07 / 2000
  USA: Mythos der Einwanderungsgesellschaft

Auf Einladung des US-State Departments konnten Mitte Mai VertreterInnen von fünf österreichischen nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) die USA besuchen. Wolfgang Gulis vom Grazer Verein ZEBRA, der einzige Bundesländervertreter unter den fünf Auserwählten, hatte dabei die Gelegenheit hinter die Kulissen der US-Einwanderungs- politik zu blicken. 

Grund für die überraschende Einladung war die derzeitige politische Entwicklung in Österreich, wie uns hinter vorgehaltener Hand bestätigt wurde. „Man wolle die Zivilgesellschaft in Österreich stärken”. Ziel der Reise war es, amerikanische Einwanderungs- und Integrationsprogramme für Flüchtlinge kennenzulernen.

„Immigration is good” gilt nicht mehr
Einwanderung ist in den USA allgegenwärtig. Der Chauffeur, der uns in Washington von einem Termin zum anderen fährt, kommt aus Somalia. Wir gewinnen ihn trotz seiner Fahrweise lieb. Der Taxichauffeur, der uns am Abend durch die Rush Hour kutschiert, ist aus Nigeria geflüchtet und war jahrelang in Deutschland.  Diese Neuzuwanderer sind es auch, die den Mythos der USA als Einwanderungsland weiterleben lassen. Daher ist das Credo der US-Gesellschaft noch immer – auf die für die amerikanische Einstellung so typisch einfache und positive Formel gebracht: „Immigration is good.”
In den letzten Jahren hat sich aber einiges geändert, insbesondere seit 1996. Die anhaltende illegale Zuwanderung an der texanischen Grenze und in Florida wurde von konservativen Demokraten und Republikanern dazu benützt, die Fremdengesetze in wichtigen Punkten zu verschärfen. Auch immigrationsfeindliche Positionen haben Aufwind, wie uns die parlamentarische Mitarbeiterin des demokratischen Senators Kennedy in einem Gespräch bestätigt. 
 

Immigration Officers am J.-F.-Kennedy-Airport in New York: Die Beamten sind berechtigt, AsylwerberInnen eigenmächtig innerhalb von 24 Stunden abzuschieben.

Seit der großen Änderung der Einwanderungsgesetze im Jahre 1996 obliegt es „den Beamten vor Ort zu entscheiden, ob Flüchtlinge zurückgeschickt, eingesperrt oder in die USA gelassen werden”, weiß Shannon Dennett vom IRSA (Immigration and Refugee Service) zu berichten, die auch darauf hinweist, dass die Zustände an den Flughäfen und an den neuralgischen Grenzen erschreckend sind und nicht einmal NGOs zu den Inhaftierten zugelassen werden. „Der Rechtsstandard ist geringer als bei einem ordentlichen Gerichtsverfahren.”

Flüchtlinge werden geholt – auch aus Österreich
Im Laufe unserer Reise, die uns von Washington nach Des Moines in Iowa über Buffalo im Bundesstaat New York nach New York City führt, wird uns das staatliche Flüchtlingsprogramm (Resettlementprogramm) von verschiedenen Seiten ausführlich beschrieben. Neben dem Flüchtlingsprogramm gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Einwanderungsquoten für Arbeitskräfte, Studenten, Familienangehörige usw. Was Bürokratie und Regelungen betrifft, stehen die US-Behörden unseren sicher nicht nach, immerhin gibt es 25 verschiedene Kategorien von Visas. 
Elisa Kleinhawks, stellvertretende Leiterin des Flüchtlings- und Wanderungsbüros in Washington erklärt uns, dass jährlich etwa 75.000 bis 80.000 Flüchtlinge an verschiedenen Auswahlpunkten in Europa (Wien, Zagreb, Frankfurt …), Asien und Afrika als AnwärterInnen im so genannten „Oversea Processing” ausgewählt werden. Wenn sie akzeptiert werden – und das betrifft laut Kleinhawks etwa 95%  der Interviewten –, dann kommen sie als Flüchtlinge in die USA und haben Anspruch auf ein Unterstützungsprogramm (resettlement).

Staatsraison
Dass dieses Verfahren für die USA durchaus praktikabel und effizient ist, liegt auf der Hand. Der Vorteil ist augenscheinlich, die Behörden können jederzeit das Flüchtlingskontingent regulieren und steuern. Es gibt keine Wartezeiten auf den Ausgang des Verfahrens. Wenn der Flüchtling in die USA kommt, steht ihm das Resettlement-Programm zur Verfügung, die Integrationsmaßnahmen können sofort starten. 
Bedenken der österreichischen Delegation bezüglich des eher lockeren Umganges mit der Frage von Fluchtgründen und der Gefahr bei solch einem Kontingentverfahren, „andere Gründe” – wirtschaftliche, staatspolitische – in den Vordergrund zu stellen,  wurden durch den Ausspruch der Mitarbeiterin des republikanischen Kongressabgeordneten Canady bestätigt: „Selbstverständlich hängt die Anerkennung als Flüchtling davon ab, in welcher Beziehung die USA gerade zu dem Land stehen, aus dem der Flüchtling kommt.”

Unterstützung in Darlehensform
Die  Integrationsarbeit vor Ort wird von NGOs übernommen, die mit dem State Department einen Vertrag haben. Die Organisationen bekommen pro Flüchtling 750.— Dollar für ihre Arbeit. Damit muss alles bestritten werden – also auch Büro-,  Infrastruktur und Personalkosten; dazu gibt’s natürlich auch noch die Einnahmen aus Spenden. Die Unterstützung ist in Form eines Darlehens organisiert. Die Flüchtlinge sollen langfristig die staatliche Unterstützung auch wieder an den Staat zurückzahlen. Laut Wayne Johnson vom Büro des Flüchtlingsservice in Iowa funktioniert das ausgezeichnet.
Das Intensivprogramm ist auf vorerst einen Monat beschränkt.
Hat der Flüchtling bis dahin keine Arbeit gefunden, wird das Programm auf 120 Tage verlängert. Sollte es bis dahin auch noch nicht geklappt haben, dann stehen ihm die üblichen Sozialhilfeprogramme zur Verfügung, die neun Monate lang in Anspruch genommen werden können.

Mythos USA
Aus österreichischer Sicht ist diese Form der sofortigen und raschen Unterstützungsarbeit fast als Zukunftsvision zu bezeichnen. Mit halblegalen, unsicheren Aufenthaltszuständen, fehlender staatlicher Unterbringung, monatelangem Warten und möglicherweise sogar drohender Schubhaft und Abschiebung müssen sich die amerikanischen NGO-KollegInnen nicht herumärgern. Sind Neuzuwanderer einmal in den USA aufgenommen, dann haben sie alle Chancen auf Neubegründung einer Existenz. Aber: Der Mythos USA verstellt die Aussicht auf die wahren Verhältnisse, die in den Abschiebezentren, den Inhaftierungen von Illegalen und den rechtsfreien Räumen an den Flughäfen und im lockeren Umgang mit Fluchtgründen zu Tage treten.
 
Wolfgang Gulis

 

 
JULI AUSGABE GLOBAL CORNER