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„Der Terror hat
seine Wurzeln nicht in der Religion“
Sind die Terrorakte von New York und der Angriff auf Afghanistan
eine Belastung für die Beziehungen zwischen Moslems und „einheimischen”
SteirerInnen? Wie sieht die „andere Seite” die Entwicklung der letzten
Wochen und Monate?
Für Milan Bionda, den Vorsitzenden des Grazer Ausländerbeirates
– selbst kein Moslem –, ist „das Zusammenleben zwischen den verschiedenen
Kulturen und Religionsgemeinschaften” nicht gefährdet. Verunsicherung
gebe es aber schon: „Die bosnischen Muslime, von welchen ich viele kenne,
erkundigen sich immer wieder, was diese Ereignisse für ihre Zukunft
bedeuten könnten.” Im Ausländerbeirat selbst spielen diese Fragen
keine besondere Rolle, denn dessen Mitglieder vertreten, so Bionda, allesamt
die Auffassung, dass Religion und Politik getrennt bleiben müssen
– „das bedeutet natürlich nicht, dass wir für die Probleme religiöser
Menschen taub sind.”
KORSO hat sich unter Angehörigen der islamischen Religionsgemeinschaft
in der Steiermark umgehört und sie um ihre Meinung gebeten. Was wir
gefunden haben: Eine Vielfalt an Auffassungen, in den meisten Fällen
Integrationswillen bei gleichzeitiger Ablehnung religiöser Assimilation,
eine vorwiegend kritische Position gegenüber den USA – die aber in
den Begriffen der politischen Analyse und nicht etwa des so gerne zitierten
„heiligen Krieges” geäußert wird – keineswegs aber eine Billigung
von Terroranschlägen gegen Unschuldige.
Dr. Kamel Mahmoud, der neu gewählte Vorsitzende der Islamischen
Religionsgemeinde Graz für Steiermark und Kärnten – eine Körperschaft
öffentlichen Rechts –, vertritt an die 40.000 Muslime. Auf die Frage,
welche Auswirkungen der 11. September und der Angriff auf Afghanistan auf
die Beziehungen zwischen den ÖsterreicherInnen und ihren islamischen
MitbürgerInnen haben, antwortet Mahmoud mit einer Gegenfrage: „Was
denken Sie, wie solche Berichte bei den Einheimischen ankommen?” Und er
deutet auf die Kopie eines „Krone”-Artikels, in welchem – ohne eine konkrete
Quelle – behauptet wird, dass auch in Graz einige islamische Terroristen
als „Schläfer” überwinterten. Die Story ist mit einem (ganz offensichtlich
gestellten) Foto garniert, das zwei Selbstmordattentäter mit Bombengürtel
zeigt.
Verstärkt für die Integration
arbeiten
„Wenn Medien so polarisieren, ist es schwierig, dagegen anzukämpfen.”
Ob er persönlich auch von Anfeindungen betroffen sei, will ich wissen.
„Ich arbeite bei der AVL, die Mitarbeiter dort sind hoch ausgebildet, international
tätig und immun gegen diese Art von Hetze. Aber in anderen gesellschaftlichen
Schichten ist es viel schwieriger, aufklärend zu wirken.” Dennoch
setzt Mahmoud auf die Kraft des Dialogs: Gemeinsam mit Urania-Leiter Dr.
Hannes Galter hat er eine Vortragsreihe über den Islam an der
Urania initiiert, die gut angenommen wurde. Allerdings sei die Situation
durch die Konstruktion eines Feindbildes Christentum – Islam in der öffentlichen
Meinung schwieriger geworden: „Huntingtons ,Clash of Cultures‘ wird auch
von der anderen Seite genützt – es gibt auch Muslime, die sagen, seht
her, man sieht uns ja im Westen bereits als Feinde.”
Die Islamische Religionsgemeinde will jedenfalls, so Mahmoud, verstärkt
für die Integration arbeiten – „dazu gehören auch Deutschkurse
für die hier lebenden ausländischen Muslime, aber auch Vorträge
und Veranstaltungen, die sich an die ÖsterreicherInnen wenden.”
Schmähanrufe gab’s auch schon früher
Der bekannte Grazer Chirurg Dr. Mohammed Gowayed ist Leiter
des seit 1980 bestehenden Islamischen Zentrums in der Nibelungengasse –
einer von inzwischen nahezu 10 Treffpunkten der verschiedenen islamischen
Gemeinden in Graz, die sich entlang ihrer ethnischen Zugehörigkeit,
aber auch ihrer verschiedenen Zugänge zur Religion organisiert haben.
Der gebürtige Ägypter Gowayed, der vor mehr als 40 Jahren
nach Österreich gekommen ist („Eigentlich wollte ich damals nur rasch
mein Medizinstudium hier absolvieren”, erzählt er schmunzelnd) hat
keine signifikanten Änderungen im Verhalten gegenüber Menschen
islamischen Glaubens festgestellt: „Schmähanrufe gab‘s auch früher
schon, vielleicht sind es jetzt ein wenig mehr geworden.” Er sieht in der
jetzigen Situation sogar eine Chance: „Noch nie haben sich so viele Menschen
mit dem Islam auseinander gesetzt, noch nie hatte ich so viel Gelegenheit,
vor einem interessierten Publikum über meine Religion zu sprechen.”
Gowayed warnt davor, den Konflikt in einen Konfessionskrieg zwischen Christentum
und Islam umzudeuten: „Niemand, der so etwas tut, kann sich dabei auf die
Religion berufen.” Der Mediziner zitiert jene Stelle aus dem Koran, die
sinngemäß lautet: „Wer einen Unschuldigen tötet, hat die
ganze Menschheit getötet” – und fügt aus persönlicher Betroffenheit
hinzu: „Ich kämpfe im Spital stundenlang um das Leben eines einzigen
Menschen – und da bringt eine Hand voll Terroristen mit einem Schlag Tausende
um. Die Leute, die das getan haben, sind Feinde des Islam.” Gowayed stellt
sich auch gegen Absolutheitsansprüche – „ob von christlicher und islamischer
Seite” und zitiert dazu aus einer Sure des Koran: „Ihr Menschen, wir haben
euch als männliche und weibliche Wesen geschaffen, wir haben euch
zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennen lernt.
Wahrlich, der Angesehenste unter euch ist vor Gott der Gottesfürchtige.”
„Kein besserer Nachbar als ein Moslem”
Der Terror, so Gowayed, habe seine Wurzeln aber ohnehin nicht in der
Religion, sondern in der weltpolitischen Situation: „Die USA haben durch
ihre militärischen Angriffe auf Staaten der islamischen Welt und durch
ihre Unterstützung der Besatzungspolitik Israels sehr viel Hass auf
sich gezogen. Bedenken Sie: Jemand, der etwas zu verlieren hat, begeht
nicht solche Wahnsinnstaten – durch einen gerechten Frieden in Palästina
wäre dem Terror der Boden entzogen.” Umgekehrt würden die Angriffe
auf Afghanistan und die Opfer unter der Zivilbevölkerung einen Solidarisierungseffekt
mit radikalen Strömungen nach sich ziehen. Antimoslemischen Reflexen
in Österreich möchte Gowayed mit verstärkter Aufklärung
über den Islam begegnen – und mit der Feststellung, dass „ein Österreicher
sich gar keinen besseren Nachbarn als einen frommen Moslem wünschen
kann: ihm kann man bedingungslos vertrauen, weil ihm seine Religion verbietet,
einem anderen Menschen Schaden zuzufügen.”
Der Re-Migrant
Angewidert von „Menschenverachtung und der Abwesenheit jeglicher Spiritualität
im kapitalistischen Mitteleuropa” wandte sich der 1952 im steirischen Deutschfeistritz
geborene Mohamed Naim Schaffer schon Mitte der 80er-Jahre dem Islam
zu. 1996 zog er mit seiner Familie nach Afghanistan, in die 50.000 Einwohner
zählende Stadt Jalalabad. Ende der 90er-Jahre übersiedelte die
inzwischen siebenköpfige Familie Naim Schaffer nach Kabul. Der Emigrant
verdiente seinen Lebensunterhalt u.a. als Händler und Importeur gebrauchter
Wohnmobile und Lastkraftwagen. Im Zuge der Ereignisse des 11. September
und in Anbetracht eines heraufziehenden Krieges entschloss sich Naim Schaffer
zunächst wieder nach Österreich zurückzukehren. „Nahezu
nichts, was in Mitteleuropa von den Medien über die Taliban verbreitet
wird, entspricht den tatsächlichen Umständen”, betont Schaffer
in einem Gespräch mit KORSO Anfang November. Die Bombardierung dieses
Landes stelle gleich am Anfang dieses Jahrhunderts einen seiner größten
Skandale dar. Um eine eventuelle Renaissance einer islamischen Gesellschaft
zu unterdrücken, versuchten die USA mit allem Mitteln, ein starkes
und eigenständiges Afghanistan zu verhindern.
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Von li nach rechts: Milan Bionda: Zusammenleben
ist nicht gefährdet;
Dr. Kamel Mahmoud: Verbittert über unfaire Berichterstattung;
Dr. Mohammed Gowayed: Noch nie haben sich so viele
Menschen
für den Islam interessiert; Mohamed Naim Schaffer:
Will wieder in ein
genuin islamisches Land
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Gegen den „Krawattenislam”
Schaffer, selbst Sohn aus wohlhabendem Haus, sieht sich selbst als
Gegenpart zu den vielen Moslems, die sich im westlich-christlich-kapitalistischen
Europa zu integrieren und eine Karriere aufzubauen versuchen: „Im Laufe
der Zeit kommt es bei vielen dieser Immigranten zu Identitätsproblemen
und sie wenden sich wieder stärker dem Islam zu. Und damit beginnt
die Misere, weil dieser entspiritualisierte, gezähmte ,Krawattenislam‘
nichte mehr zur spirituellen und mentalen Anreicherung beitragen kann.
Man kann den Islam nur leben im Sinne des Propheten – der Frieden und Segen
Gottes sei auf Ihm. Dann und nur dann ist man geschützt vor gesellschaftlicher
Korruption und entgeht einem Schicksal, wie es eben etwa einen Joschka
Fischer ereilt, der sich von 100 % seiner früheren Grundsätze
verabschiedet hat.”
Die wahabitische Erneuerung des Islam und die seither dominierende
Rolle Saudiarabiens bei der „Präsentation des Islam auf der Weltbühne”
zusammen mit der unseligen Verquickung des saudischen Königshauses
mit US-Interessen trügen wesentliche Anteile an der Schwächung
der Muslime. Die Abkehr vom Lehrer-Schüler-Prinzip und den klassischen
Rechtsschulen, das Fehlen permanenter mentaler und spiritueller Schärfung
in den Koran-Schulen hätten, so Schaffer, den Muslimen nachhaltig
geschadet.
Der Einwand, dass jemand, der des Arabischen nicht mächtig ist,
den Islam weder verstehen noch leben könne, ist nach Schaffer nicht
aufrecht zu erhalten, da der Islam in erster Linie „eine Herzensangelegenheit”
ist und es auch „genügend hervorragende Übersetzungen der wichtigen
Schriften in alle wichtigen Sprachen gibt, sodass man durchaus von hermeneutisch
korrekter Übertragung in andere Kulturen sprechen kann.”
Mohamed Naim Schaffer selbst will, sobald sich die Gelegenheit dazu
bietet, dennoch wieder in einem genuin islamischen Land leben: „Die Ausfaltung
des eigenen Glaubens und des gerechten Lebens ist dort durch die grundsätzliche
Akzeptanz des gelebten Islam gemäß dem Vorbild des Propheten
– der Friede und Segen Gottes auf Ihm – unvergleichlich leichter.”
„Eine heterogene Religionsgemeinschaft”
Für Dr. Nuraj Kanik-Richter, Psychologin und Beraterin
beim Verein ISOP, ist Religion Privatsache, „eine Sache zwischen Gott und
mir”. Die gebürtige Türkin ist selbst Moslemin und „in einem
laizistischen Land in einer durchschnittlichen türkischen Familie”
aufgewachsen, in der „die Religion wichtig war, aber die Ausbildung der
Kinder und die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Frau ebenfalls
einen wichtigen Stellenwert hatten. Mein Vater ist von einer Kleinstadt
nach Ankara gezogen, damit wir eine gute Ausbildung bekommen.” Im Kontakt
mit ÖsterreicherInnen – etwa im Gespräch mit den LehrerInnen
der von ihr betreuten ausländischen Kinder – versucht sie immer klar
zu machen, „dass der Islam eine sehr heterogene Religionsgemeinschaft ist”
und nicht auf ein paar Klischeebilder reduziert werden darf. Die mit dieser
eingeschränkten Wahrnehmung einhergehenden Vorurteile schlagen sich
seit den Ereignissen des 11. September immer wieder in offenen Feindseligkeiten
gegenüber Menschen nieder, die als Moslems kenntlich sind, konstatiert
Kanik-Richter. „Letzthin war eine Frau bei mir, die das traditionelle Kopftuch
trägt und hat mir erzählt, dass zwei Ausländerinnen in der
Straßenbahn beschimpft und geschlagen wurden, weil sie auch am Kopftuch
als Mosleminnen erkennbar waren. Die Frau hatte sichtlich Angst und wollte
wissen, ob unsere Deutschkurse wohl nicht zu spät endeten, da sie
sich davor fürchtete, spät abends allein nach Hause gehen zu
müssen.” Was Kanik-Richter besonders seltsam findet: „Sogar österreichische
Intellektuelle haben mich schon gefragt, ob ich nicht schon zum Christentum
konvertiert sei … da hab’ ich geantwortet: ,Ihr seid ja wesentlich konservativer
als den Menschen des islamischen Kulturkreises immer unterstellt wird …‘”
Mullah Omar und Bin Laden: ein- und dieselbe
Person?
Eine wiederum andere Sicht der Dinge bringen uns drei Flüchtlinge
aus Afghanistan näher: Abdulzadeh Mohammad Abbas, Abdul Ali Haidari
und Mohammad Mansuri gehören der von den sunnitischen, großteils
paschtunischen Taliban verfolgten Volksgruppe der schiitischen Hazara an
und waren trotz ihrer Jugend in deren nationaler Partei Hesbehwahdad aktiv,
die auch Teil der Nord-Allianz ist.
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Dr. Nuraj Kanik-Richter (li): Es gibt offene Feindseligkeiten,
auch gegen
moslemische Frauen; Afghanistan-Flüchtlinge Abdul
Ali Haidari,
Mohammad Mansuri und Abdulzadeh, Mohammad Abbas: Wir
wollen
weder Taliban noch Amerikaner
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Für sie sind die Taliban Eindringlinge von außen, aus Pakistan
– und sie lehnen auch die Entrechtung der Frauen durch die „Koranschüler”
ab. „Man weiß ja nicht einmal, ob Mullah Omar, der Führer der
Taliban, überhaupt Afghane ist”, meint Mohammad Abbas. „Es gibt sogar
welche, die meinen, dass Osama Bin Laden und Mullah Omar ein- und dieselbe
Person sind …” Den USA werfen sie vor, die Taliban mit 300 Mio Dollar unterstützt
zu haben – „sonst hätten sie nie eine solch wichtige Rolle spielen
können”. Jetzt aber sei es unwahrscheinlich, dass das Regime schnell
gestürzt werde: Wegen der US-Angriffe kämen viele Sympathisanten
der Taliban aus dem benachbarten Ausland, um Seite an Seite mit diesen
zu kämpfen, sodass der Krieg wohl länger dauern werde. Die US-Intervention
halten sie schon allein aus diesem Grund für kontraproduktiv. “Der
Weg zu einer Normalisierung kann nur über eine Entwaffnung aller Krieg
führenden Parteien gehen – wir wollen weder die Taliban noch die Amerikaner
im Land.” Denn: „Bin Laden kann man in einem Land wie Afghanistan nie finden,
bei den Angriffen werden hauptsächlich Unschuldige getötet, darauf
deuten alle Nachrichten hin.” Auch wenn sie gerne wieder in ihre Heimat
zurückkehren würden, merkt man allen dreien den Unglauben an,
dass sich die Situation in absehbarer Zeit zum Besseren wenden könne…
„Ich hoffe und bete …”
Rückblende: Genau einen Monat nach den Anschlägen in New
York und Washington präsentierten 10- bis 14-jährige Schülerinnen
und Schüler der Neuen Mittelschule / Hauptschule St. Andrä in
Graz die Ergebnisse eines Schulprojektes zum Thema „Der 11. September und
die Zeit danach”. HOL Elfriede Gaisbacher: „An unserer Schule werden
vierzehn verschiedene Muttersprachen gesprochen, und die Hälfte der
SchülerInnen gehört der islamischen Glaubensgemeinschaft an.
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Moslems in Graz |
Wir wollten erreichen, dass die Kinder sich in die Gedankenwelt beider
Konfliktparteien, in jene der Amerikaner und der Afghanen, hineinversetzen
und Empathie entwickeln, damit sich keine Feindschaften entwickeln können.”
In Form gezeichneter „Angstblumen” sollten die Kinder ihre Ängste
darstellen und so auch leichter darüber sprechen können. Und
die Befürchtungen der „einheimischen” und der muslimischen Kinder
sind identisch: Alle haben Angst vor dem, was da noch kommen könnte.
Die kleine Moslemin Leila spricht es stellvertretend für alle aus:
„Ich hoffe und bete, dass es keinen Dritten Weltkrieg gibt”.
Christian Stenner, Dieter Kordik
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