11 / 2001
 
„Eintrittsschwelle für Autoren wird sich erhöhen“
 
 
Eichborn-Geschäftsführer Wolfgang Ferchl: „Noch gibt es gute Chancen für AutorInnen, die wirklich gelesen werden wollen.“

Das Verlagswesen erlebt erhebliche Konzentrationstendenzen. Für Leser soll der deutschsprachige Buchmarkt weiterhin ein „literarisches Paradies“ bleiben, für die Produzenten und Distributeure wird es eng werden – auch für jene Autorengeneration, die sich aus dem langen Schatten der Nachkriegszeit löst und zu einem neuen Schreiben findet. Wolfgang Ferchl, Geschäftsleiter des Frankfurter Eichborn Verlages, sprach bei der Abschlussveranstaltung von www.literaturboerse.com zum Thema und wurde anschließend von Hermann Götz vors Mikrophon gebeten.

Sie haben im Rahmen der Abschlussdiskussion zum Literaturbörsen-Projekt des steirischen herbstes einen Vergleich zwischen dem Literaturbetrieb und der Fußballwelt gezogen.
Literatur ist nicht nur ein Teil der Künste, sondern auch eine Ware, die den Bedingungen von Märkten unterliegt. Da gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen Fußball und dem literarischen Betrieb: Die Verleger sind heute in der Regel Angestellte und verantwortlich für die Programme, wie ein Fußballtrainer verantwortlich ist für das Spielsystem und für die Mannschaft. – Und da hätten sie schon wieder eine Analogie: Autoren wechseln heute sehr viel schneller als früher die Verlage, so wie Spieler eben von Verein zu Verein hüpfen, wenn sie von Agenten mit Geld gelockt werden. Das ist auch im literarischen Betrieb zunehmend so. Dieses Phänomen nutzt allerdings nur wenigen. So spielt einer der bekanntesten Spieler von Karlsruhe jetzt in irgendeiner Amateurliga. Das Gleiche ist in der Literatur der Fall: Autoren, die bei kleineren oder mittleren Verlagen sind, dort viel Aufmerksamkeit genießen, wechseln für einen vergleichsweise großen Vorschuss zu einem Großverlag und finden sich schließlich in zwei Jahren unter „ferner liefen“.

Fußball ist ein Massenphänomen, die schöne Literatur Minderheitenprogramm. Jetzt wird ihr eine Tendenz diagnostiziert, die ein Aufweichen der Barrieren zwischen E und U verspricht …
Ja, ich glaube das wirklich. Wir sind – zumindest in Deutschland – geprägt von der Ästhetik der Gruppe 47, die genau vorgegeben hat, wie ein Text zu sein hat, um vom Kritikermarkt aufgenommen zu werden: Dass ein Text immer auch die Bedingungen mit reflektieren muss, unter denen er entsteht usw. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Gruppe 47 fast als Kartell, als Marketingverein zu bezeichnen war: Sehr viele Autoren der Gruppe 47 waren Hörfunk-Kritiker, spielten aber auch in den großen Feuilletons eine entscheidende Rolle. Die Gruppe 47, der Bachmann-Preis, das Literarische Quartett: Das war die Übernahme der Literatur durch die Literaturkritik. Jetzt haben wir eine Autorengeneration, die zum Teil aus anderen Bereichen kommt, etwa aus dem Journalismus oder wie der erfolgreiche Eichborn-Autor Sven Regener aus der Musik. Sie schreiben mit anderen Hintergründen, da spielt etwa die angelsächsische Kultur, auch die Musik, eine wesentlich wichtigere Rolle als bei der Nachkriegsautoren-Generation. Das kann man natürlich auch mit der Wende 1989 und der deutschen Wiedervereinigung in Verbindung bringen, mit der die Nachkriegsära endgültig vorbei ist. Diese Generation tritt sehr viel selbstbewusster auf und nutzt Methoden des klassisch-realistischen Erzählens und eines sehr viel stärker filmischen Schreibens. Sie hat die Trennung zwischen „E“ und „U“ nicht im Kopf – und so schreibt sie auch.

Im Verlagsbereich gibt es starke Konzentrationstendenzen. Wie wirkt sich das aus? Für die Leser? Für die Händler? Für die Autoren?
Ich denke, dass die Konzentration für den Leser gar nichts bedeutet. Selbst wenn sich die Zahl der Titel von derzeit über 80 000 im Jahr auf die Hälfte reduzieren würde, gäbe es immer noch sehr viel mehr Bücher, als ein normaler Leser überhaupt lesen kann. Aber. Die Konzentration bedeutet sehr viel für die Autoren, Verlage und Buchhändler, denn es wird dann viel weniger Buchhandlungen und viel weniger kleine und mittlere Verlage geben. Und die Eintrittsschwelle für Autoren in den Markt wird sich deutlich erhöhen. Im Moment ist sie sehr niedrig, es gibt einen großen Bedarf an guten Texten, so dass jedes Talent und Talentchen mindestens ein oder zwei Versuche bekommt. Die Zeiten für deutschsprachige Autoren, die nicht nur auf den Markt der Preise und Stipendien schielen, sondern wirklich gelesen werden wollen, sind jetzt so gut wie noch nie. Das wird sich stark ändern; das Drop-Out-System, das wir vorher schon anhand des Fußballs erörtert haben, wird sich stark beschleunigen. Für alle, außer für die Leser, wird das ein Problem sein.

 

NOVEMBER-AUSGABE
KUNST /KULTUR / 2003