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Stadtarchäologie: „Graz
hat besonders viel Aufholbedarf“
Die Vorgeschichte ist bekannt: Bei der Umgestaltung
des Grazer Hauptplatzes stießen die ausführenden Firmen bei
Erdbewegungen auf mittelalterliche Fundamente, ein Teil davon wurde unwiderbringlich
zerstört. Es folgte eine mediale Schlacht zwischen dem Landesarchäologen
Diether Kramer und den Stadtverantwortlichen, die sich gegenseitig Versagen
vorwarfen. Wenn nicht rasch klare Kompetenzen geschaffen werden, kann sich
der Fall Hauptplatz jederzeit wiederholen.
Dr. Wolfgang Artner, Lektor am archäologischen
Institut der Universität Graz, verweist auf den von ihm mit herausgegebenen
Fundstellenkataster der Landeshauptstadt: „Dieser Kataster enthält
auch eine Karte, auf der die Entwicklung der Stadt über die Jahrhunderte
hinweg verzeichnet ist. Darauf kann jeder Laie erkennen, dass innerhalb
der alten Stadtmauern und in den Vorstädten auf jedem Quadratmeter
Boden mit Funden zu rechnen ist.”
Gebeine am Jakominiplatz
Eine sinnvolle Herangehensweise, so Artner, hätte
von Vorneherein auf diese Wahrscheinlichkeit Bedacht nehmen müssen:
„Üblicherweise wird in solchen Fällen zunächst die Baustelle
flach ,abgezogen‘, bevor die Baumaschinen in die Tiefe vorstoßen;
dann sieht man gleich, was unter der Oberfläche liegt, und die Zerstörungen
halten sich in Grenzen.”
In den letzten Jahren sei es bei größeren
Baustellen immer wieder zu Vernichtungen von Funden gekommen. Artner: „Beim
Jakominiplatz-Umbau hab’ ich selbst menschliche Knochen aus den Erdhäufen
ragen gesehen; ein ähnliches Bild hat sich beim Umbau des Pfarrkindergartens
in Strassgang geboten. Da wurden einfach Gräberfelder umgepflügt.”
Und: „Auf der Ries gab es noch vor einigen Jahren unerforschte Hügelgräber.
Ich bin dann eines Tages aus Privatinitiative losgezogen, um sie zu kartieren
… und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass sie bereits dem Bau
eines Forstweges zum Opfer gefallen waren.” Leider bekämen Bauarbeiter
von den Unternehmen oft die Weisung, eventuelle Funde nur ja nicht zu melden,
damit die Arbeiten nicht verzögert würden.
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Archäologe Dr. Wolfgang Artner: „Beim
Jakominiplatz-Umbau wurden Körpergräber umgepflügt, auf
der Ries Hügelgräber niedergewalzt …” |
Stadtarchäologe erforderlich
Besonders tragisch, meint Artner, sei diese Vorgangsweise,
wenn es um prähistorische Funde geht: „Die nicht geschriebene Geschichte
lässt sich nur durch Ausgrabungen rekonstruieren – und das Grazer
Feld birgt viele Schätze dieser Art; schließlich gibt es hier
Spuren von Besiedelung, die bis ins fünfte vorchristliche Jahrtausend
zurückreichen.”
Letztendlich sei festzustellen, dass die Archäologie
im gesamten benachbarten Ausland höhere Wertschätzung genieße
als in Österreich – „und innerhalb Österreichs hat Graz besonders
viel Aufholbedarf.” Wien, Salzburg, Linz und Wels beschäftigten eigene
Stadtarchäologen – „das müsste doch auch in Graz möglich
sein. Diese Aufgabe ist viel zu umfangreich, als dass sie der Landesarchäologe
mitbetreuen könnte.”
Seit dem Hauptplatz-Wirbel scheint die Erfüllung
dieses Wunsches näher zu rücken: Laut Bürgermeister Stingl
kommt diese Frage auf die Tagesordnung der nächsten Stadtsenatssitzung.
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