Dr.
Martin Pöschl, Select-Marketingexperte der Steweag
KORSO:
Laut Auskunft der Grazer Stadtwerke haben diese den Bezugsvertrag mit der
Steweag gekündigt?
Pöschl:
Wir sind zur Zeit mit den Grazer Stadtwerken, zu denen wir ein sehr gutes
Verhältnis haben, in sehr positiven Verhandlungen bezüglich einer
Fortsetzung des derzeitigen Select-Partnerschaftsvertrages über das
Ablaufdatum im Frühjahr 2002 hinaus. In diesem Kontext würde
ich derartigen Pressemitteilungen keine allzu große Bedeutung beimessen.
Der laufende Vertrag sieht keine vorzeitige Kündigung vor und die
Quellen solcher Meldungen sind häufig nicht authentisch. Natürlich
dient die öffentliche, unpräzise Bekanntgabe einer Kündigung
auch als Verhandlungsunterpfand, ein im freien Markt nicht unüblicher
Vorgang.
KORSO:
Sind am freien Markt lange Vertragsdauern nicht sittenwidrig?
Der
Partnerschaftsvertrag mit den Grazer Stadtwerken gleicht einem Franchisevertrag,
für den das Gesetz eine maximale Dauer von 5 Jahren vorsieht. Eine
so lange Dauer von Partnerschaftsverträgen entspricht aber nicht unserer
Intention, da der Partner durch die großen Vorteile der auftretenden
Synergien und nicht durch vertragliche Bindung überzeugt werden soll.
Ab einem gewissen Zeitpunkt unfreiwillige Partner wären schlechte
Partner.
KORSO:
Entstehen den Partnern für die Benutzung der Marke Select Kosten?
Pöschl:
Ja, es muss in einen gemeinsamen Markenpool eingezahlt werden, von dem
den Partnern direkt zugute kommende Kommunikationskosten bezahlt werden.
Die Steweag investiert aber zusätzlich einen weit höheren Betrag
in die allgemeine Markenkommunikation, der allen Partnern zugute kommt.
Aber auch weitere Vorteile für unsere Partner liegen auf der Hand:
Durch ein gemeinsames Customer Care Center, koordinierte Vertriebsstrukturen,
gemeinsames Marketing und Kommunikation in einer Hand entstehen den einzelnen
Unternehmen in dem gesamten kundennahen Bereich, dem in Zukunft entscheidende
Wichtigkeit zukommen wird, viel geringere Kosten. Zum anderen habe einige
Partner weitere Geschäftszweige, wie z.B. Installationsunternehmen,
für die sich Cross-selling-Gelegenheiten und Aktivitäten im Rahmen
unserer neuen Dienstleistungen wie dem Home-Service ergeben. Insgesamt
sind die Einsparungen und sowie der Gegenwert der Select-Leistungen weit
höher als die dem Partner entstehenden Kosten.
KORSO:
Zum anderen sind aber die Verhandlungen mit der Gruppe „Energy Services“
gescheitert?
Pöschl:
Nein, auch hier entsteht durch Medienmeldungen ein etwas verzerrtes Bild.
Die Verhandlungen sind noch nicht gescheitert und es wird immer noch verhandelt.
Dennoch ist es klar, dass es zu manchen vornehmlich städtischen EVUs
ein schwierigeres Verhältnis besteht. Für EVUs, deren Hauptgewinne
im Betreiben des Stromnetzes liegen, ist die Notwendigkeit einer Strommarke
zur Verteidigung ihrer Energieerlöse kurzfristig nicht offensichtlich.
Aufgrund dieser Tatsache aber auch weil eine gemeinsame Marke eine koordinierte
Marktpolitik erfordert und somit von manchen Unternehmen als Einschränkung
ihrer Freiheit empfunden wird, haben weniger langfristig orientierte Unternehmen
wenig Interesse am gemeinsamen Stromverkauf bzw. an der Marke Select.
KORSO:
Damit sich die ganzen Investitionen in die Marke Select lohnen, bedarf
es doch einer gewissen Kundenanzahl. Plant man hier, in Zukunft auch außerhalb
der Steiermark aktiv zu werden?
Pöschl:
Wir konzentrieren uns jetzt erst einmal auf die Steiermark und es
sind hier auch noch einige potenzielle Partner hoch interessiert an einer
Übernahme der Strommarke Select und der damit einher gehenden Dienstleistungen
und Synergien für EVUs. Sicher soll Select aber noch weiter verbreitet
werden. Wir sind hier in der Steiermark insoferne benachteiligt, da wir
weit mehr und kleinere Stromversorger haben als in anderen Bundesländern.
Dies bedingt, dass die Kundenzahl der Steweag aber auch die im Vergleich
bereits verdoppelte Kundenzahl der Marke Select im Hinblick auf die „kritischen
Masse“ für ein in Zukunft profitables EVU selbst im österreichischen
Vergleich relativ gering ist. In Großbritannien rechnet man heute
mit etwa 3 Millionen Kunden als kritische Masse für ein langfristiges
Überleben. In Österreich, wo der Konzentrationsprozess noch nicht
einmal richtig begonnen hat, haben wir uns ein erstes Wachstumsziel von
4-500.000 Kunden gesetzt.
KORSO:
Wie hoch ist die derzeitige Select-Kundenanzahl?
Pöschl
Wir sind derzeit bei etwa 300.000 und sind sehr zuversichtlich, durch weitere
Select-Partner bereits in den nächsten Monaten an die 350.000-Marke
heranzukommen.
KORSO:
Hat man darüber hinaus bereits einige weitere Unternehmen als Partner
"im Ärmel"?
Pöschl:
Das ist zu viel gesagt, wir führen derzeit allerdings weitere erfolgversprechende
Verhandlungen und haben Anlass zu Optimismus.
KORSO:
Verschlingt so eine Markeneinführung nicht Unmengen von Geld?
Pöschl:
Wir hatten im Jahr 2000 weitaus geringere Kommunikationsausgaben als andere
Konkurrenten in Österreich, die keine Strommarke eingeführt haben.
Dies ist auf das Führen sehr gezielter Kampagnen aber auch auf das
Verhandeln guter Preise zurückzuführen (was natürlich zur
Verantwortung gegenüber unseren Partnern gehört). Sobald der
Konkurrenzkampf am freien Markt kommt, dann wird es sicher teurer, im Konzert
vieler aufzufallen. Darum haben wir den Faktor Zeit vor der Liberalisierung
genutzt um günstiger zu einem akzeptablen Bekanntheitsgrad zu kommen.
KORSO:
Ist damit zu rechnen, dass dann auch andere Strommarken in der Steiermark
angeboten werden?
Pöschl:
Es ist schwer abzuschätzen, ob große deutsche Strommarken sich
die Steiermark auswählen werden oder sich ein leichter greifbares
Ziel wie Wien mit seiner großen Kundenzahl aussuchen werden.
KORSO:
Was ist nun der Vorteil für die Kunden von Select?
Pöschl:
Der Vorteil besteht bereits heute in der Auswahl zwischen günstigen,
übersichtlichen und innovativeren Preismodellen und zusätzlichen
Dienstleistungen sowie besserem Kundenservice (24h, 7Tage/Woche etc.).
Hinsichtlich des Preismodells ist zu sagen, dass heute in Österreich
allgemein äußerst komplizierte Tarifschemata vorherrschen. Unter
den gesetzlichen Bedingung bis zur vollständigen Deregulierung ist
die Vereinfachung des Preismodells eine sehr schwierige Aufgabe.
KORSO:
Nun meint aber z.B. Dir. Windisch von den Stadtwerken Bruck, dass der Einsatz
eines Call-centers bei den schon vorhandenen persönlichen Kundenbeziehungen
nicht notwendig wäre.
Pöschl:
Wir haben über unseren internationalen Partner sehr gute Zahlen zur
Situation bei Schwesterunternehmen in bereits seit Jahren deregulierten
Märkten. Dort zeigt sich, dass mit dem bloßen Verkauf von Strom
keine großen Gewinne zu machen sind und trotzdem überlegenes
Kundenservice geboten werden muss, um zu bestehen. Dies erfordert die billigste
und effizienteste Struktur, um ein solches Service zu bieten und eine solche
besteht nachweisbar aus einem Customer Care oder Call-Center ausreichender
Größe als zentralem Element. Nur ein solches kann zum
Beispiel ein 24-Stunden-Service, wie Select es bereits anbietet,
kostengünstig realisieren. Wie will sich ein kleines EVU so etwas
leisten? Wie will ein größeres EVU mit derzeitigen dezentralen
Strukturen einheitliche Servicequalität im gesamten Versorgungsgebiet
gewährleisten? Persönliches Service wird in gewissen Bereichen
sicher bleiben, aber das Gros wird sich auf telefonischen Kontakt und Internet-Services
verlagern. Eine Zentralisierung ist auch im Bereich der Abrechnung die
einzig effiziente Lösung.
KORSO:
Gibt es in anderen Ländern, die bereits einen liberalisierten Strommarkt
haben, Erfahrungen bezüglich eines Markenbewußtseins bei Strom?
Pöschl:
Die Daten aus den voll liberalisierten Märkten in Großbritannien,
Schweden oder Deutschland zeigen dass die Awareness der Wahlmöglichkeiten
steigt. Sehr stark etwa in Schweden oder Großbritannien, wo der Wechsel
leicht gemacht wird , aber auch inzwischen in Deutschland wo der Wechsel
am Anfang durch die Anbieter stark behindert wurde. Und was hier zählt
ist die Kombination aus Preis und dem Image des Unternehmens bzw.
der Marke. Die Bekanntheit der Marke oder des Unternehmens ist ein weiterer
wichtiger Faktor.
KORSO:
Wie werden die Auswahlmöglichkeiten für mich als Konsumenten
aussehen?
Pöschl:
Select bietet ja jetzt schon verschiedene Pakete und diese werden sicher
noch erweitert werden. Es wird verschiedene Bindungsdauern geben mit Vorteilen
bei längerer Bindung, es wird Pakete mit mehr oder weniger Service
geben.
Dann
wird es natürlich sicher 10 bis 20 ernst zu nehmende Konkurrenzversorger
geben. Die besser vorbereiteten werden dann in der Lage sein, die versprochenen
Leistungen tatsächlich schnell zu erbringen, andere werden es schwierig
finden, auch nur die Abrechnung klaglos abzuwickeln.
KORSO:
Da hat die Steweag ja zumindest einen gewissen Heimvorteil.
Pöschl:
Im Heimmarkt schon, aber dies gilt für jedes eingesessene EVU. Es
wird dennoch nicht einfach und wir arbeiten mit Hochdruck an den
Vorbereitungen für die Zeit nach dem 1.10. Es wäre Arroganz zu
behaupten, man hätte bereits alles im Griff.
KORSO:
Steweag hat mit der Edf einen Mitbesitzer, der auch Atomstrom produziert.
Gibt es auch bei der Steweag Atomstrom?
Pöschl:
Die Steweag hat sicher keinen Atomstrom. Die Lieferung von Atomstrom aus
Frankreich ist aufgrund der großen Distanz weder physikalisch sinnvoll
noch, aufgrund der Durchleitungsgebühren, wirtschaftlich. Die Steweag
hat einen Stromabsatz von ca. 6000 GWH. Davon werden 4000 GWH in steirischen
Kraftwerken aus Wasserkraft oder kalorisch aus fossilen Brennstoffen erzeugt.
Der Rest wird zum größten Teil aus den Donaukraftwerken der
Verbundgesellschaft zugekauft. Wer solche Diskussionen anzieht, dem
muss man sagen, dass EVUs, die bei ausländischen Lieferanten
kaufen oder bei österreichischen Konkurrenzunternehmen, die im benachbarten
Ausland zukaufen, viel eher deutschen, schweizer oder Ost-Atomstrom beziehen,
dessen Herkunft physikalisch nicht nachweisbar ist.
KORSO:
Wird der Strompreis durch die Marktöffnung sinken?
Pöschl:
Er wird sich langfristig am Großhandelsmarkt, der sich an Strombörsen
und über große Lieferverträge definiert, orientieren. Dieser
ist in Europa durch Überkapazitäten geprägt, was gemäß
Angebot und Nachfrage zu weiter sinkenden Preisen führen müsste.
Die Preise am Endkonsumentenmarkt sind heute aber noch durch extreme
Differenzen zwischen liberalisierten und nicht liberalisierten Märkten
sowie durch unterschiedliche Regulierung der Netztarife geprägt. Fortschreitende
Deregulierung und Vereinheitlichung der Netztarife werden je nach betroffenem
Marktsegment zu Preisanpassungen in beiden Richtungen führen.
In
großen Teilen des Massenkundenmarktes wird der Gesamtpreis von Netz
und Energie zuerst wohl eher sinken. Nach einer Konsolidierung werden die
Preise aber den Gesetzen eines durch physikalische Transportrestriktionen
in seiner Freiheit eingeschränkten Marktes folgend steigen und fallen.
Der
derzeitige Energiepreis am Massenkundenmarkt in Österreich ist durch
die Preisregulierung stark verzerrt und von Bundesland zu Bundesland aber
auch innerhalb der Steiermark sehr verschieden. Hier kann man heute noch
gar nicht von einem Marktpreis für Energie sprechen. Der Gesamtpreis
wird jedoch auch hier abgesehen von einigen Sonderfällen vorerst sicher
fallen.
KORSO:
Wir danken für das Gespräch!
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