ao Univ.Prof. Dr. Martin Polaschek (Univ. Graz)
Interview
 
Korso: In der letzten Zeit ist wieder eine lebhafte Diskussion über die Landtage im Gange. Dabei werden, wie etwa vom Rechnungshofpräsident Fiedler, vor allem mögliche ökonomische Einsparungsmodelle und weniger um demokratiepolitische Überlegungen angeführt. Und für den steirischen Landesrat Hirschmann sind die Landtage gar Geldvernichtungsmaschinen.
Polaschek: Ich bin froh über die Aussage des Rechnungshofpräsidenten. Denn es gibt überall Sparpakete, nur nicht im Bereich der Politik. Dabei verdienen die 448 Landtagsabgeordneten einigermaßen viel aber sie haben praktisch keine Kompetenzen. Man kann daher kaum erwarten, dass jene, die am Trog sitzen, sich Gedanken für Reformen machen. Selbst für einen eingefleischten Förderalisten wie es Univ. Prof. Pernthaler ist, gibt es in Österreich nur mehr einen Scheinföderalismus. Meiner Ansicht nach gibt es derzeit für das Volk keine Möglichkeiten, in dieser Struktur seinen Willen zu verwirklichen. Das Problem ist daher nicht die Verfassung oder der Landtag als solcher sondern die politische Klasse. 

Korso: Wie könnte man den Föderalismus beleben?
Polaschek: Eine Idee ist die Stärkung der Länderebene und dass man den Landtagen mehr Kompetenzen gibt. Doch Erfahrungen zeigen, dass eine Dezentralisation auf Gesetzesebene keine Vorteile bringt. So gibt es etwa in Österreich in jedem Bundesland ein eigenes Naturschutzgesetz oder Baugesetz. Das führt dann etwa dazu, dass der gleiche Hund auf der einen Seite des Semmerings einen Maulkorb tragen muss, auf der anderen Seite jedoch nicht. Das gleiche Fertigteilhaus ist nicht in allen Bundesländern gleich aufzustellen. Es geht sogar so weit, dass es je nach Bundesland unterschiedliche Vorgaben für Stiegengeländerbreiten gibt. 
Die Länder sind jedoch wichtig als Identitätsfaktor und für das demokratische Empfinden. Ein Vorschlag für mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten der Länder wäre daher ein sogenannter Generallandtag. Es gibt bereits mehrere Ideen dazu, wobei es sich bei den meisten Wortmeldungen diesbezüglich eher um Worthülsen ohne konkretere Vorstellungen handelt.

Korso: Von Ihnen wurde dazu ein ausführliches Modell ausgearbeitet.
Polaschek: Ja. Danach sollte die Anzahl der Landtagsabgeordneten in allen Bundesländern um die Hälfte reduziert werden (zB Steiermark: 28 statt derzeit 56 Abgeordnete). Da Wien sehr viele Abgeordnete besitzt, sollte es hier eine Reduzierung auf etwa ein Viertel geben. 

Korso: Für viele ist die Senkung der Abgeordnetenzahl jedoch eine demokratiefeindliche Entscheidung, da es vor allem für kleinere Parteien noch schwieriger werden würde, Mitbestimmungsmöglichkeiten zu haben.
Polaschek: Demokratie hängt nicht mit der Abgeordnetenzahl zusammen. So gibt es etwa in den Bundesstaaten der USA verschiedenste Modelle. Während etwa Californien mit seinen 32 Millionen Einwohnern viel weniger Abgeordnete als Österreich besitzt, ist das Repräsentantenhaus des keinen Bundestaates New Hampshire mit seinen 400 Personen die drittgrößte politische Versammlung im englischsprachigen Raum.
Es ist sicher richtig, dass Kleinparteien unter der Senkung der Abgeordnetenzahl mehr leiden würden als große. Aber auch jetzt haben Kleinparteien im Landtag kaum Einflußmöglichkeiten. Um daher die direkte Demokratie und die Partizipationsmöglichkeiten zu fördern, trete ich daher für einen sogenannten „Bürgersonntag“ ein.

Korso: Was ist darunter zu verstehen?
Polaschek: Es handelt sich dabei um die beschränkte Einführung der direkten Abstimmung über Gesetzesvorschläge durch das Volk, wie sie in unterschiedlichen Formen bereits in der Schweiz oder Bayern existiert. Auf diesem Weg hätten alle im Landtag vertretenen Parteien, also auch die Kleinparteien, die Möglichkeit, Gesetzesbeschlüse erreichen zu können, ohne Koalitionen oder vorschnelle Kompromisse finden zu müssen.

Korso: Was würde bei der Installierung des Generallandtags mit dem Bundesrat geschehen? 
Polaschek: Der neu zu installierende Generallandtag sollte in etwa gleiche weitreichende Kompetenzen wie der derzeit bestehende Bundesrat haben, der dann überflüssig wäre. Bereits seine Gründung nach der Verfassung von 1920 war ein Kompromiß zwischen Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten. Obwohl der Bundesrat inzwischen reformiert worden ist und bei Gesetzen mit Länderbezug gegenüber dem Nationalrat ein Einspruchsrecht hätte, wird dieses in der Praxis jedoch kaum genutzt. Der Bundesrat, in den als Bundesräte vom Landtag entsandte Landtagsabgeordnete sitzen ist vielmehr ein Trainingslager für zukünftige Nationalratskandidaten oder ein Ausgedinge für ehemalige NRAbg. 

Korso: Welche Kompetenzen sollte dieser neue Generallandtag besitzen?
Polaschek: Er sollte als starkes Gegengewicht zum Nationalrat existieren und etwa Gesetze vorbereiten, die dann vom Nationalrat nur mehr abgesegnet werden müssen. Dann wäre auch eine leichte Senkung der Abgeordnetenanzahl im Nationalrat möglich. Ansonsten ist die Frage um den Kompetenzbereich ein Nullsummenspiel. Ob gewisse Materien vom Nationalrat oder Generallandtag beschlossen werden sollten,  ist Geschmackssache. Eine internationale Studie hat belegt, dass es außer gewissen Kernkompetenzen keine klare Zuordnung gibt, ob Entscheidungen von der Zentralgewalt oder anderen getroffen werden sollen. Sogar der Bereich der Landesverteidigung zählt dazu.

Korso: Wer sollte diesen Generallandtag leiten?
Polaschek: Der Bundespräsident sollte hier den Vorsitz als Aufsichtsorgan ohne Stimmrecht übernehmen. Landtagspräsidenten sind überflüssig. Die Installation von mehreren Landtagspräsidenten hat ja auch nur mit dem gegenseitigen Mißtrauen der Parteien zu tun und nicht mit der Unmenge an anfallender Arbeit. Denn eigentlich geht es nur um die Moderation der Landtagssitzungen.

Korso: Es gibt jedoch Themen, die tatsächlich nur für ein Bundesland relevant sind.
Polaschek: Ja, dazu zählen etwa die Landesverfassung, das Gemeinderecht oder Kulturangelegenheiten. Daher sollen dafür neben den durch die Bevölkerung gewählten Abgeordneten für den Generallandtag auch noch zusätzliche Abgeordnete für diese Aufgaben mit starker Kontrollfunktion gewählt werden können. Wobei die Bevölkerung in einer Volksabstimmung etwa alle 5-10 Jahre darüber abstimmen kann, wie viele Abgeordnete sie für diese Aufgaben benötigt. Man könnte für diese Abgeordnetenenwahl auch eine für Kleinparteien günstige Wahlordnung schaffen. Damit sollen mehr Möglichkeiten für eine direkte Demokratie geschaffen werden.
Zudem ist es auch möglich, etwa bei einem dann einheitlichen Naturschutzgesetz sehr wohl regionale Differenzierungen hinein zu nehmen.

Korso: Welche Funktionen hätte bei einem Generallandtag dann überhaupt noch eine steirische Landesregierung?
Polaschek: Derzeit entscheidet die Landesregierung ja großteils über äußerst unwichtige Dinge, wie etwa Gemeindestraßengenehmigungen und Ähnlichem. Ihre Mitglieder können zwar leicht etwas verhindern, jedoch gibt es wenig Gestaltungsmöglichkeiten in der Landesregierung. Durch das derzeitige Proporzsystem in der Landesregierung ist diese eng verbunden mit der überwiegenden Mehrheit im Landtag. In meinem Modell sollte die Landesregierung sich dann wichtigeren Aufgaben widmen können und zugleich der Landesparlamentarismus aufgewertet werden. Und um sie von den parteibestimmten Wahlen der Abgeordneten zum Generallandtag abzuheben, sollten die Mitglieder der Landesregierung in einem eigenen Wahlgang direkt gewählt werden und dadurch auch das derzeitige Proporzsystem aufgehoben werden.

Korso: Apropos Parteibestimmt. Wieso sollte in einem Generallandtag die Zusammenarbeit der Länder untereinander bzw. der Abgeordneten eines Bundeslandes über die Parteigrenzen hinweg besser funktionieren als etwa im derzeitigen Bundesrat?
Polaschek: Es stimmt, dass man derzeit im Landtag beim Vorschlag einer Partei die andren gegen sich hat. Man muss daher die Politiker dazu bringen, mehr in Länder- und weniger in Pateiinteressen zu denken. Wenn jedoch im Generallandtag die Abgeordneten auch nach einem Parteiklubzwang abstimmen, dann ist das für die Bürger in den Bundesländern ersichtlich und sie werden bei der nächsten Wahl ihre Meinung dazu ausdrücken. Außerdem ist es auch möglich, dass man die Abgeordneten nicht nach einem Listenwahlrecht wählt.

Korso: Gibt es noch andere Ideen, um die Parteiinteressen hinanzustellen?
Polaschek: Es ist ja auch schon heute so, dass Landesbeamte sich Entwürfe für Gesetze in anderen Bundesländern besorgen, auch parteiübergreifend. Doch sie tun es unter der Hand, weil eben niemand zugeben möchte, dass man die Idee einer anderen Partei in einem anderen Bundesland für gut befindet. Man könnte daher etwa die Ausschüsse regional teilen. So wären etwa Verkehrsbelange besser gestaltbar. Derzeit ist es ja, wie das Beispiel Semmeringtunnel zeigt, leicht, einem Kompromiß aus dem Weg zu gehen. In einem Generallandtagsausschuß würden dann etwa für eine Regelung des Verkehrsraumes Wien-Niederösterreich alle an einem Tisch sitzen.
Man könnte zudem Länderweise wählen oder abstimmen oder im Generallandtag nach Bundesländerzugehörigkeit aufgeteilt Platz nehmen.

Korso: Wäre der deutsche Bundesrat dafür ein gutes Beispiel?
Polaschek: Der deutsche Bundesrat funktioniert recht gut. Jedoch besteht dieser aus Länderregierungsvertretern und nicht Länderabgeordneten, was wiederum Parteiintersen begünstigt. Zudem muss jedes Bundesland mit einer Stimme abstimmen. Was dieses ungesplittete Abstimmen betrifft, bin ich eher skeptisch.

Korso: Von einigen wie etwa Landesrat Hirschmann (ÖVP) wird die Idee eines schlankeren Landtags in einem Atemzug mit der Bildung von drei Großregionen genannt. Sind auch Sie für die Bildung von drei Großregionen statt neun Bundesländern?
Polaschek: Meiner Ansicht nach bringt etwa eine Großregion Süd nichts. Man kann zwar zwei Landtage abschaffen, aber man benötigt den gleichen Verwaltungsaufwand. Ich bin absolut dagegen, da sich dadurch nichts verändert. Man hat dann eben drei statt neun Blöcken. Damit würde man den Bundesländern wieder keine Möglichkeit schaffen, mit anderen Bundesländern zu reden. Hier ist der Generallandtag daher geeigneter: man kann sich mal mit diesen, mal mit jenen Bundesländern finden, je nach Sachbereich. Etwa bei Spitalsbauten, die man dann regionsbezogen planen kann. 

Korso: Wie schätzen Sie die Chancen einer Verwirklichung des Modells eines Generalandtages ein?
Polaschek: Als äußerst gering. Es ist eigentlich nur eine theoretische Diskussion, da zuviele an ihren Ämtern hängen und niemand etwas hergeben will.