06 / 2001
  „Die Flexibilisierung ist eine Falle“

Mit einer internationalen Konferenz wurde Mitte Mai die Denkwerkstätte „Steuerungsebenen der Arbeitsmarktpolitik” des Arbeitsmarktservice Steiermark abgeschlossen.

Die Forderung von AMS-Chef Hans Kaiser, die unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ-Doz. Dr. Hans Georg Zilian stehenden Denkwerkstätten des Arbeitsmarktservice sollten einen Blick auf jene sozialen und ökonomischen Prozesse ermöglichen, die den Arbeitsmarkt bestimmen, kann im Rückblick zweifellos als erfüllt gelten. Mehr noch: Die ReferentInnen – im Folgenden ein kurzer Abriss einiger Vorträge – bezogen klare, durchargumentierte Standpunkte, die in vielem vom unreflektierten Mainstream abwichen.
 

Univ.-Prof. Dr. Gunther Tichy, Univ.-Doz. Dr. Hans Georg Zilian, AMS-Steiermark-Chef
Hans Kaiser (von links) bei der Abschlusskonferenz der Denkwerkstätte
„Steuerungsebenen der Arbeitsmarktpolitik“

„Demografische Entwicklung muss berücksichtigt werden”
Prof. Ewald Walterskirchen vom Wirtschaftsforschungsinstitut erläuterte die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit: Den empirischen Daten zufolge sei ein Wachstum von zumindest 2,4% nötig, damit die Arbeitslosigkeit nicht ansteige, aber: „Die Europäische Zentralbank, die sich einseitig an der Geldwertstabilität orientiert, hält jedes Wachstum über 2,25% für inflationsgefährdend.” Seine Diagnose: „In den letzten Jahren hat man zu sehr auf die Flexibilität des Arbeitsmarktes und zu wenig auf Förderung des Wirtschaftswachstums geachtet. Walterskirchen mahnte zudem die Beachtung der demografischen Entwicklung für die Arbeitsmarktpolitik ein: „Bis ca. 2012 wird es kein zusätzliches Arbeitskräfteangebot aus der Bevölkerungsentwicklung geben. Ab dann wird die Zahl der Personen im erwerbstätigen Alter pro Jahr um 30.000 Personen abnehmen.” Vor allem an qualifizierten Arbeitskräften – und hier wiederum an HochschulabgängernInnen – werde zunehmender Mangel herrschen. Aus diesen Erkenntnissen ließen sich auch die zentralen Ziele einer künftigen Arbeitsmarktpolitik ableiten, die eine Neuorientierung der Bildungspolitik mit einschließen müsse: Eine bessere Dotierung von Weiterbildungsmöglichkeiten, in die derzeit nur 10% der gesamten Bildungsmittel investiert würden, der Ausbau von Kurzstudienmöglichkeiten, die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen und älteren Menschen sowie eine liberalere Ausländerpolitik.
 

„Frauen-Teilzeitarbeit ist keine Globalisierungsfolge”
Der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses war das Thema des Vortrages von Steffen Lehndorff vom Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. Die Abkehr von der Regulierung der Arbeitszeit sei Teil eines gesellschaftlichen Paradigmenwechsels, dessen Ziel die völlige Marktorientierung von Arbeit sei: „Letztendlich geht es darum, die Konkurrenzbedingungen bis zum Arbeitsplatz durchzustellen und die Beschäftigten direkt mit dem Kunden statt mit dem Chef zu konfrontieren.” Die Arbeitszeit werde an die Schwankungen des Marktes gekoppelt, gearbeitet werde, wenn Arbeit anfalle: „Die Arbeitszeitorganisation wird zum Konkurrenzparameter.” Mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit steige die Zahl der Teilzeitarbeitsstellen; „die marginalen Teilzeitbeschäftigungen – das sind solche mit weniger als 15 Wochenstunden – erleben geradezu einen Boom.” In Deutschland falle diese Entwicklung mit der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit zusammen, zwischen ’85 und ’99 sei die Zahl der Teilzeit-Erwerbsstellen von Frauen um 37% gestiegen. „In anderen Ländern wie Dänemark gibt es noch eine viel höhere Quote an Teilzeitarbeitsplätzen – aber: Dort sind das SchülerInnen- und StudentInnenjobs.” Die zunehmende Teilzeitarbeit von Frauen sei also kein Naturgesetz oder gar eine Globalisierungsfolge, sondern ganz klar auf die politischen Rahmenbedingungen zurückzuführen – „etwa auf die schlechte Versorgung mit Kinderbetreuungseinrichtungen und auf eine Steuerpolitik, die jene Haushalte bestraft, wo beide Partner Vollzeit arbeiten.” Gegen diesen Trend seien mehrere Schritte zu setzen: Die Förderung der marginalen Teilzeitarbeit sei durch deren normale Besteuerung zu unterbinden, Kinderbetreuungseinrichtungen müssten ausgebaut werden, und durch Maßnahmen auf allen Ebenen – vom Kollektivvertrag bis hin zur gesetzlichen Ebene – sei mehr individuelle Wahlfreiheit in der Gestaltung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Beschneidung der Extreme (zu lange und zu kurze Arbeitszeiten) zu gewährleisten.
 

„Lasst euch von der Flexibilisierungspolitik nicht einfangen”
Eine harsche Kritik der Flexibilisierungs-Ideologie mit ihren drei konstituierenden Elementen: „Betonung der Effizienz, Rückkehr zu einer Marktwirtschaft ohne Attribute, Shareholder-Value als einziger Maßstab” entwickelte schließlich Prof. Gunther Tichy – ehemals Lehrkanzelinhaber für Volkswirtschaftslehre in Graz, jetzt am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Akademie der Wissenschaften. „Wahre Effizienz hat im Gegensatz zu den Effizienzsteigerungskonzepten zahlreicher Unternehmensberater und Manager eine langfristige Perspektive, Massenkündigungen können zwar die Betriebsleistungen pro Beschäftigtem rasch steigern, gleichzeitig geht aber Humankapital verloren.” Die „corporate myopia”, die nur mehr kurzfristige Perspektiven erlaube, finde ihre Ergänzung in der „policy myopia” mit ihrer „noch viel gefährlicheren Übertragung betriebswirtschaftlicher Konzepte auf die Volkswirtschaft, geprägt durch Schlagworte wie ,Unternehmen Österreich‘ oder ,Österreich AG‘. Die „Marktwirtschaft ohne Attribute” – also ohne politische Kontrolle und Rücksichtnahme auf soziale und ökologische Erfordernisse – könne nicht funktionieren, weil es nur unvollkommene Märkte gebe – und weil es das Ziel aller Großunternehmen sei, in ihrer Branche zu den weltweit größten Drei zu gehören. „Wenn sich aber Oligopole herausbilden, ist das ganze Gerede vom Wettbewerb Gewäsch.” Die Konzentration auf den Shareholder Value sei schließlich das dritte Element, das langfristig erfolgreiche Unternehmensstrategien verhindere – der Druck auf die Portfolio-Manager, schnelle Gewinne zu machen, werde an die Unternehmen weitergegeben.
Der Behauptung, dass mehr Flexibilisierung auch zu einem Anstieg der Beschäftigung führe, hielt Tichy entegegen, dass das immer wieder als Beispiel zitierte amerikanische „Beschäftigungswunder” der letzten Jahre kaum durch stärkere Flexibilisierung erklärbar sei: In diesem Zeitraum habe in den USA die Zahl der Selbstständigen abgenommen, die Teilzeitbeschäftigung ebenfalls, und die Einkommensdifferenzen zwischen niedrigen und mittleren Einkommen seien geschrumpft. Die einzige Art von Flexibilität, die der zunehmenden Komplexität des Wirtschaftslebens gerecht werde, sei „Elastizität durch Redundanz, Aufbau von Parallelsystemen, Monitoring, Dezentralisierung und Job Rotation, Anpassungsfähigkeit durch flache Hierarchien, aktive Suche nach veränderung, Lernen auf allen Ebenen.” Für Letzteres sei eine motivierte, stabile Belegschaft nötig, die sich mit den Firmenzielen identifiziere, weil sie nicht dauernd unter dem Druck einer möglichen Kündigung stehe. „Firmen, welche die Ausbildung ihrer Spezialisten selbst in die Hand nehmen und wieder Instrumente entwickeln, eine Stammbelegschaft mit firmenspezifischem Wissen aufzubauen und längerfristig zu halten, werden einen erheblichen Konkurrenzvorsprung erlangen.” Tichys Schlussworte: „Auch wenn die politische Großwetterlage derzeit eine andere ist: Lasst euch von der Flexibilisierungspolitik nicht einfangen, sie ist eine Falle.”   

Christian Stenner

 
JUNI-AUSGABE
WIRTSCHAFT UND ARBEIT