|
Engpass im Gemeindebau
Die Stadt Graz gerät bei der Wohnversorgung
von Menschen mit niedrigen Einkommen zunehmend unter Druck: Bei der Vergabe
von Gemeindewohnungen wird es in Zukunft ziemlich eng werden.
Mangel an Gemeindewohnungen
Konnten 1993 bis 1997 noch 873 Wohnungen vom
Wohnungsamt zur Verfügung gestellt werden, so waren es in den letzten
Jahren (1997 bis einschließlich 2002) nur mehr 77. Bedingt durch
Änderungen in den Förderrichtlinien, die zu großen Unsicherheiten
bei den MieterInnen führten, kam es außerdem zu einem drastischen
Rückgang an Freimeldungen für Gemeindewohnungen. Der für
die Vergabe, aber nicht für die Errichtung zuständige Stadtrat
Ernst
Kaltenegger weist auch auf einen Mangel an Wohnungen für Alleinstehende
und Großfamilien hin. "Die Stadt Graz muss in den nächsten Jahren
Grundstücke für Wohnbauten bekommen, es müssen auch Single-Wohnungen
errichtet werden. Und: Es müssen billige Wohnungen gebaut werden,
damit die Menschen nicht von der Wohnbeihilfe abhängig sind."
|
|
|
|
Dr. Klaus Posch, Steirische
Wohnplattform (li): "Der Bedarf an Wohnungen ist doppelt so hoch wie der
Bestand."
Stadtrat Ernest Kaltenegger
(re):"„Durch Zusammenlegung der Kompetenzen Wohnungsneubau und Wohnungsvergabe
könnte man den Bedürfnissen besser gerecht werden."
|
SOWOST – Akute Hilfe gegen Obdachlosigkeit
Trotz des hohen Ausmaßes an Wohnungsnot
und der verhältnismäßig geringen Mittel, welche die öffentliche
Hand zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit zur Verfügung stellt,
gelang es dem Sozialen Wohnungsforum Steiermark (SOWOST) in den vergangenen
15 Jahren mehr als 1500 Personen eine Wohnung zu verschaffen. Die Zahl
der Obdachlosen in der Steiermark wird derzeit auf 2.000 bis 2.500 geschätzt,
wobei die Dunkelziffer vor allem bei Frauen laut Dr. Klaus Posch von
der Steirischen Wohnplattform noch darüber hinaus gehen dürfte.
Die SOWOST verfügt derzeit über 58 Wohnungen, von denen 33 die
Stadt Graz zur Verfügung gestellt hat. "In vielen Fällen ist
eine eigene Wohnung der erste Schritt zurück ins soziale Leben", so
Caritasdirektor Franz Küberl. Die Gründe für Obdachlosigkeit
sind meist vielschichtig, Auslöser sind häufig persönliche
Schicksalsschläge. "Wenn man einen Menschen, den man sehr liebt, verliert,
verliert man sich selbst", formuliert ein Betroffener, der durch viele
persönliche Missgeschicke auch seine Wohnung verloren hat.
|
Sowost-Bewohner Franz Wallner: "Ich habe
nicht nur eine Wohnung, sondern auch wieder einen Job. Mein Leben macht
wieder Sinn." |
Der erste Schritt ins "normale" Leben – "Wohnen
lernen"
SOWOST-Wohnungen werden maximal zwei Jahre zur
Verfügung gestellt, die BewohnerInnen sollen in dieser Zeit wieder
lernen selbstständig zu wohnen. Danach ist der Umzug in eine Gemeindewohnung
vorgesehen. Einige benötigen mehr Zeit um in ein eigenständiges
Leben zurückzufinden, bei vielen wirkt die Unterbringung in einer
menschenwürdigen Wohnung aber in der Tat als Starthilfe auf dem Weg
in die "Normalität".
Franz Wallner lebte 15 Jahre in einem
Abbruchhaus und ist jetzt seit einiger Zeit Mieter einer SOWOST-Wohnung.
"Ich habe es geschafft. Ich habe sogar meine Wohnung selbst eingerichtet,
auch die Dusche ist aus meiner eigenen Tasche bis auf den letzten Schilling
abbezahlt", erklärt er stolz. Johann Ederer, Sozialarbeiter
der Caritas und Wohnbetreuer von Franz Wallner, erzählt von den vielen
Anfangsschwierigkeiten, die dieser mit der neu erworbenen Selbstständigkeit
hatte: "Er hatte keinerlei Papiere, keinen Ausweis, absolut Nichts. Durch
seine freiwillige Mithilfe im Marienstüberl und die Bemühungen
der damaligen Leiterin Sr. Sonja kam er zu uns. Er zeigte großes
Interesse an dem Berufsfindungskurs, einem Kooperationsprojekt von AMS
und Caritas, der ihm angeboten wurde. Im Rahmen dieses Kurses arbeitete
Franz Wallner ein Jahr lang in einer Fahrradwerkstätte und machte
seine Sache außerordentlich gut." Franz Wallner erinnert sich mit
leuchtenden Augen an diese Zeit: "Ich hatte zum ersten Mal wieder eine
richtige Aufgabe!" Inzwischen arbeitet er seit vier Jahren am Revitalisierungsprojekt
Kalvarienberg mit, wo er als äußerst tüchtiger und zuverlässiger
Arbeiter geschätzt wird. "Ich habe bis jetzt keinen einzigen Tag Krankenstand
beansprucht und bin noch nie auch nur eine Minute zu spät gekommen.
In meinem Leben hat sich alles verändert – es hat wieder Sinn bekommen."
Johann Ederer spricht von einer "zweiten Haut", die Menschen entwickeln,
wenn sie oft nach sehr langer Zeit wieder eine eigene Wohnung haben. "In
vielen Fällen funktioniert mit der eigenen Wohnung der Einstieg in
die Normalität auch im Berufsleben wieder."
|
|
|
|
Caritaspräsident Franz
Küberl: "Die Wohnungspolitik muss sich erschwingliche Wohnungskosten
für sozial benachteiligte Menschen zum Ziel setzen."
Sozialarbeiter Johann Ederer:
"Durch die erste eigene Wohnung steigt das Selbstwertgefühl der Betroffenen."
|
Es fehlt an BetreuerInnen
SOWOST-BewohnerInnen werden von Sozialarbeitern
betreut, um die Traumatisierung durch die oft jahrelange Wohnungslosigkeit
auszuheilen. "Wir kümmern uns auch um die Vorgeschichte, die meist
durch Aggression, Gewalt und Missbrauch geprägt ist. Die Betreuer
als erste Anlaufstelle bzw. Bezugsperson müssen oft eine Art Pufferfunktion
übernehmen", erklärt Posch.
Ederer weist auf den Mangel an Wohnbetreuern
in Graz hin: "Es gibt in Graz keine Wohnbetreuung wie in Wien. Die SOWOST-Bewohner
würden eine viel intensivere Betreuung benötigen, die Wohnbetreuung
in Graz erfolgt im Rahmen der Sozialarbeit."
Um die ärgste Wohnungsnot zu lindern, wären
noch 70 Wohnungen nötig. "Wir meinen, dass die Arbeit des SOWOST von
der öffentlichen Hand mehr unterstützt werden müsste. Auch
die Mithilfe der Wohnbaugenossenschaften und von Privaten wäre nötig",
erklärt Posch.
Kaltenegger kennt die Problematik, verweist jedoch
darauf, dass die Liste derer, die auf eine Gemeindewohnung warten, lange
ist. "Es wird in Zukunft sicher schwierig, auf alle Wünsche einzugehen."
Nicht zuletzt deswegen wünscht sich der Wohnungsstadtrat auch eine
Bündelung der Kompetenzen für die Errichtung und Vergabe von
Gemeindewohnungen in seinem Ressort.
Claudia Windisch
|