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Faltenwurf und nackte
Kaiser. Man diskutierte: Die Muschel
Auch wenn der Kaiser nackt ist, kann der Hofstaat gewählt über
den Faltenwurf der neuen kaiserlichen Roben parlieren, so lange,
bis ein Kind auftaucht ...
Die Grazer Kulturszene diskutierte auf Einladung der Grünen Akademie
die Acconci-Insel, mit 70 Millionen Schilling budgetiertes Renommierprojekt
für das Kulturstadtjahr 2003. Das Kind blieb leider aus.
Also war Faltenwurf das Thema: Ob’s dort unten an der Mur kalt sein
wird? (Es wird kalt sein.) Ob man die Muschel überhaupt von der Stadt
aus sehen wird? (Man wird, allerdings schlecht.) Ob damit die Stromwirtschaft
ein Vorprojekt für den Bau grauslicher Murkraftwerke lanciert hat
? (Sie hat nicht.) Ob der Entwurf Acconcis schon in Wien für die Donau
präsentiert wurde? (Er wurde nicht, Graz hat das Original.) Wie alt
der Herr Acconci ist? (Er ist nicht mehr jung.)
Ab 1. Jänner 2003 werden wir also einem wenig brauchbaren Kaffeehaus,
einem ungemütlichen Kinderspielplatz und einer überflüssigen
Veranstaltungsarena – das Ganze in origineller und kreativer Muschelform
– beim Schwimmen in der Mur zuschauen können. Kunst halt – interaktive
sogar: Wer unbedingt will, kann über zwei Stege und einen Lift hinunter
und nach dem Willen des Stardesigners und seines Intendanten Wolfgang Lorenz
„so der Mur möglichst nahe“ sein.
Am Podium im Grazer Stadtmuseum ging es angesichts dieser geballten
Fragwürdigkeiten gedämpft und höflich zu. Anfangs
die unvermeidliche Powerpoint-Präsentation, dann vorsichtige bis skeptische
Wortspenden von Architekt Günter Koberg, Landschaftsplaner Thomas
Proksch und Kunsthistoriker Günther Holler-Schuster. Den Rest des
Abends kämpfte der stellvertretende 2003-Intendant Eberhard Schrempf
tapfer gegen die aufkeimende Missstimmung – und er hatte auch mancherlei
Trost bereit: 35 der 70 Millionen kommen nicht aus dem Kunst-, sondern
aus dem Marketingbudget. Das Werk wird ein Wahrzeichen sein, von und für
Graz. Womöglich wird’s 2004 sogar ein privater (!) Unternehmer kaufen.
Und wenn die 70 Millionen nicht reichen, wird nicht gebaut, echt wahr,
versprochen!
Theo Sturm
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