11 / 2000
  Kindermuseum – made in Graz

Wenn Graz im Jahr 2003 Europas Kulturhauptstadt wird, soll – nicht zuletzt auch auf Initiative von Stadträtin Tatjana Kaltenbeck – in der steirischen Landeshauptstadt ein Kindermuseum in Betrieb sein, das nicht nur reale, physische Exponate präsentiert, sondern parallel dazu mit einem nach dem Stand der Informationstechnologie aufgebauten virtuellen Teil aufwarten kann, der – via neue Medien – sozusagen in die Welt hinaus reicht, die Welt aber auch ins Museum herein holt. Hans Fraeulin, Theatermacher und ehemaliger Grazer Kinderbeauftragter, Motor des vom Media-Programm der EU unterstützten Projekts, an dem bereits ein rundes Dutzend Spielexperten, KünstlerInnen, Redakteure, WebdesignerInnen und IT-ExpertInnen mitarbeiten: „Die Saurier starben aus, weil sie nicht spielten. Überleben kann man nur, wenn man gelernt hat, in Alternativen zu denken. Spiel reicht weiter ins ,wirkliche Leben’ hinein, als die meisten von uns wahrhaben wollen.“
 

Kindermuseum-Motor Hans Fraeulin: „Alle Spielfäden dieser Welt können 
in Graz zusammenlaufen“

Sich das Universum der Spiele, die je gespielt worden sind und die in Zukunft gespielt werden, anzueignen, dazu bedarf es eines „Museum in Progress“, eines wachsenden, sich entwickelnden Organismus, der die vielfältigen Reize von außen wahrnimmt, verarbeiten und allen zugänglich machen kann. Damit ist schon das Prinzip dieses Projektes umrissen: Das Museum ist sozusagen „Schnittstelle“ zwischen „befingerbarer“ und virtueller Wirklichkeit. Zu jedem Spiel, auf das ich gestoßen bin oder gerade gespielt habe, kann ich Information einholen oder versenden. Der latente Zusammenhang zwischen Realität, Spiel und Virtualität manifestiert sich in den neuen Medien. Arbeit bekommt seine notwendige spielerische Komponente, um sie erträglich zu machen, und Spiel beweist, dass es bei allen Geistesblitzen ganz schön anstrengend sein kann.

Kristallisationskern: 70 Millionen Jahre Spiel
Eröffnet werden soll das Kindermuseum mit einer multimedial vernetzten temporären Ausstellung „70 Millionen Jahre Spiel“, die zunächst den insbesondere für Kinder zentralen Aspekt menschlichen Daseins und Tuns fokussieren wird. Die Ausstellung soll später teilweise in den fixen Museumsbestand übernommen werden. Sie soll aber auch als Klon oder als Kopie an ähnlich konzipierte Museen wie etwa das Experimentarium in Kopenhagen oder die Phaenomentas in Flensburg und Lüdenscheid weitergegeben, verkauft oder gegen deren Sonderausstellungen eingetauscht werden können.
Der haptische Teil des Projektes besteht aus Räumlichkeiten, einem Grünbereich und einem Netzwerk über die ganze Stadt. Es soll Dauerinstallationen und Wechselausstellungen geben, und auch Hinweise, wie man gefahrlos zum Museum kommt, und was sonst noch Attraktives auf dem Weg liegt. 
Die Installationen sollen natürlich allen ästhetischen Ansprüchen genügen. Der alles entscheidende Unterschied zu herkömmlichen Museen ist der: Nicht wie sonst bilden Sammlungen den Ausgangspunkt, das Interesse der Menschheit dafür zu wecken, sondern zentraler Ausgangspunkt ist die kindliche Neugier, von der die Gestaltungsüberlegungen ausgehen. Klar, dass da Kinder frühzeitig in die Gestaltung eingebunden werden und die ersten Härtetests durchführen dürfen.
70 Millionen Jahre Spiel wird jede Bedeutung von Spiel umfassen: Kinder- und Erwachsenenspiele, Glücks- und Geschicklichkeitsspiele, alte und neue, vergessene und aktuelle Spiele, Spiele im Freien und in geschlossenen Räumen, Spiele aus aller Welt, Sport und Kultus, Theater in allen Variationen, Musik und Tanz, alte und neue Medien, Theorie und Spielpraxis. Schließlich soll die Ausstellung selbst ein Spiel sein mit allen Möglichkeiten des sich Erinnerns und Sammelns, dem Ausprobieren von Spielvarianten und dem Entwickeln neuer Spiele mit den dafür erforderlichen Hilfen.
 

Kindermuseum: Zentraler Ausgangspunkt soll die kindliche Neugier sein, von der die Gestaltungsüberlegungen ausgehen

Von der Möglichkeit für die jungen Leute, gleich zu spielen, sich Bälle, Spiele und Instrumente auszuleihen bis zur Abrufbarkeit von Informationen und Clips aus einem eigenen Intranet und aus dem Internet soll das Angebot reichen. Mit Hilfe neugieriger Kids (und ihrer Eltern) sollen in Vergessenheit geratene wie auch neue Spiele (re-)akquiriert werden können. Die Informationen werden aufbereitet, um sie späteren Spielbegeisterten, auch allen, die die Ausstellung via Internet besuchen, mit schnellem Zugriff zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise könnten irgendwann alle Spielfäden dieser Welt in Graz zusammenlaufen.

Info:
Hans Fraeulin, Pick-up Theater Company, Stiftingtalstraße 120, 8010 Graz, Tel. 0316/356123, e-mail: hans.fraeulin@styria.com

 

 
NOVEMBER-AUSGABE
KUNST / KULTUR / 2003