12 / 2001
  Stadt findet statt
Symposion über Bürgerdemokratie im 21. Jahrhundert

Bürgerinitiativen haben den öffentlichen Diskurs in der steirischen Landeshauptstadt während der vergangenen 25 Jahre nicht nur markant mitgeprägt, sondern mitunter politische Entscheidungen wesentlich mitgestaltet. Nur wenige der wirklich "großen" Themen wurden in den 80ern und 90ern ausschließlich und allein im regulären "political system" abgehandelt. 

Man erinnert sich: Die in den Siebzigerjahren unter intensiver Bürgerbeteiligung abgewickelte Debatte "Westumfahrung versus Plabutschtunnel" hat in der Folge sogar einen Bürgermeisterkopf gekostet. Die Bürgerinitiative gegen den Verkauf der Puch-Zweiradproduktion hat – wiewohl sie ihr Ziel letztlich verfehlte – 1987/88 österreichweit Aufmerksamkeit erregt. Nicht nur aber auch aufgrund des Auftretens einer Bürgerinitiative gibt es bis zum heutigen Tag keine Müllverbrennung in Graz. Schon in den 80er-Jahren wurde das Grazer Büro für Bürgerinitiativen (heute "BürgerInnenbüro") eingerichtet, das die Kontakte mit den zahlreichen Aktivitäten koordinieren half.
Stadtrat Gerhard Rüsch lud am 23. und 24. November ein Duzend Bürgerbeteiligungs- Experten und -Praktiker aus Österreich und anderen europäischen Ländern ins Krainer-Haus nach Graz, die vor Grazer Aktivbürgern bemerkenswerte Projekte und Erfahrungen europäischer Initiativen präsentierten und Ausblicke auf zukünftige Möglichkeiten und Strategien aufzeigten.
Für den Basler Stadtökologen Daniel Wiener stellt Bürgerbeteiligung heute ein "Pflichtfach" für ein modernes Staatswesen dar. Sie soll "Ergänzung zum herkömmlichen Abstimmungsmodus" sein. Wiener hat mit seinem professionell aufgezogenen Projekt "Werkstatt Basel" (www.werkstadt-basel.ch), das die Bürger erfolgreich zur Mitarbeit an einem Aktionsprogramm Stadtentwicklung aufgerufen hatte, Ende der 90er-Jahre europaweit Aufsehen erregt.
Für den Erfolg von Bürgerbeteiligungsverfahren müssen, nach Wiener, auf jeden Fall vier Schlüsselfaktoren wirksam werden:

  • klare Zielsetzungen
  • professionelle, neutrale Moderation
  • Formulierung konkreter Projekte ohne lange Planungsphasen (Antizipation "erwartbarer" Ergebnisse)
  • nachvollziehbare Erarbeitung der 
  • Ergebnisse.
Bürgerbeteiligung kann und darf nicht Protestprävention sein. Sie ist "Werkzeug der Interessenvertretung". Nach der Formulierung von Regierungszielen erfolgen nacheinander
  • das Agenda-Setting in der Bevölkerung, 
  • die Konsensorientierungen  über Maßnahmen in den Interessensverbänden, die zu
  • Beschlüssen durch die Parlamente führen.
Die Kommunikationswissenschafterin Maria Nicolini vom Institut für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) in Klagenfurt kritisiert, dass im neunzigseitigen Grazer Stadtentwicklungskonzept das Thema  Bürgerbeteiligung lediglich marginale drei Zeilen einnimmt. Die Inhaltsanalyse der Publikation Newsletter 2/2000 des Amtes für Stadtentwicklung lässt Zweifel aufkommen, "ob das mit der Bürgerbeteiligung ernst genommen wird". Der Wille zur "Bürgereinbindung", das Bekenntnis zur "Information" allein, so Nicolini, lässt noch keine klare Absicht zur Bürgerbeteiligung erkennen. Mit "Bürgerbeteiligung" wird traditionellerweise meist informelle Mitwirkung an öffentlichen Angelegenheiten gemeint, neuerdings wird auch der neu belebte Begriff vom Ehrenamt mitunter mit diesem Bereich in Verbindung gebracht.
 
Stadtrat Dr. Gerhard Rüsch: partizipatorische Prozesse als kommunale Steuerungselemente, "Werkstatt Basel"-Koordinator Daniel Wiener: Bürgerbeteiligung als Pflichtfach für modernes Staatswesen, Prof. Maria Nicolini, Uni Klagenfurt: Ein kritischer Blick auf die "Rede von der Bürgerbeteiligung"

Ein streng formalisiertes Bürgerbeteiligungsmodell hat in Europa bereits einen gewissen Ruf erlangt: Benno Trütken, Kommunalberater mit Schwerpunktthema Bürgerbeteiligung aus Niedersachsen, referierte den erfolgreichen Einsatz der so genannten Planungszellen in den deutschen Kommunen Meckenheim, Meerbusch und Witten. Ähnlich wie bei der Zufallsauswahl von Schöffen werden BürgerInnen aus den Melderegistern der Gemeinden ausgewählt, um jeweils vier Tage lang über ein konkretes kommunales Problem zu beraten. Eine Planungszelle besteht aus etwa 25 Teilnehmern, die für die Zeit ihrer Tätigkeit finanziell entgolten werden. Mehrere Planungszellen zum selben Problem erhöhen die Qualität der Ergebnisse und deren Durchsetzungspotenzial. Der Einsatz von Planungszellen kann, so Trütken, die politische "Kommunikationskultur" erheblich verbessern und stellt eine praktikable Ergänzung zu repräsentativdemokratischen Entscheidungen dar.

Kontakt und ausführliche Unterlagen zum Symposion:
BürgerInnenbüro/Info Point Europa, Abteilungsvorstand: Kurt Hörmann
Landhausgasse 2, 8010 Graz
Informationsstelle:
Tel.: 0 316/872-5602 
Fax: 0 316/872-5609
Parteienverkehr: Mo–Fr 8.00–14.00 Uhr
e-mail: buergerbuero@stadt.graz.at
e-mail: euro.info.point@stadt.graz.at
Homepage des österr. Info-Point-Europa: http://www.europainfo.at


 
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