Austrittsgrund: Gewissensnöte

Immerhin 55 Jahre und der Wechsel mehrerer Politikergenerationen waren vonnöten, um die ÖVP ihre einstmals klare Distanz zum so genannten „dritten Lager“ überwinden zu lassen: Seit 4. Februar sitzt sie in einer Regierungskoalition mit einer Partei, die unter ihrem eben zurückgetretenen Vorsitzenden Dr. Jörg Haider einen deutlichen Schwenk vom Rechtsliberalismus hin zu einer modernen Form des Rechtsextremismus vollzogen hat.
Der Widerstand innerhalb der Volkspartei gegen diese Koalition – wie ihn etwa der Wiener ÖVP-Chef Bernd Görg verkörpert – hielt sich in Grenzen und war hinter’m Semmering, wo immerhin zwei von vier schwarzen Regierungsmitgliedern glühende Verfechter einer Koalition mit der FPÖ sind, noch weniger spürbar. „Nur“ unter Intellektuellen und KünstlerInnen regt sich auch in der steirischen Volkspartei Widerwillen gegen die schwarz-blaue Politehe, und einige haben mit ihrem Austritt die letzte Konsequenz gezogen.


Verlassen die Intellektuellen die ÖVP?

In der Steiermark zeigt sich die ÖVP wenig beeindruckt von den bundespolitischen Turbulenzen. Seit Jahresbeginn, so Landesgeschäftsführer Dr. Reinhold Lopatka, habe die Partei ein Plus von 700 Mitgliedern zu verzeichnen. Das dürfe allerdings, gibt auch Lopatka zu, nicht im Umkehrschluss als Positiv-Effekt der FP/VP-Koalition gedeutet werden: „Jetzt, vor den steirischen Gemeinderatswahlen, wurden einfach viele Menschen angesprochen und gefragt, ob sie für uns kandidieren wollen; ein Teil davon wurde dann auch Mitglied.“ Austritte seien ihm kaum bekannt.

Ohnehin nur mehr wenig Intellektuelle?
Tatsächlich: Jene sozialen Milieus, die jetzt am vehementesten ihre Abneigung gegenüber der neuen Regierung zeigen – Intellektuelle und Künstler – finden offenbar schon länger nicht mehr den Weg in die Volkspartei. Dies wird indirekt von einem kirchlichen Kulturfunktionär bestätigt, der seine Identität nicht veröffentlicht wissen will: „Als ich jetzt nach meinem Parteiaustritt mit meinen Bekannten darüber diskutiert habe, war ich überrascht, dass sie allesamt entgegen meiner ursprünglichen Annahme niemals Mitglieder waren.“
Jene, die ihre Mitgliedschaft noch in jener Zeit erworben haben, als gerade die steirische ÖVP für ein Klima der kulturellen Toleranz und intellektuellen Weltoffenheit stand, gehen auf Distanz; manche verlassen die Partei.

ÖVP-Geschäftsführer Reinhold Lopatka (l.):
„Mitgliederplus durch GR-Wahlen“
Historiker Jörg Knauer (M.):
„Will für diese Koalition nicht einmal indirekt mit verantwortlich sein“;
Schriftsteller Schmidt (r.):
„Schüssel ist Steigbügelhalter für Haider“

„Weltanschauung dem Willen zur Macht untergeordnet“
„Erschrocken darüber, wie schnell die Menschen die Vergangenheit vergessen“, zeigt sich Mag. Jörg Knauer, Historiker und Direktor einer obersteirischen berufsbildenden höheren Schule. Er hat der ÖVP, deren Mitglied er über den ÖAAB sechzehn Jahre lang war, noch am Tag der Regierungsbildung den Rücken gekehrt. Sein Austrittsgrund: „Allein Haiders Aussage über die ,ordentliche Beschäftigungspolitik‘ des Nationalsozialismus disqualifiziert ihn und seine Partei für jegliche Regierungsverantwortung.“ Überlegungen für eine Koalition mit den Freiheitlichen wären, so Knauer, nur dann legitim gewesen, wenn dort „eine liberale Führungsgarnitur wie früher unter Steger an der Macht wäre.“
Was den Pädagogen, der auch als Obmann eines großen Sozialvereines tätig ist, besonders schmerzt: „Ich kann nicht länger in der Volkspartei bleiben und glaubhaft christlichsoziales Gedankengut vertreten – die Weltanschauung wurde völlig dem Willen zur Macht untergeordnet.“ Warum bisher nur Intellektuelle die ÖVP verlassen? „Wohl deswegen, weil Haiders Sprüche, seine xenophobe Haltung und seine schrecklichen Simplifizierungen für Menschen, die gelernt haben, differenzierter zu denken, besonders schwer erträglich sind.“ Für Knauer jedenfalls stand am 4. Februar fest: „Ich möchte mein gutes Gewissen behalten, für diese Koalition will ich nicht einmal indirekt mit verantwortlich sein.“

„Eine Art Totengedenken“
Bernd Schmidt, Schriftsteller und Kulturchef einer steirischen Tageszeitung, war seit 1969 ÖAAB- und damit ÖVP-Mitglied. Er hat auch am 3. Oktober die Volkspartei gewählt – „aber sicherlich nicht, damit sie mit der FPÖ eine Koalition eingeht, sondern um sie als politische Kraft zu erhalten.“ Und: „Auch wenn ich kein besonderer Fan der rot-schwarzen Koalition war – gegen die stärkste Partei kann man auf Dauer nicht regieren.“ Nach der Regierungsbildung hat Schmidt in einem Brief an ÖAAB-Obmann Schützenhöfer seinen Austritt erklärt –„Ich konnte eine weitere Mitgliedschaft weder mit meinem Gewissen noch mit meinem Österreichertum vereinbaren.“ Sein Hauptmotiv für diesen Schritt ist ein sehr persönliches: „Mein Vater war in der NS-Zeit politisch verfolgt, er hätte nicht anders gehandelt – wenn Sie so wollen, ist das eine Art Totengedenken.“
Für die nähere Zukunft sieht Schmidt wenig Positives. „Die Österreicher neigen leider dazu, peinliche Zustände in ihrem Sinn umzuinterpretieren.“ Es könne sogar noch schlimmer kommen: Wolfgang Schüssel habe letztendlich „die Funktion eines Steigbügelhalters für einen künftigen Kanzler Haider“. Besonders für den Kunst- und Kulturbereich seien schwere Zeiten zu erwarten. „Die Position des neuen Kulturstaatssekretärs ist ausnehmend schwach – und zudem hat er einiges gegen Haider gesagt, was er jetzt relativieren muss; diese Unklarheiten stärken seine Stellung auch nicht gerade.“ Aber auch wenn, so Schmidt, „Kunst und Kultur bei uns jetzt noch weniger Lobbys haben als bisher“, halte er es nicht für geschickt, zum Kulturboykott aufzurufen, wie dies etwa Elfriede Jelinek mit dem Aufführungsverbot für ihre Stücke getan habe. „Im Gegenteil, gerade jetzt sollten die Künstler laut ihre Meinung sagen.“
Christian Stenner
 


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