|
"Raisons d‘attaquer"
Es dürfte kein historischer Zufall sein, dass die politische
Gegenbewegung gegen den entfesselten Neoliberalismus in Europa ihren Ursprung
in Frankreich hat – dem Land der Aufklärung und der bürgerlichen
Revolution. Dort sind in den letzten Jahren gleich zwei einflussreiche
Organisationen entstanden, die für eine Wiedererringung des Primats
der Politik über die Wirtschaft eintreten und die den „gesellschaftlichen
Menschen” gegen seine erzwungene Unterwerfung unter angebliche wirtschaftliche
Sachzwänge verteidigen.
Innerhalb kurzer Zeit haben beide Gruppierungen sich weit über
die Grenzen Frankreichs hinaus ausgebreitet – und seit wenigen Tagen sind
beide auch in der Steiermark präsent.
"Un otro mundo es posible"
– eine andere Welt ist möglich: Das war – in Anlehnung an das
Motto des Welt-Sozialgipfels im brasilianischen Porto Alegre, von dem er
jüngst zurückgekehrt war – die optimistische Botschaft des Wiener
Journalisten und Filmemachers Leo Gabriel bei der gut besuchten
Auftaktveranstaltung von ATTAC Graz am 3. April. ATTAC: Die offensive Abkürzung
steht für "Association pour une taxation des transactions financières
de l’aide aux citoyens" – "Vereinigung für eine Besteuerung der Finanztransaktionen
zur Unterstützung der Staatsbürger". Damit ist aber, so die Ökonomin
Karin Küblböck von ATTAC Österreich, nur ein Teil
des Tätigkeitsfeldes beschrieben: Nicht nur die Spekulation und ihre
wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen stehen im Visier von ATTAC,
die Organisation kämpft darüber hinaus auch für Steuergerechtigkeit
("Würde die Vermögensbesteuerung bei uns nur auf den OECD-Durchschnitt
angehoben, dann wären 90 Mrd Schilling mehr im Staatssäckel"),
für die Entschuldung der armen Länder des Südens, für
die Beibehaltung und den Ausbau des öffentlichen Pensionssystems und
die Ökologisierung des Steuersystems.
Caritas-Präsident Franz Küberl plädierte bei
der Veranstaltung für einen "gerechten Anteil an den Gütern der
Schöpfung" für alle; auch er unterstützte die Forderung
nach der Einführung einer Tobin-Steuer auf Finanztransaktionen. Mit
Hilfe dieser Steuer, die nur ein oder zwei Promille betragen muss, würden
spekulative Aktionen – die sich ja durch rasch aufeinanderfolgende Käufe
und Verkäufe definieren – unrentabel, während grenzüberschreitende
Zahlungen für Güter oder Dienstleistungen nicht behindert würden.
ATTAC kann dabei auf erste Erfolge verweisen: Im Europäischen Parlament
wurde bereits eine Debatte zum Thema abgehalten, und auch auf Expertenebene
findet die Idee einer Tobin-Tax immer mehr Unterstützer.
|
Kampagnen-ProponentInnen Ingrid Lechner-Sonnek,
Wolfgang Mizelli:
Eigenständiges Wohnen ist für Behinderte
zum großen Teil ein finanzielles Problem |
Eine neue Aufklärung
Während ATTAC sich auf ökonomische Fragen konzentriert und
auch stark aktionsorientiert arbeitet – die großen Mobilisierungen
anlässlich des World Economic Forum in Davos waren unter anderem das
Werk von ATTAC – steht die "Verteidigung des gesellschaftlichen Menschen"
(Franz Schultheis) im Mittelpunkt der Arbeit von "Raisons d’agir".
Der Zirkel um den französischen Star-Soziologen Pierre Bourdieu
("La misère du monde", 1993) versteht sich als eine Art Brain-Trust
einer neuen Aufklärung und Kristallisationspunkt für die Vernetzung
sozialer Bewegungen; gleichzeitig sucht "Raisons d’agir" aber auch die
Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretungen. Franz Schultheis, Professor
für Soziologie in Neuchatel und Vizepräsident von "Raisons d’agir",
berichtet etwa über die geplante Gründung einer Sommeruniversität
der europäischen Gewerkschaften in Zürich, bei welcher "Raisons
d’agir" eine zentrale Rolle spielt.
In Anwesenheit von Schultheis fand am 30. März in Graz das erste
Plattformtreffen von "Raisons d’agir" Steiermark statt. Robert Reithofer
vom Verein ISOP, Organisator dieser ersten Zusammenkunft: "Ein politisch
sichtbares Arbeitsprogramm soll in Bälde erstellt werden." Um dieses
möglichst breit zu gestalten, wurden RepräsentantInnen verschiedenster
gesellschaftlicher Bereiche angesprochen – von GewerkschafterInnen über
Kulturschaffende bis hin zu in der Jugendarbeit Tätigen.
Informationen:
|