|
"Das ist nicht das
Vermächtnis der Opfer des Faschismus"
Dass die Anschläge des 11. September und die darauf folgende
amerikanisch-britische Militäraktion in Afghanistan die öffentliche
Aufmerksamkeit von einer der zentralen Konfliktregionen des 20. und des
beginnenden 21. Jahrhunderts abgelenkt haben, ist widerspruchsvolle Realität:
Eben dort, in Palästina, liegt ein wichtiger Schlüssel für
die Hintergründe des anti-amerikanischen Terrors.
Mit der in Deutschland lebenden israelischen Menschenrechtanwältin,
Trägerin des Alternativen Nobelpreises und Kreisky-Preis-Trägerin
Felicia Langer sprach KORSO-Herausgeber Christian Stenner am Rande der
Präsentation ihres neuen Buches "Quo vadis Israel? Die neue Intifada
der Palästinenser" im Afro-Asiatischen Institut über die aktuelle
Situation und mögliche Perspektiven.
Sie haben in Ihrem Referat betont, die Solidarität mit den
Palästinensern müsse ähnlich sein wie die Solidarität
gegen die Apartheid – ist Israel ein Apartheidstaat?
Der israelische Staat ist stukturell und manifest gewalttätig
gegenüber der arabischen Bevölkerung – in den besetzten Gebieten
und in den Autonomie-Zonen, die durch israelische Siedlungen, die Oberhoheit
Israels über die Umfahrungsstraßen, die die Siedlungen verbinden
und den unterschiedlichen Rechtsstatus von Kleinstgebieten in bantustan-ähnliche
Gebilde zerstückelt sind. In meinem Buch berichte ich über die
Willkürakte, denen die PalästinenserInnen ausgesetzt sind – von
der Enteignung ihrer Grundstücke für den Straßen- und Siedlungsbau
über die Zerstörung ihrer Häuser und Olivenhaine unter dem
Vorwand israelischer Sicherheitsinteressen und die Liquidierung der Führer
des Aufstandes durch Raketenangriffe und Autobomben – ohne jedes gerichtliche
Verfahren – bis hin zur alltäglichen Demütigung an den unzähligen
Kontrollpunkten und Straßensperren, wo immer wieder entsetzliche
Vorfälle passieren: In "Quo vadis Israel" kommt zum Beispiel eine
Palästinenserin zu Wort, die ihr Kind an einer solche Sperre zur Welt
brachte, weil man sie über Stunden nicht zum Spital durchgelassen
hatte, und die dabei noch von israelischen Soldaten verhöhnt wurde.
Israel kontrolliert darüber hinaus 83% der Wassereserven in den besetzten
Gebieten. Der Ausdruck „Apartheid“ drängt sich in diesem Zusammenhang
auf – ganz abgesehen davon, dass die Palästinensergebiete seit 1967
in klarem Widerspruch zum Völkerrecht besetzt sind.
Manchmal fällt es schwer zu verstehen, dass im jüdischen
Volk, das durch das unsägliche und historisch einzigartige Leid des
Holocaust gegangen ist, nicht mehr Opposition gegen Menschen verachtende
Formen der Politik auftritt – auch wenn man sich als Österreicher
nicht die Legitimation anmaßen sollte, darüber zu urteilen.
Das Problem besteht darin, dass die israelische Gesellschaft schon
seit 34 Jahren als eine Gesellschaft der Besatzer existiert. Es erodiert
die moralischen Werte, wenn man jahrzehntelang straffrei herrschen, unterdrücken
und UNO-Resolutionen ignorieren kann. So eine Gesellschaft verliert in
ihrer Mehrheit sukzessiv ihre moralischen Vorbehalte und Werte und wird
tendenziell rassistisch – dass z.B. Araber in Israel als faul und dreckig
bezeichnet werden, gehört zum Alltäglichen. Das erinnert leider
an das, was wir über uns selbst die längste Zeit hören mussten.
Der zweite Grund liegt in der totalen politischen, wirtschaftlichen, finanziellen
und militärischen Unterstützung durch Amerika, die natürlich
auch die herrschende Politik stärkt. Und schließlich wurden
auch jahrzehntelang Ängste geschürt, dass wir als Überlebende
des Holocaust noch einmal der gleichen Gefahr ausgesetzt seien. Da wird
dann alles zur Verteidigung: Erobern, Unterdrücken, Enteignen, Beschlagnahmen
und Zerstören sind dann Verteidigungsmaßnahmen. Die offiziellen
Medien haben jahrelang verschwiegen, dass wir sehr viele Möglichkeiten
gehabt hätten, Frieden zu schließen.
Leider ist es nicht so, dass Leid den Menschen zwangsläufig bessert;
nur unsere Friedensbewegung und die Menschenrechtsorganisationen ziehen
die wirkliche Lehre aus dem Holocaust, eine Lehre, die Menschlichkeit und
Antifaschismus heißt: Wir dürfen nie unterdrücken und gleichgültig
für Leid sein.
Man hat Sie des Öfteren scharf angegriffen, weil Sie die
Meinung vertreten, dass Israel den Holocaust für seine Politik instrumentalisiert
…
Vorausschicken möchte ich: Ich bin selbst, wenn auch indirekt,
Überlebende des Holocaust, meine Familie wurde im Holocaust vernichtet
und mein Mann, dessen persönliche Geschichte Gegenstand meines vorletzten
Buches ist, hat mehrere Konzentrationslager überlebt. Wenn man diese
schrecklichen Ereignisse dafür missbraucht, Kritiker an der eigenen
Politik mundtot zu machen, dann ist das sehr, sehr schlimm – das ist nicht
das Vermächtnis der Opfer des Faschismus. Schon Erich Fried hat sich
da sehr klar dazu geäußert, für ihn war die Tatsache, dass
die Israelis Menschen verachtende Politik betreiben, sehr schwer zu ertragen.
Wie gehen Sie als politisch links Stehende damit um, dass relevante
Teile der deutschen Linken auf eine Linie der bedingungslosen Unterstützung
der Politik des Staates Israel eingeschwenkt sind?
Diese Haltung hängt sehr stark mit der erwähnten Instrumentalisierung
von Schuldgefühlen zusammen; da gibt es natürlich Unterschiede
in der persönlichen Haltung. Es gibt natürlich ehrliche Positionen,
die aus einem tiefen – und zu Recht bestehenden – Schuldgefühl kommen,
bloß die Schlussfolgerung – dass man Israel nicht kritisieren dürfe
– ist eben falsch. Es gibt aber auch opportunistische Positionen, die aus
Bequemlichkeit jeder Konfrontation aus dem Weg gehen, weil diese ja nur
allzuleicht darin münden, dass jemand gedankenlos Antisemit genannt
wird.
Ich versuche jetzt in Deutschland – und ich denke, auch mit ein wenig
Erfolg – klar zu machen, dass die israelische Politik kein Tabu sein darf,
auch deswegen, weil sie sich ja in letzter Konsequenz auch gegen die Interessen
der Israelis und des Staates Israel richtet.
Sie haben, wie viele andere Analytiker der Situation im Nahen
Osten, einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen des 11. September
und der Lage der PalästinenserInnen hergestellt …
Ja, ich habe das am 14.9. in einer deutschen Fernsehsendung gesagt
– unter Protest eines amerikanischen Journalisten, der das nicht dulden
wollte. Das Reservoir des Hasses ist kolossal, und dieser Hass richtet
sich gegen die USA: Allen Beteiligten ist klar, dass Israel seine Besatzungs-
und Siedlungspolitik nicht 34 Jahre lang ohne Unterstützung durch
die USA betreiben hätte können. Wer eine solche schreckliche
Tat plant, muss nur aus diesem Reservoir schöpfen.
Was die Selbstmordanschläge in Israel betrifft, hat Mahmoud Darwisch,
der berühmte palästinensische Autor, auf die Frage nach der Motivation
der Selbstmordattentäter sinngemäß gesagt, dass die Bereitschaft
der Palästinenser zum Tod damit zusammenhängt, dass wir die Pforte
des Lebens für sie verschlossen halten.
Alle Friedensbemühungen scheinen jetzt gescheitert, der begonnene
Prozess hinter seine Anfänge zurückgeworfen …
Wir haben es dennoch nicht mit einer griechischen Tragödie zu
tun, die zwangsläufig mit Tod und Vernichtung enden muss. Die jüngst
geäußerten Pläne von Powell oder Mitchell sind allerdings
in der Tat vergebliche Liebesmüh; es gibt aber klare Lösungen,
die dem Völkerrecht entsprechen, nämlich die Räumung der
Gebiete, zwei Staaten für zwei Völker, die Respektierung des
Selbstbestimmungsrechtes der Palästinenser und das Recht der Flüchtlinge
von 1948 auf Rückkehr. Der entscheidende Punkt ist, dass Israel dazu
gebracht werden muss, in diese Richtung tätig zu werden. Dazu braucht
es internationalen Druck und Solidarität mit den Palästinensern
und mit den israelischen Friedenskräften von allen in der Welt, die
sich für einen gerechten Frieden einsetzen.
|
Buchtipp:
Felicia Langer: Quo vadis Israel? Die neue Intifada der Palästinenser.
Lamuv 2001.
Im gleichen Verlag sind auch einige weitere Publikationen der Autorin
erschienen, zB.: Lass uns wie Menschen leben. Schein und Wirklichkeit in
Palästina (1996) |
|