07 / 2001
  Faltenwurf und nackte Kaiser. Man diskutierte: Die Muschel

Auch wenn der Kaiser nackt ist, kann der Hofstaat gewählt über den Faltenwurf der neuen kaiserlichen  Roben parlieren, so lange, bis ein Kind auftaucht ...
Die Grazer Kulturszene diskutierte auf Einladung der Grünen Akademie die Acconci-Insel, mit 70 Millionen Schilling budgetiertes Renommierprojekt für das Kulturstadtjahr 2003. Das Kind blieb leider aus.
 

Also war Faltenwurf das Thema: Ob’s dort unten an der Mur kalt sein wird? (Es wird kalt sein.) Ob man die Muschel überhaupt von der Stadt aus sehen wird? (Man wird, allerdings schlecht.) Ob damit die Stromwirtschaft ein Vorprojekt für den Bau grauslicher Murkraftwerke lanciert hat ? (Sie hat nicht.) Ob der Entwurf Acconcis schon in Wien für die Donau präsentiert wurde? (Er wurde nicht, Graz hat das Original.) Wie alt der Herr Acconci ist? (Er ist nicht mehr jung.)
Ab 1. Jänner 2003 werden wir also einem wenig brauchbaren Kaffeehaus, einem ungemütlichen Kinderspielplatz und einer überflüssigen Veranstaltungsarena – das Ganze in origineller und kreativer Muschelform – beim Schwimmen in der Mur zuschauen können. Kunst halt – interaktive sogar: Wer unbedingt will, kann über zwei Stege und einen Lift hinunter und nach dem Willen des Stardesigners und seines Intendanten Wolfgang Lorenz „so der Mur möglichst nahe“ sein. 
Am Podium im Grazer Stadtmuseum ging es angesichts dieser geballten Fragwürdigkeiten gedämpft  und höflich zu. Anfangs die unvermeidliche Powerpoint-Präsentation, dann vorsichtige bis skeptische Wortspenden von Architekt Günter Koberg, Landschaftsplaner Thomas Proksch und Kunsthistoriker Günther Holler-Schuster. Den Rest des Abends kämpfte der stellvertretende 2003-Intendant Eberhard Schrempf tapfer gegen die aufkeimende Missstimmung – und er hatte auch mancherlei Trost bereit: 35 der 70 Millionen kommen nicht aus dem Kunst-, sondern  aus dem Marketingbudget. Das Werk wird ein Wahrzeichen sein, von und für Graz. Womöglich wird’s 2004 sogar ein privater (!) Unternehmer kaufen. Und wenn die 70 Millionen nicht reichen, wird nicht gebaut, echt wahr, versprochen! 

Theo Sturm
JULI/AUGUST-AUSGABE
KUNST /KULTUR / 2003