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Kein Mensch will die Bundesländer abschaffen. Der österreichische
Föderalismus bedarf jedoch einer grundlegenden Reform, die über
das bloße Verschieben einiger Kompetenzen und eine graduelle Aufwertung
des Bundesrates hinausgeht. Es gibt einige Konzepte, die weiter denken;
sie haben jedoch den "Fehler", eingesessene Machtstrukturen aufzubrechen
und dadurch außerdem Kosten zu sparen, weshalb die Chance auf Verwirklichung
sehr gering ist. Der Vorwurf, die "historisch-politische Individualität"
der Länder würde durch solche Reformen verlorengehen, geht ins
Leere, zumal das jeweilige Landesbewußtsein der Bürgerinnen
und Bürger nur zu einem kleinen Teil durch den politischen Bereich
genährt wird.
Auf keinem Gebiet der Verfassung hat es so viele Reformvorschläge
gegeben wie bezüglich des Föderalismus - und auf keinem wurden
so wenige so halbherzig verwirklicht. Obwohl sich Politik und Wissenschaft
seit langem darin einig sind, daß das föderalistische System
Österreichs einer grundlegenden Erneuerung bedarf, sind entsprechende
Schritte bislang unterblieben. Eine Zeit lang erhöhte der bevorstehende
EU-Beitritt die Chancen der Länder, eine Besserstellung zu erreichen;
der schließlich 1992 zwischen Bund und Ländern im "Perchtoldsdorfer
Abkommen" ausgehandelte Kompromiß wurde allerdings bis heute nicht
verwirklicht ...
In den letzten Jahren wurden einige "radikalere" Vorschläge präsentiert,
die eine viel weitergehende Reform zum Inhalt haben. Bezeichnender Weise
stammen sämtliche aus der Steiermark und entstanden im Umfeld des
"Modell Steiermark". Die Bereitschaft der politischen Klasse, sich mit
diesen Ideen intensiver auseinanderzusetzen, blieb bis auf wenige Ausnahmen
gering, würden sich doch die eingespielten Machtverhältnisse
von Grund auf ändern.
"Großregionen" und ein "Generallandtag"
Den Anfang machte der steirische Landesrat Gerhard Hirschmann, der im
Sommer 1997 die provokante Frage stellte, ob die Länder in ihrer heutigen
Form überhaupt noch sinnvoll seien. Obwohl es Hirschmann nicht um
eine generelle Abschaffung der Länderebene, sondern um eine sinnvolle
Neugestaltung des Bundesstaates ging, nahmen die Medien vor allem die (in
dieser Form nicht gemeinte) Zusammenlegung der Länder zu drei Großregionen
auf. Dabei hatte auch Hirschmann nicht vor, in einem grenzüberschreitenden
Europa der Zukunft neue Grenzbildungen anzustreben. Im Gegenteil: Die Kritik
richtete sich gegen die aufgrund des EU-Beitrittes und der allgemeinen
gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung nur mehr wenig praktikable
Organisation der Länderebene - nicht, um sie zugunsten einer allmächtigen
Zentrale in Wien abzuschaffen, sondern um sie zu stärken.
Der Grazer Universitätsprofessor Hannes Pichler nahm den Gedankengang
Hirschmanns auf und schlug die Ersetzung der neun Landesparlamente durch
einen gemeinsamen "Generallandtag" vor. In diesem Modell würden die
Länder ihre jetzigen Kompetenzen behalten, diese aber gemeinsam ausüben.
Anstatt neun Jugendschutzgesetzen würde der Generallandtag also ein
"Landesjugendschutzgesetz" für alle Länder (beziehungsweise mit
Sonderbestimmungen für einzelne Länder) beschließen. Außerdem
kämen ihm die Aufgaben des bisherigen Bundesrates zu; die Tagungen
fänden abwechselnd in den Ländern statt. Da dem Generallandtag
nur mehr die Stimmführer der jeweils in einem Land vertretenen Parteien
mit einem dem Anteil an Wählerstimmen entsprechenden Stimmgewicht
angehören würden, könnten massive personelle Einsparungen
vorgenommen werden. Neben der Tätigkeit im Generallandtag würden
die einzelnen "Landesdelegationen" ihre "landesspezifischen" Angelegenheiten
(Wahl des Landeshauptmannes, Kontrollrechte usw) allein beraten. Für
diese Aufgaben würden allerdings ehrenamtliche Mandatare genügen,
wodurch es zu massiven Einsparungen kommen könnte.
Der Vorteil einer solchen Struktur wäre eine Vereinheitlichung
der verschiedenen Landesgesetze und die Möglichkeit, länderübergreifende
Planungen vorzunehmen. Die Landesparlamente würden durch diese Machtballung
gegenüber den Landesexekutiven wieder etwas an Gewicht gewinnen und
den einzelnen Abgeordneten mehr an Einfluß und Prestige zukommen.
Durch die "Vorbildwirkung" dieser neuen Landesgesetze würde auch der
Wettbewerbsdruck für die Bundesgesetzgebung (also den Nationalrat)
steigen, da er in gewisser Konkurrenz zum Parlament der Länder stünde.
Weiters könnten die Länder durch ihr geschlossenes Auftreten
allgemein mehr Druck gegenüber dem Bund ausüben.
Moderne Strukturen für alte
Institutionen
Ein weiteres Konzept stammt von Bernd Schilcher, ebenfalls Professor
an der Universität Graz. Die Gemeinde- und Bezirksverwaltungsebene
wird von ihm wie ein Betrieb angesehen, dem eine Holding (= das Land) und
der Konzern (= der Bund) übergeordnet sind. Neben der Bundes- und
Landesebene schlägt er die zusätzliche Bildung von drei Regionen
vor: Ost (Burgenland, Niederösterreich und Wien), Mitte (Kärnten,
Oberösterreich und Steiermark) und West (Salzburg, Tirol und Vorarlberg).
Schilcher teilt die 448 Landtagsabgeordneten auf: Der Bundesrat besteht
in diesem Modell aus einem Drittel der Landtagsabgeordneten (151 - die
bisherigen 64 Bundesräte fallen weg), die jeweils für zwölf
Monate von "ihrem" Land nach Wien gesandt werden. Von den 297 in den Ländern
verbliebenen Abgeordneten wird ein halbes Drittel für die drei Regionalparlamente
abgestellt. Diesem stünde ein dreiköpfiger Regierungsausschuß
vor, dem je ein Mitglied der drei Landesregierungen angehört; die
Landesregierungen selbst würden auf je drei Mitglieder verkleinert
werden! In den Landtagen blieben dadurch insgesamt 223 Abgeordnete. Diese
Kürzungen beträfen auch die Bundesregierung (fünf Mitglieder)
und den Nationalrat (151 Abgeordnete). Dem folgten auch Kürzungen
auf Beamtenebene.
Der am meisten ins Auge springende Vorteil ist die Kosteneinsparung:
Es fallen 11 Mitglieder der Bundesregierung, 32 Nationalratsabgeordnete,
64 Bundesräte und 40 Mitglieder der Landesregierungen weg. Zuzüglich
der Einsparung bei begleitendem Personal und Parteienförderungen ergäbe
sich eine jährliche Einsparung von rund 550 Millionen Schilling.
Bei einer wie auch immer gearteten Dreiteilung müßte man
jedoch bedenken, daß sich dadurch das Problem nur auf eine höhere
institutionelle Ebene verschiebt. Es gibt keine historische Begründung
dafür, beispielsweise Oberösterreich, Kärnten und Steiermark
zu einer Region zu verbinden. Daneben gäbe es genauso gute Gründe,
die Steiermark mit dem Burgenland zu verbinden oder Kärnten mit Salzburg.
Andererseits wären solche Regionen natürlich politisch wie auch
wirtschaftlich stärkere Einheiten gegenüber dem Bund und gegenüber
den anderen Regionen in der EU.
Ein Vorschlag für eine umfassende
Bundesstaatsreform
Aufbauend auf diesen Überlegungen wurde von mir im Rahmen des "Modell
Steiermark" im Mai 1999 eine Studie fertiggestellt, die eine umfassende
Reform des österreichischen Bundesstaates vorschlägt, ohne den
Bestand der Länder an sich anzugreifen. Die Landtage werden generell
auf die Hälfte der bisherigen Abgeordnetenzahl gekürzt - allfällige
landesinterne "Aufstockungen" sind durch Volksabstimmung und auf Zeit möglich.
Die Landtagsabgeordneten (rund 200) bilden gleichzeitig den Generallandtag,
der anstelle des Bundesrates an der Bundesgesetzgebung mitwirkt und mehr
Rechte, etwa hinsichtlich der Entscheidung über die Kompetenzverteilung,
bekommt. Dadurch würde die Gesetzgebung auf beiden Ebenen effizienter
und zugleich kostengünstiger. Durch die Gleichstellung von Nationalrat
und Generallandtag wäre eine sinnvolle Arbeitsteilung und eine bessere
Koordination von Länder- und gesamtstaatlichen Interessen möglich.
Das gemeinsame Forum des Generallandtags ermöglichte auch eine verstärkte
Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ländern, was die formelle Errichtung
von Großregionen hinfällig macht. Die flexible Kooperation würde
die Länder innerstaatlich wie auch international stärken.
Erfreulicher Nebeneffekt der Umgestaltung der Gesetzgebung wäre
eine dadurch mögliche Reduktion von Abgeordneten- und Regierungssitzen
auf Bundes- und Länderebene, was insgesamt eine jährliche Einsparung
von rund einer dreiviertel Milliarde Schilling mit sich brächte! Als
Ausgleich für die geringere Zahl von Abgeordneten sollten auf Länderebene
verstärkt direktdemokratische Elemente eingeführt werden; die
Verfassungsautonomie der Länder wäre ebenfalls zu erweitern.
Das Landesbewußtsein würde durch eine solche Reform nicht angegriffen.
Das Ausmaß, ja überhaupt der Bestand der Landespolitik hat nur
einen geringen Einfluß auf die jeweilige Identität der Landesbürgerinnen
und -bürger. Da die gesetzgebenden und administrativen Organe des
Landes im wesentlichen erhalten blieben, ja zum Teil sogar aufgewertet
würden, wäre ein Verlust der Eigenständigkeit der Länder
nicht zu befürchten.
Literatur
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Gerhard Hirschmann, Wer wagt, gewinnt - vielleicht, in: Alfred Payrleitner
(Hg), Aufbruch aus der Erstarrung. Neue Wege in die österreichische
Politik, Wien 1999, 145-148
-
Johannes W. Pichler, Föderalismus, ja und immer wieder ja, in: Föderalismussymposium
"Wozu Länder?". Reformnotwendigkeiten und -möglichkeiten im österreichischen
Bundesstaat, Graz 1998, 13-24
-
Martin F. Polaschek, Föderalismus als Wert? Eine Studie zu Reformmöglichkeiten
des österreichischen Bundesstaates, erstellt im Auftrag des Modell
Steiermark, Graz 1999
-
Bernd Schilcher, Die neue Arbeitsteilung: Bund - Länder - Gemeinden
= Konzern - Holding - Betrieb, in: Föderalismussymposium "Wozu Länder?".
Reformnotwendigkeiten und -möglichkeiten im österreichischen
Bundesstaat, Graz 1998, 27-40
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