02 / 2001
 
Arbeitsmarkt:  Zwischen Steuerungsdefiziten und regionalen Strategien

Arbeitsmarktpolitik wird allzu häufig als rein pragmatische Aufgabe gesehen – ein paar Schulungen hier, ein paar Sanktionen dort, und schon sprudeln perfekt an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasste ArbeitnehmerInnen aus den so genannten „Maßnahmen“.
Ohne solide Kenntnis soziologischer und volkswirtschaftlicher Bedingungen können sich aber vordergründig publicityträchtige Eingriffe der Politik als Schuss in den Ofen erweisen, weiß man im Arbeitsmarktservice (AMS) Steiermark und bemüht sich daher, neben dem „praktischen“ Zugang zur Arbeitsmarktpolitik auch die Theorie nicht zu kurz kommen zu lassen.

Zur theoretischen Auseinandersetzung mit den Problemen eines sich rapide wandelnden Arbeitsmarktes hat AMS-Chef Hans Kaiser die Workshopreihe „Steuerungsebenen der Arbeitsmarktpolitik“ im Rahmen der „Denkwerkstätte Graz“ ins Leben gerufen, die vom renommierten Grazer Sozialwissenschafter Dr. Hans-Georg Zilian geleitet wird.
Anlässlich der Präsentation der Ergebnisse der Vorgänger-Konferenz der aktuellen Denkwerkstätte, die 1999 unter dem Namen „Soziale Sicherheit und Strukturwandel der Arbeitslosigkeit“ abgehalten wurde, diskutierten Soziallandesrat Dr. Kurt Flecker, AMS-Landesgeschäftsführer Hans Kaiser, der Soziologe Univ.-Prof Dr. Claus Offe von der Humboldt-Universität Berlin und Dr. Hans-Georg Zilian über die Veränderungen, die derzeit am Arbeitsmarkt zu beobachten sind – und über sinnvolle Eingriffsmöglichkeiten der Politik.

Spaltung der Arbeitnehmerschaft in „Arbeitsmenschen“ und „Arbeitstiere“?
„Der Turbo-Kapitalismus hat den Mythos von der abnehmenden Wichtigkeit der Arbeit platzen lassen“, konstatierte Zilian einleitend. Festzustellen sei aber eine „neue Bewegtheit“ der Arbeitsmärkte, zurückzuführen auf die „verschärfte Gangart“ des marktwirtschaftlichen Systems: Um ihre wirtschaftlichen Aktivitäten so straff wie möglich zu gestalten, lagern die Unternehmen „Untätigkeit“ (im Fachjargon: slack) in die Gesellschaft aus. Die bisherigen Strategien – gesellschaftliche Finanzierung der Arbeitslosigkeit, Schulungsmaßnahmen, Frühpensionierungen – stoßen nun aus verschiedenen Gründen an ihre Grenzen; angesichts der herrschenden Kräfteverhältnisse bleiben den ArbeitnehmerInnen einzig Lohnkonzessionen als Ausweg. Die Politik der „Aktivierung“ von Arbeitskräften hält Zilian für bedenklich: „Niemand muss aktiviert werden, einen attraktiven Arbeitsplatz anzunehmen; der Druck, der von einer solchen Politik ausgeht, richtet sich gegen schwächere und marginalisierte Arbeitskräfte und trägt damit zur Spaltung der Gesellschaft bei.“ Die Folge werde eine Differenzierung der Arbeitnehmerschaft in „Arbeitsmenschen und Arbeitstiere“ sein, warnte Zilian, der „extremistische Reaktionen“ und damit einhergehend repressive Tendenzen befürchtet.
 

Hans-Georg Zilian (li): „,Aktivierungspolitik‘ richtet sich gegen Benachteiligte"; LR Dr. Kurt Flecker (2. von li): „Soziale Absicherung vermindert Abhängigkeit von schlechten Arbeitsplätzen“; Univ.-Prof. Dr. Claus Offe: „Zu starker Flexibilisierungsdruck führt zur Entmutigung“; AMS-Steiermark-Geschäftsführer Hans Kaiser: „Wenn zentrale Steuerungselemente ausfallen, werden regionale Strategien immer wichtiger

Soziale Absicherung gegen zunehmende Abhängigkeit
Ernüchternd auch die Diagnose von Soziallandesrat Dr. Kurt Flecker: „Die europäischen Regierungen – auch jene, an denen die Sozialdemokratie beteiligt ist – haben es nicht geschafft, dem derzeitigen Trend entgegenzuwirken und die Abhängigkeit der ArbeitnehmerInnen auch von schlechten Arbeitsangeboten zu verringern.“ Ein Grundeinkommen – wie es etwa auch Zilian vorschlägt – hält Flecker für wenig geeignet, die Emanzipation der ArbeitnehmerInnen zu fördern; dabei handle es sich um eine „Sozialisierung des schlechten Gewissens“. Stattdessen sei der Kampf um die „klassische“ soziale Absicherung zu führen – etwa um eine Aufrechterhaltung des bisherigen Umlage-Verfahrens im Pensionssystem.

Flexibilitätsdruck kann zum Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt führen
Die Meinung, Arbeitslose müssten schlichtweg „aktiviert“ werden, hält der Berliner Soziologe Claus Offe überhaupt für naiv. „Die Zeiten, wo Abraham Lincoln sagen konnte: ,If you need a helping hand, look at the end of your right arm‘, sind endgültig passé.“ Denn: Was zur Zeit des ersten amerikanischen Präsidenten für ein Fortkommen in der Arbeitswelt ausreichend war – nämlich die rohe Arbeitskraft – sei heute ohne entsprechende Qualifikation nicht zu verkaufen: „Und die kann der Arbeitnehmer natürlich nicht von sich aus schaffen.“ Da die Arbeitgeber fürchteten, zu viel in die Qualifizierung ihrer MitarbeiterInnen zu investieren, habe man zurzeit mit einer systemischen Unterqualifikation der Arbeitnehmer zu kämpfen.
Auch die Forderung nach mehr Flexibilität – sei es in Bezug auf die Arbeitszeit, die Qualifikation oder den Status der ArbeitnehmerInnen, der zwischen Lohnabhängigkeit und „neuer Selbstständigkeit“ oszilliere, stoße an ihre natürlichen Grenzen: „Flexibel kann man, das beweisen alle soziologischen Erkenntnisse, nur dann sein, wenn man im Falle des Scheiterns mit einem sozialen Netz rechnen kann, das einen auffängt. Sonst tritt allzu rasch Überforderung und Entmutigung ein.“
Beide Phänomene zusammengenommen – die Unterausstattung mit Humankapital und die Überbeanspruchung durch überzogene Flexibilitätsforderungen – führten letztendlich zum Ausschluss vom Arbeitsmarkt. Die Politik der einzelnen EU-Mitgliedstaaten stehe dieser Entwicklung machtlos gegenüber – und die Union weigere sich, die ihr zukommenden Steuerungsaufgaben zu übernehmen.

Regionale Strategien gewinnen an Bedeutung
AMS-Steiermark-Chef Hans Kaiser, der die Denkwerkstätte 1994 ins Leben gerufen hat, stellte die Frage: „Was ist am Arbeitsmarkt überhaupt steuerbar?“ an den Beginn seiner Überlegungen. Nationale Steuerungsprogramme seien in der Union nicht durchführbar, und individuell gut gemeinte Interventionen in den Arbeitsmarkt könnten oft nicht bedachte Auswirkungen haben. So setze etwa die Beschäftigungsbewilligung für ausländische ArbeitnehmerInnen die Marktmechanismen außer Kraft, weil sie die Arbeitskräfte an einen bestimmten Betrieb binde und dieser die von ihm gebotenen Arbeitsbedingungen nicht unter normalen Konkurrenzbedingungen verifizieren müsse; Ähnliches gelte für die Zwangsregeln im Bereich der Arbeitslosenversicherung: „Manchmal müssen Menschen in Jobs gezwungen werden, ohne dass wir beobachten können, welche Konsequenzen sich aus einem solchen Eingriff für die Entwicklung des Gesamtsystems ergeben.“
Einen möglichen Ausweg aus der verfahren scheinenden Situation skizzierte Kaiser unter Rückgriff auf steirische Erfahrungen: „Wenn zentrale Steuerungsmechanismen versagen oder nicht erwünscht sind, gewinnen regionale Strategien zunehmend an Wichtigkeit.“ In nahezu allen Regionen der Steiermark konnten durch lokale Absprachen („Regionale Beschäftigungspakte“) zwischen den Arbeitsmarkt-Akteuren konkrete Ansätze zur Sicherung von Arbeitsplätzen geschaffen werden.
Solche Maßnahmen sind trotz aktuell sinkender Arbeitslosenquote von entscheidender Bedeutung, denn, so Kaiser: „Auch wenn wir 2001 voraussichtlich eine Quote von 5,8% erreichen werden“ – die Hälfte der deutschen Quote, wie Claus Offe anmerkte – „so steigt doch die Betroffenheit: 115.000 SteirerInnen werden in diesem Jahr zumindest einen Tag lang arbeitslos sein, und wir müssen uns sehr bemühen, ihre Wiedereinstiegschancen zu heben.” 
cs
 

 

 
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