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Graz 1900: Städtische Architektur
zwischen Moderne und Tradition
Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Stilrichtungen
in der Architektur weisen ein Spezifikum auf: Ihre Zeugen stehen noch viele
Jahrzehnte lang im öffentlichen Raum. In Graz gilt dies im Besonderen
für die Architektur-Debatte an der Wende zwischen dem 19. und dem
20. Jahrhundert.
Die Grazer Kunsthistorikern Antje Senarclens
de Grancy geht in ihrem detailreichen Werk "'Moderner Stil' und 'heimisches
Bauen'" der Architekturreform um 1900 nach: Der Wiener Moderne des Kreises
um Otto Wagner standen traditionsgebundene Architekturformen gegenüber,
die sich vor allem auf die süddeutsche Bautradition beriefen; beide
grenzten sich vom Historismus ab. Aber: "Eine scharfe Trennung zwischen
den einzelnen Architektenpersönlichkeiten – hier die Modernen, dort
die Traditionalisten – ist kaum möglich, da die meisten Architekten
wie auch Architekturkritiker in Graz mehrere Tendenzen in ihrem Werk vereinigten."
(de Grancy S. 424).
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Stil-Mix in Graz. Der dem Heimatschutzgedanken
verpflichtete Architekt Adolf Inffeld zeichnet auch für knallmoderne
Entwürfe verantwortlich – hier für ein 12-geschossiges Hochhaus
am Jakominiplatz (1929) |
Walmdächer und Hochhäuser
Die Prädominanz bestimmter architektonischer
Stilrichtungen steht, wie de Grancy nachweist, in engem Zusammenhang mit
zeitgenössischen politischen und gesellschaftlichen Diskursen: Das
vor und kurz nach 1900 unbestrittene Leitbild der "modernen Stadt" stand
am Ursprung der Errichtung moderner Bauten wie des Grand Hotel Wiesler
oder des Landeskrankenhauses, die sich einem internationalen Stil verpflichtet
fühlten. Der aufkommende Deutschnationalismus und die Auffassung von
Graz als "deutscher Stadt" seit den Neunzigerjahren führen zu Bauten
im Stil des Historismus – Rathaus, städtisches Amtshaus und Stadttheater–;
gleichzeitig zwang der einschlägige Diskurs aber zu einer Auseinandersetzung
mit der deutschen Heimatschutzbewegung und der Formensprache des süddeutschen
Heimatstiles: Ab der Mitte des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts wird
das Motiv der "traditionsgebundenen Provinzstadt" zum Leitbild der Landeshauptstadt
– mit entsprechenden architektonischen Hervorbringungen wie dem Portierswohnhaus
in der Burg, dem Postgebäude in der Stiftingtalstraße oder dem
einem mittelalterlichen Festungsbau nachempfundenen Wasserturm im Schlachthof.
Doch häufig lassen sich die Bauten der Jahrhundertwende
keiner Stilrichtung klar zuordnen: Als herausragendes Beispiel nennt de
Grancy das Sanatorium Hansa von Alfred Keller, das sowohl Elemente der
Heimatschutz-Architektur (Fensterläden, hohe Walmdächer) als
auch der Wiener Moderne (Bay-window, pergolaartiger Stiegenaufgang) aufweist.
Dieses Oszillieren zwischen modernen und traditionalistischen
Auffassungen spiegelt sich auch in einzelnen Architektenpersönlichkeiten
wider: So entwarf der Wagner-Schüler Adolf Ritter von Inffeld – ein
überzeugter Deutsch-Nationaler – für Wien Mietshäuser im
Stile seines großen Lehrers, in Graz plante er die "Bachmann-Kolonie"
am Leonhardbach (Wegenerstraße / Sonnenstraße) mit biedermeierlich-kleinstädtischem
Touch – was ihn nicht daran hinderte, 1929 für den Jakominiplatz ein
zwölfgeschossiges Hochhaus zu projektieren (das heutzutage in der
Nachbarschaft des Standl-Dorfes seinen urbanen Charakter sicherlich recht
putzig entfalten könnte …). cs
Antje Senarclens de Grancy: "Moderner
Stil" und "Heimisches Bauen".
Architekturreform in Graz um 1900. (= Kulturstudien
Sonderband 25.)
Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2001, 459
S. |
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