10/2000
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Zwischen Wachen und Träumen
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Letzthin, nach einer durcharbeiteten Nacht in der Redaktion,
träumte mir Grausames: Ich schritt über den Grazer Hauptplatz,
dürstend nach Kaffee. Da stand im Morgengrauen ein enormer Kran. Mit
stählernen Trossen riss er den Erzherzog-Johann-Brunnen aus seiner
Verankerung, schwenkte ihn hoch über’s Rathaus und setzte ihn auf
einem mit laufendem Motor wartenden Tieflader ab, der unverzüglich
losbrauste. Ein orangefarbener Klein-LKW des Magistrates rollte heran und
zehn in orangefarbene Monturen gekleidete Beamte der Dienstklasse D sprangen
aus dem Laderaum. Mit vereinten Kräften zerrten sie ein gewaltiges
Bündel auf den verwaisten Sockel, führten zehn daran angebrachte
Mundstücke an ihre Lippen und bliesen nach Leibeskräften und
mit geröteten Backen hinein, und das Bündel blähte sich
und bäumte sich und blähte sich weiter – bis es sich knisternd
zu einer gigantischen Hupfburg entfaltete, an deren Seite ein Schild prangte:
„Die Stadt – ihren Kindern.“ Und schon ertönte, rasch anschwellend,
fröhliches Kindergeschrei aus den angrenzenden Gassen, und eine lärmende
Meute ergoss sich über das Monstrum aus Gummi und heißer Luft:
Kinder aus allen
Ecken der Stadt, deren Spielwiesen Parkplätzen und Shopping-Zentren
weichen hatten müssen, die von Automobilen bis auf den Gehsteig verfolgt
und von blockwartenden Nachbarn aus den Höfen vertrieben worden waren
– sie hatten endlich Raum für ihre wilden Spiele. Ich floh – brüllende
Kinder am Morgen sind mir ein Gräuel; manchen gelte ich deswegen als
kinderfeindlich.
„Der Erzherzog-Johann-Brunnen soll eh wieder aufgestellt werden“, hörte
ich dann zwischen Wachen und Träumen noch jemand sagen, „in Hausmannstätten.
In Wahrheit hat man die Hupfburg nämlich gar nicht wegen der Kinder
herangeschafft; das eigentliche Problem war, dass der Brunnen schon längst
nicht mehr zu den Würstelständen gepasst hat.“ Da ging ich, endlich
einen Kaffee zu trinken und wieder wach zu werden. |
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Lea Steinborn
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