11 / 2001
  Stadt- oder Schrottkrone?

Die Grazer Stadtkrone bestehend aus der Burg, dem Dom und dem Mausoleum, dem Priesterseminar und der alten Universität, dem Schauspielhaus und dem Karmeliterkloster, nimmt eine herausragende städtebauliche Stellung ein. Umso aussagekräftiger ist der Zustand dieses historischen Bereichs.
Der öffentliche Raum der Stadtkrone wird nahezu vollständig als Kfz-Abstellfläche benutzt. Alle Höfe (1. Burghof, 2. Burghof, der Hof des Priesterseminars), die Plätze (Freiheitsplatz und Karmeliterplatz), der Pfauengarten und alle Straßenzüge (Hofgasse, Burggasse, Bürgergasse) dienen dem ruhenden Kfz-Verkehr, sodass die ironische Bezeichnung „Schrottkrone“ nahe liegt.
Das mächtige Objekt des Priesterseminars scheint nach der Sanierung noch immer Nutzungspotenziale aufzuweisen. Angestrebte Gastronomieprojekte wurden im Sinne der ursprünglichen Bestimmung nicht realisiert.
Die alte Universität in der Hofgasse soll als Repräsentationstrakt des Landeshauptmannes adaptiert werden. Nach einem Wettbewerb liegt ein konkretes Projekt vor. 
Im Komplex der Burg befinden sich gotische Bauelemente wie die Doppelwendeltreppe, die Friedrichshalle, die derzeit als Abstellraum missbraucht wird, oder die Burgkapelle, die durch eine eingezogene Zwischendecke entfremdet wurde. Die Orangerie im Burggarten steht – abgesehen von vereinzelten Events – ungenutzt.
Für das Fresko des Thomas von Villach am Dom mit der frühesten Darstellung von Graz werden weiterhin Sanierungsstrategien gesucht. Das Hoforatorium und die Romualdkapelle über der Barbarakapelle des Doms werden derzeit restauriert. Das berühmte gotische Altarbild des Grazer Domes steht nach wie vor im Unteren Belvedere in Wien. 
Das Mausoleum Ferdinands II. als bedeutendstes Bauwerk des Manierismus befindet sich in einem bedauernswerten baulichen Zustand. Die Eigentumsfrage ist offenbar ungeklärt. 
Der im Schauspielhaus befindliche Redoutensaal ist als historischer Veranstaltungsraum aus dem Bewusstsein der Grazer Öffentlichkeit entschwunden. 
 

Blechhalden auf den öffentlichen Flächen der Stadtkrone so weit das Auge reicht: hier der Burghof

Aus städtebaulicher Sicht bleibt der Abschnitt der Hofgasse zwischen Burg und Dom unbefriedigend. Die historisch geschlossene Bebauung entlang der Hofgasse wurde zerstört und konnte durch bauliche Maßnahmen nach 1945 nicht ersetzt werden. Dieser Befund der Grazer Stadtkrone bekräftigt die Notwendigkeit der Klärung einiger grundsätzlicher Fragen. 
Die Nutzung der alten Universität und des Priesterseminars als historische und bauliche Einheit sollte nochmals überdacht werden. Im Sinne einer nachhaltigen Belebung der Stadtkrone wäre doch die Rückholung einzelner Teile der Karl-Franzens-Universität an den Ort ihrer Gründung zu empfehlen. Die theologische Fakultät bietet sich naturgemäß an. Als Alternative ist an die Universität für Musik und Darstellende Kunst zu denken, die schon jetzt das alte Gymnasium im „Taubenkogel“ benutzt. Unter Einbeziehung des Objektes Hofgasse 12 und der alten Universität entstünde eine neuer universitärer Altstadtkomplex, der zur Wiederbelebung der Stadtkrone dauerhaft beitragen könnte. Die städtebaulich unbefriedigende Situation zwischen dem 1. Burghof und dem gotischen Dom kann durch eine bauliche Intervention, die die geschlossene Bebauung entlang der Hofgasse wieder herstellt, gelöst werden. Dieser Eingriff sollte die gesamte Länge zwischen dem Trompetergang bis zum Schauspielhaus umfassen. In diesem Zusammenhang ließe sich auch eine Anbindung des Redoutensaales als Repräsentationsraum des Landes an den Burgkomplex herstellen.
Die Schaffung eines Burgmuseums bestehend aus der Friedrichshalle, der Burgkapelle mit dem Grazer Altarbild der Kreuzigung von Conrad Laib, der Doppelwendeltreppe und sonstigen noch zu entdeckenden historischen Elementen wäre auch eine attraktive Maßnahme in Richtung Kulturhauptstadt Graz 2003.
Der Pfauengarten sollte schließlich nach der Standortentscheidung bezüglich des Grazer Kunsthauses beim Eisernen Haus wieder dem Stadtpark zugeordnet und der Horizont der bisherigen Tiefgaragen-Debatte erweitert werden.


 
NOVEMBER-AUSGABE
STADTENTWICKLUNG 
UND ÖFFENTLICHER RAUM