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Grazer Schulen: Keine Angst vor Multi-Kulti
Wie in anderen größeren Städten leben MigrantInnen auch in Graz vor allem in
traditionell ärmeren Stadtteilen. Die Folge: In einigen Volks- und Hauptschulklassen
am rechten Murufer gibt es einen Anteil an Kindern mit einer anderen Muttersprache
als Deutsch von mehr als 50%.
Die Situation eskalierte, als zu Schulbeginn in einer Grazer Volksschule
österreichische Eltern ihre Erstklassler wieder vom Unterricht abmeldeten. Sofort
wurden Stimmen laut, die diesen „Skandal” für ihre xenophoben Absichten nützen
wollten. Aber: „Die inländischen Eltern sind nicht vor den ausländischen Kindern
davongelaufen, sondern vor den unbefriedigenden Bedingungen, unter welchen der
Unterricht durchgeführt werden musste”, stellt Christa Scherkl, Lehrerin in der
ersten Klasse der Volksschule Grenadiergasse, gegenüber KORSO klar.
Möglichkeiten wurden nicht genutzt
Demnach gab es mit Beginn des heurigen Schuljahres in ihrer ersten Klasse einen
hohen Anteil von Zuwandererkindern, welcher durch viele späte Anmeldungen über den
Sommer nicht vorhersehbar gewesen sei. Von diesen Kindern verfügten einige über keine
oder wenig Deutschkenntnisse.
„Die Vergabe von Stunden für den Interkulturellen Unterricht (IKL) war bereits in
den letzten Jahren ein Konfliktpunkt mit dem Bezirksschulrat. Denn obwohl eigentlich
jedes Kind mit einer anderen Muttersprache als Deutsch Anrecht auf IKL-Unterricht hat,
wurde uns mitgeteilt, dass nicht alle ausländischen Kinder gemeldet werden können,
sondern nur diejenigen mit wenigen oder gar keinen Deutschkenntnissen”, berichtet Scherkl.
Aufgrund dieser Rahmenbedingungen hätten sich einige österreichische Eltern
entschlossen, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen, was das Zahlenverhältnis zwischen
in- und ausländischen Kindern noch mehr verschob und die Unterrichtssituation in der
Klasse weiter erschwerte. Christa Scherkl wurde zu diesem Zeitpunkt zwar durch eine
interkulturelle Lehrkraft unterstützt – aber nur im Ausmaß von fünf Wochenstunden.
Missstimmungen an den Schulen
Der Medienwirbel veranlasste die Behörden zum Handeln: Rasch wurden zusätzliche
Lehrkräfte in der ersten Klasse in der Grenadiergasse und in anderen Volksschulen
am rechten Murufer eingesetzt. Bezahlt werden diese Stunden laut Bezirksschulinspektorin
Dietlinde Leder aus dem Topf für IKL-LehrerInnen. Unklar bleibt, warum diese Stunden
nicht schon früher zugeteilt wurden. Laut Bundesgesetz hat nämlich jedes Kind mit
einer anderen Muttersprache als Deutsch einen gesetzlichen Anspruch auf diesen
IKL-Unterricht.
Die Art der Zuteilung dieser zusätzlichen Lehrkräfte durch das Stadtschulamt stieß
jedoch auf wenig Zustimmung bei den betroffenen LehrerInnen. Christa Scherkl:
„Auf Anordnung der Schulbehörde musste der Unterricht von einem Tag auf den anderen
umstrukturiert werden. Die bisherige IKL-Lehrerin wurde, zu ihrer und unser aller
Bestürzung, abgelöst.”
Versäumnisse der Schulbehörden?
In dieser kritischen Situation durfte es an gegenseitigen Schuldzuweisungen der
Zuständigen nicht fehlen. Landeshauptfrau Waltraud Klasnic reibt sich an der Stadt:
„Das Stadtschulamt Graz weiß von diesem Umstand seit der Schuleinschreibung im Februar
1999 und verabsäumte es bis heute, eine Lösung herbeizuführen.” Die zuständige
Stadträtin Tatjana Kaltenbeck kontert: „Klasnic hätte als Präsidentin des
Landesschulrates schon längst reagieren können. Der Einsatz von zusätzlichen Lehrern
obliegt auschließlich dem Landesschulrat.” Der Umstand, dass einige Schulen am
rechten Murufer einen recht hohen Anteil an Zuwandererkindern aufweisen, dürfte
in der Tat auch für die Landesbehörden keineswegs neu sein. Gert Wagner vom
Flüchtlingsbetreuungsverein Omega betont, dass man den Landesschulrat schon 1998
darauf hingewiesen habe.
Konkrete Projekte ab März 2000
Klasnic äußerte allerdings nicht nur Kritik, sondern brachte auch einen dringlichen
Antrag im Landtag ein, mit dessen Beschluss je eine Million Schilling an die beiden
Hilfsvereine für arbeitslose LehrerInnen, ISOP und SALE, vergeben wurde, die damit
zusätzliche Lehrkräfte für die betroffenen Grazer Schulen bezahlen sollten.
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Betroffene Lehrerin Christa Scherkl (li): „Eltern sind nicht vor
ausländischen Kindern davongelaufen.“ LH Waltraud Klasnic: „Stadtschulamt
hat es verabsäumt, eine Lösung herbeizuführen.“ STRin Tatjana Kaltenbeck:
„Einsatz zusätzlicher Lehrer obliegt ausschließlich dem Landesschulrat.“
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Von dieser Idee ist man inzwischen wieder abgekommen, so Mag. Brigitte Brand von ISOP,
die ebenso wie ihre KollegInnen von SALE vom unverhofften Millionensegen erst aus den
Medien erfahren hat. In einer ersten Phase soll zunächst in Kooperation mit der Stadt
der Bedarf in den Schulen erhoben werden. Bis spätestens Februar 2000 soll ein
konkretes Konzept vorliegen, mit der Schuleinschreibung im März sollen die ersten
Projekte anlaufen. Ein wichtiger Schwerpunkt wird die Verbesserung der Deutschkenntnisse
von ausländischen Müttern sein; das halbe Jahr zwischen Schuleinschreibung und
Schulbeginn sollen Kinder ohne Deutschkenntnisse mit Hilfe entsprechender Angebote
für das Erlernen der deutschen Sprache nützen können. Und, so Mag. Angelika Truppe
von SALE: „Die Schulen am rechten Murufer sollen auch für österreichische Eltern
attraktiver gemacht werden.”
Ausländische Kinder sollen nicht verschickt werden
Ein Vorschlag dürfte inzwischen vom Tisch sein: Das so genannte „busing-system” –
ausländische SchülerInnen werden in weit entfernte Schulen geschickt, um die
Ausländer-Konzentration in den wohnortnahen Schulen zu senken – soll nicht umgesetzt
werden. Für Dr. Wladimir Wakounig von der Universität Klagenfurt ist das busing-system
eine ungeheuerliche Ungleichbehandlung der Fremden. „Welches Bild des ,Fremden‘ liegt
einem solchen System zugrunde? Der Fremde ist transferierbar, er ist verschickbar, der
Fremde wird zum Nomaden der Schulbürokratie und Schulpolitik.”
Öffnung von Gemeindewohnungen für AusländerInnen gefordert
Auch neue Schul- und Lernmodelle können die Situation nicht dauerhaft entschärfen,
wenn die Bedingungen im Schulumfeld unverändert bleiben. Um die Wohnungssituation
für ausländische BürgerInnen zu verbessern und der Ghettobildung entgegenzuwirken,
tritt Stadträtin Kaltenbeck für eine teilweise, Mag. Hermann Candussi, Gemeinderat
der Grazer Grünen, für eine gänzliche Öffnung der Gemeindewohnungen für AusländerInnen ein.
Diesbezüglich erwartet sich auch Caritaspräsident Franz Küberl vermehrtes Engagement
der Politik: „Nicht-Integration bringt gesellschaftlich nichts. Die Integration hingegen
ist die beste Investition für mehr Sicherheit in unserer Gesellschaft. Hier Rückenwind
zu erzeugen ist Aufgabe der Politik.” Joachim Hainzl
Eine sehr ausführliche Dokumentation zum Thema Multikulturalität an Grazer Schulen
mit vielen Interviews und Materialien finden Sie in der aktuellen Ausgabe unseres
Webmagazins k-punkt
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