Stadtentwicklung neu: Was bleibt vom Grazer Grüngürtel?

Seit März 2000 liegt der aktuelle Entwurf des neuen Grazer Stadtentwicklungskonzeptes (STEK) vor. Darin sind alle für die zukünftige Entwicklung der Stadt wichtigen Entwicklungslinien enthalten – etwa für die Bereiche Arbeit und Wirtschaft, Naturraum und Umwelt, Wohnen, Kultur, Freizeit und Sport und Verkehr. Auf Grundlage dieses Stadtentwicklungskonzeptes soll im Herbst 2000 eine neuer Flächenwidmungsplan beschlossen werden. Dieser regelt im Rahmen des STEK, welche Flächen wie verwendet werden dürfen – ob als Bauland, Industrie- und Gewerbegelände, als Freiland oder für andere Zwecke. Konkrete Bebauungspläne sollten sich in der Folge streng an die Vorgaben des STEK und des Flächenwidmungsplanes halten.
Ein Schwerpunkt des neuen STEK ist der Schutz der für die GrazerInnen wichtigen Grüngebiete am Grazer Stadtrand, des sogenannten „Grüngürtels“. In der Praxis aber wird dieses Prinzip laufend verletzt. KORSO hat im STEK geblättert und an einigen Bürgerversammlungen teilgenommen. 
 

Obwohl der Beschluss des STEK bereits in der Gemeinderatssitzung am 10. Mai erfolgen sollte (aufgrund vermehrter Kritik am Entwurf ist die Beschlussfassung inzwischen auf Juni 2000 verschoben worden), wurde die Bevölkerung erst Mitte April mit einer Postwurfsendung zu lediglich fünf Bezirksversammlungen für die 17 Grazer Bezirke eingeladen. Bei der ersten Präsentation des STEK-Entwurfs in der Salvatorpfarre fanden sich lediglich zehn BürgerInnen ein.

Konkrete Aussagen „sprengen den Rahmen“
Die nächste Veranstaltung – beim Wetzelsdorfer Lindenwirt – war dafür mit mehr als 60 Interessierten recht gut besucht: Viele BürgerInnen waren gekommen, um Auskunft über ganz konkrete Planungsvorhaben zu erhalten, nämlich über die Öffnung der Burenstraße, die Bebauung der KONSUM-Gründe in der Eggenberger Allee sowie die Errichtung der Sturm/GAK-Trainingszentren am Bründlbach. Statt dessen wurden sie mit einer sehr allgemein gehaltenen, beinahe einstündigen Präsentation konfrontiert. Kopfschütteln löste die Aussage von DI Heinz Rosmann, dem Leiter des Grazer Stadtplanungsamtes aus, dass konkrete Aussagen zur Auswirkung des STEK auf die einzelnen Bezirke den Rahmen der Veranstaltung sprengen würden.

Gilt’s oder gilt’s nicht?
Auch darüber, wie verbindlich denn nun das STEK sei, gingen die Meinungen auseinander. Schon das STEK 1990 sei ja von der Realität überrollt worden, meint DI Rosmann. So hätten sich etwa die Bezirkszentren in Andritz, Gösting und St. Peter nicht zu Wirtschaftszentren entwickelt, obwohl entsprechende Flächen als Industrie- und Gewerbeflächen vorgesehen waren. Hier habe man sich, so Rosmann, „von der Wirtschaft belehren lassen müssen“, welche sich aufgrund ihres Bedarfes an großen Handelsflächen an anderen Standorten als im STEK 1990 geplant angesiedelt hat. Die besorgte Frage aus dem Publikum: „Wie verbindlich ist dann überhaupt dieses Entwicklungskonzept?“
Auf diese Frage gibt es zur Zeit zwei Antworten. Dr. Karl Gollner vom Referat Raumordnung der Rechtsabteilung des Landes Steiermark: „Was für die Stadt Graz lediglich eine politische Willensäußerung darstellt, ist nach Ansicht des Landes eine verbindliche, rechtswirksame Verordnung.“ Sollte das STEK keine Verordnung darstellen, so wären weder eine Beeinspruchung durch das Land als Aufsichtsbehörde noch Einwendungen der Bevölkerung möglich. 

Bauland im Grüngürtel: „Aufgefüllt“ und „abgerundet“
Was den Schutz des Grazer „Grüngürtels“ betrifft, sieht die schnöde Realität ebenfalls anders aus als die guten Vorsätze im Stadtentwicklungskonzept.
Der Begriff des „Grüngürtels“ wird unter anderem auch auf Stadtrandgebiete angewandt, in welchen schon eine aufgelockerte Bebauung vorhanden ist. Um jenen, welche sich durch die Definition eines „Grüngürtels“ plötzlich mit ihrem Bauland in einem schützenswerten Bereich wiederfanden, ebenfalls die Möglichkeit zur Bautätigkeit zu geben, wartet Graz mit einer Besonderheit auf – dem „Bauland im Grüngürtel“. Für dieses Bauland gelten jedoch besondere Beschränkungen, wie eine maximale Bebauungsdichte von 0,3 (das heißt, höchstens 30% der Grundstücksflächen dürfen mit Geschossflächen verbaut werden) und einer maximal zweigeschossigen Bauweise. 


Wohnen im Grünen: Ein Wunschtraum von vielen

Um die noch vorhandenen Grünflächen zu schützen, sieht das derzeit gültige STEK von 1990 vor, dass es keine weiteren Baulandausweisungen im Grüngürtel geben dürfe, außer es handle sich dabei um sogenannte „Auffüllungen“ oder „Abrundungen“.
Dieser Umstand wird vom Gemeinderat Mag. Hermann Candussi von den Grazer Grünen kritisiert: Durch diese Praxis werde der Grüngürtel Stück für Stück verkleinert.

Uni-Profs wohnen gerne im Grünen
In Erinnerung sind noch die 1997 beantragten Umwidmungen am Andritzer Rotmoosweg und am Janischhofweg in Mariatrost. Um diese durchführen zu können, wurde vom Gemeinderat mit Zweidrittelmehrheit eine Änderung der Grüngürtel-Definition im STEK vorgenommen. Danach sind „Abrundungen“ im Grüngürtel erlaubt, wenn dies „zur Abdeckung des Baulandbedarfes für ein Wohnen mit gehobenem Standard zweckmäßig ist.“ Was darunter zu verstehen ist, erläutert SPÖ-Gemeinderätin Dagmar Krampl, Mitglied des Raumordnungsunterausschusses. Die Stadt Graz müsse, um eine Abwanderung in die Umlandgemeinden zu verhindern, auch für „gehobenere Bevölkerungsgeschichten“ geeigneten Wohnraum anbieten – etwa für Universitätsprofessoren, die eben lieber am Stadtrand im Grünen wohnen möchten. Im neuen STEK-Entwurf ist diese Formulierung des „gehobenen Standards“, von der auch Gemeinderat Georg Pöllibauer, der Vertreter der FPÖ im Ausschuss, freimütig meint, dass der Stadt hier keine „gescheitere Formulierung eingefallen“ sei, nicht mehr enthalten. Dies wohl auch deshalb, da das Land Steiermark laut DI Michael Redik vom Referat für Landes- und Regionalplanung des Landes bereits rechtliche Schritte gegen diese Bevorzugung von Begüterten eingeleitet hat. „Auffüllungen“ und „Abrundungen“ sind aber weiterhin als Möglichkeiten zur Gewinnung von Bauland im Grüngürtel vorgesehen.
Ob diese auch in Zukunft noch möglich sein werden, wird sich wohl erst in den nächsten Monaten in den Verhandlungen zwischen der Stadt Graz und dem Land Steiermark zeigen.
Entsprechend einer Verordnung des Landes Steiermark dürfte es jedenfalls bereits seit Mai 1996 in Graz zu keinen weiteren Baulandausweisungen im Grüngürtel kommen. 
Der neue STEK-Entwurf sieht aber noch eine weitere Aufweichung der Baubeschränkungen im Grüngürtel vor. Demnach soll an Straßenzügen, welche den Grazer Grüngürtel passieren, wie etwa der Mariatroster Straße, eine „geringfügige Überschreitung“ der Bebauungsdichte zulässig werden. 


Grüngürtel-Gefährdung entlang von Straßenzügen: 
Hier soll die vorgesehene Baudichte überschritten 
werden können (Beispiel: Mariatroster Straße)

Der KPÖ-Gemeinderat und Raumordnungsausschussmitglied Martin Khull-Kholwald-Pidlich kritisiert, dass der Begriff „geringfügige Überschreitung“ im neuen STEK-Entwurf nicht genauer definiert sei: „Da gibt es dann immer einen großen Interpretationsspielraum, der dann auch weidlich ausgenützt wird.“ Und: „Gerade die Achse nach Mariatrost stellt eine wichtige Frischluftschneise dar und sollte daher nicht noch weiter verbaut werden.“

Eine unendliche Geschichte: die „Pongratz-Gründe“
„Die derzeitige Linie der Fraktionen, den Grüngürtel weiter zu verbauen bzw. ,aufzufüllen‘, muss gewisse Grenzen haben und z.B. auch auf die topographischen Verhältnisse und Probleme – wie etwa Frischluftzufuhr für das Stadtgebiet – Rücksicht nehmen.“ Diese klaren Worte findet Dr. Helmut Assmann (SPÖ), Bezirksvorsteherstellvertreter in Waltendorf. Konkreter Anlassfall für seine Besorgnis ist der nun bereits acht Jahre andauernde Konflikt um die geplante Verbauung der 10.000 Quadratmeter umfassenden „Pongratz-Gründe“ an der Waltendorfer Hauptstraße.
Bereits der Erwerb dieses Grundstückes und die letztendliche Umwidmung in Bauland weist eine Reihe von Ungereimtheiten auf. Die Baufirma Pongratz hat das Grundstück 1992 als Freiland gekauft, und zwar unter der Zusage, dass es zu einer Umwidmung in Bauland kommen werde. Da eine solche Umwidmung jedoch nicht erfolgte, wandte sich Pongratz mit einer Forderung nach Entschädigungszahlung an die Stadt Graz. Obwohl eine solche wohl kaum Chancen auf Erfolg gehabt hätte, kam es 1997 dennoch zu einer Umwidmung des Grundstücks in Bauland.


Grüngürtel-Gefährdung durch „Abrunden und 
Auffüllen“– hier von immerhin 10.000 Quadratmetern:
„Pongratz“-Gründe in Waltendorf

Bei der Gemeinderatssitzung am 10. Mai steht nun die Genehmigung des Bebauungsplans für die Pongratz-Gründe auf der Tagesordnung. Im Widerspruch zu den Bebauungsvorschriften im Grüngürtel weist der Plan sehr wohl auch einige dreigeschossige Bauten auf. Begründet wird dies damit, dass sich das Gebiet im Übergangsbereich von Wohngebiet zu Baugebiet im Grüngürtel befinde. Anderer Ansicht ist Bezirksvorsteher-Stellvertreter Herbert Russold (FPÖ). Für ihn ist der dort geplante verdichtete Flachbau der „Tod des Grüngürtels“. Zudem bezweifelt er, dass diese Wohneinheiten gebraucht würden, da in Waltendorf bereits jetzt viele Wohnungen leer stünden.
Inzwischen hat sich sowohl gegen die Umwidmung in Bauland als auch gegen den Bebauungsplan eine breite Front der Ablehnung gebildet. Neben allen Fraktionen des Bezirksrates hat sich auch die „Schutzgemeinschaft Ruckerlberg“ gegen den Bebauungsplan ausgesprochen. Deren Vertreterin Karin Steffen: „Wir haben in kürzester Zeit 1300 Unterschriften gegen dieses Projekt gesammelt. Bei einem Grundstück dieser Größe kann man wohl auch nicht von „Abrunden und Auffüllen“ sprechen.“
Ob der Bebauungsplan tatsächlich die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen wird, ist folglich zu bezweifeln. Gegenüber KORSO hält es GR Pöllibauer sogar für höchst wahrscheinlich, dass es zur Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung kommen werde. Was die grundsätzliche Verhinderung der Bebauung betrifft, ist der Waltendorfer Bezirksvorsteher Ing. Gerhard Szettele (ÖVP) skeptisch: „Mir wäre eine Nichtverbauung lieber, aber angesichts der bestehenden Ausweisung als Bauland wird wohl gebaut werden.“
Sind die Pongratz-Gründe erst einmal bebaut, so ist als nächstes mit einer Umwidmung der angrenzenden „Alkiergründe“ zu rechnen: Obwohl diese im vom Grazer Gemeinderat 1997 beschlossenen Grünraumkonzept zur Schaffung einer Spiel- und Sportfläche bestimmt sind, ist inzwischen laut Stadtplanungsamt auch für dieses riesige Gelände „zukünftig eine Baulandnutzung vorgesehen.“ 

Schloss Kroisbach: Dachdeckerarbeiten als Begründung für Baulandausweisung?
Eine andere strittige Baulandausweisung im Grüngürtel wurde vom Gemeinderat im März dieses Jahres beschlossen. Diese Änderung betrifft ein Grundstück, das zum Schloss Kroisbach gehört. Trotz mehrerer Einwendungen – unter anderem von verschiedenen Ämtern der Steiermärkischen Landesregierung – setzte sich der Gemeinderat für die Umwidmung von rund 3000 m2 Grünfläche ein. 


Schloss Kroisbach: Geld nötig für Dachdeckerabeiten

Die Begründung dafür klingt einigermaßen skurril: „Die Bedeutung des Schlosses Kroisbach ist ausreichend dokumentiert; unbestreitbar ist das öffentliche Interesse an seiner Erhaltung. Wie im Erläuterungsbericht schon angemerkt, können die finanziellen Mittel [für Dacheindeckungsarbeiten] nur aus dem Verkauf von Grundstücken als Bauland aufgebracht werden.“ Unter Einbeziehung eines im Freiland stehenden Wohngebäudes grenze die vorgeschlagene Grünfläche, so der Bericht des Stadtplanungsamtes, „de facto überwiegend an bebaute Fläche an“ und erfülle damit die Bestimmung der „Auffüllung“. Ob das Land als Aufsichtsbehörde des Gemeinderates dieser Argumentation folgen oder einen Untersagungsbescheid ausstellen wird, entscheidet sich erst im Laufe der kommenden Monate. 

Alt-Grottenhof: „Dann müssen wir uns vor die Baumaschinen setzen“
Zur vorwiegend in den Medien ausgetragenen Schlacht ist es schließlich um das größte anstehende Umwidmungsverfahren im Grüngürtel gekommen – um die Errichtung des Mega-Trainingszentrums für die beiden Grazer Bundesligaklubs auf einem Landesgrund von mehr als 15 Hektar, das derzeit zur landwirtschaftlichen Fachschule Alt-Grottenhof zwischen Martinhofstraße, Krottendorfer Straße, Bründlgasse und Gablenzkaserne gehört. 
Um den GrazerInnen die Möglichkeit zu geben, sich vor Ort ein Bild zu machen, lud KORSO in Kooperation mit der landwirtschaftlichen Fachschule Alt-Grottenhof am 27. April zu einer Begehung der in Frage kommenden Flächen ein. 


Alt-Grottenhof: Grüngürtel-Gefährdung durch 
Mega-Fußball-Trainingszentrum

An die sechzig Personen leisteten der Einladung Folge, die meisten von ihnen aus der nächsten Umgebung des Schulgeländes. In der Folge kam es zu einer harten, aber durchaus sachlichen Debatte zwischen den AnrainerInnen, die sich bereits in einer Bürgerinitiative organisiert haben, und dem ebenfalls anwesenden, für die Schule zuständigen Landesschulinspektor Dipl.-Ing. Othmar Tauschmann, der als Trainingszentrum-Befürworter auftrat und mit einer langen Liste ablehnender Argumente konfrontiert wurde: Die Zunahme des Verkehrsaufkommens durch die Errichtung von 300 Parkplätzen wurde dabei ebenso genannt wie die Vernichtung des Biotops am Bründlbach durch dessen Einzäunung, der Verlust der Flächen als Freizeitgelände und grüne Lunge für Tausende Kinder und Jugendliche („das sind wesentlich mehr als die Nachwuchskicker“) und die Unmöglichkeit der Nachnutzung für den Fall, dass die Erfolge der beiden Vereine nachließen: „Wenn diese Böden einmal durch die Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln und Kunstdüngern ruiniert sind, wie sie die Erhaltung von Fußballplätzen erfordert, dann sind sie für zehn Jahre nicht mehr zu gebrauchen“, warnt ein anwesender Experte. DI Dr. Franz Klein, Direktor der mehrfach ausgezeichneten Fachschule, stellt klar: „Zweifelsohne kann die Schule auch nach der Halbierung ihrer Ackerflächen weiter existieren – aber nicht als Ausbildungsstätte für Bio-Bauern. Erstens steht zu befürchten, dass wir wegen der Zunahme des Autoverkehrs rund um unsere Ackerflächen nicht mehr als Bio-Betrieb anerkannt werden; und zudem sind für die biologische Landwirtschaft in der Vielfalt, wie wir sie für den Lehrbetrieb benötigen, einfach größere Flächen nötig als für die konventionelle, weil sie weniger Ertrag erzielt.“
Ein rüstiger Bürgerinitiativenkämpfer jenseits der Siebzig erntet begeisterten Applaus, als er vorschlägt: „Wenn die Politik keinen anderen Argumenten mehr zugänglich ist, müssen wir uns eben vor die Baumaschinen setzen.“
Vielleicht muss es aber nicht so weit kommen: Wie Stadtplanungsamtsleiter DI Rosmann betont, besitzt die Stadtgemeinde Graz  in unmittelbarer  Nähe zum Arnold-Schwarzenegger-Stadion in der Liebenauer Zierlerstraße eine nicht unbeträchtliche Fläche, welche im STEK-Entwurf als Vorbehaltsfläche für Olympische Winterspiele definiert ist, ein wenig aussichtsträchtiges Vorhaben. Und die Grazer Grünen bringen eine weitere Variante ins Spiel: Der GAK soll die Sturm-Trainingsplätze in Messendorf übernehmen, die Schwarz-Weißen dafür auf sieben Hektar des Alt-Grottenhofer Geländes südlich des Bründlbaches ein Trainingszentrum bauen.

Joachim Hainzl, Christian Stenner
 
 
 
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