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Leserbriefe – Ein
Gespräch zwischen Martin Will & Jörg Nauer, aufgezeichnet
von Jörg-Martin Willnauer
Jörg Nauer: Du hast doch früher so schöne Leserbriefe
geschrieben. Warum hast du das aufgegeben?
M.Will: Weil es sinnlos ist.
J.Nauer: Du meinst, das liest keiner mehr?
M.Will: Ganz im Gegenteil! Die Leserbriefseite zählt zu den meistgelesenen
Seiten einer Zeitung.
J.Nauer: Und die Kulturseite?
M.Will: Zu den bestignorierten.
J.Nauer: Umso wichtiger sind doch die Leserbriefe! Du könntest
hier U-Boote, trojanische Sätze und "Grubenhunde" einschleusen.
M.Will: Schön wär’s! Da schreibst du einen Leserbrief so
aphoristisch, dass man ihn nicht mehr kürzen kann und wenn du ihn
gedruckt siehst, trifft dich der Schlag. Zufällig fehlt ein wichtiges
Wort, und heraus kommt das exakte Gegenteil. Man dreht dir das Wort im
Brief um. Oder man lässt den letzten Satz weg und setzt dir eine Überschrift
drüber, die das ganze ironisiert. Und du hast das Problem, dass du
wochenlang allen Freunden erklären musst, wie das gemeint war.
J.Nauer: Du übertreibst.
M.Will: Alles erlebt.
J.Nauer: Hast du dich beschwert?
M.Will: Reine Adrenalinvergeudung. Die Absicht lässt sich nicht
beweisen.
J.Nauer: Fehler passieren eben überall. Tageszeitungen werden
prestissimo hergestellt.
M.Will: Die Leserbriefseite wird sehr sorgfältig redigiert. Man
weiß, wie wichtig sie ist.
Hier findet sich die ungeschminkte Blattlinie. Wie man in die Leser
hineinschreibt, so schreiben sie zurück. Nur derber und deutlicher.
J.Nauer: Du willst doch nicht etwa behaupten, dass z.B. die „Kleine
Zeitung“ intolerante und undemokratische Leute unterstützt?!
M.Will: Die Leserbriefseite ist ein exakter Spiegel der Abonnenten.
Schon aus marktpolitischen Gründen müssen hier alle Strömungen
zufrieden gestellt werden. Auch die braunen.
J.Nauer: Das ist doch eh bekannt, dass die Fundis, Nazi & Rassisten
nicht ausgestorben sind. Deshalb muss ich diesen Leuten doch kein Forum
bieten!
M.Will: Du sagst es. Aber ganz nebenbei kann man sich bei der Gegenüberstellung
konträrer Briefe auch wunderbar heraushalten: der veröffentlichte
Volksmund darf geifern und das Blatt ist fein heraus. Man hat’s ja nicht
selbst verfasst, sondern nur „Volkes Stimme“ wiedergegeben. Und wenn sich
Volksmund-Geruch ausbreitet ist man nicht verantwortlich. Braune Rülpser
gibt’s schließlich überall...
J.Nauer: Du meinst, vielen Tageszeitungen ist die Abonnentenzahl wichtiger
als eine klar demokratische Haltung?
M.Will: Mit einer pseudopluralistischen Linie kann ich sachliche Argumente
ganz perfid erledigen. Ich stelle einem sachlichen Argument ein rassistisches
gegenüber und lasse beide gleichrangig und unkommentiert nebeneinander
stehen.
Die Wirkung kann sich jeder ausrechnen.
J.Nauer: Vorsicht! Du schadest deiner Karriere!
M.Will: Auf der Leserbriefseite geht’s nicht um Argumente. Da geht’s
um Themenführerschaft, Bestätigung und Eitelkeit. All die verhinderten
Redakteure, die sich endlich an ihrem gedruckten Namen begeilen dürfen!
J.Nauer: Ich lese oft die gleichen Namen. Der Verdacht einer Symbiose
von Redaktion und Autor drängt sich auf.
M.Will: Unseren täglichen Ehm* gib uns heute...
J.Nauer: Es soll in der Steiermark auch eine Zeitung gegeben haben,
die ihre Leserbriefe selbst verfasst hat.
M.Will: Das ist wenigstens ehrlich. Aber die Zeitung ist kürzlich
eingegangen.
J.Nauer: Kausaler Zusammenhang?
M.Will: Würde ich nicht behaupten. Aber eine Zeitung, die keine
Leserbriefe mehr bekommt, ist tot.
J.Nauer: Wie viele Leserbriefe bekommt der Korso?
M.Will: Tschüß!
* Franz Ehm, notorischer Leserbriefschreiber aus Steiermark.
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