05 / 2001
  "To transform desire into law" – Legislatives Theater für Graz 

Am Grazer Hauptplatz wacht seit einiger Zeit täglich die Polizei über die „öffentliche Ordnung“ und manche Wirtschaftstreibenden sprechen sich dafür aus, den Platz „frei zu machen“ von den dort verweilenden Punks. Am Jakominiplatz soll eine Überwachungskamera für ein neues „Sicherheitsgefühl“ sorgen und im Gemeinderat wird wieder Stimmung gegen die BettlerInnen gemacht. Bei Konflikten im öffentlichen Raum wird in Graz wieder vermehrt auf eine ideenlose Law-and-order-Strategie zurückgegriffen. Dass es auch anders gehen kann, bewies der berühmte brasilianische Theatermacher und Politiker Augusto Boal bei seinem Besuch in Graz.

Vier Jahre lang, von 1993-96, praktizierte Augusto Boal als Stadtrat der Partido dos Trabalhadores (PT) in der 12-Millionen-Stadt Rio de Janeiro eine äußerst erfolgreiche Einbindung und Beteiligung von BürgerInnen bei öffentlichen Konflikten und Gewaltsituationen. Dazu wurde von ihm das so genannte „legislative Theater“ entwickelt. Boal: „Es ist eine neue Form, um alle Methoden des von mir entwickelten ‚Theaters der Unterdrückten‘ zur Umsetzung legislativer Vorschläge zu nutzen. Da ich als Stadtrat Anrecht auf 25 Assistenten hatte, konnte ich gleich eine ganze Theatergruppe anstellen.“ Insgesamt wurden unter Boal 19 Forumtheatergruppen in ganz Rio gegründet, darunter eigene von SlumbewohnerInnen, Homosexuellen oder misshandelten Frauen. „In den Stücken wurden“, so Boal, „von ihnen ihre Wünsche ausgedrückt und gesetzliche Alternativen erarbeitet. Insgesamt konnten 13 so entstandene Gesetzesanträge umgesetzt werden. Das von uns eingebrachte Zeugen- und Opferschutzgesetz ermöglichte erstmals die anonyme Vernehmung von Zeugen. Vorher wurden Zeugen eingeschüchtert und die Täter konnten meist nicht verfolgt werden. Dieses Gesetz ist inzwischen in ganz Brasilien gültig.“ 
 

Legislatives Theater – ein Modell auch für Graz? Augusto Boal im Gespräch mit Bgm. Alfred Stingl

Forumtheater mit Grazer PolitikerInnen
Zum Abschluss seines Grazbesuchs, der auf Einladung von InterACT - der Grazer Werkstatt für Theater und Soziokultur erfolgt ist, fand am 9. April gemeinsam mit Boal eine ExpertInnentagung mit dem Titel  „To transform desire into law - Legislatives Theater als Weg zur politischen Beteiligung und als Dialog zwischen Betroffenen und PolitikerInnen‘“ an der Universität Graz statt. Neben VertreterInnen von Kinder-, Jugend- und Bürgerinitiativen sowie ExpertInnen der Stadtentwicklung setzten sich auch Grazer PolitikerInnen der SPÖ, ÖVP und Grünen auf kreative Art mit aktuellen Konflikten in der Stadt auseinander. Themen waren etwa das Verhalten zu BettlerInnen im öffentlichen Raum sowie der Rassismus gegenüber SchwarzafrikanerInnen. InterACT-Leiter Univ.Ass. Dr. Michael Wrentschur zeigt sich begeistert vom Ergebnis: „Für mich war eindrucksvoll, was innerhalb kurzer Zeit entstanden ist. Ausgehend von eigenen Erfahrungen gelangten wir zu szenisch-theatralen Darstellungen und Interventionen, um schließlich über Veränderungsansätze zu diskutieren, die zur Formulierung von Gesetzestexten führten. Schließlich wurden von den Gruppen präsentierte Gesetzesvorschläge im Plenum zur Abstimmung gebracht.“ 
 

Dr. Michael Wrentschur (InterAct): „Beim Stadtentwicklungsprojekt Graz West soll legislatives Theater erstmals als eine Form der BürgerInnenbeteiligung eingesetzt werden.“

Graz: Nachholbedarf in Sachen BürgerInnenbeteiligung?
Unter den TeilnehmerInnen war auch die SPÖ-Gemeinderätin Elke Edlinger: „Die Methode ist eine Bereicherung für die politische Beteiligungsarbeit, dennoch bin ich hinsichtlich des Einsatzes legislativen Theaters für Graz etwas skeptisch.“ Für sie gibt es zum einen große Hemmschwellen zur Teilnahme und zum anderen fehle es in Graz, im Unterschied etwa zu Linz, an einem politischen Konsens über Sinn, Durchführung und Finanzmittel von Bürgerbeteiligungsprojekten. Als Negativbeispiel dafür, dass Mitbestimmungspläne der Bevölkerung zu wenig ernst genommen werden, nennt sie den Umgang mit den „AlltagsexpertInnen“ im Rahmen der Diskussionen um das neue Grazer Stadtentwicklungskonzept im vergangenen Jahr. 
Gerade in diesem Bereich sieht auch Wrentschur ein Aktionsfeld für InterACT. Wrentschur: „Es gibt die Idee, legislatives Theater beim geplanten Stadtentwicklungsprojekt Graz West als neue Form der BürgerInnenbeteiligung einzusetzen, um besonders für jene Gruppen neue Artikulationsmöglichkeiten zu schaffen, die sich sonst kaum zu Wort melden können.“ Daneben würde Wrentschur es aber auch begrüßen, wenn die Stadt bei verhärteten Konflikten, wie jenem um den Grazer Hauptplatz, auf den Einsatz des Legislativen Theaters in einem mediatorischen Sinne bauen würde. Man darf daher gespannt sein, ob der Besuch Boals nachhaltige Folgen für die zukünftige Realpolitik der „Menschenrechtsstadt“ und baldigen „Kulturhauptstadt“ zeitigen wird.


„ÖNORM“ – Ein Forumtheater zum  alltäglichen Rassismus
 

Das „Forumtheater“ wurde vor rund 40 Jahren vom Brasilianer Augusto Boal entwickelt und hat sich seitdem in mehr als 70 Ländern der Welt verbreitet. Boal verbindet in seiner Arbeit die Lust am Spiel, die Ästhetik des interaktiven Theaters mit gesellschaftspolitischem Engagement und kreativer Konfliktlösung. In Kürze präsentiert die Grazer Theatergruppe InterACT ihr neues Forumtheaterstück „ÖNORM“, das von den persönlichen Erfahrungen der SchauspielerInnen mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus ausgeht.
Das Stück spielt in einem bunten, sinnlich überfüllten Supermarkt. Der Raum wird mit harmonischer Musik überflutet. Das Bühnenbild ist Ausdruck für die Brüchigkeit einer kulturellen Identität, die sich stark auf Konsum gründet. In den Gängen des Supermarktes bewegen sich Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts. Die Normalität der alltäglichen Konsumhandlungen wird jäh unterbrochen, als eine gänzlich andersartige,  „verhüllte“ Person auftaucht. Konfrontiert mit dem Fremden werden zunächst zaghaft – dann immer dreister – Unsicherheiten, Ängste, Gebote, Ideologien der verschiedenen KäuferInnen sicht- und spürbar. Im Laufe des Stückes steigern sich schließlich subtile Abwertung und Rassismus zu einem offenen Konflikt unter den KäuferInnen, bei dem am Schluss keine/r mehr weiß, wie es nur geschehen konnte … Die Frage, wie diese Geschichte wohl anders ausgehen könnte, wird schließlich an das Publikum gestellt. Das Publikum kann der Geschichte einen anderen Verlauf geben, indem es SchauspielerInnen, die im dargestellten Konflikt ohnmächtig, ratlos oder unterdrückt erscheinen, ersetzt. Somit entsteht eine öffentlich theatrale Diskussion, in der die ZuschauerInnen alternative Handlungen und Handlungsweisen in der Szene ausprobieren können.
Die Gruppe InterACT – Werkstatt für Theater und Soziokultur gebraucht das Theater als Werkzeug für Kommunikation und Veränderung. So wird das Theater als kulturelle Ausdrucksform den Menschen zugänglich und für die Kultur des Zusammenlebens nutzbar. InterACT überwindet damit die Grenze zwischen Alltag, Kunst und Kultur. 

Premiere: 
11. Mai 2001, 20:00 Uhr im Theatro, Neubaugasse 6, 8020 Graz
weitere Termine: 12., 14. und 15. Mai 2001, jeweils 20:00 Uhr
Inter ACT – Werkstatt für Theater und Soziokultur, Merangasse 70. Information, tel: 0316/380-2547
Kartenreservierung: Theatro, tel: 0316/716027

Bei unserem Kulturquiz gibt’s 4 x 2 Eintrittskarten für das Forumtheater „Önorm“ zu gewinnen!
 

 
MAI-AUSGABE KUNST/ KULTUR/ 2003