12 / 2000
  Grazer Stadtentwicklungskonzept: 
Zurück an den Start?
 

Bereits im heurigen Frühjahr sollte im Gemeinderat das neue Grazer Stadtentwicklungskonzept (STEK) beschlossen werden,  das entscheidende Richtlinien für die nächsten zehn Jahre vorgeben soll. Dazu kam es aufgrund der auch von KORSO ausführlich dargestellten Mängel des Konzeptes nicht. Seit Oktober liegt nun ein revidierter Entwurf vor, dennoch kommt weiterhin von verschiedenen Seiten heftigste Kritik.  Das Fehlen eines klaren Grünraum- und Verkehrskonzeptes sowie die Sorge um die Erhaltung des Grüngürtels – vor allem im Grazer Süden – standen Ende November im Mittelpunkt einer mit mehr als 120 BürgerInnen sehr gut besuchten Podiumsdiskussion, veranstaltet von der „Plattform Grazer Bürgerinitiativen“.

Wie wichtig ist das STEK eigentlich für uns GrazerInnen? Die Stadt-Verantwortlichen hatten zunächst versucht, seine Bedeutung herunterzuspielen: Es sei bloß eine „politische Willensäußerung“ und nicht bindend. Nach einem verfassungsrechtlichen Gutachten, das im Sommer 2000 fertig gestellt wurde, musste die Stadt allerdings eingestehen, dass das STEK sehr wohl den bindenden Charakter einer Verordnung hat, ebenso wie etwa die vom Gemeinderat beschlossenen Sachprogramme „Grünraum“ oder „Verkehr“. 

Zu wenig konkrete Ziele?
Der Leiter des Grazer Stadtplanungsamtes, DI Heinz Rosmann, bemängelt die fehlende Resonanz aus der Bevölkerung, die für ihn jedoch verständlich sei. Rosmann: „Das abstrakte STEK interessiert die wenigsten.“ Das erste Grazer Stadtentwicklungskonzept sei Ende der 70er Jahre unter vorbildlicher Bürgerbeteiligung entwickelt worden. Aber diese Mitarbeit, so Rosmann, habe bei vielen Beteiligten zu Frustrationen geführt, da die Moderatoren damals den BürgerInnen die „Grenzen der Bürgerbeteiligung“ nicht klar gemacht hätten. Das Stadtentwicklungskonzept definiere, so Rosmann, nur allgemeine Raumordnungs-Ziele. Detailmaßnahmen seien erst im nachfolgenden Flächenwidmungsplan und in konkreten Bebauungsplänen regelbar.
Eine gänzlich andere Ansicht hierzu vertrat der Architekt und Raumplaner DI Helmut Hoffmann im Lauf der Debatte.  Er fordert, dass das STEK konkreter sein müsse. „Die Stadtplanung hat viel zu wenige Inhalte. Es braucht Zukunftswerkstätten auf Bezirksebene und einen Fachbeirat für Planung und Umsetzung.“ Ihn stört, dass der vorliegende STEK-Entwurf trotz anhaltender Kritik eher eine Leitbildfunktion denn Verordnungscharakter habe und kein konkretes Entwicklungsprogramm darstelle. 
 

Raumplaner Arch. DI Helmut Hoffmann: „Das Management städtischer Zentralräume darf nicht internationalen Konzernen überlassen werden.“ Bürgerinitiativen-Sprecherin

„Entwurfsänderungen haben Alibifunktion“
Dass das STEK noch nicht beschlossen worden ist, liegt wohl zu einem Großteil auch an den vielen Einwändungen von BürgerInnen, Initiativen und Bezirksräten, aber auch der grünen Rathausfraktion und der SPÖ gegenüber diesem seit Anfang März 2000 vorliegenden Papier. Stattdessen wurde im Oktober 2000 ein neuer STEK-Entwurf der Öffentlichkeit präsentiert. Für Dr. Eveline Kirchner, Sprecherin der Plattform Grazer Bürgerinitiativen, haben die Änderungen jedoch höchstens Alibifunktion. 
 

Dr. Eveline Kirchner: „Wenn Grünflächen zu Industrieflächen und Einkaufszentren umgewidmet werden, droht eine Zunahme der Verkehrs- und Umweltbelastung.“ 

Weiterhin ungestoppt sei die Zerstörung des Grüngürtels sowie die endgültige Umfunktionierung der südlichen Stadtbezirke in Eldorados für Industrie und Einkaufszentren. Kirchner: „Durch Ausweisungen von Industrieflächen oder Flächen für Einkaufszentren auf bisherigen Grünflächen kommt es zu einer Erhöhung des Verkehrs, der Lärm- und Umweltbelastung.“

Wirtschaftsinteressen bestimmen Stadtentwicklung?
Ähnliche Kritik kommt von Hoffmann. Die Stadtpolitik habe es verabsäumt, klare planerische Vorgaben für Bezirkszentren zu machen, stattdessen entwickeln sich an den Ausfallsstraßen auf anarchische Weise Industrie- und Gewerbeagglomerate. Hoffmann: „Das Management von Zentren darf nicht internationalen Konzernen überlassen werden.“ Das bestätigt indirekt auch SPÖ-Gemeinderat Hans Pammer: „Sagen wir es, wie es ist: oft sind wir Gemeinderäte Getriebene von wirtschaftlichen Interessen“. 
 

Noch mehr Einkaufszentren im Grazer Süden?

Unternehmen winken mit Hunderten neuen Arbeitsplätzen und stellen dafür Forderungen, denen allzu oft nachgegeben würde. Für die Grüne Landtagsabgeordnete Mag. Edith Zitz ist die auffallend schnelle Entwicklung des STEK ebenfalls ein Indiz für die erfolgreiche Lobbyarbeit bestimmter Gruppen. Dieses Eingehen auf die Interessen einzelner Unternehmen führe jedoch, so Zitz, dazu, dass viele Menschen aufgrund sinkender Wohn- und Lebensqualität in Grazer Umlandgemeinden ziehen. Dadurch wiederum geht der Stadt Graz ein enormes Steuervolumen verloren.

Liebenau: Bereits jetzt Luftbelastung wie in Donawitz
Diese schlechte Lebensqualität ist vor allem im Grazer Süden mit seinem großen Defizit an Grünraum augenfällig. Wie Dr. Gustav Mittelbach vom Liebenauer Sozialmedizinischen Zentrum (SMZ) betont, ist die Liebenauer Luft ähnlich stark mit krankheitserregenden Schadstoffen belastet wie jene im Industriestandort Donawitz. Sollte das geplante STEK beschlossen werden, würden an die 50% der spärlichen Grünflächen des Bezirks in zukünftige Industriestandorte umgewidmet werden. 
 

Dr. Gustav Mittelbach (SMZ): „Luft ist in Liebenau ähnlich stark belastet wie in Donawitz.“

Der Bezirksrat von Liebenau hat sich daher bereits im April 2000 gegen die vorgesehene Ausweitung der Gewerbe- und Industrieflächen ausgesprochen, da diese dann ein Viertel der gesamten Bezirksfläche ausmachen würden. Auch in den Bezirken Straßgang und Wetzelsdorf sehen die BürgerInnen durch den STEK-Entwurf ihre Ängste hinsichtlich einer weiter ansteigenden Verschlechterung ihrer Lebens- und Wohnqualität bestätigt. Grünflächen, wie etwa jene der Landesnervenklinik Sigmund Freud, sollen demnach weiteren Einkaufszentren weichen. 

Zurück an den Start?
Damit es nicht dazu kommt, wünscht sich die Plattform der Grazer Bürgerinitiativen vom Gemeinderat ein Eingehen auf ihre Forderungen und einen Aufschub des geplanten STEK-Beschlusses im Jänner 2001. Die Chancen dafür stehen gar nicht so schlecht. Denn auch die Grazer SP-Vorsitzende Tatjana Kaltenbeck-Michl lässt am STEK kein gutes Haar und zeigt Verständnis für die Interessen der Bürgerinitiativen: „Ich verstehe, dass sich in den betroffenen Bezirken BürgerInnen und Bezirksvorstehungen ‚überfahren‘ fühlen.“ Statt einer von oben herab verordneten Stadtentwicklung fordert sie daher Transparenz über die eingebrachten Bürgereinwände. Im Dezember 2000 noch will die Grazer SPÖ klären, ob sie dem vorliegenden STEK-Entwurf in dieser Form zustimmen wird. Falls nicht, dann ist beim zukünftigen Stadtentwicklungskonzept wieder alles offen.
 
 
Joachim Hainzl
 

 
Als Service des Korso infoServers finden Sie in Zukunft unter 
www.korso.at/korso/buergerinitiativen eine Liste von Bürgerinitiativen, geordnet nach den Grazer Bezirken!

 
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