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„Die Flexibilisierung
ist eine Falle“
Mit einer internationalen Konferenz wurde Mitte Mai die Denkwerkstätte
„Steuerungsebenen der Arbeitsmarktpolitik” des Arbeitsmarktservice Steiermark
abgeschlossen.
Die Forderung von AMS-Chef Hans Kaiser, die unter der wissenschaftlichen
Leitung von Univ-Doz. Dr. Hans Georg Zilian stehenden Denkwerkstätten
des Arbeitsmarktservice sollten einen Blick auf jene sozialen und ökonomischen
Prozesse ermöglichen, die den Arbeitsmarkt bestimmen, kann im Rückblick
zweifellos als erfüllt gelten. Mehr noch: Die ReferentInnen – im Folgenden
ein kurzer Abriss einiger Vorträge – bezogen klare, durchargumentierte
Standpunkte, die in vielem vom unreflektierten Mainstream abwichen.
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Univ.-Prof. Dr. Gunther Tichy, Univ.-Doz.
Dr. Hans Georg Zilian, AMS-Steiermark-Chef
Hans Kaiser (von links) bei der Abschlusskonferenz
der Denkwerkstätte
„Steuerungsebenen der Arbeitsmarktpolitik“ |
„Demografische Entwicklung muss berücksichtigt
werden”
Prof. Ewald Walterskirchen vom Wirtschaftsforschungsinstitut
erläuterte die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswachstum und
Arbeitslosigkeit: Den empirischen Daten zufolge sei ein Wachstum von zumindest
2,4% nötig, damit die Arbeitslosigkeit nicht ansteige, aber: „Die
Europäische Zentralbank, die sich einseitig an der Geldwertstabilität
orientiert, hält jedes Wachstum über 2,25% für inflationsgefährdend.”
Seine Diagnose: „In den letzten Jahren hat man zu sehr auf die Flexibilität
des Arbeitsmarktes und zu wenig auf Förderung des Wirtschaftswachstums
geachtet. Walterskirchen mahnte zudem die Beachtung der demografischen
Entwicklung für die Arbeitsmarktpolitik ein: „Bis ca. 2012 wird es
kein zusätzliches Arbeitskräfteangebot aus der Bevölkerungsentwicklung
geben. Ab dann wird die Zahl der Personen im erwerbstätigen Alter
pro Jahr um 30.000 Personen abnehmen.” Vor allem an qualifizierten Arbeitskräften
– und hier wiederum an HochschulabgängernInnen – werde zunehmender
Mangel herrschen. Aus diesen Erkenntnissen ließen sich auch die zentralen
Ziele einer künftigen Arbeitsmarktpolitik ableiten, die eine Neuorientierung
der Bildungspolitik mit einschließen müsse: Eine bessere Dotierung
von Weiterbildungsmöglichkeiten, in die derzeit nur 10% der gesamten
Bildungsmittel investiert würden, der Ausbau von Kurzstudienmöglichkeiten,
die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen und älteren Menschen
sowie eine liberalere Ausländerpolitik.
„Frauen-Teilzeitarbeit ist keine Globalisierungsfolge”
Der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses war das Thema des Vortrages
von Steffen Lehndorff vom Institut für Arbeit und Technik in
Gelsenkirchen. Die Abkehr von der Regulierung der Arbeitszeit sei Teil
eines gesellschaftlichen Paradigmenwechsels, dessen Ziel die völlige
Marktorientierung von Arbeit sei: „Letztendlich geht es darum, die Konkurrenzbedingungen
bis zum Arbeitsplatz durchzustellen und die Beschäftigten direkt mit
dem Kunden statt mit dem Chef zu konfrontieren.” Die Arbeitszeit werde
an die Schwankungen des Marktes gekoppelt, gearbeitet werde, wenn Arbeit
anfalle: „Die Arbeitszeitorganisation wird zum Konkurrenzparameter.” Mit
der Flexibilisierung der Arbeitszeit steige die Zahl der Teilzeitarbeitsstellen;
„die marginalen Teilzeitbeschäftigungen – das sind solche mit weniger
als 15 Wochenstunden – erleben geradezu einen Boom.” In Deutschland falle
diese Entwicklung mit der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit zusammen,
zwischen ’85 und ’99 sei die Zahl der Teilzeit-Erwerbsstellen von Frauen
um 37% gestiegen. „In anderen Ländern wie Dänemark gibt es noch
eine viel höhere Quote an Teilzeitarbeitsplätzen – aber: Dort
sind das SchülerInnen- und StudentInnenjobs.” Die zunehmende Teilzeitarbeit
von Frauen sei also kein Naturgesetz oder gar eine Globalisierungsfolge,
sondern ganz klar auf die politischen Rahmenbedingungen zurückzuführen
– „etwa auf die schlechte Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen
und auf eine Steuerpolitik, die jene Haushalte bestraft, wo beide Partner
Vollzeit arbeiten.” Gegen diesen Trend seien mehrere Schritte zu setzen:
Die Förderung der marginalen Teilzeitarbeit sei durch deren normale
Besteuerung zu unterbinden, Kinderbetreuungseinrichtungen müssten
ausgebaut werden, und durch Maßnahmen auf allen Ebenen – vom Kollektivvertrag
bis hin zur gesetzlichen Ebene – sei mehr individuelle Wahlfreiheit in
der Gestaltung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Beschneidung der Extreme
(zu lange und zu kurze Arbeitszeiten) zu gewährleisten.
„Lasst euch von der Flexibilisierungspolitik
nicht einfangen”
Eine harsche Kritik der Flexibilisierungs-Ideologie mit ihren drei
konstituierenden Elementen: „Betonung der Effizienz, Rückkehr zu einer
Marktwirtschaft ohne Attribute, Shareholder-Value als einziger Maßstab”
entwickelte schließlich Prof. Gunther Tichy – ehemals Lehrkanzelinhaber
für Volkswirtschaftslehre in Graz, jetzt am Institut für Technikfolgen-Abschätzung
der Akademie der Wissenschaften. „Wahre Effizienz hat im Gegensatz zu den
Effizienzsteigerungskonzepten zahlreicher Unternehmensberater und Manager
eine langfristige Perspektive, Massenkündigungen können zwar
die Betriebsleistungen pro Beschäftigtem rasch steigern, gleichzeitig
geht aber Humankapital verloren.” Die „corporate myopia”, die nur mehr
kurzfristige Perspektiven erlaube, finde ihre Ergänzung in der „policy
myopia” mit ihrer „noch viel gefährlicheren Übertragung betriebswirtschaftlicher
Konzepte auf die Volkswirtschaft, geprägt durch Schlagworte wie ,Unternehmen
Österreich‘ oder ,Österreich AG‘. Die „Marktwirtschaft ohne Attribute”
– also ohne politische Kontrolle und Rücksichtnahme auf soziale und
ökologische Erfordernisse – könne nicht funktionieren, weil es
nur unvollkommene Märkte gebe – und weil es das Ziel aller Großunternehmen
sei, in ihrer Branche zu den weltweit größten Drei zu gehören.
„Wenn sich aber Oligopole herausbilden, ist das ganze Gerede vom Wettbewerb
Gewäsch.” Die Konzentration auf den Shareholder Value sei schließlich
das dritte Element, das langfristig erfolgreiche Unternehmensstrategien
verhindere – der Druck auf die Portfolio-Manager, schnelle Gewinne zu machen,
werde an die Unternehmen weitergegeben.
Der Behauptung, dass mehr Flexibilisierung auch zu einem Anstieg der
Beschäftigung führe, hielt Tichy entegegen, dass das immer wieder
als Beispiel zitierte amerikanische „Beschäftigungswunder” der letzten
Jahre kaum durch stärkere Flexibilisierung erklärbar sei: In
diesem Zeitraum habe in den USA die Zahl der Selbstständigen abgenommen,
die Teilzeitbeschäftigung ebenfalls, und die Einkommensdifferenzen
zwischen niedrigen und mittleren Einkommen seien geschrumpft. Die einzige
Art von Flexibilität, die der zunehmenden Komplexität des Wirtschaftslebens
gerecht werde, sei „Elastizität durch Redundanz, Aufbau von Parallelsystemen,
Monitoring, Dezentralisierung und Job Rotation, Anpassungsfähigkeit
durch flache Hierarchien, aktive Suche nach veränderung, Lernen auf
allen Ebenen.” Für Letzteres sei eine motivierte, stabile Belegschaft
nötig, die sich mit den Firmenzielen identifiziere, weil sie nicht
dauernd unter dem Druck einer möglichen Kündigung stehe. „Firmen,
welche die Ausbildung ihrer Spezialisten selbst in die Hand nehmen und
wieder Instrumente entwickeln, eine Stammbelegschaft mit firmenspezifischem
Wissen aufzubauen und längerfristig zu halten, werden einen erheblichen
Konkurrenzvorsprung erlangen.” Tichys Schlussworte: „Auch wenn die politische
Großwetterlage derzeit eine andere ist: Lasst euch von der Flexibilisierungspolitik
nicht einfangen, sie ist eine Falle.”
Christian Stenner
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