09 / 2000
  Slowenien: Teamarbeit für die Gesundheit

Nach den Maßstäben der WHO (Weltgesundheitsorganisation) gilt das slowenische Gesundheitswesen als eines der fortschrittlichsten und zukunftsweisenden in Europa, weil sein Konzept auf Vorsorge aufbaut und nicht nur die Behandlung von Krankheiten in den Mittelpunkt stellt. MitarbeiterInnen des Grazer Sozialmedizinischen Zentrums folgten einer Einladung nach Maribor, wo sie sich von der Effizienz der Gesundheitspolitik unserer Nachbarrepublik überzeugen konnten.

Ulica Talcev 9 in Marburg: Ein alter grauer Gebäudekomplex im Zentrum der Stadt am linken Murufer. Gleich schräg gegenüber steht ein modernerer siebenstöckiger Bau: das Gesundheitszentrum Maribor – eines der größten von insgesamt 71 „Health Centres“ in Slowenien. An die 1000 MitarbeiterInnen sind hier für die medizinische Versorgung von rund 185.000 Menschen zuständig.

„Gesundheit ist köperliches, seelisches und soziales Wohlergehen“
„Ziel jedes Gesundheitszentrums ist, die Menschen von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod zu versorgen“, bekräftigt Primar Anton Zidanik, der Generaldirektor des Zentrums.
Das klassische Gesundheitsteam besteht aus einem „Familienarzt“ (dem Allgemeinmediziner), einem Zahnarzt, der Gemeindeschwester und ihrem Team und der Apotheke. Ein Gynäkologe, ein Kinderarzt, eine PhysiotherapeutIn und ein Sozialarbeiter können jederzeit hinzugezogen werden. Den Teams sind auch Präventionsaufgaben übertragen, denn: Es ist auch Aufgabe eines Gesundheitszentrums, die BürgerInnen von der Gesundheitsgefährdung durch Rauchen und Trinken, von der Notwendigkeit gesunder Ernährung, der Stressprävention und des Aufbaus sozialer Netze zu überzeugen. Die MitarbeiterInnen des Zentrums definieren Gesundheit als das „höchst mögliche körperliche, seelische und soziale Wohlergehen des Einzelnen und auch der Gesellschaft im Ganzen“.
Primar Ciril Vreca vom Gesundheitszentrum Maribor ist überzeugt:  „Den Kampf um bessere Gesundheit können wir nicht nur über kurative Maßnahmen gewinnen. Wir müssen die Menschen vor allem von einer gesunden Lebensweise überzeugen – das senkt die Sterblichkeitsrate stärker als chirurgische Spitzenleistungen!“

Versorgung und Prävention unter einem Dach
Zusätzlich zu den rund 1000 MitarbeiterInnen des Zentrums sind in den Außenbezirken der Stadt kleinere medizinische Teams Ansprechpartner für die Bevölkerung. Ein Essenzustelldienst beliefert Alte, Kranke und Alleinstehende, für Akutfälle ist das Gesundheitszentrum auch nachts geöffnet.
Das Zentrum (das nach drei gescheiterten Volksabstimmungen schließlich doch über freiwillige Spenden von Marburger Bürgern, Wirtschaftstreibenden, Banken und Versicherungen errichtet werden konnte) präsentiert sich zweigeteilt: Auf der einen Seite des Komplexes befinden sich die einzelnen Ambulanzen; jeder Ambulanz und Spezialabteilung sind auf der jeweils gegenüberliegenden Gebäudeseite die entsprechenden „Dispensaries“ zugeordnet, die für Gesundheitsförderungsschwerpunkte und -programme zuständig sind.
Sie erfassen gesundheitsstatistische Daten aus der Bevölkerung, analysieren Studien und erarbeiten konkrete Verhütungs- und Vorsorgemaßnahmen, die dann an die vorgesetzte Gesundheitsbehörde, den Gesundheitsrat in der Regierung, zur gesetzlichen Umsetzung weitergeleitet werden.
Der Obmann des SMZ Graz-Liebenau, Dr. Rainer Possert, zeigte sich vom System der Dispensaries und dem hohen Stellenwert der Gesundheitsvorsorge beeindruckt: „Ein Schwerpunkt, der in Österreich bei weitem zu kurz kommt!“ „Bemerkenswert“ ist für Possert auch die Tatsache, „dass das Gemeinwesen direkten Einfluss auf die Versorgung und die Gesundheitsförderung hat. Noch scheinen in Slowenien diverse Pharma- oder Gesundheitslobbies nicht in dem Maße vorzuherrschen wie in Österreich.“

Privatordination im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens 
Es sind die jeweiligen Gemeinden, die die Gesundheitszentren in Slowenien finanzieren und auch die Investitionen tragen, unterstützt werden sie dabei durch staatliche Zuwendungen. Rechtlich unterstehen die Zentren dem Gesundheitsministerium; sie sind auch in der Verfassung verankert.
Ärzte im Primärversorgungsbereich erhalten 60% ihres Einkommens als Kopfpauschale nach eingetragenen Patienten und 40% als Einzelleistungen vergütet. Ein Familienarzt verdient an die 21.000 Schilling, das ist etwa dreimal so viel wie der slowenische Durchschnittsverdienst. Patienten können einmal jährlich ihren Familienarzt wechseln, eine Zuweisung ins Spital erfolgt ausschließlich über den Allgemeinmediziner.
 

Primar Ciril Vreca (M.) im Gespräch mit Dr. Markus Narath (KAGes, Graz): 
„Wir müssen die Menschen vor allem von einer gesunden Lebensweise überzeugen – das senkt die Sterblichkeitsrate stärker als chirurgische Spitzenleistungen!“

Seit 1992 sind auch Privatärzte und Privatapotheken zugelassen. Die Zulassung wird aber nur jenen Privatanbietern gewährt, die Praxisräume innerhalb eines bestehenden Gesundheitszentrums anmieten. Laut Zidanik führen 20% der Familienärzte, 40% der Zahnärzte und 10% der Spezialisten eine Privatpraxis.

Sozialversicherung 
Hauptfinanzierungssystem des slowenischen Gesundheitswesens ist die Pflichtversicherung. Sowohl von den Arbeitgebern als auch von den Arbeitnehmern sind jeweils 6,4% des Bruttoeinkommens an die staatliche Gesundheitsversicherung abzuführen. Es ist dies die einzige Versicherungsanstalt des Landes, sie übernimmt 95% der Krankenkosten. Zusätzlich kann sich jeder slowenische Bürger auch um
öS 2000,-- pro Jahr freiwillig versichern, um die 5% Selbstbehalt abzudecken. Alle Kinder, Studenten, Schwangere, Patienten mit chronischen Erkrankungen und Krebskranke sind jedoch zu hundert Prozent versichert, die staatliche Versicherung deckt auch jede Notfall- und intensivmedizinische Behandlung. Die meistbenötigten und -verschriebenen Medikamente werden zu 75% von der Versicherung bezahlt, andere nur zur Hälfte.

Gesundheitsteams
Die ersten regionalen Gesundheitszentren in Slowenien sind bereits 1948 entstanden. Seit der Unabhängigkeit besteht ein gewisser Trend, das Gesundheitssystem an das herkömmliche „westliche“ Modell heranzuführen; dennoch haben sich die Gesundheitszentren als die billigste und effizienteste Methode der Gesundheitsversorgung herausgestellt – nicht zuletzt wegen der dort praktizierten Kooperation der verschiedenen Gesundheitsberufe. 
Dr. Gustav Mittelbach vom SMZ sieht damit auch den steinigen Weg des Grazer Sozialmedizinischen Zentrums bestätigt: „Was in Slowenien nationaler Standard ist – die berufsübergreifende Teamarbeit in einem Gesundheitszentrum zum Wohl der Patienten – mussten wir uns mühsam mit viel privater Eigeninitiative, gegen anfängliche Widerstände in der Ärzteschaft und trotz mangelnder Unterstützung durch die Gesundheitspolitik in den letzten 15 Jahren erarbeiten.“
 
Uschi Lukas-Possert


 
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