Gespräch mit Sozialexperten Mag. Karl Wörister von der Wiener Arbeiterkammer

Korso info-server: Wie sehen Sie die Pläne der Bundesregierung zur Reform der Pensionen?

Wörister: Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung an. Rechnungen die von uns, der Arbeiterkammer, angestellt wurden, haben bei der VP/FP-Regierung in den letzten Wochen zu einem Umdenken bei bestimmten Reformplänen geführt. Derzeit ist unklar, was an Reformen tatsächlich kommen wird. Die Frage ist, was man damit bezwecken will. Schon die Pensionsreform 1997, die ja erst ab 1. Jänner 2000 in Kraft getreten ist,  hat ein ziemliches Malus gebracht, mit Abschlägen von 5% für einen früheren Pensionsantritt. Das bringt zwar kurzfristig Geld, längerfristig aber nichts. Bevor man nun eine neue Pensionsreform vorschlägt, hätte man auch abwarten können, was diese nun in Kraft getretenen Abschläge tatsächlich bringen, ob die Menschen dadurch tatsächlich arbeiten oder nicht.

Korso info-server: Ist eine neue Pensionsreform derzeit überhaupt notwendig?

Wörister:An der demographischen Entwicklung kann man sicher nicht vorbeisehen. Aber aufgrund der demographischen Entwicklung in den nächsten paar Jahren besteht kein unmittelbar dringender Handlungsbedarf. Dies hat auch Prof. Rürüp mehrmals festgestellt. Die Zeit könnte genützt werden, um Reformvorstellungen im Detail zu entwickeln und zu diskutieren.
Aus der Sicht der Arbeiterkammer wäre eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik ein sehr wesentlicher Beitrag zur Sicherung der Pensionen (etwa bessere Beschäftigungschancen für Ältere und Menschen mit Behinderungen, höhere Frauenerwerbsquote). 
Kurzfristige budgetpolitische Überlegungen eignen sich nicht für eine Pensionsreform (wie höhere Altersgrenzen, eine Neugestaltung der Pensionsberechnung). Diese erfordern eine gründliche Diskussion und Vorbereitungszeit. Beispiele für gründliche Reformprozesse sind etwa Schweden, das sich für die letzte Pensionsreform 10 Jahre Zeit genommen hat oder die Schweiz mit sogar 14 Jahren!  Eine derartig kurze Diskussionsphase wäre zwar nicht einmalig in Österreich.
Auch 1996 wurde innerhalb kurzer Zeit ua das Bemessungssystem geändert. Da das Ergebnis total intransparent war, wurde es 1997 neuerlich geändert (und ist erst ab 1.1.2000 in Wirkung getreten). Kaum in Kraft, soll das schon wieder geändert werden? Und das in wenigen Wochen? Was ist davon wieder zu erwarten?

Korso info-server: Wie würde sich eine Frühpensionsregelung mit verspätetem Antrittsalter auswirken?

Wörister: Ende 1996 wurde der Zugang zu Frühpensionen erschwert, durch eine Hinaufsetzung der erforderlichen Versicherungszeiten und eine höhere Altersgrenze für die
"vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bei Männern (Anhebung von 55 auf 57 Jahre). Bei dieser Art der Pension handelt es sich um eine Art Invaliditätspension mit großzügigeren Zugangsbestimmungen. In der Folge dieser Pensionsreform ist die Altenarbeitslosigkeit stark angestiegen: Zwischen 1996 und 1999 stieg die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt bei 55-59-jährigen Männern von 10,4% auf 13,6%, bei Frauen von 6,2% auf 9,9%. 
Nach unseren Schätzungen ist durch die geplante neuerliche Anhebung der Altersgrenzen mit zusätzlich 15.000 bis 20.000 Arbeitslosen zu rechnen. Besonders problematisch sind auch die diskutierten Abschläge. Viele können gar nicht wählen, ob sie weiter arbeiten oder früher in Pension gehen, entweder aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit oder aufgrund gesundheitlicher Gründe. Es würde auch eine Fülle von Härtefällen geben, die überhaupt ohne Geld dastehen, da sie etwa auch aus dem Notstandsbezug rausgefallen sind. 
Nach Berechnungen des BM für Arbeit, Gesundheit und Soziales für 1997 (leider gibt's keine neueren Zahlen) waren damals rund die Hälfte der "FrühpensionistInnen" unmittelbar vor Pensionsantritt in keinem Dienstverhältnis mehr.
 

"Frühpensionen" sind bei unselbständig Erwerbstätigen Neuzugänge 1999
vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer
30.000
vorzeitige Alterspensionen wegen Arbeitslosigkeit
 4.200
vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (ab 55 bei Frauen, ab 57 bei Männern)
11.200
Invaliditätspensionen
14.200
SUMME an Neuzugängen
59.200

Von den insgesamt 59.500 neuen Frühpensionen entfielen damit 43% auf Pensionen aus Gesundheitsgründen (vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit und Invaliditätspensionen). Innerhalb der männlichen Arbeiter war dieser Anteil besonders hoch: Von 20.000 Frühpensionierungen erfolgten 13.000 aus Gesundheitsgründen, das sind 65%!  Dieser Aspekt wird bei der Diskussion über die "Frühpensionen" gerne übersehen. 

Korso info-server: Bundeskanzler Schüssel meint, dass ein Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer verhindern sollte, dass diese aufgrund des späteren Pensionsantrittsalters stattdessen in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden.

Wörister: Es gibt derzeit schon ein Bonus-Malus-System für Unternehmen in Bezug auf Arbeitnehmer ab 50 Jahren, das heißt, diese bekommen etwas für die Aufnahme eines älteren Arbeitnehmers und zahlen etwas bei der Kündigung eines solchen. Die Frage ist, ob so ein Kündigungsschutz nicht das Gegenteil produzieren würde, nämlich dass man dann die älteren Arbeitnehmer bereits ab 49 Jahren kündigt.

Korso info-server: Es gibt eine beinahe schon ideologische Diskussion zwischen Befürwortern des Umlage- bzw des Kapitaldeckungsverfahrens.

Wörister: Ein kompletter Umstieg vom Umlageverfahren auf ein Kapitaldeckungsverfahren wird nur mehr von wenigen ernsthaft betrieben, da der Umstieg beachtliche Nachteile hätte. Es würde zu einer Doppelbelastung kommen, da man die derzeitigen und die zukünftigen Pensionen zugleich finanzieren müßte. Und es ist eine volkswirtschaftliche Binsenweisheit, dass die laufende Pension von der laufenden Volkswirtschaft erwirtschaftet werden muss. 
Ein alleiniges Kapitaldeckungsverfahren wäre bei den prognostizierten demographischen Prognosen ebenfalls anfällig. Denn dann müßten weniger mehr produzieren, da ansonsten der Geldwert sinkt und damit auch die Kaufkraft.
Zudem beachtet dieses Verfahren Risiken wie Invalidität oder die Situation von Witwen kaum. Da muss dann, wie man am Beispiel Chile sieht, wieder der Staat eingreifen. Auch in Österreich garantiert ja derzeit der Staat im Unterschied zu einem solchen Kapitaldeckungsverfahren eine Mindestsicherung, durch die Ausgleichszulage bzw die Anrechnung von Kindererziehungs- oder Arbeitslosenzeiten. 

Korso info-server: Ein Kritikpunkt an diesem Verfahren ist auch, dass bei zuviel Kapital die Nachfrage nach diesem sinken würde.

Wörister: Daher hat die Schweiz sich auch für die Beibehaltung der ersten Säule entschieden, um die Grundsicherung zu garantieren. Die Hälfte wird in die zweiten Säule investiert und macht inzwischen bereits mehr als ein Jahres-BIP aus, was ein gewaltiges Volumen ist. Dieses wird großteils in Immobilien angelegt. Wenn diese Werte nun alle gleichzeitig verkauft werden würden, können sie sich die Wertminderung vorstellen und dass so etwas nicht funktionieren würde. Daher wird ein kompletter Umstieg auf das Kapitaldeckungsverfahren nur mehr von wenigen vertreten.

Korso info-server: Auch die FPÖ plädiert für das 3-Säulen-Modell.

Wörister: Wobei meist nicht dazu gesagt wird, dass die zweite Säule einen hohen  Prozentsatz an Verwaltungskosten, etwa durch die Werbekosten der privaten Anbieter, verursacht. Das derzeitige staatliche Umlageverfahren hat einen Verwaltungsanteil von etwa 4%, Private liegen hingegen bei etwa 10%. In Großbritannien beträgt dieser Verwaltungsanteil sogar 25%. Die private Vorsorge funktioniert teilweise ja schon, etwa in dem man sich Wohnungseigentum zulegt.

Korso info-server: Wir danken für das Gespräch.