09 / 2001
 
Stadtarchäologie: „Graz hat besonders viel Aufholbedarf“

Die Vorgeschichte ist bekannt: Bei der Umgestaltung des Grazer Hauptplatzes stießen die ausführenden Firmen bei Erdbewegungen auf mittelalterliche Fundamente, ein Teil davon wurde unwiderbringlich zerstört. Es folgte eine mediale Schlacht zwischen dem Landesarchäologen Diether Kramer und den Stadtverantwortlichen, die sich gegenseitig Versagen vorwarfen. Wenn nicht rasch klare Kompetenzen geschaffen werden, kann sich der Fall Hauptplatz jederzeit wiederholen.

Dr. Wolfgang Artner, Lektor am archäologischen Institut der Universität Graz, verweist auf den von ihm mit herausgegebenen Fundstellenkataster der Landeshauptstadt: „Dieser Kataster enthält auch eine Karte, auf der die Entwicklung der Stadt über die Jahrhunderte hinweg verzeichnet ist. Darauf kann jeder Laie erkennen, dass innerhalb der alten Stadtmauern und in den Vorstädten auf jedem Quadratmeter Boden mit Funden zu rechnen ist.”

Gebeine am Jakominiplatz
Eine sinnvolle Herangehensweise, so Artner, hätte von Vorneherein auf diese Wahrscheinlichkeit Bedacht nehmen müssen: „Üblicherweise wird in solchen Fällen zunächst die Baustelle flach ,abgezogen‘, bevor die Baumaschinen in die Tiefe vorstoßen; dann sieht man gleich, was unter der Oberfläche liegt, und die Zerstörungen halten sich in Grenzen.”
In den letzten Jahren sei es bei größeren Baustellen immer wieder zu Vernichtungen von Funden gekommen. Artner: „Beim Jakominiplatz-Umbau hab’ ich selbst menschliche Knochen aus den Erdhäufen ragen gesehen; ein ähnliches Bild hat sich beim Umbau des Pfarrkindergartens in Strassgang geboten. Da wurden einfach Gräberfelder umgepflügt.” Und: „Auf der Ries gab es noch vor einigen Jahren unerforschte Hügelgräber. Ich bin dann eines Tages aus Privatinitiative losgezogen, um sie zu kartieren … und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass sie bereits dem Bau eines Forstweges zum Opfer gefallen waren.” Leider bekämen Bauarbeiter von den Unternehmen oft die Weisung, eventuelle Funde nur ja nicht zu melden, damit die Arbeiten nicht verzögert würden.
 

Archäologe Dr. Wolfgang Artner: „Beim Jakominiplatz-Umbau wurden Körpergräber umgepflügt, auf der Ries Hügelgräber niedergewalzt …”

Stadtarchäologe erforderlich
Besonders tragisch, meint Artner, sei diese Vorgangsweise, wenn es um prähistorische Funde geht: „Die nicht geschriebene Geschichte lässt sich nur durch Ausgrabungen rekonstruieren – und das Grazer Feld birgt viele Schätze dieser Art; schließlich gibt es hier Spuren von Besiedelung, die bis ins fünfte vorchristliche Jahrtausend zurückreichen.”
Letztendlich sei festzustellen, dass die Archäologie im gesamten benachbarten Ausland höhere Wertschätzung genieße als in Österreich – „und innerhalb Österreichs hat Graz besonders viel Aufholbedarf.” Wien, Salzburg, Linz und Wels beschäftigten eigene Stadtarchäologen – „das müsste doch auch in Graz möglich sein. Diese Aufgabe ist viel zu umfangreich, als dass sie der Landesarchäologe mitbetreuen könnte.”
Seit dem Hauptplatz-Wirbel scheint die Erfüllung dieses Wunsches näher zu rücken: Laut Bürgermeister Stingl kommt diese Frage auf die Tagesordnung der nächsten Stadtsenatssitzung. 

 cs


 
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