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herbstpremieren
Eine Nachlese von Willi Hengstler
Vielleicht war es das schöne Herbstwetter,
sicher verdrängte der Terroranschlag vom 11. September vorübergehend
alles andere. Nach einer nicht ganz geglückten Eröffnung am 4.
September schleppte sich der zweite „steirische Herbst“ des Intendanten
Oswald eher lustlos dahin. Die konzertante Aufführung von Beat Furers
„Begehren“ im Grazer Schauspielhaus hat die hoch spezialisierten Fans Neuer
Musik zwar hingerissen. Aber bei allem Respekt für die mit unerhörtem
Drive dahinwispernde und -zischelnde Orpheusvariante – ein mehrheitsfähiger
Auftakt war das Konzert nicht. Der anschließende traditionelle Empfang
im Weißen Saal der Burg erinnerte auch eher an ein Abonenntentreffen.
Klaus Händls „Ich ersehne die Alpen“ unter
Regie des Autors floppte sogar, die geologische, also überlebensgroße
Metapher für soziale Kälte, gleichzeitig ein preziöser Text
von verspielter, gekonnter Bescheidenheit, eignet sich eher für eine
kleine Bühne. Im großen, beeindruckend als Schneelandschaft
adaptierten Bautechnikzentrum geriet das Hin- und Herschleppen der Erfrorenen
bloß zu lähmenden Wiederbelebungsversuchen an einer dramatischen
Totgeburt.
Verstörende Konsequenz
Das Wetter blieb schön und der „herbst“
wurde besser mit der spannenden Gemeinschaftsproduktion „ Alle Jäger
danke“ des Grazer Theater im Bahnhof und KLARA aus Basel. Die furiose Theaterarbeit
operiert mit den Plattitüden, die Welt und Menschen zusammenhalten.
Von einer mit Porozellplatten und Pappschachteln eher trashig ausgestatteten
Bühne singen, schreien, keuchen und wimmern die Akteure mit ungeheurer
Energie und beachtlicher Virtuosität die bekannten Worthülsen
und emotionalen Versatzstücke in das Publikum zurück: ein wüstes,
zum Verzweifeln komisches Theater, bei dem noch die letzten großen
Sehnsuchtsworte „Liebe...Freiheit“ bloß den Ersatz aller Metaerzählungen
durch Slogans belegen. Die Grazer Truppe hat mit ihrem Wolfgang-Bauer-Stück
zu Beginn des Jahres hohe Erwartungen geweckt und sie auch erfüllt.
Aber – ob es nun an der Koproduktion oder an der verstörenden Konsequenz
des Konzeptes liegt – der Abend am Schlossberg war nicht ganz so rund.
Das Ticket auf eine internationale Karriere hat die Truppe aber keineswegs
verspielt.
Jongleurakt mit schweren Gewichten
Die letzte Premiere, Josef Winklers erstes Stück
„Tintentod“, war dann auch die überzeugendste und schaffte so etwas
wie die Quadratur des Kreises: ein Künstler, dessen Werk und Erfolg
auf geradezu manisch-monolithischer Authentizität basieren, reflektiert
diese seine Lebens-Rolle und bleibt ihr zugleich treu. Zwar wird alles,
was das finstere Kärnten Winklers so zu bieten hat, aufgebracht –
Spracharmut, Todesbesessenheit, Bisexualität, Schlichtheit und Eitelkeit,
Rohheit und Poetisierung – aber diese schweren Brocken mutieren zu beinah
ironischem Spielmaterial. Zugleich wird mit diesem Oszillieren zwischen
Authentizität und Fake, Unbedarftheit und Eigenwerbung, Naivität
und Berechnung, gespielter und echter (Ausdrucks)Not auch das Handwerk
des Schreibens und der Literaturbetrieb sanft verhöhnt. Inszeniert
wurde dieser Jongleurakt mit schweren Gewichten von der jungen Tiina Lanik
in einem gleichmäßigen Tempo, das man sich eher von einem Altmeister
erwartet hätte. Und der Hauptdarsteller Adrian Furrer, indem er Winkler
beinah echter spielte als dieser sich selber, entsprach auf brilliante
und beunruhigende Weise dem Konzept.
Mit der Ästhetisierung der Öffentlichkeit
und der Ununterscheidbarkeit von Werbung und Kunst verliert letztere zunehmend
ihre Katalysatorunktion. Diversifizierung und Ausdifferenzierung bringen
zwar immer mehr Qualität, aber auch kleinere Zielgruppen – logisch,
dass die kunstbegeisterten Politiker heuer abwesend waren wie schon lange
nicht mehr. Das Spiel ist kaum zu gewinnen. Setzt der Intendant auf Großereignisse
(wie voriges Jahr) wird ihm der Eventcharakter vorgehalten; realisiert
er ein durchgehend dichtes Programm, wirft man ihm fehlende Höhepunkte
vor.
Vielleicht ist gerade die schier unerschöpflichen
Begeisterungsfähigkeit Oswalds kontraproduktiv. Seine Besessenheit
von Superlativen verdeckt die möglichen Schwerpunkte. Die Präsentation
des Eröffnungsredners Rühm ist dafür nur ein Beispiel: Ein
Musikabend, ein Chansonabend, eine Ausstellung grafisch-musikalischer Arbeiten
und eine beinah verschämt präsentierte Uraufführung seines
Minidramas „Die goldene Hochzeit“ durch das Kabinetttheater Wien
– das alles hätte sich leicht zu einer längst fälligen,
großen Personale ausbauen lassen, muss sich aber so den Vorwurf
gefallen lassen „nicht neu“ zu sein. Bei der Präsentation wird also
einiges verschenkt, das kann auch die gute Pressebetreuung des „herbstes“
nicht ändern.
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