04 / 2001
 
DIAGONALE  2001: 
Ein Mega-Film über Codes und Kälte

Am Anfang die gute Nachricht vom fast schon ritualisierten Publikumsrekord: Die Diagonale 2001, das Festival des österreichischen Filmes in Graz, verzeichnete mit 19.460 Besuchern gegenüber den vorjährigen 17.000 eine Steigerung um 12%. Erreicht wurde das an sechs Festivaltagen  mit 122 Kinovorstellungen, von denen 54 ausverkauft und 30 zu mehr als 70% ausgelastet waren. Dazu kamen zahlreiche Sonderveranstaltungen, wie der Co-Produktionsmarkt „Dok Markt“, ein transnationales Film- und Ausstellungsprojekt „Grenzziehungen“ und 826 Akkreditierte (darunter 178 Journalisten, 174 internationale Gäste).
Der Eröffnungsfilm, „Code inconnu“ (Code unbekannt) mit Juliette Binoche von Michael Haneke war auch schon der beste. Leitmotivisch strukturiert – ein stummes Kind „spielt“ eine unentzifferbare Botschaft, Juliette Binoche ändert den Code zu ihrer Wohnung, um den Geliebten auszuschließen, usw.  – brilliert der Film durch perfekt choreografierte Plansequenzen, spart aber jeden politischen Diskurs aus. Auffallend viele Spielfilme der Diagonale ließen sich zu einem „Megafilm“ über den Umgang mit Codes und Kälte zusammensetzen. Auch Niki Lists „Mein Boss bin ich“, sein dritter Film über den am Down Syndrom leidenden Christian Polster, handelt von Kommunikationsproblemen; auch hier gibt es einen Film im Film. Aber List konzentriert sich lustvoll auf die soziale Praxis und Christian Polster, der mit seiner Behinderung nicht anders kann, als einfach zu sein, ist schon deshalb ein faszinierender Schauspieler. In
den fiktiven „Megafilm“ der Diagonale 2001 fügen sich auch die Arbeiten des „special guest“  Michael Klier. „Überall ist es besser wo wir nicht sind“ und „Ostkreuz“ zeigen ein  kaltes Deutschland, virtuos einfach inszeniert, aber ohne ihre Protagonisten auf  artifizielle Planposten zu reduzieren. „Ostkreuz“ erzählt von einer Fünfzehnjährigen, die 3000 Mark für die Mutter als Kaution für eine Wohnung zusammengaunert. Am Ende ist das Geld da, aber die Mutter verlässt das Kind (oder umgekehrt). 
In „Überall ist es besser, wo wir nicht sind“ schaffen es eine Polin und ein Pole bis nach Amerika. Irgendwie lieben sie sich, aber die Umstände sind so, dass man sich dauernd aus den Augen verlieren (will). 
 

Nicht nur die Hauptdarstellerin Juliette Binoche macht aus Hanekes „Code inconnu“ ein Meisterwerk.

In Kliers  neuestem Film „Heidi M“ kommt die geschiedene 40-Jährige von ihrem Mann erst nach dem Durchleben einer Krise los. Klier verengt  hier den sozial-realistischen Blick auf das Melodramatische und am Ende steckt er in einem Dilemma: Kälte bzw. Vereinsamung seiner Protagonistin wie gehabt oder Happy End. Kälte in Wien auch in Florian Flickers mit dem Diagonale-Preis prämierten „Der Überfall“. Ein ziemlich outrierender Roland Düringer, von seiner Frau verlassen und wegen der Unterhaltszahlungen unter Druck gesetzt, überfällt einen Schneiderladen. Die spezifisch österreichische Kälte zeigt sich vor allem darin, dass ausnahmslos alle Charaktere fies oder blöde oder beides sind.
Die PreisträgerInnen: Großer Diagonale-Preis für Florian Flicker „Der Überfall“ (210.000,— öS); Diagonale-Preis innovatives Kino gemeinsam für das Kollektiv „Die Kunst der Stunde ist Widerstand“ und den Verein „Echo“(160.000,— öS); Diagonale-Preis der Jugendjury und der ORF-Kunststücke für Kerstin Cmelka für „Mit mir“ (50.000,— öS); erstmals verliehen wurden der Diagonale-Preis der Diözese Graz-Seckau: Joerg Burger: „Moscouw“ (50.000,- öS) sowie der Booz, Allen & Hamilton-Preis für die beste österreichische TV-Dokumentation: Ruth Beckermann „homemad(e)“ (80.000,- öS).
Willi Hengstler


 
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KUNST UND KULTUR