04 / 2001
 
Genuss aus dem Chemielabor?

Unsere Lebensmittel sind zum Spielball für Manipulation, Forscherdrang und Täuschung geworden. Die Ursachen dafür sind vielfältig und nicht zuletzt dem Konsumverhalten von uns allen zuzuschreiben:  Der Verzehr von Snacks, Flakes, Junks, Kraftriegel und Fertiggerichten jeder Art, alle mit dem Mäntelchen edler Werte versehen, sollte – natürlich nur zum Besten unserer Gesundheit – in den Verzehr gelangen. Auf einer Ernährungsfachtagung im Bildungszentrum Raiffeisenhof, veranstaltet in Kooperation mit der Steirischen Gesellschaft für Gesundheitsschutz (SGG) und dem Ernteverband Steiermark am 17.3.2001, referierten namhafte Ernährungsfachleute über Möglichkeiten einer Emanzipation im Ernährungsverhalten für jedermann.

Hans-Ulrich Grimm (Germanist und Autor in Stuttgart) nimmt allen, die es wissen wollen, die Illusion, dass Packerl-Hühnersuppe ihren Geschmack dem Huhn, Erdbeerjoghurt sein Aroma den spärlich beigefügten Erdbeeren verdankt. So genannte „natürliche“ Aromen entstehen z.B. aus Sägespänen, die mit Alkohol und noch manchen „geheimen“ Zutaten verkocht werden. Manchmal sind es auch Stoffwechselprodukte von Bodenbakterien, die in vielen industriell hergestellten Nahrungsmitteln als Geschmacksgeber verarbeitet werden. Geheim ist hier wörtlich zu nehmen, denn das Ungeheure dabei ist: nicht einmal die staatlichen Kontrollstellen können in Zeiten der Globalisierung noch kontrollieren, was auf den Tisch kommt. Somit sind sie auch längst nicht mehr in der Lage, für die Unbedenklichkeit der „kontrollierten“ Lebensmittel zu bürgen.

Univ. Prof. Dr. Emmerich Berghofer (Institut für Lebensmitteltechnologie, Boku Wien) unternahm den Versuch einer Klärung, was unsere Lebensmittel heute können müssen. Die Abgrenzung von Functional Food, Nutrazeutika, Designer Food, Novel Food u.a. als – eher bedenkliche – Ernährung der Zukunft bringt zutage, dass unseren Lebensmitteln heute z.B. so manches zugesetzt wird, was ihnen vor Jahren durch übereifrige Auskreuzungsverfahren irrtümlich weggezüchtet wurde. (Sekundäre Pflanzenstoffe oder bioaktive Substanzen). Ein Umdenkprozess in der Pflanzenzüchtung wird hier als sinnvoll angeregt. Als fragwürdige Maßnahmen stellen sich beispielsweise die pro- und prebiotische Anreicherung von Milch- und anderen Produkten sowie der Zusatz von Omega-3-Fettsäuren (vorwiegend aus Fischölen) bei Brot und Backwaren dar. Zur Krebs- und Arterioskleroseprophylaxe gibt es gänzlich natürliche „funktionelle“ Lebensmittel wie z.B. Brokkoli, Tomaten, Kohl, Kohlsprossen, Obst, Rotwein, Hülsenfrüchte, Ölsamen, Zwiebel, Knoblauch. 
Ob der Verzehr von Lebensmitteln, die mit den Wirkstoffen der genannten Rohgemüse künstlich angereichert werden, den selben Gesundheitseffekt bringt, ist heute noch nicht bewiesen!
 

Für die Ernährungs-Selbstfindung gibt's im Raiffeisenhof  Möglichkeiten zum Kochtraining

Die Lebensmittel- und Biotechnologin D.I. Maria Wirthmann-Portele hat der Lebensmittelkennzeichnung und ihren Grenzen auf den Zahn gefühlt. Das österreichische  Lebensmittelgesetz von 1975 mit seiner vielgestaltigen Kennzeichnungspflicht von Mindesthaltbarkeitsdatum, Hersteller, Mengen, Produktangaben, Inhalts- und Zusatzstoffangaben, Herstellungsweise  u.a. scheint durchaus streng und klar vorzugeben, was erlaubt, was verboten ist. Erlaubt ist, was nicht klar verboten ist. Und darin liegen letztlich auch die Grenzen der Nachvollziehbarkeit für die Konsumenten und die Schlupflöcher für die Produzenten. So müssen z.B. Zusatzstoffe unter einer bestimmten Menge nicht deklariert werden. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, einzelne Substanzen „inkognito“ so zu kombinieren, dass sie sich in ihren Wirkungen ergänzen oder verstärken (z.B. Aromen und Geschmacksverstärker). Es wird gemacht, weil es nicht verboten ist. Im Zutatenverzeichnis nicht enthalten sein müssen Substanzen, die zur Herstellung zugesetzt, aber wieder entfernt wurden, aber auch solche, die im Enderzeugnis keine Wirkung mehr haben (ob sie in unserem Körper Wirkungen haben, ist hier nicht gefragt). Die E-Nummern stehen z.B. für Emulgatoren, Schaumstabilisatoren, Farb- und Konservierungsstoffe. Und bis jetzt werden Schlachttiere „lebend“ über hunderte Kilometer aus dem Ausland nach Österreich transportiert, um sie hier als österreichisches Qualitätsfleisch zu verkaufen. Dem wird in absehbarer Zeit (wofür Skandale nicht alles gut sind!) entgegengewirkt. 

Univ.-Prof. DI Dr. Alfred Haiger (Professor für Tierzucht, Vorstand des Institutes für Nutztierwissenschaften an der Boku Wien): Vergleiche einer bäuerlichen, überschaubaren, biologisch/ökologisch orientierten Produktion mit dem Größenwahn industrieller Agrarstrukturen lassen keine Zweifel mehr offen, dass die Umkehr nicht mehr hinausgezögert werden darf, wenn gerettet werden soll, was noch zu retten ist. Gewinnmaximierung und Zinseszins-Prinzip haben das ökologische System an Grenzen getrieben. Die Skandale der Nahrungsmittelproduktion der letzten Zeit sind nur die Spitze des Eisberges. Der Ausbeutung an Humus, Energie und Rohstoffen muss Einhalt geboten werden. Die Rückkehr zur Wahrung anstatt Vernichtung der Schöpfung gelingt, wenn Politiker mehr die Meinung von Ökologen als die der Ökonomen achten, wenn Wissenschaftler sich an Naturgesetzen und nicht am freien Markt orientieren, wenn die Landwirte werden wieder zu Bauern und „Humusmehrern“ werden und die Konsumenten durch ihr Kauf- und Stimmverhalten den notwendigen Druck erzeugen. Haiger: „Nur die biologische Landwirtschaft kann aus der Misere führen.“

Der Allgemeinmediziner, Homöopath und Psychotherapeut Dr. Thomas Mayr beleuchtete das Phänomen des beschleunigten Zunehmens der Allergien unter dem Aspekt der Ernährung. Auch hier ist nur eine ganzheitliche Betrachtungsweise zielführend. Denn einzelne Lebensmittelzusatzstoffe oder natürliche Inhaltsstoffe sind prozentuell nur äußerst selten alleine als Allergene habhaft zu machen. Abgesehen von inneren und äußeren Einflussgrößen wie Psyche und Umwelt wird hier den vererbten Dispositionen ein hoher Stellenwert eingeräumt. Es wird zwar nicht die Allergie selbst (z.B. Heuschnupfen, Asthma oder Neurodermitis) vererbt, wohl aber die Veranlagung zur erhöhten (oder verminderten) körpereigenen Produktion von Immunglobulin E gegen häufige Allergene. Insbesondere bei Kleinkindern ist zur Verhinderung der Ausprägung allergischer Reaktionen eine vollwertige, biologisch produzierte Ernährung ohne wesentliche Mengen an Zusatzstoffen das Mittel der Wahl! Und auch erwachsene Allergiker beobachten nach Ernährungsumstellung oft eine deutliche Verbesserung bis zum Verschwinden ihrer Symptome. 
Wie weit spielen wir mit im Roulette der Qualitätsminimierung? Der Markt bestimmt den Preis, der Konsument bestimmt, was Markt ist. Was nicht gekauft wird, steht nicht in den Regalen. Um entscheiden zu können, was letztlich im Einkaufskorb landet, bedarf es primär eines gesunden Hausverstandes. Es wird heute aber auch immer notwendiger, sich ein erweitertes Fachwissen anzueignen, um hinter den Kulissen Fallen für ahnungslose Gourmets aufspüren zu können. Auffordernd sei gesagt, dass es höchste Zeit ist, uns selbst um unser Essen zu kümmern, anstatt dies der lebensmittelchemischen Industrie zu überlassen. Es gilt, unseren Geschmackssinn wieder als das zu begreifen, was er ist: die Prüf-Instanz des Körpers, unser eigenes Lebensmittel-Kontrollorgan.  Produkte aus biologischer Landwirtschaft bestehen bei diesem Kontrollsystem bei entsprechender Sensibilität mit Sicherheit am besten.

Mag. Sabine Hollomey, Steirische Gesellschaft für Gesundheitsschutz


Weitere Informationen: 

  • 0316/ 8050-7144
  • Das Bildungszentrum Raiffeisenhof bietet für die Ernährungs-Selbstfindung ein Kochtrainings- und Spezialitäten-Demonstrationszentrum an. Nähere Informationen erhalten Sie unter 0316/ 8050-7111
  • Auch die Steirische Gesellschaft für Gesundheitsschutz steht für Anfragen zum Thema gesunde Ernährung unter 0316-822094-33 zur Verfügung. Gesunde Gemeinde: DW -19, Gesunde Volksschule DW-23.
Buchtipps: 
  • Hans-Ullrich Grimm: Die Suppe lügt. Klett-Cotta 1997, ATS 266.-
  • Sabine Hollomey, Einfach essen – gesund genießen. Leykam 1999, ATS 248.- 
  • (auch zu bestellen unter 0316-696397)
  • Udo Pollmer, Hans-Ulrich Grimm: Vorsicht Geschmack! Hirzel 1998,  ATS 358.-
 
APRIL-AUSGABE ÖKOLAND STEIERMARK