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„Ich arbeite in
der Küche an Texten“
Ein Versuch, mit dem Essayisten
Franz Schuh zu denken
Der Wiener Franz Schuh ist Germanist und Philosoph, Literat, Taschenbuchkritiker
für Die Zeit und Krimispezialist. 1976–80 war Schuh Generalsekretär
der Grazer Autorenversammlung. Er erfüllt Lehraufträge an der
Universität Klagenfurt und der Universität für angewandte
Kunst in Wien. Im vergangenen Jahr wurde ihm der Jean-Amery-Preis für
Essayistik verliehen. Auf Einladung des Instituts für Germanistik
und des Franz-Nabl-Instituts hielt Franz Schuh eine Poetikvorlesung an
der Uni Graz unter dem Titel Memoiren in alphabetischer Reihenfolge.
Leicht fällt es den Hörern offenbar nicht, den Ausführungen
des Dr. Schuh über weite Strecken historischer und gegenwärtiger
Literaturproduktion zu folgen. Spannend aber, wenn nicht faszinierend,
sind sie alle Mal. Naturgemäß – ist man geneigt zu schreiben
– liegt der ureigenste Sinn einer Poetikvorlesung in der Vermittlung des
individuellen Rezeptionsprozesses des Vortragenden und der daraus resultierenden
Entwicklung literarischen Vermögens. In den Referaten des Literaturwissenschafters
zeigt sich, dass eine wissenschaftlich objektive Haltung gegenüber
der Materie schon bald zur Verschmelzung der Person des Referenten mit
dem von ihm interpretierten Werk führt, was konkret in einem Schuhschen
Paradoxon der Form „Sich selbst soll man raushalten, vor allem aus seinen
Selbstinszenierungen für die Öffentlichkeit“ mündet. Meta-Schuh
nannte Willi Hengstler diese Konstellation nach Besuch der ersten Vorlesung.
Körper, Geist und Schuh verbinden sich im fiktiv exemplarischen Treffen
von Robert Musil und Arnold Schwarzenegger, das im anatomischen Hörsaal
(HS I) vor einer Zielgruppe – nicht Publikum – dialektisch seziert wird.
Beider Defizite macht Schuh in der überanstrengten Intelligenz und
dem Begriff des Genies bei Musil aus gegenüber der Peinlichkeit des
im öffentlichen Bewusstsein als Menschmaschine firmierenden Schwarzenegger,
der sich einer Herzoperation unterziehen muss. - Und diese verkürzt
wiedergegebene Darstellung schießt – vermeint man Franz Schuh zu
hören – in fahrlässiger Weise an einer Essenz vorbei. Die historische
Crux des Schriftstellers fasste Schuh in seiner Eröffnungsrede zu
den Tagen deutschsprachiger Literatur im Vorjahr als „Autor und seiner
Allmacht am Schreibtisch gegenüber dem der Macht Ausgesetzten, der
diesen Schreibtisch verlässt“ zusammen.
Die Person Franz Schuh erinnert wohl nicht zufällig an Elias Canettis
Figur des Sinologen Kien, des Privatgelehrten und Bibliothekars im eigenen
Haushalt. Wie Kien bewohnt Schuh eine Höhle aus Büchern, wiewohl
er in Anspielung auf das platonische Höhlengleichnis anmerkt, dass
an den Höhlenwänden medial vermittelte Bilder flimmern, die –
wenn schon nicht an die Wirklichkeit – so doch wenigstens an die aktuelle
Zeit erinnern. „Ich arbeite in der Küche an Texten“ schreibt Schuh
in seinem Essay Narrenkappe und PizzaHut. Der Satz klingt - so allein stehend
- lakonisch und fiktiv, beschreibt aber die Realität. Was Schuh in
seiner „monadischen Existenz“ praktiziert ist die zeitgenössische
Version der Alchimie, die endlose Suche eines Literaten und Kulturkritikers
nach der Quintessenz. Und in der Tat ist die gastrische Funktion seiner
Küche infolge Destillations- und desiderischer Prozesse aufgehoben:
überall Bücher. Auf dem Küchentisch steht der Computer,
auf dem toten Kühlschrank der Drucker. Das Schicksal Kiens allerdings
möge (und wird!) ihm erspart bleiben ?
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Franz Schuh über Taxi Orange: „Die Banalität,
sprich „das eigentliche Leben“, soll sozusagen triumphieren gegenüber
den traditionellen Formen der Kultur, die nicht mehr mehrheitsfähig
sind und deren Zielgruppen einen veritablen Charakter von Ohnmacht haben.“
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Korso: In Ihrer gestrigen Vorlesung haben Sie Hermann Nitsch zitiert:
„Ich war alles, ich war Napoleon, ich war Christus, ich war Nietzsche,
ich war Schopenhauer, ich werde alles sein, was noch kommt.“ Damit positioniert
sich Nitsch in der Geschichte und rechtfertigt seine Arbeit aus dem Archiv
der eigenen Bildung. Dieses Zitat erinnert mich an jenes von Jürg
Laederach, das aus seiner Grazer Poetikvorlesung von 1986 stammt: „Ich
bin der narzißtischen Ansicht, ich könne prinzipiell alles,
jedes Zitat beispielsweise, wovon ich je spräche, selbst geschrieben
haben. Eine spezielle Kennzeichnung sei deshalb überflüssig.
So spricht der Apropriierungs-Wunsch, mittels welchem ich mir eine, selbstverständlich
umfassende und alles beinhaltende, Identität zuspreche.“ – In Umkehrung
scheinen mir diese Zitate auch Schutzschilde gegen Kritik und gegen die
Verzweiflung des Autors angesichts einer Babylonischen Bibliothek zu sein.
Schuh: Na ja, ich würde sagen, das ist nicht ganz dasselbe – was
der eine sagt und was der andere sagt. Was Nitsch sagt ist so etwas wie
ein Werbeslogan inmitten einer auf solche Slogans erpichten Zuhörerschaft
oder inmitten einer durch solche Slogans mobilisierbaren Publikumsschichte.
Und das andere, das Laederach-Zitat, das würde ich doch in gewisser
Weise verteidigen und zwar deshalb verteidigen, weil in diesem Zitat -
und zwar auf eine unzumutbare Weise – etwas ausgedrückt wird, was
in der Tat unserem Geist oder unserem Verstand zugemutet ist: Es ist diesem
Verstand nämlich zugemutet, die gesamte Zitierbarkeit, alles, was
zitierbar ist, das heißt also alles, was gesagt wurde auch als eine
eigene Prägung zu verstehen. Man wird also durch das Gesagte geprägt.
Und indem man durch das Gesagte geprägt wird, hat man zumindest das
Gefühl – wenn nicht sogar die Verpflichtung – es eigentlich auch selber
gesagt haben zu können. Und zweitens enthält dieser Laederach-Satz
eine Volte gegenüber dem Versuch, Texte oder geistige Inhalte über
die Autorenschaften festzulegen, also über diese spezifische Art einer
bestimmten Eigentumssphäre mit Hilfe der man die Texte verstehen will.
Das geht aber nicht, und die Unzumutbarkeit des Satzes „Ich habe das alles
geschrieben“ ist sozusagen eine Konsequenz daraus, dass man Leuten klar
machen muss: Verdammt, hört auf Texte zu verstehen über Zuschreibungen
zu Autoren, zu Besitzern dieser Texte.
Wenn Sie den Werbeslogan Nitsch‘ ansprechen, so führt dies ungefähr
in die Richtung meiner nächsten Frage: In einem Interview mit dem
Falter haben Sie abschließend gesagt, Reality Shows wie Taxi Orange
oder Big Brother würden Sie nicht interpretieren, das sei viel zu
kompliziert. Was ist an diesen vordergründig als Massenprogramm auftretenden
Shows so kompliziert?
Na ja, das ist natürlich eine der wichtigsten Geschichten, die
man einfach zur Kenntnis nehmen muss. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass
das, was einem bekannt erscheint noch nicht erkannt ist, wie Hegel schon
sagt. Also genau das, was einem vertraut erscheint oder das mit Selbstverständlichkeit
daherkommt, genau das ist es, was man nicht wirklich kennt. - Das hat verschiedene
Seiten: Eine zum Beispiel ist eine medieninterne Entwicklung. Wenn man
diese interne Entwicklung beachtet, dann findet man, dass von den Fernsehspielen
– wo man noch Schauspieler bezahlen musste, wo man noch inszenieren musste
– ein Schritt erfolgte zu Soap Operas, die teilweise stehgreifartig waren
- also die Liebe Familie ist in Wahrheit ein Vorbereiter für Taxi
Orange, hier noch mit Schauspielern - bis zu von Dilettanten oder Amateuren
gespielten Soap Operas, die nicht mehr mit Texten operierten, sondern mit
momentan szenisch eingelernten Sätzen, die dann weiter betrieben wurden.
Es erfolgte also eine ständige Delegitimierung des Darsteller- und
Schauspielerberufes bis endlich das eigentliche Ziel dieser Tendenz erreicht
war, nämlich dass die Zuschauer, für die das gemacht wird – und
die Zuschauer sind kein Publikum, sondern sie sind Zielgruppen – selber
spielen, was von ihresgleichen gesehen wird – erstens. Und zweitens: Der
Spielcharakter wird verschleiert. Es wird sozusagen Material produziert,
das dann durch die Zusammenschnitte erst diesen Spielcharakter bekommt
oder es wird das – wie es Andy Warhol gemacht hat – noch einmal produziert.
Es wird sozusagen etwas gezeigt, das sich nicht von dem unterscheidet,
was man in der Alltagsrealität übersieht, weil es direkt die
Alltagsrealität ist.
Verstehe ich Sie hier richtig, dass solche Phänomene die Simulakren-These
von Jean Baudrillard bestätigen [das Simulakrum als referenzloses
Bild, das nicht als Abbild eines Objekts auftritt, sondern neuen Wirklichkeitscharakter
transportiert]?
Ich will das nicht über diese hochgezüchteten Theorien ableiten.
Die Simulakrentheorie ist ja eine totalisierende Kulturtheorie und die
betrifft ja nicht nur Taxi Orange, sondern die kommt aus dieser - nun einmal
wirklichen – Problematik, dass die Zeichen sich nicht mehr auf etwas Wirkliches
beziehen, sondern auf andere Zeichen. Und diese Zeichen sind dann natürlich
gleichzeitig Cool Killer. Das ist sozusagen eine Aggression gegen eine
gesamte Kultur, während Sie mich ja gefragt haben, was denn das Komplizierte
an Taxi Orange ist. Man sollte vorsichtig sein, dass man solche Fragen
nicht miteinander verwischt.
Wenn die Protagonisten von Taxi Orange nichts anderes als ihr Äußeres
zu Markte tragen und aufgrund dieses Äußeren zu Stars werden
– wie Warhol das prophezeit hat und zugleich die Entwicklung der Medien
sogar unterschätzt haben dürfte -, worin liegt dann der Grund,
dass die Gesellschaft solche Stars akzeptiert?
Einer der Gründe, in meinen Augen, liegt darin, dass generell
eine Art von Kulturkampf stattfindet und in dieser Art von Kulturkampf
geht es darum, dass jegliche Scheu vor der Banalität abgelegt wird.
Die Banalität, sprich „das eigentliche Leben“, die soll sozusagen
triumphieren gegenüber den überkommenen, traditionellen Formen
der Kultur, die nicht mehr mehrheitsfähig sind und deren Zielgruppen,
auch durch die Bildungsprobleme, einen veritablen Charakter von Ohnmacht
haben. Die Darstellung der Normalität sollte sich als normale Darstellung
durchsetzen, weil man über diese Arten von Darstellungen viel geschickter
bestimmte Verhaltensformen breiterer Schichten modellieren kann. Die Selektion
dieser Leute – immer gerichtet auf die jeweilige Zielgruppe, das ist schon
ein entscheidender Schritt, die Abschaffung des Publikums, das Publikum
sind alle, die Zersplitterung des Publikums in Zielgruppen, das ist ein
bestimmter Schritt – und wie die Leute selektiert werden, die sozusagen
für ihre Zielgruppe ideal sein sollen, das kann man dann ja sehen:
Die haben bestimmte Kleider, die haben bestimmte Sprechweisen, die haben
bestimmte Umgangsformen, die in der Tat – und da möchte ich jetzt
das Gegenteil von dem behaupten, was ich vorher gesagt habe – exklusiv
sind, das heißt, sie sind exkludierend. Die verleihen zugleich das
Gefühl der Zugehörigkeit aber auch das Gefühl des Ausschließens.
Und das Dümmste, was man machen kann, ist kulturkritisch in diese
Fragestellungen einzusteigen. – Also genau das, was ich jetzt mache, ist
so ungefähr das Dümmste, weil das ja gerade, die von keinem der
ausgesetzten Menschen gewollte, Manipulationsabsicht bestätigt. Diese
Manipulationsabsicht liegt in dieser Art von Entwicklung, wie ich sie vorhin
gezeigt habe. Diese Manipulationsabsicht zielt darauf ab, dass die Ausgeschlossenen
aus dieser „Anmache“ sich über ihren Ausschluss beschweren. Damit
affirmieren sie genau wiederum die Selektion, die diesem Gesetz folgt,
das bestimmt, wie man sich zu verhalten habe und wie man auszusehen habe
und das man letzten Endes die Banalität zu zelebrieren habe. Aber
das Zelebrieren der Banalität ist ein hoch interessantes künstlerisches
Prinzip.
Warhol. – In Ihrem Essay „Nachspiel mit Luhmann“ zitieren Sie den
Soziologen Niklas Luhmann: „Interventionen von außen [auf ein System]
sind lächerlich, sie sind wenn nicht überhaupt destruktiv, entweder
illusionär, also ohnmächtig, oder parasitär, weil die Widersacher
gerade die Systemzwänge benutzen, von denen sie sich als Außenseiter
befreit haben wollen.“ Ich denke jetzt an ein Vorhaben von Robert Menasse,
der als Reaktion auf die Kulturpolitik der österreichischen Regierung
die Gründung einer Auslandsfirma für österreichische Künstler
überlegt und ähnlich Elfriede Jelinek, die aus denselben Gründen
österreichischen Bühnen untersagt, ihre Stücke zu inszenieren.
Glauben Sie, angesichts des Luhmann-Zitates, solche Reaktionen sind zielführend
und vernünftig?
Also das haben ja mittlerweile alle erkannt, dass bestimmte Gegensätzlichkeiten
geradezu notwendig sind, um bestimmte Themen überhaupt aufs Tapet
zu bringen. Ohne Gegensätzlichkeit entsteht jene Bühne nicht,
die von Medien zubereitet wird, innerhalb derer sich Kräfte durchsetzen.
Das heißt, der gesamte Haiderismus wäre unvorstellbar ohne den
österreichischen Magazinjournalismus. Dieser so genannte Pop-Faschismus
ist ein Produkt des österreichischen Magazinjournalismus, der sich
kritisch dazu verhalten hat. Das Problem ist, dass man – deswegen, weil
man es erkennt – die anderen Strategien nicht umgekehrt begrüßen
muss, nämlich die Strategien der subversiven Affirmation. Die subversive
Affirmation ist eine Strategie, wie sie zum Beispiel Schweijk betreibt.
Indem er strikt tut, was empfohlen beziehungsweise befohlen ist, führt
er das System ad absurdum. Es ist damit nicht gesagt, dass die schlichte
Affirmation, also das schlichte Einverständnis das empfehlenswerte
Verhalten ist. Und bei Luhmann ist es ja relativ offenkundig, dass der
schärfste Kritiker der Kritik selber ein Kritiker ist. Wie man innerhalb
dieser Balancen zu Rande kommt, das sind Fragen der Urteilskraft und Urteilskraft
ist immer etwas, das sich am besonderen Fall als solche erweist, worüber
man nicht allgemein reden kann. Ich glaube – ohne es zu wissen – dass der
Vorschlag, ein Steuerparadies für österreichische Künstler
zu gründen eine vernünftige Strategie in unserer Gegenwart ist.
Nämlich nicht wenn man es tut - denn das wäre idiotisch -, sondern
wenn man es ankündigt und damit jenes Thema zum Zirkulieren bringt,
anhand dessen sich dann die Geister scheiden und Entscheidungen gefällt
werden müssen.
Noch einmal Luhmann: Im schon angesprochenen Essay zitieren und kommentieren
Sie: „Das Bewußtsein kann nicht kommunizieren, die Kommunikation
kann nicht Wahrnehmen [Luhmann]. ... Kunst nämlich ‘vermittelt’ zwischen
den Systemarten des Wahrnehmens und der Kommunikation, ohne ihren Unterschied
zu verwischen oder gar ‘aufzuheben’[Schuh]: Sie kann Wahrnehmung und Kommunikation
integrieren, ohne zu einer Verschmelzung oder Konfusion der Operationen
zu führen. Integration heißt ja nur: Gleichzeitigkeit (Synchronisation)
der Operationen verschiedener Systeme und wechselseitige Einschränkung
der Freiheitsgrade, die den Systemen von sich aus zur Verfügung stehen
[Luhmann].“ Hat die Kunst in diesem Sinn sozialen Modellcharakter, kann
sie ein Übungsfeld für Fragen der Gesellschaft sein?
Also das ist eine Frage, die man in dieser Allgemeinheit sehr allgemein
beantworten muss: Alle Institutionen einer Gesellschaft – und bezeichnen
wir die Kunst als eine Institution der Gesellschaft – haben die Möglichkeit,
soziales Modell zu sein. Das heißt, das Rechtssystem, zum Beispiel
– um gar nicht vom Industriesystem zu sprechen –, kann ein Modell für
das Soziale abgeben. Bei der Kunst, das ist eben der Unterschied, wird
dieses soziale Modell, um es schlicht zu sagen, an Sinnenhaftigkeit delegiert.
Was nämlich die Kunst – wenn sie gelingt, wenn man das so allgemein
sagen kann – am schönsten durchführen kann ist, sinnfällige
Bilder etwa vom Sozialen zu liefern im Unterschied zur Abstraktheit des
Rechtssystems, in dem das Sinnfällige auf komplexe Verfahren abgeschoben
wird. Es ist ja häufig gesagt worden, dass man den Luhmann auch als
einen antihegelianischen Hegel verstehen kann. Also als jemanden, der im
Prinzip alle gesellschaftlichen Systeme mit einer eigenen Repräsentativität
für das Ganze, das es nicht mehr gibt, ausstattet. All diese Systeme
sind voneinander abgegrenzt, weshalb es auch eine große Schwierigkeit
ist – wie Sie vorhin schon zitierten – von einem ins andere einzugreifen.
Falls die Gefahr ökologischer Katastrophen besteht ist es äußerst
schwierig, mit ökologischen Vorstellungen in ein nicht ökologisches
präpariertes System einzugreifen. Ob solche Interventionen überhaupt
möglich sind, das ist – wenn man das dramatisch sagt – unter Umständen
eine Überlebensfrage dieser Art von Gesellschaften.
Eine letzte und vielleicht schwierigste Frage: Geben Sie mir einen
Buchtipp?
Ich würde empfehlen von Philip Roth „Mein Mann der Kommunist“,
weil das ein Buch ist, in dem drei Fragen miteinander konkurrieren: Die
Frage der Erziehung und der Bildung – was ist das für ein Mensch,
der ein guter Lehrer ist? Was bedeutet das Lehren? Was heißt das,
ein Vorbild zu haben? Die zweite Frage ist die ewige Geschlechterfrage:
Wie lebt man mit dem anderen Geschlecht und was kann gelernt werden, wenn
sich dieses Leben mit dem anderen Geschlecht als nicht mehr möglich
erweist? Wieso funktioniert das so merkwürdiger Weise nicht? Und die
dritte Frage ist eine sehr schwierige: Es ist die Frage des Verrats. Es
gibt bestimmte historische Epochen, in denen jemanden zu verraten, ihn
zu denunzieren, für den gefährlich werden kann – abgesehen davon,
dass man an der eigenen Seele schaden nehmen kann, wenn man ver-rät
beziehungsweise dass dieser Schaden schon die Voraussetzung für den
Verrat ist. Es gibt bestimmte historische Epochen, in denen das lebensgefährlich
ist oder werden kann. Aber – und das ist ein Versuch des Philip Roth, es
uns beizubringen – der Verrat ist die grundsätzliche Existenzweise
der Menschen. Das heißt, zum Existieren selber, zum Dasein in der
Welt - in der gesellschaftlichen Welt, nicht in der Welt des Kosmos [schmunzelt],
wo die Sphären seit Jahrtausenden zusammenstimmen, wie der kleine
Mensch zu glauben wähnt, aber in der sozialen Welt - ist der Verrat
das zentrale Medium der Kommunikation. Und da kann man nur sagen: So ist
es! – Ist es so?
Vielen Dank für das Gespräch.
Als Lektüre sei der jüngste Essayband Schreibkräfte
(DuMont) von Franz Schuh empfohlen. Der Text der Poetikvorlesung erscheint
im Herbst bei Droschl.
Mit Franz Schuh sprach Wenzel Mracek.
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