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Slowenien: Teamarbeit
für die Gesundheit
Nach den Maßstäben der WHO (Weltgesundheitsorganisation)
gilt das slowenische Gesundheitswesen als eines der fortschrittlichsten
und zukunftsweisenden in Europa, weil sein Konzept auf Vorsorge aufbaut
und nicht nur die Behandlung von Krankheiten in den Mittelpunkt stellt.
MitarbeiterInnen des Grazer Sozialmedizinischen Zentrums folgten einer
Einladung nach Maribor, wo sie sich von der Effizienz der Gesundheitspolitik
unserer Nachbarrepublik überzeugen konnten.
Ulica Talcev 9 in Marburg: Ein alter grauer Gebäudekomplex im Zentrum
der Stadt am linken Murufer. Gleich schräg gegenüber steht ein
modernerer siebenstöckiger Bau: das Gesundheitszentrum Maribor – eines
der größten von insgesamt 71 „Health Centres“ in Slowenien.
An die 1000 MitarbeiterInnen sind hier für die medizinische Versorgung
von rund 185.000 Menschen zuständig.
„Gesundheit ist köperliches, seelisches
und soziales Wohlergehen“
„Ziel jedes Gesundheitszentrums ist, die Menschen von ihrer Geburt
bis zu ihrem Tod zu versorgen“, bekräftigt Primar Anton Zidanik,
der Generaldirektor des Zentrums.
Das klassische Gesundheitsteam besteht aus einem „Familienarzt“ (dem
Allgemeinmediziner), einem Zahnarzt, der Gemeindeschwester und ihrem Team
und der Apotheke. Ein Gynäkologe, ein Kinderarzt, eine PhysiotherapeutIn
und ein Sozialarbeiter können jederzeit hinzugezogen werden. Den Teams
sind auch Präventionsaufgaben übertragen, denn: Es ist auch Aufgabe
eines Gesundheitszentrums, die BürgerInnen von der Gesundheitsgefährdung
durch Rauchen und Trinken, von der Notwendigkeit gesunder Ernährung,
der Stressprävention und des Aufbaus sozialer Netze zu überzeugen.
Die MitarbeiterInnen des Zentrums definieren Gesundheit als das „höchst
mögliche körperliche, seelische und soziale Wohlergehen des Einzelnen
und auch der Gesellschaft im Ganzen“.
Primar Ciril Vreca vom Gesundheitszentrum Maribor ist überzeugt:
„Den Kampf um bessere Gesundheit können wir nicht nur über kurative
Maßnahmen gewinnen. Wir müssen die Menschen vor allem von einer
gesunden Lebensweise überzeugen – das senkt die Sterblichkeitsrate
stärker als chirurgische Spitzenleistungen!“
Versorgung und Prävention unter einem
Dach
Zusätzlich zu den rund 1000 MitarbeiterInnen des Zentrums sind
in den Außenbezirken der Stadt kleinere medizinische Teams Ansprechpartner
für die Bevölkerung. Ein Essenzustelldienst beliefert Alte, Kranke
und Alleinstehende, für Akutfälle ist das Gesundheitszentrum
auch nachts geöffnet.
Das Zentrum (das nach drei gescheiterten Volksabstimmungen schließlich
doch über freiwillige Spenden von Marburger Bürgern, Wirtschaftstreibenden,
Banken und Versicherungen errichtet werden konnte) präsentiert sich
zweigeteilt: Auf der einen Seite des Komplexes befinden sich die einzelnen
Ambulanzen; jeder Ambulanz und Spezialabteilung sind auf der jeweils gegenüberliegenden
Gebäudeseite die entsprechenden „Dispensaries“ zugeordnet, die für
Gesundheitsförderungsschwerpunkte und -programme zuständig sind.
Sie erfassen gesundheitsstatistische Daten aus der Bevölkerung,
analysieren Studien und erarbeiten konkrete Verhütungs- und Vorsorgemaßnahmen,
die dann an die vorgesetzte Gesundheitsbehörde, den Gesundheitsrat
in der Regierung, zur gesetzlichen Umsetzung weitergeleitet werden.
Der Obmann des SMZ Graz-Liebenau, Dr. Rainer Possert, zeigte
sich vom System der Dispensaries und dem hohen Stellenwert der Gesundheitsvorsorge
beeindruckt: „Ein Schwerpunkt, der in Österreich bei weitem zu kurz
kommt!“ „Bemerkenswert“ ist für Possert auch die Tatsache, „dass das
Gemeinwesen direkten Einfluss auf die Versorgung und die Gesundheitsförderung
hat. Noch scheinen in Slowenien diverse Pharma- oder Gesundheitslobbies
nicht in dem Maße vorzuherrschen wie in Österreich.“
Privatordination im Rahmen des öffentlichen
Gesundheitswesens
Es sind die jeweiligen Gemeinden, die die Gesundheitszentren in Slowenien
finanzieren und auch die Investitionen tragen, unterstützt werden
sie dabei durch staatliche Zuwendungen. Rechtlich unterstehen die Zentren
dem Gesundheitsministerium; sie sind auch in der Verfassung verankert.
Ärzte im Primärversorgungsbereich erhalten 60% ihres Einkommens
als Kopfpauschale nach eingetragenen Patienten und 40% als Einzelleistungen
vergütet. Ein Familienarzt verdient an die 21.000 Schilling, das ist
etwa dreimal so viel wie der slowenische Durchschnittsverdienst. Patienten
können einmal jährlich ihren Familienarzt wechseln, eine Zuweisung
ins Spital erfolgt ausschließlich über den Allgemeinmediziner.
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Primar Ciril Vreca (M.) im Gespräch mit Dr. Markus Narath
(KAGes, Graz):
„Wir müssen die Menschen vor allem von einer gesunden Lebensweise
überzeugen – das senkt die Sterblichkeitsrate stärker als chirurgische
Spitzenleistungen!“
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Seit 1992 sind auch Privatärzte und Privatapotheken zugelassen.
Die Zulassung wird aber nur jenen Privatanbietern gewährt, die Praxisräume
innerhalb eines bestehenden Gesundheitszentrums anmieten. Laut Zidanik
führen 20% der Familienärzte, 40% der Zahnärzte und 10%
der Spezialisten eine Privatpraxis.
Sozialversicherung
Hauptfinanzierungssystem des slowenischen Gesundheitswesens ist die
Pflichtversicherung. Sowohl von den Arbeitgebern als auch von den Arbeitnehmern
sind jeweils 6,4% des Bruttoeinkommens an die staatliche Gesundheitsversicherung
abzuführen. Es ist dies die einzige Versicherungsanstalt des Landes,
sie übernimmt 95% der Krankenkosten. Zusätzlich kann sich jeder
slowenische Bürger auch um
öS 2000,-- pro Jahr freiwillig versichern, um die 5% Selbstbehalt
abzudecken. Alle Kinder, Studenten, Schwangere, Patienten mit chronischen
Erkrankungen und Krebskranke sind jedoch zu hundert Prozent versichert,
die staatliche Versicherung deckt auch jede Notfall- und intensivmedizinische
Behandlung. Die meistbenötigten und -verschriebenen Medikamente werden
zu 75% von der Versicherung bezahlt, andere nur zur Hälfte.
Gesundheitsteams
Die ersten regionalen Gesundheitszentren in Slowenien sind bereits
1948 entstanden. Seit der Unabhängigkeit besteht ein gewisser Trend,
das Gesundheitssystem an das herkömmliche „westliche“ Modell heranzuführen;
dennoch haben sich die Gesundheitszentren als die billigste und effizienteste
Methode der Gesundheitsversorgung herausgestellt – nicht zuletzt wegen
der dort praktizierten Kooperation der verschiedenen Gesundheitsberufe.
Dr. Gustav Mittelbach vom SMZ sieht damit auch den steinigen
Weg des Grazer Sozialmedizinischen Zentrums bestätigt: „Was in Slowenien
nationaler Standard ist – die berufsübergreifende Teamarbeit in einem
Gesundheitszentrum zum Wohl der Patienten – mussten wir uns mühsam
mit viel privater Eigeninitiative, gegen anfängliche Widerstände
in der Ärzteschaft und trotz mangelnder Unterstützung durch die
Gesundheitspolitik in den letzten 15 Jahren erarbeiten.“
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