklasse nach dem Namen des Ausbildungspartners.“
Auch anderswo bemüht sich die Wirtschaft tatkräftig um zukünftige
Spitzenkräfte. So wird mindestens 1000 StudienanfängerInnen an
österreichischen Universitäten in den „Bedarfs-Studienrichtungen“
Elektrotechnik und Informationstechnik die Sorge um die Einführung
von Studiengebühren durch das Sponsoring von Wirtschaftsbetrieben
abgenommen. Weitere Vorteile, so Leitl: „Einerseits bieten sie eine enorme
Arbeitsplatzgarantie und andererseits verdienen die Absolventen auch rund
50% mehr als Akademiker anderer Studienrichtungen.“
Ausbildung zum steirischen IT-Spezialisten
um weniger als 40.000.--
Tatkräftig unterstützt wird die Suche nach zukünftigen
MitarbeiterInnen von führenden steirischen IT-Unternehmen auch durch
die öffentliche Hand. So fördert etwa „Telekom-Landesrat“ (O-Ton
Inserat) DI Herbert Paierl alle 100 Studienplätze der im März
startenden einjährigen Fachhochschule IT-Engineer des WIFI Steiermark.
Aufgenommen werden von den vielen BewerberInnen allerdings nur jene mit
den besten Anwenderkenntnissen. Nach ihrer Ausbildung, während der
sie bereits ein ausgiebiges Praktikum in einem der beteiligten Partnerunternehmen
genossen haben, warten auf sie lukrative Arbeitsplätze. Durch diese
großzügige Landesförderung von beinahe 15 Millionen Schilling
bleiben den LehrgangsteilnehmerInnen nur mehr relativ geringe Ausbildungskosten
von weniger als 40.000 Schilling für rund 1400 Ausbildungs- und Praktikumsstunden.
Noch günstiger steigen die Partner-Unternehmen aus. Sie ersparen sich
die Ausbildungskosten zur Gänze und können die Einarbeitungsphase
in die Praktika auslagern.
Steirische IT-Unternehmen: 84% beschäftigen
weniger als 5 MitarbeiterInnen
Es gibt jedoch auch steirische Wirtschaftsexperten, die eine nüchternere
Haltung gegenüber dem vorgeblichen Mangel an IT-Fachkräften an
den Tag legen. Mag. Alexander Schwarz, Geschäftsführer
der Steirischen Wirtschaftsförderung: „Der Bedarf ist sicher noch
da, aber es gibt bereits viele Ausbildungen und innerbetriebliche Weiterbildungen.
Man ist daher auf einem guten Weg, um in Zukunft Bedarf und Nachfrage decken
zu können.“ Die Zahlen, so Schwarz, würden auch durch viele Start-ups
angeheizt. So sei etwa das Ergebnis der Jobmaster-Unternehmensbefragungen,
das einen enormen MitarbeiterInnenbedarf in steirischen IT-Betrieben
ergeben habe, eher in die „Nice-to-have-Kategorie“ einzuordnen. Eine seriöse
Planung, so Schwarz, reduziere sicher die Dramatik. Ähnlich DI
Peter Postl vom steirischen WIFI: „Es ist wie bei allen anderen Moden.
Derzeit wird sehr viel Werbung für diesen IT-Fachkräftebereich
gemacht. In spätestens eineinhalb Jahren wird es, so meine Einschätzung,
damit vorbei sein.“ Es werde in Zukunft, so Postl, vor allem im Bereich
Internet zu viel mehr Anwenderfreundlichkeit und Standardisierung kommen.
Vieles könnten dann die KundInnen bereits selbst erledigen.
Eine KORSO-Umfrage unter steirischen Webagenturen ergab, dass diese
in den nächsten Jahren teilweise noch zusätzlichen Bedarf an
IT-Fachkräften erwarten, jedoch in recht geringem Ausmaß. Das
mag mit der Betriebsgrößenstruktur der steirischen IT-Unternehmen
zusammen hängen. Denn hier stellen „größere“ Unternehmen
mit mehr als 20 Beschäftigten nur eine Minderheit von knapp 5% aller
steirischen IT-Betriebe dar. Bemerkenswert: mehr als 54% haben überhaupt
keine/n MitarbeiterIn und weitere 30% beschäftigen weniger als 5 Angestellte.
AMS-Steiermark: 524 arbeitslose IT-Kräfte
Ein Nachfrage beim AMS zeigt noch ein anderes, völlig überraschendes
Bild von der Beschäftigtensituation in den rund 30 bis 40 Berufssparten
der Kommunikations- und Informationstechnologien.
So gab es beim AMS Steiermark im vergangenen Jahr insgesamt 524 Zugänge
(davon die überwiegende Mehrheit Männer), die sich trotz ihrer
Ausbildungen als Systemanalytiker, Programmierer, EDV-Trainer oder Datenbankentwickler
arbeitslos gemeldet haben. Ein weiterer Grund, so AMS-Chef Hans Kaiser,
etwas misstrauisch zu sein, was den angeblich großen Mangel an Fachkräften
in diesem Bereich betrifft. Er verweist zudem auf die Ergebnisse einer
Langzeitstudie über die Zahl von Jobangeboten anhand von Inseraten
in einer großen steirischen Tageszeitung. Die über ein Jahr
durchgeführte Untersuchung ergab für den IT-Bereich eine Nachfrage
von lediglich 300 Beschäftigten.
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ExpertInnen zum vermeintlichen IT-Fachkräftemangel
(v. l.): Mag. Hermann Gössinger, AMS: Möglichkeiten der Ausländerbeschäftigung
kaum genützt; Mag. Wolfgang Schinagl, Wirtschaftskammer: Ausländische
IT-Kräfte langfristig kein Thema; Mag. Alexander Schwarz, steirische
Wirtschaftsförderung: In Zukunft wird Bedarf gedeckt werden können
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New Economy: Hang zu veralteten Formalkriterien?
Es scheint so, dass sich wirkliche Nachfrage vorwiegend auf hoch qualifizierte
SpezialistInnen beschränkt, von welchen auch viel verlangt wird. So
sollen die IT-ExpertInnen der Zukunft in mehr als nur einem Fachbereich
gut bewandert sein. WK-Experte Schinagl: „Wichtig sein wird die Verbindung
von fachlichen Fähigkeiten mit fundiertem Wissen in den Bereichen
Marketing, Logistik, BWL oder Mathematik. Denn gerade viele der kleineren
Unternehmen können sich einen ‚bloßen‘ IT-Spezialisten gar nicht
leisten und werden eher auf vielseitig Ausgebildete zurückgreifen.“
Ein weiterer Aspekt erschwert gerade dem Arbeitsmarktservice
die Vermittlung von Arbeitslosen, die umgeschult wurden oder Erfahrungen
im IT-Bereich vorweisen können: Mag. Karl-Heinz Snobe, Leiter
der Abteilung für Qualitätsmanagement im steirischen AMS: „Viele
Unternehmen tun sich schwer, ein klares Anforderungsprofil für IT-MitarbeiterInnen
zu erstellen.“ An die Stelle eines solchen treten oft formale Qualifikationskriterien
wie Universitäts- oder HTL-Abschluss. Alles unter diesem Ausbildungsniveau
werde eher abgelehnt. Das zeigen auch Erhebungen der steirischen Wirtschaftskammer.
Demnach haben in einem Leitbetrieb mit insgesamt 36 MitarbeiterInnen sieben
Beschäftigte einen Universitäts- und drei Personen einen HTL-Abschluss.
Weitere 15 besitzen zumindest die Matura. Nicht viel anders stellt sich
die Situation in einem anderen durchschnittlichen Betrieb mit 14 Beschäftigten
dar: Nur vier Angestellte besitzen keinen höheren Bildungsabschluss.
Lehrlings- und Frauenanteil im IT-Bereich ist
unbefriedigend
Dieser Wunsch nach höheren formalen Bildungsabschlüssen scheint
auch mit verantwortlich dafür zu sein, dass im IT-Bereich bislang
kaum von der Möglichkeit der Lehrlingsausbildung Gebrauch gemacht
wurde, obwohl diese bereits seit mehreren Jahren angeboten wird. Christian
Kladiva, steirischer Regionalsekretär der GPA: „Es ist enttäuschend,
dass per Ende Juni 2000 die Wirtschaft österreichweit nur zwei Lehrlinge
zu IT-ElektronikerInnen, weitere zwei zu IT-Kaufleuten und 16 zu InformatikerInnen
ausbildete.“
Bisweilen, so Mag. Schwarz von der steirischen Wirtschaftsförderung,
herrsche bei den Betrieben auch die Mentalität vor: „Staat bilde aus
und schicke mir die fertig Ausgebildeten.“ Das kritisiert auch Kladiva:
„Die IT-Branche wird sich von der Vorstellung verabschieden müssen,
sie könne auf bequeme und kostengünstige Weise den Arbeitskräftebedarf
abdecken. Es geht darum, die Jobs attraktiver zu gestalten, insbesondere
für Frauen.“
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Mag. Karl-Heinz Snobe, AMS: Viele Unternehmen tun
sich schwer, ein klares Anforderungsprofil für IT-MitarbeiterInnen
zu erstellen; Michaela Strapatsas, Mafalda: Es ist allemal schwierig,
für Mädchen ausbildungsbereite Unternehmen zu finden; Christian
Kladiva, GPA: Bis Juni 2000 hat die österreichische Wirtschaft
lediglich 20 IT-Lehrlinge ausgebildet
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Bei vielen Unternehmen herrscht hinsichlich dieser neuen Lehrberufe
immer noch ein großes Informationsdefizit. Speziell für weibliche
Lehrlinge sucht der Grazer Verein Mafalda durch gezielte Beratungstätigkeit
Abhilfe zu schaffen. Zudem werden Mädchen in einem viermonatigen Kurs
für ihre Lehre zur Mediendesignerin vorqualifiziert. Michaela Strapatsas,
Leiterin des Zentrums für Ausbildungsmanagement bei Mafalda: „Wir
bilden Mädchen sowohl fachlich, aber auch im wichtigen Bereich der
soft-skills aus. Obwohl sie dadurch in den Betrieben sofort einsetzbar
wären, ist es schwierig, für alle 12 Absolventinnen des laufenden
Kurses ausbildungsbereite UnternehmerInnen zu finden. Nicht einmal der
Anreiz einer zusätzlichen finanziellen Unterstützung der Betriebe
für das erste Lehrjahr konnte bisher die Ressentiments gegenüber
der Lehrausbildung beseitigen.“
Die vollständigen Interviews sowie weitere Hintergrundinformationen
(etwa zum neu in Kraft getretenen Kollektivvertrag der IT-Branche) finden
Sie in unserer aktuellen k-punkt-Ausgabe.
Joachim Hainzl
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