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Arbeitsmarkt: Zwischen
Steuerungsdefiziten und regionalen Strategien
Arbeitsmarktpolitik wird allzu häufig als rein pragmatische
Aufgabe gesehen – ein paar Schulungen hier, ein paar Sanktionen dort, und
schon sprudeln perfekt an die Bedürfnisse der Wirtschaft angepasste
ArbeitnehmerInnen aus den so genannten „Maßnahmen“.
Ohne solide Kenntnis soziologischer und volkswirtschaftlicher Bedingungen
können sich aber vordergründig publicityträchtige Eingriffe
der Politik als Schuss in den Ofen erweisen, weiß man im Arbeitsmarktservice
(AMS) Steiermark und bemüht sich daher, neben dem „praktischen“ Zugang
zur Arbeitsmarktpolitik auch die Theorie nicht zu kurz kommen zu lassen.
Zur theoretischen Auseinandersetzung mit den Problemen eines sich rapide
wandelnden Arbeitsmarktes hat AMS-Chef Hans Kaiser die Workshopreihe
„Steuerungsebenen der Arbeitsmarktpolitik“ im Rahmen der „Denkwerkstätte
Graz“ ins Leben gerufen, die vom renommierten Grazer Sozialwissenschafter
Dr. Hans-Georg Zilian geleitet wird.
Anlässlich der Präsentation der Ergebnisse der Vorgänger-Konferenz
der aktuellen Denkwerkstätte, die 1999 unter dem Namen „Soziale Sicherheit
und Strukturwandel der Arbeitslosigkeit“ abgehalten wurde, diskutierten
Soziallandesrat Dr. Kurt Flecker, AMS-Landesgeschäftsführer
Hans Kaiser, der Soziologe Univ.-Prof Dr. Claus Offe von der Humboldt-Universität
Berlin und Dr. Hans-Georg Zilian über die Veränderungen, die
derzeit am Arbeitsmarkt zu beobachten sind – und über sinnvolle Eingriffsmöglichkeiten
der Politik.
Spaltung der Arbeitnehmerschaft in „Arbeitsmenschen“
und „Arbeitstiere“?
„Der Turbo-Kapitalismus hat den Mythos von der abnehmenden Wichtigkeit
der Arbeit platzen lassen“, konstatierte Zilian einleitend. Festzustellen
sei aber eine „neue Bewegtheit“ der Arbeitsmärkte, zurückzuführen
auf die „verschärfte Gangart“ des marktwirtschaftlichen Systems: Um
ihre wirtschaftlichen Aktivitäten so straff wie möglich zu gestalten,
lagern die Unternehmen „Untätigkeit“ (im Fachjargon: slack) in die
Gesellschaft aus. Die bisherigen Strategien – gesellschaftliche Finanzierung
der Arbeitslosigkeit, Schulungsmaßnahmen, Frühpensionierungen
– stoßen nun aus verschiedenen Gründen an ihre Grenzen; angesichts
der herrschenden Kräfteverhältnisse bleiben den ArbeitnehmerInnen
einzig Lohnkonzessionen als Ausweg. Die Politik der „Aktivierung“ von Arbeitskräften
hält Zilian für bedenklich: „Niemand muss aktiviert werden, einen
attraktiven Arbeitsplatz anzunehmen; der Druck, der von einer solchen Politik
ausgeht, richtet sich gegen schwächere und marginalisierte Arbeitskräfte
und trägt damit zur Spaltung der Gesellschaft bei.“ Die Folge werde
eine Differenzierung der Arbeitnehmerschaft in „Arbeitsmenschen und Arbeitstiere“
sein, warnte Zilian, der „extremistische Reaktionen“ und damit einhergehend
repressive Tendenzen befürchtet.
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Hans-Georg Zilian (li): „,Aktivierungspolitik‘
richtet sich gegen Benachteiligte"; LR Dr. Kurt Flecker (2. von li): „Soziale
Absicherung vermindert Abhängigkeit von schlechten Arbeitsplätzen“;
Univ.-Prof. Dr. Claus Offe: „Zu starker Flexibilisierungsdruck führt
zur Entmutigung“; AMS-Steiermark-Geschäftsführer Hans Kaiser:
„Wenn zentrale Steuerungselemente ausfallen, werden regionale Strategien
immer wichtiger
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Soziale Absicherung gegen zunehmende Abhängigkeit
Ernüchternd auch die Diagnose von Soziallandesrat Dr. Kurt Flecker:
„Die europäischen Regierungen – auch jene, an denen die Sozialdemokratie
beteiligt ist – haben es nicht geschafft, dem derzeitigen Trend entgegenzuwirken
und die Abhängigkeit der ArbeitnehmerInnen auch von schlechten Arbeitsangeboten
zu verringern.“ Ein Grundeinkommen – wie es etwa auch Zilian vorschlägt
– hält Flecker für wenig geeignet, die Emanzipation der ArbeitnehmerInnen
zu fördern; dabei handle es sich um eine „Sozialisierung des schlechten
Gewissens“. Stattdessen sei der Kampf um die „klassische“ soziale Absicherung
zu führen – etwa um eine Aufrechterhaltung des bisherigen Umlage-Verfahrens
im Pensionssystem.
Flexibilitätsdruck kann zum Ausschluss
aus dem Arbeitsmarkt führen
Die Meinung, Arbeitslose müssten schlichtweg „aktiviert“ werden,
hält der Berliner Soziologe Claus Offe überhaupt für naiv.
„Die Zeiten, wo Abraham Lincoln sagen konnte: ,If you need a helping hand,
look at the end of your right arm‘, sind endgültig passé.“
Denn: Was zur Zeit des ersten amerikanischen Präsidenten für
ein Fortkommen in der Arbeitswelt ausreichend war – nämlich die rohe
Arbeitskraft – sei heute ohne entsprechende Qualifikation nicht zu verkaufen:
„Und die kann der Arbeitnehmer natürlich nicht von sich aus schaffen.“
Da die Arbeitgeber fürchteten, zu viel in die Qualifizierung ihrer
MitarbeiterInnen zu investieren, habe man zurzeit mit einer systemischen
Unterqualifikation der Arbeitnehmer zu kämpfen.
Auch die Forderung nach mehr Flexibilität – sei es in Bezug auf
die Arbeitszeit, die Qualifikation oder den Status der ArbeitnehmerInnen,
der zwischen Lohnabhängigkeit und „neuer Selbstständigkeit“ oszilliere,
stoße an ihre natürlichen Grenzen: „Flexibel kann man, das beweisen
alle soziologischen Erkenntnisse, nur dann sein, wenn man im Falle des
Scheiterns mit einem sozialen Netz rechnen kann, das einen auffängt.
Sonst tritt allzu rasch Überforderung und Entmutigung ein.“
Beide Phänomene zusammengenommen – die Unterausstattung mit Humankapital
und die Überbeanspruchung durch überzogene Flexibilitätsforderungen
– führten letztendlich zum Ausschluss vom Arbeitsmarkt. Die Politik
der einzelnen EU-Mitgliedstaaten stehe dieser Entwicklung machtlos gegenüber
– und die Union weigere sich, die ihr zukommenden Steuerungsaufgaben zu
übernehmen.
Regionale Strategien gewinnen an Bedeutung
AMS-Steiermark-Chef Hans Kaiser, der die Denkwerkstätte 1994 ins
Leben gerufen hat, stellte die Frage: „Was ist am Arbeitsmarkt überhaupt
steuerbar?“ an den Beginn seiner Überlegungen. Nationale Steuerungsprogramme
seien in der Union nicht durchführbar, und individuell gut gemeinte
Interventionen in den Arbeitsmarkt könnten oft nicht bedachte Auswirkungen
haben. So setze etwa die Beschäftigungsbewilligung für ausländische
ArbeitnehmerInnen die Marktmechanismen außer Kraft, weil sie die
Arbeitskräfte an einen bestimmten Betrieb binde und dieser die von
ihm gebotenen Arbeitsbedingungen nicht unter normalen Konkurrenzbedingungen
verifizieren müsse; Ähnliches gelte für die Zwangsregeln
im Bereich der Arbeitslosenversicherung: „Manchmal müssen Menschen
in Jobs gezwungen werden, ohne dass wir beobachten können, welche
Konsequenzen sich aus einem solchen Eingriff für die Entwicklung des
Gesamtsystems ergeben.“
Einen möglichen Ausweg aus der verfahren scheinenden Situation
skizzierte Kaiser unter Rückgriff auf steirische Erfahrungen: „Wenn
zentrale Steuerungsmechanismen versagen oder nicht erwünscht sind,
gewinnen regionale Strategien zunehmend an Wichtigkeit.“ In nahezu allen
Regionen der Steiermark konnten durch lokale Absprachen („Regionale Beschäftigungspakte“)
zwischen den Arbeitsmarkt-Akteuren konkrete Ansätze zur Sicherung
von Arbeitsplätzen geschaffen werden.
Solche Maßnahmen sind trotz aktuell sinkender Arbeitslosenquote
von entscheidender Bedeutung, denn, so Kaiser: „Auch wenn wir 2001 voraussichtlich
eine Quote von 5,8% erreichen werden“ – die Hälfte der deutschen Quote,
wie Claus Offe anmerkte – „so steigt doch die Betroffenheit: 115.000 SteirerInnen
werden in diesem Jahr zumindest einen Tag lang arbeitslos sein, und wir
müssen uns sehr bemühen, ihre Wiedereinstiegschancen zu heben.”
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