10 / 2001
  Von der Parteien- zur ‚Medien‘demokratie?

Das Politik heutzutage in großem Ausmaß über die Medien abgewickelt wird, ist ein ebenso manifester wie oftmals beklagter Umstand. Eine Ende September in der Otto Möbes Akademie von der Steirischen Arbeiterkammer und vom ÖGB im Rahmen der Stiftingtaler Gespräche abgehaltene Vortragsveranstaltung illustrierte, dass es jedoch auf beiden Seiten so etwas wie eine Begierde nach Instrumentalisierung des jeweils anderen Bereichs gibt. AK-Präsident Walter Rotschädl erinnerte im Begrüßungsstatement daran, dass es zumindest ein prominentes Eingeständnis für die Vorselektion von Themen bzw. Positionen in Medien gibt: Hans Dichand bedauerte noch nachträglich die seinerzeit in der Kronenzeitung vehement verbreitete EU-Euphorie.
 

ORF-Redakteur Dittlbacher (l.): Politik lässt Medien in Österreich austrocknen; 
Medienkritiker Meyer: Kritik an einer Politik „für den Augenblick“

Als Referenten eingeladen waren zum einen der Dortmunder Politik- und Kommunikationswissenschaftler Univ.Prof. Dr. Thomas Meyer, der in seinem Bestseller „Mediokratie“ (Surkamp) die These der medialen Inszenierung von Politik radikal vertritt, andererseits der ZIB-Chefreporter Dr. Fritz Dittlbacher, der als Medienmacher den Globalvorwurf der Politikbemächtigung durch den Journalismus zurückweist.
Bezogen aufs Thema „Machen Medien die Politik?“ hätte man wohl keine besseren Exponenten zusammen bringen können, um das komplexe, dynamische (und wohl auch innige) Verhältnis zwischen „Machtsystem“ und „Mediensystem“ zu diskutieren.
Für begrenzte Themen eine gemeinsame Aufmerksamkeit herstellen, das ist nach  Meyer Aufgabe der Medien; gemeinsam über gesamtgesellschaftlich verbindliche Regeln entscheiden, das leistet, bzw. das soll die Politik leisten. Dabei war die Politik natürlich immer schon existenziell angewiesen auf die Medien, die in modernen Parteiendemokratien nicht nur vorab Interessenausgleichherstellten mussten, sondern auch  die Programmdiskussionen und die Dokumentation der Umsetzung in die Breite zu tragen hatten. Das Neue und Beklagte ist der Umstand, dass für diese Auseinandersetzung nun nicht mehr die Zeithorizonte der Politik gelten, sondern die (durch die spezifischen Markt- und Konkurrenzmechanismen getriebenen) Medien das Tempo und die Strukturen für die Kommunikation vorgeben (Meyer). Schon Mitte der 60er Jahre hat Johan Galtung wesentliche Filter für die Selektion von Themen durch die Kommunikationsmedien geortet: 
1. Innerhalb der Medien herrschen eigene Vorstellungen über Wert (oder Unwert) der Meldungen, die über die komparative Skala als Nachrichtenfaktoren gewertet werden. Winfried Schulz hat diese These noch verschärft und postuliert, dass überhaupt nur solche Themen zum Zug kommen, die von Redakteuren als berichtenswert erachtet werden.
2. In der Konkurrenzsituation sehen sich die Medien gezwungen, permanent mögliche Flautengefahr zu antizipieren. Aus der Interpretation der Ableseergebnisse der Seher-, Hörer- und Leserzahlen, die die momentane Höhe des Anzeigenpreises bestimmen und die allesamt auf augenblickliches Publikumsinteresse abstellen, wird die Kritik an öffentlich-rechtlichen und Qualitätsmedien festgemacht. Die Dominanz des Augenblicklichen steht politischer Verständigung auch wesenhaft entgegen, weil man sich bei letzterer über Lösungen einigen soll, die zumindest mittelfristig Geltung haben müssen. Der Zwang zur „einzelpersonbezogenen Ereignishaftigkeit“ jeder „verkaufbaren“ Meldung lässt adäquate Berichterstattung über politische Prozesse praktisch nicht zu. An politischen Vorgängen sind viele oder zumindest zu viele Personen über zu lange Zeitabschnitte beteiligt, als dass  – aus der Ökonomie der Medien gesehen nutzbringend – angemessen darüber berichtet werden könnte.
Auf diese Weise ist die Demokratie, so Meyer, letztlich zur Mediokratie verkommen. In den USA arbeiten bereits mehr Journalisten in der Politik als in den Medien und auch hierzulande holt man sich immer öfter Medienmacher in die Partei- und Regierungsbüros und glaubt, dadurch „die Dinge in den Griff zu bekommen“. 
 

Stiftingtaler Referenten Dittlbacher, Meyer, Rotschädl, Pöschl: 
Politik muss den Zwang abschütteln, sich ausschließlich ereignishaft zu vermitteln 

Ersparte Lügen...
Die Technik, sich durch geschicktes Arrangieren von Bildern die explizite Lüge zu ersparen, kann, wenn es um fundamentale Entscheidungen für die Gesellschaft geht, zur Falle werden: Als während der Reagan-Amtszeit das US-Schulbudget drastisch gekürzt wurde, verabfolgte man die entsprechende Meldung, während man den Präsidenten in hingebungsvoll-engagiertem Gespräch mit kids auf der Schulbank zeigte, was dazu führte, dass eine öffentliche Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieser Budgetkürzung unterblieb. 

Zwischen Oligopol und Monopol
Für den Medien-Universalisten Fritz Dittlbacher (früher Arbeiterzeitung, danach Hörfunk-Journalredaktion, jetzt Chefreporter beim aktuellen Dienst – Fernsehen) besteht kein Zweifel, dass die „Kolonialisierung“ auch in die andere  Richtung läuft, d.h., Politik sich der Medien zu bemächtigen versucht. Aktuell markantestes Beispiel ist die Tatsache der „eingerichteten“ ÖVP-Mehrheit im ORF-Stiftungsrat.

Österreich ohne mediale Gegenöffentlichkeit
Dittlbacher beklagt die immer trister werdende österreichische Medienlandschaft: Neben Print-Oligopol (Krone) und ORF-Monopol gibt es praktisch keine mediale Gegenöffentlichkeit mehr. Mit 850.000 Exemplaren Tagesauflage wäre die Kronenzeitung die fünftgrößte Tageszeitung der USA. Während in der Schweiz 103 Tageszeitungen erscheinen, schaffen es in Österreich gegenwärtig gerade einmal 15 Stück, nur sieben davon sind selbstständig (ohne Förderung) überlebensfähig. Das Ganze will sagen, dass die Politik doch auch Medien „macht“.
Nicht für alle unerwünschten Entwicklungen sind die Medien zur Verantwortung zu ziehen, wie etwa der unglückliche Auftritt von Verzetnitsch-Stellvertreterin Renate Czörgits (nach dem Rücktritt des Postgewerkschafts-Vorsitzenden) in der „Zeit im Bild“ gezeigt hat. 
Dagegen hat sich, so Dittlbacher, die Bundeswirtschaftskammer nach der Maderthaner-Krise durch transparentes und glaubwürdiges Auftreten relativ rasch erholt.
Der steirische ÖGB-Vorsitzende und Co-Gastgeber bei den Stiftingtaler Gesprächen, Walter Pöschl, bekannte sich im Abschluss-Statement denn auch vorbehaltlos zu den Medien als unverzichtbaren Bestandteil von modernen und offenen Demokratien. 

Dieter Kordik

 
OKTOBER-AUSGABE
GLOBAL CORNER