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USA: Mythos der
Einwanderungsgesellschaft
Auf Einladung des US-State Departments konnten Mitte Mai VertreterInnen
von fünf österreichischen nichtstaatlichen Organisationen (NGOs)
die USA besuchen. Wolfgang Gulis vom Grazer Verein ZEBRA, der einzige Bundesländervertreter
unter den fünf Auserwählten, hatte dabei die Gelegenheit hinter
die Kulissen der US-Einwanderungs- politik zu blicken.
Grund für die überraschende Einladung war die derzeitige politische
Entwicklung in Österreich, wie uns hinter vorgehaltener Hand bestätigt
wurde. „Man wolle die Zivilgesellschaft in Österreich stärken”.
Ziel der Reise war es, amerikanische Einwanderungs- und Integrationsprogramme
für Flüchtlinge kennenzulernen.
„Immigration is good” gilt nicht mehr
Einwanderung ist in den USA allgegenwärtig. Der Chauffeur, der
uns in Washington von einem Termin zum anderen fährt, kommt aus Somalia.
Wir gewinnen ihn trotz seiner Fahrweise lieb. Der Taxichauffeur, der uns
am Abend durch die Rush Hour kutschiert, ist aus Nigeria geflüchtet
und war jahrelang in Deutschland. Diese Neuzuwanderer sind es auch,
die den Mythos der USA als Einwanderungsland weiterleben lassen. Daher
ist das Credo der US-Gesellschaft noch immer – auf die für die amerikanische
Einstellung so typisch einfache und positive Formel gebracht: „Immigration
is good.”
In den letzten Jahren hat sich aber einiges geändert, insbesondere
seit 1996. Die anhaltende illegale Zuwanderung an der texanischen Grenze
und in Florida wurde von konservativen Demokraten und Republikanern dazu
benützt, die Fremdengesetze in wichtigen Punkten zu verschärfen.
Auch immigrationsfeindliche Positionen haben Aufwind, wie uns die parlamentarische
Mitarbeiterin des demokratischen Senators Kennedy in einem Gespräch
bestätigt.
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Immigration Officers am J.-F.-Kennedy-Airport in New
York: Die Beamten sind berechtigt, AsylwerberInnen eigenmächtig innerhalb
von 24 Stunden abzuschieben. |
Seit der großen Änderung der Einwanderungsgesetze im Jahre
1996 obliegt es „den Beamten vor Ort zu entscheiden, ob Flüchtlinge
zurückgeschickt, eingesperrt oder in die USA gelassen werden”, weiß
Shannon
Dennett vom IRSA (Immigration and Refugee Service) zu berichten, die
auch darauf hinweist, dass die Zustände an den Flughäfen und
an den neuralgischen Grenzen erschreckend sind und nicht einmal NGOs zu
den Inhaftierten zugelassen werden. „Der Rechtsstandard ist geringer als
bei einem ordentlichen Gerichtsverfahren.”
Flüchtlinge werden geholt – auch aus Österreich
Im Laufe unserer Reise, die uns von Washington nach Des Moines in Iowa
über Buffalo im Bundesstaat New York nach New York City führt,
wird uns das staatliche Flüchtlingsprogramm (Resettlementprogramm)
von verschiedenen Seiten ausführlich beschrieben. Neben dem Flüchtlingsprogramm
gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Einwanderungsquoten für Arbeitskräfte,
Studenten, Familienangehörige usw. Was Bürokratie und Regelungen
betrifft, stehen die US-Behörden unseren sicher nicht nach, immerhin
gibt es 25 verschiedene Kategorien von Visas.
Elisa Kleinhawks, stellvertretende Leiterin des Flüchtlings-
und Wanderungsbüros in Washington erklärt uns, dass jährlich
etwa 75.000 bis 80.000 Flüchtlinge an verschiedenen Auswahlpunkten
in Europa (Wien, Zagreb, Frankfurt …), Asien und Afrika als AnwärterInnen
im so genannten „Oversea Processing” ausgewählt werden. Wenn sie akzeptiert
werden – und das betrifft laut Kleinhawks etwa 95% der Interviewten
–, dann kommen sie als Flüchtlinge in die USA und haben Anspruch auf
ein Unterstützungsprogramm (resettlement).
Staatsraison
Dass dieses Verfahren für die USA durchaus praktikabel und effizient
ist, liegt auf der Hand. Der Vorteil ist augenscheinlich, die Behörden
können jederzeit das Flüchtlingskontingent regulieren und steuern.
Es gibt keine Wartezeiten auf den Ausgang des Verfahrens. Wenn der Flüchtling
in die USA kommt, steht ihm das Resettlement-Programm zur Verfügung,
die Integrationsmaßnahmen können sofort starten.
Bedenken der österreichischen Delegation bezüglich des eher
lockeren Umganges mit der Frage von Fluchtgründen und der Gefahr bei
solch einem Kontingentverfahren, „andere Gründe” – wirtschaftliche,
staatspolitische – in den Vordergrund zu stellen, wurden durch den
Ausspruch der Mitarbeiterin des republikanischen Kongressabgeordneten Canady
bestätigt: „Selbstverständlich hängt die Anerkennung als
Flüchtling davon ab, in welcher Beziehung die USA gerade zu dem Land
stehen, aus dem der Flüchtling kommt.”
Unterstützung in Darlehensform
Die Integrationsarbeit vor Ort wird von NGOs übernommen,
die mit dem State Department einen Vertrag haben. Die Organisationen bekommen
pro Flüchtling 750.— Dollar für ihre Arbeit. Damit muss alles
bestritten werden – also auch Büro-, Infrastruktur und Personalkosten;
dazu gibt’s natürlich auch noch die Einnahmen aus Spenden. Die Unterstützung
ist in Form eines Darlehens organisiert. Die Flüchtlinge sollen langfristig
die staatliche Unterstützung auch wieder an den Staat zurückzahlen.
Laut Wayne Johnson vom Büro des Flüchtlingsservice in
Iowa funktioniert das ausgezeichnet.
Das Intensivprogramm ist auf vorerst einen Monat beschränkt.
Hat der Flüchtling bis dahin keine Arbeit gefunden, wird das Programm
auf 120 Tage verlängert. Sollte es bis dahin auch noch nicht geklappt
haben, dann stehen ihm die üblichen Sozialhilfeprogramme zur Verfügung,
die neun Monate lang in Anspruch genommen werden können.
Mythos USA
Aus österreichischer Sicht ist diese Form der sofortigen und raschen
Unterstützungsarbeit fast als Zukunftsvision zu bezeichnen. Mit halblegalen,
unsicheren Aufenthaltszuständen, fehlender staatlicher Unterbringung,
monatelangem Warten und möglicherweise sogar drohender Schubhaft und
Abschiebung müssen sich die amerikanischen NGO-KollegInnen nicht herumärgern.
Sind Neuzuwanderer einmal in den USA aufgenommen, dann haben sie alle Chancen
auf Neubegründung einer Existenz. Aber: Der Mythos USA verstellt die
Aussicht auf die wahren Verhältnisse, die in den Abschiebezentren,
den Inhaftierungen von Illegalen und den rechtsfreien Räumen an den
Flughäfen und im lockeren Umgang mit Fluchtgründen zu Tage treten.
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