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Welches Gewicht die erste Auflage des steirischen herbstes
der Ära Oswald wirklich hat, werden die nächsten Wochen zeigen.
Erstmals ging die Eröffnung des viel zitierten Avantgarde- und
nunmehrigen „Zeiterkundungsfestivals“ ohne offizielle Beteiligung aktiver
Politrepräsentanten über die Bühne. Um der Politik der „täglichen
Beleidigung“ (Eröffnungsrednerin Marlene Streeruwitz), die
seit Februar noch wesentlich lustvoller praktiziert wird als je zuvor,
kein zusätzliches Podium zu bieten, übte man sich diesbezüglich
zum zweiten Mal nach (und auch in Absprache mit) der Filmwoche DIAGONALE
in nobler Zurückhaltung.
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Manche brauchen komplexe Synthesizer um
undefinierbares Knarzen und Blubbern, Zischen und Rauschen, Pfeifen und
Quietschen zu erzeugen. Dabei geht das auch ganz natürlich: Mit Gemüse. |
Immer wieder Österreich
Doch auch plumpe Oppositions-Rhetorik findet keinen Platz. Stellung
wird – sehr erfrischend – ausschließlich über das Programm bezogen.
Marlene Streeruwitz etwa wurde nicht nur als Eröffnungsrednerin
engagiert, sondern hat mit der politischen Revue „Sapporo“ auch ihren ersten
dramatischen Text seit langer Zeit verfasst (Uraufführung am 26. Oktober).
Unter dem Titel „RE_public“ verbirgt sich seit 7. Oktober ein Kampftrupp
zur Rückeroberung des öffentlichen Raums; die Gruppe „Immer wieder
Österreich“ zeigt – von Dollfuss bis Cordoba, von der Heimwehr bis
zum Austropop – die Höhepunkte eines abstrusen, kollektiven Österreichbewusstseins
und Robert Jelineks Österreichduft (Wiener Schnitzel, Bier und Apfelstrudel)
schließlich sorgte schon im Vorfeld für ein gewisses Skandalpotenzial
(„Wird das auch wirklich grausig stinken?“).
Ein breiter Schwerpunkt ist auch der Situation in Ex-Jugoslawien gewidmet.
Dejan Dukovskis „Das Pulverfass“ ist als Studie über destruktive menschliche
Energien zu verstehen, in „pad / der sturz“ zeichnet Biljana Srbljanovic
die Entwicklung Milosevic-Jugoslawiens als groteskes Familiendrama nach
und die Reihe „literatur im herbst“ lädt Exilautoren und -autorinnen
aus dem Südosten Europas zu Lesungen und Diskussionen nach Graz ein.
„Gier“ der jungen britischen Dramatikerin Sarah Kane erlebt ebenso
seine österreichische Uraufführung wie „Obsession“, das aktuelle
Programm der spanischen Theaterberserker La Fura dels Baus, die gemeinsam
mit dem österreichischen Komponisten Wolfgang Mitterer auch für
die Eröffnungsproduktion „white foam“ verantwortlich zeichneten.
Festival im Festival
Das Forum Stadtpark steuert unter dem Titel „Hightech/Lowtech“ ein
mehrwöchiges All-Sparten-Festival bei. Eine dicht besetzte Veranstaltungswoche
(Ausstellung, Seminare und Präsentationen, Werkstattberichte, Videoscreenings
und Konzerte) wird von einer Reihe von Workshops und Vorträge vorbereitet.
Kurator Orhan Kipcak geht es um den Gegensatz zwischen Hightech
und Lowtech, zwischen alter und neuer Technik: Dieser „soll nicht nur als
Unterschied zwischen technologischen Entwicklungsstufen vorgestellt werden,
sondern auch als Antagonismus, der vor allem auch in politischen, kulturellen
und künstlerischen Zusammenhängen auftaucht.“
(Wie etwa die Niederlage der bestausgerüsteten US-Truppen gegen
die Guerilla-Kämpfer des Vietcong beweise, dass Produktionsbedingungen
keine ursächliche Auswirkung auf das Endprodukt haben müssen.)
Klingende Motoren, musizierendes Gemüse
Besonders die Workshops machen diesen Aspekt deutlich. Sie offerieren
die ganze Bandbreite an Möglichkeiten: So stellt die Grazer Motoren-Schmiede
AVL den Teilnehmern des Seminars „Motor-Sounddesign“ ihr Hightech-Labor
zur psychoakustischen Optimierung von Automobilen zur Verfügung, während
das erste Wiener Gemüseorchester seiner Unterrichtseinheit bloß
einen kollektiven Besuch am Gemüsemarkt zum Erwerb des benötigten
Equipments voranstellt. Im Seminar „Musizieren nach Farben“ des Ersten
Wiener Heimorgelorchesters benötigt man zur Teilnahme überhaupt
nur mehr „einen freien Finger für das Spiel“.
Die Ergebnisse der Workshops – an denen grundsätzlich jeder Interessierte
teilnehmen kann (Anmeldeformulare und Informationen unter: http://forum.mur.at/highlow)
– werden in der bereits erwähnten abschließenden Themenwoche
präsentiert und mit dem „Forum Stadtpark-Festivalpreis“ prämiert.
Der Sieger darf auf eine Kunstreise nach Moskau, „wenn er sich traut“,
so Kipcak.
Ausführliche Selbstbespiegelung
Alles in allem legt das Team um Peter Oswald im ersten Jahr ein vielfältiges
und hochklassiges Programm vor. Vereinzelt gewinnt aber noch die Beschäftigung
mit sich selbst die Oberhand: so nimmt die „typosophische“ Erklärung
diverser Merchandising-Gags (etwa das herbst-Salz oder das dem Katalog
beigelegte Periodensystem) gleich zwei Drittel des offiziellen Pressetexts
ein, die zahlreichen Programmpunkte drängeln sich im restlichen Drittel.
Leider keine Erläuterungen gibt’s allerdings zum bereits traditionellen
herbst-Zucker. Dabei lässt gerade die Aufschrift „1. Auflage: 5.63t“
viel Raum zur Interpretation: Ist es ein Versprechen des Intendanten? Kann
er es einlösen? Hat die erste Auflage des steirischen herbst unter
Peter Oswald tatsächlich so viel Gewicht? Die nächsten Wochen
werden es zeigen.
Genauere Programm-Infos: www.steirischerbst.at
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