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Österreichs
heimliche Liebe?
von Jörg-Martin Willnauer
Jedes Dorf hat seine Homepage, und jede Stadt hat ihren Spruch.
Irgendwann in den frühen 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts
ist er aufgekommen, der obligate Stadt-Slogan, der die Einzigartigkeiten
& Vorzüge der jeweiligen Metropole rühmen und preisen und
potenzielle Touristen anlocken soll.
Als Stadt mit Herz bezeichnete sich Heidelberg; Hamburg war die Stadt
mit Hirn und Schweinfurt die Stadt mit Stelzn. Berlin punktete als Stadt
mit Schnauze und Wien blieb Wien und war gleichzeitig anders.
In New York, wo Apfelbäume rar sind, sah man sich als wurmfreien
big apple und das deutsche Ex-Hauptstädtchen Bonn hieß zu Helmuts
Zeiten Stadt mit Birn.
Nur Venedig verzichtete auf einen Slogan. Venedig ist Venedig. Serenissima
hin oder her.
Auch in Graz erkannten die Stadtväter (-mütter gab’s damals
noch weniger als heute) mit einer entsprechenden Zeitverzögerung die
Wichtigkeit einer sprachlichen Visitkarte und so kam die steirische Landeshauptstadt
zu Graz hat’s!
Aber irgendwann erschien der zum Sprichwort aufgestiegene Slogan den
Verantwortlichen nicht mehr ausreichend.
Also beauftragte man um gutes Geld eine Werbeagentur, die einen neuen
Spruch erfinden und vermarkten sollte.
Die Agentur erfand und präsentierte mit großem Trara einen
Spruch, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss:
Graz: unsere Art, Stadt zu sein!
Das riecht natürlich nach Mir san mir! und Bunkermentalität
(so samma und so bleibma, und wems net passt, der soll sich schleichen!)
ist also immerhin ehrlich.
Aber ob Graz wirklich eine Stadt ist, darüber lässt sich
trefflich streiten.
Und ob der Beistrich im Slogan richtig oder falsch ist, bleibt offen.
Die Werbeagentur wurde bezahlt und der Spruch verschwand alsbald.
Und Briefpapier, Kuverts, Folder, Prospekte, Aufkleber, Logos &
Visitkarten mit dem Aufdruck Graz: unsere Art, Stadt zu sein! wanderten
druckfrisch, aber ungelesen zum Altpapier.
Ein neuer Slogan wurde in Auftrag gegeben und bezahlt:
Graz: Österreichs heimliche Liebe.
Streit ums Komma gibt’s hier nicht.
Aber obwohl der steirische herbst immer noch bekannter ist als Graz,
so heimlich ist die Landeshauptstadt nun doch wieder nicht.Und die heftig
umworbenen Touristen sollen ja nicht nur aus Österreich kommen, oder?
In der Agentursprache nennt man das „Zielgruppe verfehlt“.
Und: muss es immer Liebe sein? Genügt nicht Sympathie?
Ganz nebenbei fehlt die wichtigste Substanz eines Stadtslogans: die
Identifikation der Eingeborenen. Mit Unsere Art, Stadt zu sein ist das
nicht zu erreichen und mit Österreichs heimliche Liebe auch nicht.
Die Identifikation der Grazer blieb Graz hat’s! vorbehalten.
Dieser Slogan richtet sich an Gäste & Eingeborene.
Also wird man irgendwann, nachdem man viel Geld für andere Konstrukte
vergeudet hat, zur lapidaren Prägnanz von Graz hat’s zurückkehren.
Aber bis dahin ist’s noch ein weiter Weg.
Inzwischen darf ich aus meiner Privatschatulle der Stadt Graz ein paar
Sprüche gratis zur Verfügung stellen:
Graz, die heimliche Perle des Nordbalkans!
Graz, die heimliche Literaturhauptstadt der Steiermark!
Lieber Graz, als Gaza! Was ein Buchstabe ausmacht!
Graz ist geil!
Denkbar wäre auch die Umbenennung von Graz in G.R.A.M.
Und folgerichtig der Spruch: G.R.A.M.! Wo die Kunst zuhause ist.
Aber mein Favorit ist leider nicht von mir, sondern wird Wolfi Bauer
zugeschrieben.
Sein Bonmot genießt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
die emotionale Anteilnahme aller Eingeborenen:
Graz ist ein Arsch, der nicht scheißt.
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