12/2000
  Was uns Vasti beschert ...
Ein haptisches Fußballerlebnis nach 30 Jahren kritischer Theorie
 

Die Tatsache, dass die Steiermark ins Zentrum des österreichischen Fußballinteresses gerückt ist, wird auch darin deutlich, dass es Fußballagnostiker wie mich ins Schwarzenegger-Stadion verschlägt. 

Die geschäftliche Besprechung über eine Medienkooperation mit der UTA-Telekom AG, die im steirischen Sportgeschehen als Sponsor auftritt, wird kurzerhand ins Liebenauer Stadion gelegt – und schon bin ich mitten drin: bei einem Match Sturm Graz gegen Admira-Wacker und ein, zwei Gläsern steirischem Bier. 

Theoretisch haben wir ja schon immer alles gewusst und geglaubt, uns nichts mehr fragen trauen zu müssen, was das Massenphänomen Fußball ausmacht, Ortega y Gasset und Canetti gelesen, haben uns mit der Sprache bzw. dem Soziolekt der Fußballreportage auseinandergesetzt und seinerzeit das Beispiel-Zitat im Deutschlehrbuch („Hattenbergerhatdenball ...“) nicht ohne ironischen Genuss wahrgenommen. Wir haben uns aber auch über Polit-Kutscher wie Henry Kissinger gefragt, warum sie den Fußball so wichtig nehmen und sind zum Schluss gekommen, dass irgendwas dran sein müsse.
Es gibt tatsächlich Menschen, die mit 48 Jahren ihr erstes Fußballmatch nationalen Ausmaßes in einem ordentlichen Stadion erleben. 
 

Leitet UTA-gesponserte Jungkicker-Sommercamps:
 Sturm's Ivica Vastic

Als Fußballagnostiker interessiert natürlich nach wie vor eher das Drumherum, die Familien der Spieler und Funktionäre, die sich in der VIP-Lounge für ein paar Stunden häuslich niedergelassen haben, der Zierat, die kleinen Fuß-Teppiche und die Gold- und Silberhäubchen auf den Klappsitzen der echten und unechten Senatorklasse-Zuschauer.
Am Spielfeld interessiert der rennende Arzt, der den am Boden liegenden Spieler eine Zeitlang nicht zu finden scheint und die Bahrenträger, die sich für zwei, drei Sekunden drum streiten, in welche Richtung es gehen soll.

Als Agnostiker halte ich zur Admira, weil sie ohne Heimvorteil spielt und, nur von einem winzigen Häufchen Fans nach Graz begleitet, wirklich wacker streitet (dieser mein laienhafter Eindruck wird übrigens am Folgetag in den steirischen Sportgazetten bestätigt). Dass der Platzsprecher am Ende der ersten Halbzeit (0:0) einen Sturm-Sieg vorhersagt, halte ich für mäßig undezent, werde aber von meinem Gastgeber, UTA’s Pressesprecher Klaus Puchleitner, darüber aufgeklärt, dass dies innerhalb dieses Systems nichts Unanständiges bedeutet.

Ende gut, alles gut, Sturm siegt schließlich 3:1, die BesucherInnen erheben sich zum Nachhausegehen, der Präsident aller Präsidenten erscheint noch einmal und schreitet die Ränge der VIP-Lounge hernieder. Durch Zufall müssen wir aneinander vorbei und ein prüfender Blick trifft den meinen. Kein Zweifel, er hat mich erkannt: „Du bist keiner von uns und auch keiner von den andern, aber es ist ok.“

Noch am Abend des gleichen Tages erfolgt in einem Grazer Innenstadtlokal eine notwendig gewordene Nachbesprechung zum einschneidenden Erlebnis des Verfassers dieser Zeilen. Der Beisl-Wirt Gerhard, der erstens echter Oststeirer, zweitens Intellektueller und drittens  praktizierender Volksfußballer ist, wird zugezogen: Ich erfahre, was eine „Gurke“ ist und meine Theorie ist um einen botanisch-anthropologischen  Aspekt reicher.

Dieter Kordik

   
 
DEZEMBER-AUSGABE KUNST / KULTUR