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Tattoo – vom Stigma
zum Status
„Totem und Tattoo“ – unter diesem Motto veranstalteten Mitarbeiter
des universitären Spezialforschungsbereiches Moderne von 19. bis 21.
Oktober im Grazer Palais Attems ein Symposion über (post)moderne Ästhetik.
Ein Schwerpunkt galt der tieferen Bedeutung des Tätowierens.
Feuer speiende Drachen am Rücken und keltische Ornamente am Oberarm
– was hat die heutige Modeerscheinung des Tätowierens mit der Wiener
Moderne zu tun? Eine Antwort darauf versuchte der Münchner (Kultur-)Soziologe
Wolfgang Fritscher zu geben – im Rahmen eines Symposions, veranstaltet
vom Grazer Spezialforschungsbereich Moderne in Zusammenarbeit mit der universitären
Arbeitsgruppe Kulturwissenschaften und dem Museum der Wahrnehmung. Fritscher
fand in seinem durchaus amüsanten Referat einige gewagte Parallelen
zwischen den „Lebenswelten“ der heutigen Tattoo-Szene und dem Wien um die
Jahrhundertwende: die Krise der Identität, das Misstrauen gegenüber
dem Fortschritt und die lebensnahe Kunstkonzeption. Bei allen Gemeinsamkeiten
betonte Fritscher aber, dass er die Parallelen zwischen Klimt und Körperbemalung
wohl nur im Rahmen eines derartigen Symposions präsentieren würde.
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Tatoo-Experte Wolfgang Fritscher: Die kleine Rebellion
am Rücken |
Tattoo & Identitätsfindung
Identitätskrisen, wie sie der Moderne-Experte Jacques Le Rider
für die Wende zum 20. Jahrhundert konstatiert, seien auch ein Kennzeichen
derer, die sich heute tätowieren lassen. Das meint Fritscher nach
zehnjähriger Beobachtung der Szene, die er nicht nur mit akademischer
Distanz untersucht hat. Er selbst trägt zwei Tattoos am Rücken:
Sein „erstes Vorbild“ Elvis und – nach kultursoziologischer Erforschung
des Flamenco – eine andalusische Tänzerin. Die Auswahl des Motivs
hält der Soziologe überhaupt für besonders aussagekräftig:
Denn für ihn signalisiert der Akt des Sich-tätowieren-Lassens
den Abschluss einer Identitätssuche, den „Versuch, die Identität
zu stärken“ durch ein irreversibles Körpermerkmal.
Über die Motive stellt Fritscher einen weitere Verbindung zur
Wiener Moderne her. Der häufige Rückgriff der Tätowierten
auf traditionelle Bilder und Muster wie beispielsweise keltische Ornamente
könne als heute wie damals aktuelle Sehnsucht nach dem idealisierten
Primitiven verstanden werden und als Misstrauen gegenüber dem Modernen.
„Kleine Rebellion“
Auch die Idee, Kunst solle im Alltag wirken, hätten Jugendstilmöbel
und -geschirr laut Fritscher mit den Bildern in der Haut gemeinsam. Eine
Besonderheit der Körperbilder ist allerdings, dass der Erwerb eines
solchen mit (Lust am) Schmerz verbunden ist. Dieser Schmerz, so der Kultursoziologe,
unterstütze die Kraft der „kleinen Rebellion“ gegen die Gesellschaft,
die eine Tätowierung für ihn bedeutet. Doch die ohnehin kleine
Rebellion wird immer kleiner, seit das Tattoo den Kreis der Häf’nbrüder
verlassen und die Mittelschicht erobert hat. Auch Frauen schmücken
sich mittlerweile damit. „Heute hat ja schon jede Brezelverkäuferin
zumindest einen kleinen Schmetterling in die Hand tätowiert“, so Fritscher.
Das Tattoo sei aber mit zunehmender Verbreitung im vergangenen Jahrzehnt
auch vom Stigma zum Statussymbol aufgestiegen. Und zwar das echte, nicht
das abwaschbare Schmucktattoo, das die Helden der Hollywood-Actionfilme
ziert. „Dass gerade das echte Tattoo in Mode ist, widerspricht der Theorie,
die Menschen der Postmoderne würden ihre Identität ständig
wechseln wollen“, erklärt Fritscher. Denn wer sich tätowieren
lässt, legt sich fest.
Ein Drache am Rücken ist eben nicht nur eine Modeerscheinung.
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