Grazer Stadtentwicklungskonzept:
Zurück an den Start?
Bereits im heurigen Frühjahr sollte im Gemeinderat das neue
Grazer Stadtentwicklungskonzept (STEK) beschlossen werden, das entscheidende
Richtlinien für die nächsten zehn Jahre vorgeben soll. Dazu kam
es aufgrund der auch von KORSO ausführlich dargestellten Mängel
des Konzeptes nicht. Seit Oktober liegt nun ein revidierter Entwurf vor,
dennoch kommt weiterhin von verschiedenen Seiten heftigste Kritik.
Das Fehlen eines klaren Grünraum- und Verkehrskonzeptes sowie die
Sorge um die Erhaltung des Grüngürtels – vor allem im Grazer
Süden – standen Ende November im Mittelpunkt einer mit mehr als 120
BürgerInnen sehr gut besuchten Podiumsdiskussion, veranstaltet von
der „Plattform Grazer Bürgerinitiativen“.
Wie wichtig ist das STEK eigentlich für uns GrazerInnen? Die Stadt-Verantwortlichen
hatten zunächst versucht, seine Bedeutung herunterzuspielen: Es sei
bloß eine „politische Willensäußerung“ und nicht bindend.
Nach einem verfassungsrechtlichen Gutachten, das im Sommer 2000 fertig
gestellt wurde, musste die Stadt allerdings eingestehen, dass das STEK
sehr wohl den bindenden Charakter einer Verordnung hat, ebenso wie etwa
die vom Gemeinderat beschlossenen Sachprogramme „Grünraum“ oder „Verkehr“.
Zu wenig konkrete Ziele?
Der Leiter des Grazer Stadtplanungsamtes, DI Heinz Rosmann,
bemängelt die fehlende Resonanz aus der Bevölkerung, die für
ihn jedoch verständlich sei. Rosmann: „Das abstrakte STEK interessiert
die wenigsten.“ Das erste Grazer Stadtentwicklungskonzept sei Ende der
70er Jahre unter vorbildlicher Bürgerbeteiligung entwickelt worden.
Aber diese Mitarbeit, so Rosmann, habe bei vielen Beteiligten zu Frustrationen
geführt, da die Moderatoren damals den BürgerInnen die „Grenzen
der Bürgerbeteiligung“ nicht klar gemacht hätten. Das Stadtentwicklungskonzept
definiere, so Rosmann, nur allgemeine Raumordnungs-Ziele. Detailmaßnahmen
seien erst im nachfolgenden Flächenwidmungsplan und in konkreten Bebauungsplänen
regelbar.
Eine gänzlich andere Ansicht hierzu vertrat der Architekt und
Raumplaner DI Helmut Hoffmann im Lauf der Debatte. Er fordert,
dass das STEK konkreter sein müsse. „Die Stadtplanung hat viel zu
wenige Inhalte. Es braucht Zukunftswerkstätten auf Bezirksebene und
einen Fachbeirat für Planung und Umsetzung.“ Ihn stört, dass
der vorliegende STEK-Entwurf trotz anhaltender Kritik eher eine Leitbildfunktion
denn Verordnungscharakter habe und kein konkretes Entwicklungsprogramm
darstelle.
|
Raumplaner Arch. DI Helmut Hoffmann: „Das Management
städtischer Zentralräume darf nicht internationalen Konzernen
überlassen werden.“ Bürgerinitiativen-Sprecherin |
„Entwurfsänderungen haben Alibifunktion“
Dass das STEK noch nicht beschlossen worden ist, liegt wohl zu einem
Großteil auch an den vielen Einwändungen von BürgerInnen,
Initiativen und Bezirksräten, aber auch der grünen Rathausfraktion
und der SPÖ gegenüber diesem seit Anfang März 2000 vorliegenden
Papier. Stattdessen wurde im Oktober 2000 ein neuer STEK-Entwurf der Öffentlichkeit
präsentiert. Für Dr. Eveline Kirchner, Sprecherin der
Plattform Grazer Bürgerinitiativen, haben die Änderungen jedoch
höchstens Alibifunktion.
|
Dr. Eveline Kirchner: „Wenn Grünflächen zu
Industrieflächen und Einkaufszentren umgewidmet werden, droht eine
Zunahme der Verkehrs- und Umweltbelastung.“ |
Weiterhin ungestoppt sei die Zerstörung des Grüngürtels
sowie die endgültige Umfunktionierung der südlichen Stadtbezirke
in Eldorados für Industrie und Einkaufszentren. Kirchner: „Durch Ausweisungen
von Industrieflächen oder Flächen für Einkaufszentren auf
bisherigen Grünflächen kommt es zu einer Erhöhung des Verkehrs,
der Lärm- und Umweltbelastung.“
Wirtschaftsinteressen bestimmen Stadtentwicklung?
Ähnliche Kritik kommt von Hoffmann. Die Stadtpolitik habe es verabsäumt,
klare planerische Vorgaben für Bezirkszentren zu machen, stattdessen
entwickeln sich an den Ausfallsstraßen auf anarchische Weise Industrie-
und Gewerbeagglomerate. Hoffmann: „Das Management von Zentren darf nicht
internationalen Konzernen überlassen werden.“ Das bestätigt indirekt
auch SPÖ-Gemeinderat Hans Pammer: „Sagen wir es, wie es ist:
oft sind wir Gemeinderäte Getriebene von wirtschaftlichen Interessen“.
|
Noch mehr Einkaufszentren im Grazer Süden? |
Unternehmen winken mit Hunderten neuen Arbeitsplätzen und stellen
dafür Forderungen, denen allzu oft nachgegeben würde. Für
die Grüne Landtagsabgeordnete Mag. Edith Zitz ist die auffallend
schnelle Entwicklung des STEK ebenfalls ein Indiz für die erfolgreiche
Lobbyarbeit bestimmter Gruppen. Dieses Eingehen auf die Interessen einzelner
Unternehmen führe jedoch, so Zitz, dazu, dass viele Menschen aufgrund
sinkender Wohn- und Lebensqualität in Grazer Umlandgemeinden ziehen.
Dadurch wiederum geht der Stadt Graz ein enormes Steuervolumen verloren.
Liebenau: Bereits jetzt Luftbelastung wie in
Donawitz
Diese schlechte Lebensqualität ist vor allem im Grazer Süden
mit seinem großen Defizit an Grünraum augenfällig. Wie
Dr.
Gustav Mittelbach vom Liebenauer Sozialmedizinischen Zentrum (SMZ)
betont, ist die Liebenauer Luft ähnlich stark mit krankheitserregenden
Schadstoffen belastet wie jene im Industriestandort Donawitz. Sollte das
geplante STEK beschlossen werden, würden an die 50% der spärlichen
Grünflächen des Bezirks in zukünftige Industriestandorte
umgewidmet werden.
|
Dr. Gustav Mittelbach (SMZ): „Luft ist in Liebenau ähnlich
stark belastet wie in Donawitz.“ |
Der Bezirksrat von Liebenau hat sich daher bereits im April 2000 gegen
die vorgesehene Ausweitung der Gewerbe- und Industrieflächen ausgesprochen,
da diese dann ein Viertel der gesamten Bezirksfläche ausmachen würden.
Auch in den Bezirken Straßgang und Wetzelsdorf sehen die BürgerInnen
durch den STEK-Entwurf ihre Ängste hinsichtlich einer weiter ansteigenden
Verschlechterung ihrer Lebens- und Wohnqualität bestätigt. Grünflächen,
wie etwa jene der Landesnervenklinik Sigmund Freud, sollen demnach weiteren
Einkaufszentren weichen.
Zurück an den Start?
Damit es nicht dazu kommt, wünscht sich die Plattform der Grazer
Bürgerinitiativen vom Gemeinderat ein Eingehen auf ihre Forderungen
und einen Aufschub des geplanten STEK-Beschlusses im Jänner 2001.
Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht. Denn auch die Grazer
SP-Vorsitzende Tatjana Kaltenbeck-Michl lässt am STEK kein
gutes Haar und zeigt Verständnis für die Interessen der Bürgerinitiativen:
„Ich verstehe, dass sich in den betroffenen Bezirken BürgerInnen und
Bezirksvorstehungen ‚überfahren‘ fühlen.“ Statt einer von oben
herab verordneten Stadtentwicklung fordert sie daher Transparenz über
die eingebrachten Bürgereinwände. Im Dezember 2000 noch will
die Grazer SPÖ klären, ob sie dem vorliegenden STEK-Entwurf in
dieser Form zustimmen wird. Falls nicht, dann ist beim zukünftigen
Stadtentwicklungskonzept wieder alles offen.
|