09 / 2000
  Landtag: Wählen oder abschaffen?
 
Sparen ist in Mode: Die angestrengten Bemühungen um ein Nulldefizit machen vor keinem Tabu halt. Jetzt soll der Rotstift auch an den föderalen Strukturen der Republik angesetzt werden. In der Tat – die Sparpotenziale scheinen auf den ersten Blick gewaltig: So meint etwa Rechnungshofpräsident Franz Fiedler, dass eine Totalreform der öffentlichen Verwaltung durch die Streichung der Landtage aus der Verfassung jährlich unglaubliche 50 Milliarden Schilling an eingesparten Kosten brächte. Auf der anderen Seite stehen jene, die in der Abschaffung föderaler Strukturen einen Angriff auf die Demokratie sehen.
Sind die diesjährigen Landtagswahlen vielleicht die letzten? KORSO hat sich dazu unter PolitikerInnen und Föderalismus-Experten umgehört. 

Die Diskussion um eine Abschaffung der Landtage ist keineswegs neu. Bereits vor drei Jahren führten die von der steirischen ÖVP im Rahmen des „Modell Steiermark“ diesbezüglich erarbeiteten Vorschläge österreichweit zu heftigen Diskussionen. Schon damals war ÖVP-Landesrat Dr. Gerhard Hirschmann  einer der prononciertesten Fürsprecher einer Radikallösung; für ihn sind die Landtage in ihrer heutigen Form „reine Geldvernichtungsmaschinen“. Hirschmann vermutet hier ein Einsparungspotenzial von mehreren Milliarden jährlich. Sein nicht von der Hand zu weisendes Argument: Durch den EU-Beitritt erfolgen bereits 80% der Gesetzgebung außerhalb der nationalen Grenzen. Derzeit würden viele Landesgesetze nur mehr beschlossen, um den Schein zu wahren und den Landtag zu beschäftigen. „Daher muss die Kompetenzaufteilung der verschiedenen Ebenen – von der EU bis zu den Kommunen – neu geklärt werden; da gibt es viele Überschneidungen.“ 

Anachronistisch und verschwenderisch
Nicht nur die Entscheidungskompetenzen, auch die Verwaltungsabläufe und die verschiedenen Förderebenen – von der EU bis hin zu den Gemeinden – müssten einem „Totalscreening“ unterzogen werden. „Was die Verwaltung betrifft, sollten die Länder durchaus aufgewertet werden und Bundesagenden übernehmen – wie etwa im Schulwesen oder bei den Bundessozialämtern“, findet Hirschmann. Die Gesetzgebung der Länder hingegen sollte möglichst vereinfacht und vereinheitlicht werden. Dass jedes Bundesland sein eigenes Naturschutz- oder Baurechtsgesetz beschließen könne, sei anachronistisch und verschwenderisch. Statt der Landtage soll nach Hirschmanns Vorstellungen ein gesamtösterreichischer „Generallandtag“ für eine über weite Strecken einheitliche Landesgesetzgebung zuständig sein; dadurch werde der Bundesrat als „Länderkammer“ entbehrlich und sei abzuschaffen. 
 

Steirische SpitzenpolitikerInnen zur Föderalismus-Reform:
Hirschmann: „Einsparungspotenzial von mehreren Milliarden jährlich“
Schachner: „Generallandtag ist die seltsamste Erfindung, von der ich je gehört habe“. Zierler: „Sinnvoll ist die Zusammenlegung von Ressorts“

 „Ablenkung vom herrschenden Demokratiedefizit“
Auch unter den SpitzenvertreterInnen der anderen steirischen Parteien herrscht Übereinstimmung in der Einschätzung, dass in der Landespolitik und -verwaltung große Einsparungspotenziale brach liegen. SPÖ, FPÖ, Grüne, Liberale und KPÖ befürworten unisono einen Abbau der Bürokratie und eine Reduktion der Landesregierungsmitglieder. Von der FPÖ-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl, Generalsekretärin Theresia Zierler, gibt es diesbezüglich auch bereits ganz konkrete Vorschläge: „Sinnvoll ist die Zusammenlegung des Sozial- und Gesundheitsressorts sowie die Zusammenführung des Gemeindereferats mit dem Finanz- und Wirtschaftsressort und des gesamten Schulbereichs in einem Ressort.“
Was jedoch die Zusammenlegung der Landtage betrifft, finden Hirschmanns Ideen unter den anderen Parteien keine Fürsprecher.
 

Landtag: 
Bald nur mehr Geschichte?

So äußern die Grünen starke demokratiepolitische Bedenken. Klubobfrau Mag. Edith Zitz: „Bezeichnenderweise verlangt Landesrat Hirschmann die Abschaffung der Landtage und nicht der Landesregierung – und somit die Eliminierung der Opposition und Kontrolle durch die Grünen.“ Denn im Vergleich zum Beamtenapparat der Landesregierung, der 1999 über 1,3 Milliarden Schilling verschlungen hat, hätten die Ausgaben für den gesamten Landtag vergleichsweise geringfügige 48 Millionen Schilling betragen.
Elke Kahr, Spitzenkandidatin der KPÖ für die Landtagswahlen, hält von einem „Generallandtag“ ebenfalls wenig, weil sich ihrer Ansicht nach die kleinen Bundesländer dort kaum durchsetzen könnten. Kahr: „Die Diskussion ist ein Täuschungsmanöver von Seiten jener, die vom herrschenden Demokratiedefizit ablenken wollen.“ Und: „Man sollte die regionale Demokratie ausweiten statt schwächen: Bezirkshauptleute sollten zum Beispiel nicht eingesetzt, sondern gewählt werden.“
Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Landtage dürfe, so der Jurist und LIF-Landtagsabgeordnete Univ.Prof. Dr. Christian Brünner  nicht nur unter ökonomischen, sondern müsse auch unter demokratiepolitischen Gesichtspunkten gesehen werden. „Die Landtage haben wichtige Funktionen als legitimierende Vermittlungsinstanz politischer Entscheidungen und als Kontrollinstrument der Landesregierung und -verwaltung.“ Unsinnige Unterschiede in der Gesetzgebung einzelner Bundesländer könne man auch ohne einen „Generallandtag“ beheben: „Ein einheitliches Baugesetz wäre schon lange realisierbar, aber es waren die ÖVP-Bürgermeister, die sich einer Lösung verschlossen haben.“ 
 

Zitz: „Hirschmann verlangt Eliminierung der Opposition“
Brünner: „Landtage haben wichtige Funktion als legitimierende Vermittlungsinstanz“
Kahr: „Regionale Demokratie ausweiten statt schwächen!“

„Seltsame Erfindung“
SP-Landeshauptmannstellvertreter Univ. Prof. DDr. Peter Schachner kann der Idee eines Generallandtages ebenfalls nichts abgewinnen: „Das ist die seltsamste Erfindung, von der ich je gehört habe“. Sehr wohl spricht sich Schachner aber für eine Reform des Bundesrates aus: Dieser soll in einen so genannten „Rat der Länder“ umgewandelt werden, in den jedes Bundesland je nach Größe und politischem Kräfteverhältnis ein bis drei Mitglieder der einzelnen Landesregierungen entsendet. Diese Ratsmitglieder müssten ihre Tätigkeit im Rahmen ihrer Funktion als LandesrätInnen wahrnehmen und bekämen dafür keine gesonderte Bezahlung. Um auch tatsächlich etwas bewirken zu können, sollte dieser Länderrat  nach Schachner weiter reichende Kompetenzen als der derzeitige Bundesrat haben – etwa in Form eines echten Vetorechts in allen finanziellen Belangen, welche die Länder und die Gemeinden betreffen. Auch Schachner will die Anzahl der LandesrätInnen auf sieben beschränken: „Eine sinnvolle Zusammenlegung von Ressorts würde entsprechende Einsparungen im Beamtenapparat nach sich ziehen.“ Wenn die Landesregierung mit gutem Beispiel vorangegangen sei, könne schließlich an eine Reduktion der Landtage gedacht werden: „Wir hatten ja lange Zeit nur 48 Abgeordnete, wahrscheinlich wären 32 bis 36 genug.“

Der „Bürgersonntag“ als Chance für Kleinparteien?
Für eine Reduktion der Zahl der Landtagsabgeordneten spricht sich auch ao. Univ.Prof. Dr. Martin Polaschek vom Institut für Europäische und vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Graz aus, der im Auftrag des „Modells Steiermark“ ein Forschungsprojekt zur Föderalismusreform durchgeführt hat. Die Länderinteressen sollten von gewählten Generallandtagsabgeordneten vertreten werden, wobei ihre Anzahl pro Bundesland nur mehr die Hälfte der derzeitigen Landtagsabgeordneten ausmachen würde. Um die daraus resultierende Benachteiligung von Kleinparteien zu mildern, könnte ein so genannter „Bürgersonntag“ eingeführt werden. Polaschek: „Es handelt sich dabei um die Einführung der direkten Abstimmung über Gesetzesvorschläge durch das Volk, wie sie in unterschiedlichen Formen bereits in der Schweiz oder Bayern existiert. Auf diesem Weg hätten alle im Landtag vertretenen Parteien, also auch die Kleinparteien, die Möglichkeit, Gesetzesbeschlüsse zu erreichen.“
Der Generallandtag sollte „ein starkes Gegengewicht zum Nationalrat bilden“ und Gesetze vorbereiten, die vom Nationalrat nur mehr bestätigt werden müssten. „Welche Materien vom Nationalrat und welche vom Generallandtag beschlossen werden,  ist Geschmackssache“, so Polaschek.
Die Einrichtung eines Generallandtages mache jedoch die Landtage nicht überflüssig, die Landesverfassung, das Gemeinderecht oder Kulturangelegenheiten sollten weiterhin in den Landesparlamenten verhandelt werden. Für diese Aufgaben sowie zur Kontrollfunktion wären nach diesem Modell sogar noch zusätzliche Abgeordnete zu wählen.
Auch in Polascheks Modell findet der Bundesrat keinen Platz mehr: „Er dient ohnehin nur als Trainingslager für zukünftige bzw. als Versorgungsposten für ehemalige Nationalratsabgeordnete.“ Ihrer eigentlichen Aufgabe – nämlich die Interessen der Länder bei der Bundesgesetzgebung zu vertreten – kommen die BundesrätInnen kaum nach: Die Parteiraison ist allemal stärker als das föderale Gewissen.
 

"Generallandtag" und "Bürgersonntag"

„Länderweise Platz nehmen“
Ernst Wegscheider vom Institut für Föderalismus in Innsbruck – einer gemeinsamen Forschungseinrichtung der Bundesländer Tirol, Vorarlberg und Salzburg – teilt die Kritik am Bundesrat. Dennoch hält er wenig von der Idee eines „Generallandtages“. Seit über dreißig Jahren werde nun bereits über eine Reform des Bundesrates diskutiert, so Wegscheider, ohne dass es große Fortschritte gegeben habe. Würde man nun statt einer grundlegenden Reform des Bundesrates diesen einfach durch einen „Generallandtag“ ersetzen, so wäre dies eine typisch österreichische Lösung. Wegscheider bezweifelt, dass dort plötzlich Länderinteressen vor jene der Parteien gestellt werden würden. Ähnliche Bedenken hegt auch Polaschek. Dennoch ist er optimistisch, dass es dort etwa durch regional definierte Ausschüsse zu gemeinsamen, bundesländerübergreifenden Lösungen kommen könnte. Weitere Ideen zur Hintanhaltung des Parteieneinflusses: „Man könnte im Generallandtag zudem länderweise abstimmen oder nach Bundesländerzugehörigkeit aufgeteilt Platz nehmen.“

Die Idee von Großregionen – eine altertümliche Vorstellung? 
Neben der Abschaffung der Länderparlamente gibt es in der laufenden Diskussion einen weiteren radikalen Vorschlag, der ebenfalls von Landesrat Hirschmann propagiert wird und die Auflösung der Bundesländerstruktur zugunsten der Bildung von drei „Großregionen“ West, Ost und Süd vorsieht. Die Steiermark würde sich dann zusammen mit Kärnten und dem Burgenland in der sogenannten „Großregion Süd“ wiederfinden. Für Univ.Prof. Dr. Peter Pernthaler, den Leiter des Instituts für Föderalismus, ist diese Idee, wie er im Gespräch mit KORSO betont, „wenig zeitgemäß“. Pernthaler wörtlich: „Eine altertümliche Vorstellung, die sich an einem technokratischen Reißbrettdenken orientiert.“ Nicht die Abschaffung der Bundesländergrenzen stehe auf der Tagesordnung, sondern eine organisatorische Zusammenarbeit über diese Grenzen hinweg. Denn, so Pernthaler: „Die Zeit für rein zentrale oder regionale Lösungen ist vorbei. Das Geheimnis liegt in der Kooperation. Es gibt ja auch in der EU weiterhin territoriale Einheiten.“
 

Pernthaler: "Es gibt ja auch in der EU 
weiterhin territoriale Einheiten"

APO für den Generallandtag
Obwohl die Diskussion über die Reform der föderalen Organe öffentlich und mit großem Engagement geführt wird, haftet ihr etwas Akademisches an. Daher denkt Landesrat Hirschmann sogar an die Bildung einer außerparlamentarischen Plattform, die Druck auf das Parlament ausüben und so die Zweidrittelmehrheit erzwingen könnte, die für eine entsprechende Verfassungsänderung nötig ist. Das zweite konkrete Ziel des Landesrates: „Ich möchte in einem Gespräch mit Mitgliedern der Bundesregierung erreichen, dass eine Expertenrunde zu diesem Thema eingesetzt wird, um endlich vergleichbare und nachvollziehbare Fakten auf den Tisch zu bekommen.“ 
Generallandtags-Vordenker Martin Polaschek ist allerdings pessimistisch, was die Chancen auf eine Verwirklichung der Vorschläge betrifft: „Es ist eigentlich nur eine theoretische Diskussion, da die politische Klasse an ihren Ämtern hängt und niemand etwas hergeben will.“ 
 
 
Joachim Hainzl, Christian Stenner

 
Die vollständigen Interviews mit den steirischen SpitzenpolitikerInnen sowie weitere ausführliche Beiträge zum Thema finden Sie in der neuen Ausgabe unseres Webmagazins k-punkt

 
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